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Migration und Integration (Deutschland-Chronologie)

Deutschland ist ein Einwanderungsland. 2005 lebten in Deutschland 15,3 Mil­lionen Men­schen, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Die deutsche Po­litik hat sich lange Zeit schwer getan, diese Tatsache zu akzeptieren. Vielleicht trübte der Vergleich mit den „klas­sischen" Einwanderungsländern den Blick auf die Realitäten. Anders als beispiels­weise die Millionen Menschen, die in immer neuen Einwanderungs­wellen in die USA emigrierten, galten die Arbeitskräfte, die seit 1956 nach Deutschland kamen, zunächst nicht als Einwanderer, die dauerhaft in Deutschland bleiben wollten. Man nannte sie „Gastarbeiter", weil ihr Auf­enthalt nur vorübergehend sein sollte.

Die Arbeitsmigranten, wie sie auch genannt werden, sollten in der Zeit des „Wirtschafts­wunders" den Arbeitskräftemangel bestimmter Industriezweige ausgleichen helfen. Die Grundlage für die gezielte Anwerbung von Arbeits­kräften in den damals wirtschaftlich rückständigen Regio-nen des Mittel­meerraums bildeten Anwerbeabkommen; das erste wurde am 21.12.1955 mit Italien für ein Kontingent von 100000 Arbeitskräften geschlossen. Darin heißt es: „Die Regierung der Bun­desrepublik Deutschland teilt, wenn sie einen Mangel an Arbeitskräften feststellt, den sie mit der Hereinnahme von Arbeitern italienischer Staatsangehörigkeit beheben will, der italienischen Regie-rung mit, in welchen Berufen oder Berufsgruppen und in welchem an­nähernden Umfange Bedarf an Arbeitskräften besteht."

Die Unterbringung der „Gastarbeiter" erfolgte nur provisorisch. Die über­wiegend männli-chen, jungen Arbeitskräfte lebten ohne Familienangehörige in Baracken oder Sammelunterkünften. Niemand ging davon aus, dass ihr Aufenthalt in Deutschland auf Dauer angelegt war, denn die Ar­beitsverträge galten in der Regel nur für neun bis zwölf Monate. Nach dieser Zeit sollten sie wieder in ihre Heimat zurückkehren und durch neue Arbeitskräfte ersetzt werden. Der Arbeitskräftebedarf der boomenden deutschen Wirtschaft über­stieg aber alle Erwartungen, sodass die „Gastarbeiter" blieben. Auch wurden mit weiteren Mittelmeerländern Anwerbeabkommen geschlossen: Spanien und Griechenland (1960), Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1961t), Tu­nesien (1965) und Jugoslawien (1968).

Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen." Dieser viel zitierte Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch war ursprünglich auf die schweizeri­sche Einwanderungspoli­tik gemünzt; er charakterisiert aber auch die dama­lige Situation in Deutschland. Weil sich die Auf­enthaltszeiten der angewor­benen ausländischen Beschäftigten immer weiter verlängerten, kamen dank des neuen Ausländergesetzes von 1965 auch die Ehegatten und Kinder der „Gastarbeiter" nach Deutschland. Über ihre Integration in die deutsche Ge­sellschaft hatte sich der Gesetzgeber keine Gedanken gemacht. Es gab bei­spielsweise keine verbindlichen Deutschkurse für Einwanderer, so dass viele auch noch nach langen Jahren des Aufenthalts in Deutschland über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügten.

Nach dem Anwerbestopp, den die Regierung 1973 angesichts der einsetzen­den Ölkrise und Arbeitslosigkeit verhängt hatte, blieb der Familiennachzug für lange Zeit die einzig legale Form der Zuwanderung. Obwohl es 1973 schon rund Millionen „Gastarbeiter" und Familienangehörige gab, die sich dau­erhaft auf ein Leben in Deutschland eingerichtet hatten, hielt die Bundes­regierung an dem Konzept einer „Integration auf Zeit" fest. Immerhin wur­de 1978 mit Heinz Kühn (SPD) erst­mals ein „Beauftragter der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien­angehörigen" ernannt. Allerdings folgte darauf kein Politikwechsel: So wur­de noch in den 80er- und 90er-Jahren nicht nur der Familiennachzug er­schwert, sondern sogar die „Rückkehr-bereitschaft" gefördert, wenn auch nur mit geringem Erfolg.

Nach dem Ende des Kalten Krieges kam es zu einer erneuten Einwande­rungswelle in die Bundesrepublik, die von zwei unterschiedlichen Gruppen getragen wurde:

  • Zum einen verstärkte sich mit der Lockerung bzw. Öffnung der Grenzen die Zuwanderung von Aussiedlern, die ihren Höhepunkt 1990 mit der An­kunft von fast 400000 Menschen erreichte. Als Aussiedler bezeichnete man bis Ende 1990 die Angehörigen der deutschen Minderheiten, die teilweise seit Generationen in Ostmitteleuropa, Osteuropa, Südosteuropa und Asien gelebt haben und nach Deutschland eingereist sind, wo sie die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten. Seit 1991 gelten alle deutschstäm­migen Einwanderer als Spätaussiedler. Um Schwierigkeiten bei ihrer Inte­gration zu vermeiden, wurde 1993 das Aufnahmeverfahren geändert und die Zahl der jährlich Aufzunehmenden begrenzt. Danach müssen Aussied­lungswillige hinreichende deutsche Sprachkenntnisse nachweisen und so lange in ihrem Herkunftsland warten, bis über ihre Aufnahme in Deutsch­land entschieden worden ist.

  • Zum anderen stieg zeitgleich die Zahl der Flüchtlinge aus Asien und Afrika, die in der Bundes-republik Asyl suchten. Später kamen Bürgerkriegsflücht­linge aus dem ehemaligen Jugoslawien hinzu. Nach einer erheblichen Einschränkung des Grundrechts auf Asyl im Jahre 1993 sowie einer drastischen Verschärfung des Asylverfahrens sank die Zahl der Asyl­bewerber. Die Ab­schottungspolitik der Europäischen Union gegenüber Flüchtlingen, welche mit einem systema-tischen Ausbau der EU-Außen­grenzen verbunden ist, hat dazu geführt, dass die Zahl der Asyl-Erstan­träge in der EU von 672400 im Jahr 1992 auf circa 182000 im Jahr 2006 zurückging, obwohl die EU in der Zwischenzeit um zwölf Länder erweitert wurde.

Von 1954 bis 2002 kamen 31 Millionen Menschen nach Deutschland, 22 Milli­onen zogen im gleichen Zeitraum weg. Die Nettozuwanderung lag also bei 9 Millionen. Trotz dieser Zahlen ging die deutsche Politik bis in die 90er- Jahre davon aus, Deutschland sei „kein Einwanderungs-land". Erst die Er­kenntnis, dass die Bevölkerungszahl Deutschlands ohne kräftige Zuwande­rung erheblich schrumpfen würde, hat zu einem Umdenken geführt. Die Parteien sind sich inzwischen grundsätzlich einig, dass Deutschland erstens mehr für die Integration der Migranten tun muss und zweitens „Zuwande­rung" braucht. Die späte Anerkennung dieser Realitäten schlägt sich in zwei Gesetzen nieder, die erst nach heftigen innenpolitischen Auseinanderset­zungen und zahlreichen Kompromissen zustande kamen.

Einwanderung und Auswanderung

Das neue Staatsangehörigkeitsrecht von 2000 bestimmt, dass Kinder von Ausländern, die seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung besitzen, bei Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Zwischen dem 18. und 23. Lebens-jahr müssen sie sich entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit oder die ihrer Eltern be-halten wollen. Generell haben Ausländer bereits nach acht Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik einen Einbürgerungsan­spruch. Allerdings wurden die Einbürgerungsbedingungen 2007 verschärft, indem ausreichende deutsche Sprachkenntnisse und Kenntnisse der deut­schen Rechts- und Gesellschaftsordnung zur Voraussetzung der Einbürge­rung gemacht wurden.

Das 2005 in Kraft getretene „Zuwanderungsgesetz" will, wie der umständli­che Titel besagt, „zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integ­ration von Unionsbürgern und Aus­ländern" beitragen. Im Einzelnen regelt es das Aufenthaltsrecht, den Zugang zum Arbeitsmarkt, den Kindernachzug, die rechtliche Stellung und Duldung von Flüchtlingen sowie die Förderung der Integration. Erstmals erhalten alle Neuzuwanderer, die sich rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland aufhal­ten (Ausländer mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland, Spätaussiedler sowie Unionsbürger) ein einheitliches, bundesgesetzlich geregeltes Grund­angebot zur Integration.

Für das Recht der Staatsangehörigkeit sind zwei Prinzipien von Bedeutung: Das lus Sanguinis bzw. Abstammungsprinzip, wonach der Erwerb der Staats­angehörigkeit an die Staats­bürgerschaft der Eltern gebunden ist, und das lus Soli bzw. Geburtsortsprinzip, wonach der Staat die Staatsbürgerschaft an alle Kinder verleiht, die auf seinem Staatsgebiet geboren werden. Bis 1999 galt in Deutschland nahezu ausschließlich das Abstammungsprinzip. Mit dem neuen Staatsangehö­rig­keitsgesetz von 2000 wurde im Prinzip das Ge­burtsortsprinzip eingeführt, allerdings mit einigen einschränkenden Bedin­gungen: Kinder ausländischer Eltern, die durch die Geburt Deutsche sind, haben zunächst zusätzlich zu der deutschen auch die von den Eltern abge­leitete ausländische Staats-angehörigkeit. Sie müssen sich aber nach dem 18. Geburtstag zwischen der deutschen und der aus-ländischen Staatsange­hörigkeit entscheiden („Optionspflicht").

Die mit den neuen Gesetzen verbundenen Erwartungen haben sich zu­nächst nur teilweise erfüllt. So ging die Zahl der Einbürgerungen seit 2000 kontinuierlich zurück und auch die Nettozu-wanderung (Differenz zwischen Zu- und Fortzügen) fiel deutlich unter das Niveau, das Arbeits­marktexperten und Sozialpolitiker für erforderlich halten, um das Beschäftigungs- und Rentensys-tem in einer alternden Gesellschaft langfristig zu stabilisieren.

Aber auch die Integration der Einwanderer und ihrer Kinder in die deutsche Gesellschaft ist noch lange nicht vollendet, was sich beispielsweise in schlechteren Bildungsabschlüssen und höhe-rer Arbeitslosigkeit zeigt. Vor diesem Hintergrund berief die Bundesregierung 2006 erstmals einen „Inte­grationsgipfel" mit Vertretern der Einwanderer ein, um einen „nationalen Integrationsplan" zu erarbeiten, der zahlreiche Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung der Bildungs-, Arbeits- und Le­benssituation der Migranten vorsieht.

Texterläuterung: Bei (Aus-)Wanderungsentscheidungen spielen Push- und Pull-Faktoren eine

Rolle. Die Push-Faktoren bezeichnen die Einflüsse auf die Menschen im Abwande­rungsgebiet, ihre Heimat zu verlassen; die Pull-Faktoren stellen die Anziehungskräf-te im Zuwanderungsgebiet dar.

Aufgaben

  1. Stellen Sie Push- und Pull-Faktoren für die Arbeitsmigration nach Deutschland zusammen.

  2. Nennen Sie Gründe, weshalb die deutsche Politik es lange Zeit vermied, von Einwanderung zu sprechen.

  3. Pietro ist 16 Jahre alt und besucht die 10. Klasse des Gymnasiums. Seine Eltern sind vor 25 Jahren aus Süditalien nach Deutschland gekommen. Diskutieren Sie, welche Begriffe auf ihn und seine Eltern zutreffen: „Gastarbeiter", „Einwande­rer", „Ausländer" oder...

  4. Beschreiben und erklären Sie die Grafik 39.1.

  5. Erläuteren Sie das Schaubild 40.7.

  6. Zeigen Sie am Wortlaut des neuen Grundgesetzartikels 16 a auf, welche Konsequenzen die Grundgesetzänderung für Menschen hat, die in Deutsch­land Asyl suchen.

  7. Wodurch unterscheidet sich die rechtliche Stellung der „Aus­siedler" von derjenigen ande­rer Zuwanderer?

  8. Setzen Sie das neue Staatsange­hörigkeitsrecht von 2000 in Bezug zur Grafik 47.2

  9. Arbeiten Sie an M3 das Verständnis der Bundesregierung von „In­tegration" heraus.

  10. Stellen Sie anhand der Texte M4 und M5 bestehende Hindernis­se auf dem Weg zur Integrati­on der Zuwanderer heraus.

  11. Zeigen Sie auf, was die wirtschaftli­chen und sozialen Folgen sein könnten, je nachdem welche Projektion des Erwerbsperso­nenpotentials eintreffen würde.

  12. Skizzieren Sie den Weg, den Deutschland von der Ankunft der ersten „Gastarbeiter" bis zum „Nationalen Integrati­onsplan" zurückgelegt hat.

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