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Krieg im ehemaligen Jugoslawien

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien, der in der Zeit des Kalten Krieges einen vom Ostblock unabhängigen Weg gegangen war, befand sich am Beginn der 1990er-Jahre in einer tiefen Krise. Nationale, soziale und religiöse Widersprüche brachen auf und schlugen in einen Bürgerkrieg um. Militärische auseinandersetzungen, so genannte „ethnische Säuberungen“, Massenvergewaltigun­gen und Massaker führten zu schwersten Menschenrechtsverletzungen, zu etwa 250 000 Toten und 2,2 Mio. Flüchtlingen. Die NATO griff in Kampfhandlungen ein – auch ohne Mandat der UNO, die Friedenstruppen stationierte und mehrere Resolutionen verabschiedete.

Die nach dem Zweiten Weltkrieg gebründete Föderative Volksrepublik Jugoslawien – seit 1963 Sozialistische Föderative Republik (SFRJ) zerfiel. Die Provinz Kosovo wurde unter interna­tionale Verwaltung gestellt.

Ethnische Situation

Die SFRJ war ein heterogener Vielvölkerstaat – ein Land mit zwei Alphabeten, drei Spra­chen, drei Religionen und neun Nationalitäten.

Serbien

5,8 Mio. Einwohner, 66 % Serben, 34 % Sonstige

  • Provinz Wojwodina: 2,0 Mio Einwohner, 54 % Serben, 19 % Un­garn, 27 % Sonstige

  • Provinz Kosovo: 1,8 Mio. Einwohner, 77 % Albaner, 13 % Ser­ben, 10 % Sonstige

Kroatien

4,7 Mio. Einwohner, 75 % Kroaten, 12 % Serben, 13 % Sonstige

Slowenien

1,9 Mio. Einwohner, 91 % Slowenen, 9 % Sonstige

Bosnien-Herzegowina

4,3 Mio. Einwohner, 40 % Bosnier (Muslime), 32 % Serben,

18 % Kro­aten, 10 % Sonstige

Montenegro

0,6 Mio. Einwohner, 69 % Montenegriner, 13 % Bosnier, 7 % Albaner, 11 % Sonstige

Mazedonien

2,0 Mio. Einwohner, 67 % Mazedonier, 17 % Albaner, 16 % Sonstige

Texterläuterung: Stand der Tabellenangaben: Juli 1991

Historische Wurzeln des Konflikts

Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Ethnien auf dem Balkan reichten bis in das 12. Jahrhundert zurück.

Besonders konfliktträchtig waren die komplizierten Volkstums- und Religionsgrenzen, die sich über Jahrhunderte herausgebildet hatten.

  • In der Antike verlief hier z. B. die Grenze zwischen dem Oströmischen und dem Weströmischen Reich, was sich bis heute in der Trennung in orthodoxe (Serben) und katholische (Kroaten) Christen niederschlägt. Später war die Region Militärgrenze zum Osmanischen Reich und damit auch Grenze zwischen Christentum und Islam.

Im 16. Jahrhundert siedelte die habsburgische Verwaltung vertriebene Serben und Kroaten

auf der Krajina an. Es entstand ein gemischtes Siedlungsmuster der Volksgruppen.

Das alte Jugoslawien entstand nach dem Ersten Weltkrieg 1918 durch die Vereinigung der Slowenen, Kroaten und Serben der österreichisch-ungarischen Monarchie mit den Serben im Kö­nigreich Serbien und in Montenegro als „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“. Es gab anhaltende Zwistigkeiten zwischen Kroaten und Serben. Im Zweiten Weltkrieg wurde im Westteil des Königreichs ein faschistischer Satellitenstaat Kroatien errichtet, während das übrige Land unter italienisch-deutsche Besatzung geriet. In einem „totalen Bürgerkrieg“ kämpften kroatische Usta-schas, serbische Tschetniks und serbische Partisanen gegeneinader. Den Kampf entschied die Par­tisanenarmee unter Josip Broz Tito 1944/45 für sich. Im November 1945 wurde die Föderative Volksrepublik Jugoslawien gegründet.

Die neu gebildeten sechs Teilrepubliken Serbien (mit den autonomen Provinzen Wojwodi-na und Kosovo), Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro unter­schieden sich erheblich hinsichtlich ihrer ökonomischen Basis. Vor allem der entwickelte Norden (Kroatien, Slowenien) drängte nach Unabhängigkeit.

Außenpolitisch verfolgte Jugoslawien einen unabhängigen Kurs und nahm einen führenden Platz in der Bewegung der Nichtpaktgebundenen ein. Innenpolitisch unterdrückte Tito, der faktisch Alleinherrscher im politischen System eines Sozialismus jugoslawischer Prägung war, jegliche Autonomiebestrebungen erfolgreich.

Nach dem Tod Titos spitzte sich die Situation in den Teilregionen Jugoslawiens immer mehr zu.

  • Die Inflation, die 1982 noch bei 30 % gelegen hatte, war 1988 auf 257,2 % hochgeschnellt. Die Auslandsverschuldung betrug 22 Mrd. Dollar. Die Arbeitslosenquote stieg auf 17 %. Es fanden zahlreiche Streiks (1988 waren es etwa 2000) und Protestaktionen gegen ddie Regierung statt.

Texterläuterung: Josip Broz Tito (1892-1980) war zunächst Ministerpräsident, ab 1953 Staats-­

präsident auf Lebenszeit.

Ausbruch des Bürgerkrieges

Ende der 1980er-Jahre brachen die Konflikte zwischen den Völkern wieder auf. Die Kluft zwischen dem reichen Norden (Kroatien, Slowenien) und dem armen Süden (Kosovo, Mazedonien) vertiefte sich. Die wirtschaftlich entwickelten Teilrepubliken im Norden nahmen eine eher födera-listische, liberale, marktwirtschaftliche Position ein. Die größte Teilrepublik Serbien orientierte sich auf eine zentralistische Planwirtschaft. Das stieß zunehmend auf den Widerstand der Mehrheit der anderen Republiken. Der Konflikt zwischen Serbien und der Provinz Kosovo, die seit der Verfas­sungsreform von 1974 über weit gehende Rechte verfügte, spitzte sich besonders zu. Ständige Un-ruhen und gewaltsame Auseinandersetzungen fanden statt.

Im Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. Im September spra­chen sich 90 % der Kosovo-Albaner für die Unabhängigkeit aus. Der offene Krieg brach aus.

Jugoslawien-Kriege 1991-1995

Juni/Juli 1991

Krieg in Slowenien

Der slowenischen Unabhängigkeitserklärung folgt der „Kleine Krieg“ zwischen der jugoslawischen Bundesarmee und den slowenischen Territorialstreitkräften; Waffenstillstand auf Vermuttlung der EU (Brioni-Abkommen)

Juni 1991 bis Jan. 1992

Krieg in Kroatien

Die Bundesarmee interveniert nach kroatischer Unabhängigkeits­erklärung.

1993

Die Krajina sagt sich von Kroatien los und erklärt den Anschluss an die Republik Serbien.

April 1992 bis Nov. 1995

Krieg in Bosnien-Herzegowina

Die Bundesarmee interveniert nach der Unabhängigkeitserklärung.

1994

Erster militärischer Einsatz der NATO seit ihrer Gründung: Abschuss von vier serbischen Flugzeugen in der Flugverbotszone

1995

Serben nehmen die bosnischen Sicherheitszonen Srebrenica und Zepa ein – dem folgen massive Luftschläge der NATO gegen Stellungen der bosnischen Serben.

1995

Die kroatische Armee erobert die Krajina und Westslawonien; mehr als 170 000 Serben werden vertrieben.

14.12.1995

Dayton-Friedensabkommen

Es wird zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina ge-schlossen und sieht die Erhaltung der staatlichen Einheit Bosnien-Herzegowina als Dach einer bosniakisch-kroatischen Föderation und einer Serbischen Republik mit der Hauptstadt Sarajevo vor.

Texterläuterungen

  1. Die serbische Minderheit im Kosovo stützte sich zunehmend auf Hilfe aus Belgrad. 1989 kün­digte Belgrad die Verfassung von 1974 auf – anlässlich des Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld (1389), wo die Serben eine Niederlage gegen die Türken erlitten hatten.

  2. 1993 verabschiedet die UNO die Resolution 827. Sie legt die Errichtung eines internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag zur Ahndung der Verbrechen in Jugoslawien fest.

  3. Durch die Resolution 824 stellt die UNO sechs bosnische Städte und Gemeinden mit mehrheit­lich muslimischer Bevölkerung unter ihren besonderen Schutz.

Kosovo-Krieg

1998 eskalierte die Situation im Kosovo erneut. Der Konflikt zwischen den nach wie vor um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Kosovo-Albanern und den sie verweigernden Serben brach ge-waltsam auf. Serbische Kräfte besetzten erneut die Provinz.

Im Kern war der Kosovo-Konflikt ein Identitätskonflikt.

Kämpfe zwischen der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) und serbischen Einheiten for­derten ebenso wie die Luftangriffe der NATO gegen serbische Gebiete Opfer, besonders unter der Zivilbevölkerung.

  • Nach Schätzungen

  • flohen über 900 000 Kosovo-Albaner aus der Heimat,

  • wurden etwa 11 000 Kosovo-Albaner Opfer von Massakern und wurden ermordet,

  • fielen mindestens 4550 Menschen den NATO-Bombardements zum Opfer, darunter etwa 500 Zivilisten,

  • wurden bei den Lufteinsätzen der NATO 45 Straßen- und Eisenbahnbrücken zerstört.

Nach 79 Kampftagen mit mehr als 32000 Lufteinsätzen seitens der NATO und Umfang-

reichen diplomatischen Bemühungen endete der Krieg. Die serbischen Truppen zogen sich aus dem Kosovo zurück, die Provinz wurde unter internationale Verwaltung gestellt.

Texterläuterungen

  1. Nach dem Scheitern diplomatischer Bemühungen um Konfliktbeilegung griff die NATO in den Krieg ein – ohne Mandat der UNO.

  2. Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic (geb. 1941) hatte die Unterzeichnung der Vereinbarung von Rambouillet (bei Paris) abgelehnt (Febr./März 1999). Diese sah vor, dass die Provinz Kosovo innerhalb von Serbien eine umfassende Autonomie erhält und hier Truppen der NATO stationiert werden.

  3. Milosevic wurde im März 2001 verhaftet und drei Monate später dem UN-Tribunal in Den Haag übergeben. Er wurde wegen zu verantwortender Kriegsverbrechen angeklagt.

Konfliktlösung

Eine Bilanz des Kosovo-Krieges wirft generelle Fragen nach Wegen der Friedenssicherung und –erhaltung auf – besonders im Hinblick auf politisch-ethnische Bürgerkriege. Eine entscheiden­de Frage ist die nach einer verbindlichen Weiterentwicklung des Völkerrechts zugunsten humani­tärer Interventionen in nationalstaatliche Souveränität. Das ergibt sich vor allem aus der von der NATO getroffenen Entscheidung zu einer massiven Militärintervention auf der Basis nicht kodifi­zierten Völkerrechts.

  • Der zeitgenössische Philosoph Jürgen Habermas deutet den Krieg der NATO gegen Jugosla­wien bereits als ein Zeichen dafür, dass eine Transformation des Völkerrechts in ein „Recht der Weltbürger“ auf die Tagesordnung gerate.

Der Politologe Elmar Altvater wies diese Sicht jedoch als „staats- und rechtstheoretische Rechtfertigung eines Aggressionskrieges“ zurück.

Es geht auch um das moralische Dilemma der Durchsetzung von Menschenrechten – unge­-

achtet der Einmischung in die inneren Angelegeheiten eines souveränen Staates – mit Gewalt. Und wenn am Ende eines Krieges – wie des im Kosovo geführten – schließlich nur eine protektionis­tische Ordnung steht, so kann das keine generell anstrebenswerte Konfliktlösung sein, zumal sie für einen längeren Zeitraum umfangreiche militärische Kräfte bindet.

(aus: Politik, Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe, 2009)

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