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Familien in Deutschland

Familien in Deutschland sehen sich –wie anderswo auch – tief greifenden gesell-schaftlichen Veränderungen gegenüber. Neue Lebens- und Beziehungsformen, der

Wandel der Arbeitswelt und allerlei Hemmnisse von mangelnder Kinderbetreu­­ung bis zu fehlenden finanziellen Ressourcen führen dazu, dass immer weniger junge Menschen sich den Wunsch nach einer eigenen Familie erfüllen. So schrumpft und

altert die Bevölkerung – mit drastischen Folgen.

FAMILIE SEIN in Deutschland heißt auch heute noch in den meisten Fällen: die Mutter kümmert sich um Haushalt und Kin­der, der Vater sorgt fürs Geld zum Leben. Doch der „Mythos Mutter" bröckelt, Frauen – selbstbewusst und hervorragend ausgebildet – wollen beides: Kind und Karriere: Männer, - ge­prägt vom „Balancing", dem von Unternehmen und Arbeitsfor­schern propagierten Ausgleich zwischen Beruf und Privatem – verbringen immer mehr Zeit mit dem Nachwuchs; die Firmen – geplagt vom Verlust weiblichen Know-hows – sorgen für neue innerbetriebliche Betreuungsmöglichkeiten. Und die Poli­tik? Die hat nun auch ihr Herz für die Fa­mi­lien entdeckt. Abge­ordnete aller Couleur übertrumpfen sich mit Forderungen nach mehr Geld für Kinder und Eltern, nach Krippenplätzen und Ganztagsschulen, nach Gleichberechtigung für Frauen. Famili­enpolitik ist wieder ein Thema, in der Politik wie in den Medien, wo seit Wochen „Zurück zur Familie", „Abenteuer Kind" und „Cabrio statt Kinderkarre" getitelt wird.

Der Generationenvertrag auf der Kippe

Aufgeschreckt hat sie alle vor wenigen Wochen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das unmissverständlich deutlich machte: der Generationenvertrag, die Verantwortung der Jun­gen für die Alten und Schwachen, funktioniert nicht mehr. Die Pflegeversicherung, genauso wie die Renten- und große Teile der Krankenversicherung, bauen in Deutschland darauf, dass die Jungen mit ihren Beiträgen die Versorgung der Senioren ga­rantieren. Doch nun steht dieses Konzept auf der Kippe. Der Grund: Es fehlen die Kinder. Wie in den meisten modernen Ge­sellschaften geht auch in Deutschland die Schere zwischen Sterbefällen und Geburten auseinander. Wurden 1964 in Gesamt-Deutschland noch 1,36 Millionen Kinder geboren, waren es 1999 nur noch 771000. Die Zahl der Todesfälle lag mit 846 000 erheblich über der Zahl der Geburten. Die deutsche Bevölke-rung schrumpft aber nicht nur, sie wird auch immer älter – ebenfalls in Europa kein singuläres Fak­tum. Noch 1997 waren 21,5 Prozent der deutschen Bevölkerung unter 20 Jahren alt, fast ebenso viele waren 60 und älter. Im Jahre 2050 dürfte der Anteil der Unter-Zwanzigjährigen auf 15 Prozent gesunken und der der Alten auf 38 bis 40 Prozent gestiegen sein.

Kinderlose und Familien im Wettstreit

Was passieren müsste, um die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland vor dem Kollaps zu bewahren, malte der Bielefel­der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg aus. Entweder brin­gen alle Frauen im gebährfähigen Alter in den kommenden Jahrzehnten im Schnitt nicht mehr nur 1,3 sondern 3,8 Kinder zur Welt. Oder es wandern in den nächsten 50 Jahren rund 188 Millionen junge Ausländer ein. Oder das Rentenalter steigt lang­fristig auf 73 Jahre. Für die Verfassungsrichter stand angesichts der nicht übermäßig realistischen Alternativen fest, dass die So­zialsysteme einer Generalüberholung bedürfen: Wer Kinder aufzieht und damit die Verantwortung für die Versorger der fol­genden Generation auf sich nimmt, muss in Zukunft von Beiträ­gen für die Sozialkassen zumindest teilweise befreit sein. Das wäre schon ein Fortschritt, findet Kerstin Decker (Redakteurin der Leipziger Volkszeitung, 3 Schulkinder. Ihr Mann ist Leiter der Online-Redaktion der Leipziger Volkszeitung). Für sie war klar, dass Sie nach der Geburt ihrer Kinder bald wieder an ihren Arbeits­platz zurückkehren wollte – weil Sie gerne Re­dakteurin ist, aber auch, weil die Familie auf ihr Ge­halt nicht allzu lange verzichten konnte. „Wenn es mehr Erziehungsgeld gäbe, wäre ich nach Anna­bels Geburt auch noch ein bisschen länger zu Hause geblie­ben", räumt sie ein. Weil man ihr aber zudem eine interessante berufliche Perspektive eröffnete, nahm sie be­reits nach acht Monaten wieder an ih­rem Redaktionsschreibtisch Platz.

Auch wenn derzeit in der Republik ein bizarrer Wettstreit darüber ausgebrochen ist, ob sich Familien oder Kinderlose stärker ausgebeutet und sozial benachteiligt fühlen dürfen, fest steht, dass Kinder Geld kosten. Nach Berechnungen des Bun­desfamilienministeriums summieren sich bei einem Ehepaar mit einem Kind die öffentlichen und privaten Aufwendungen bis zum 18. Lebensjahr auf mehr als 715 000 Mark. Etwa ein Drittel davon trägt der Staat. Zwar zahlen Kinder­lose höhere Steuern, doch der meist unvermeidliche Verzicht eines Eltern­teils auf den Job wiegt unterm Strich schwerer. Nach Berech­nungen des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberg von 1998 müssen junge Ehepaare mit Kindern „deutliche Ein­kommensnachteile'' gegenüber Kin-derlosen in Kauf nehmen. So hatten kinderlose Paare pro Kopf 2545 Mark netto zur Ver­fügung. Familien mit einem Kind kamen auf 1594 Mark, 37 Pro­zent weniger. Bei zwei Kindern waren es 49 Prozent, bei drei Kindern gar 57 Prozent weniger.

Nachdem die Familien jahrelang von der Politik eher stief­mütterlich behandelt wurden, erhöhte die rot-grüne Regierung nach dem Regierungswechsel 1998 das Kindergeld zu­nächst in zwei Stufen von 220 auf 270 Mark. Die Einkommensgrenzen für das Erziehungsgeld von monatlich 600 Mark für die ersten beiden Lebensjahre des Kindes wurden deutlich angehoben. An­fang 2002 steht die nächste Kindergelderhöhung um weitere 30 Mark für das erste und zweite Kind an. Zudem können nun berufsbedingte Betreuungskosten steuerlich geltend gemacht werden, und die steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungs- und Ausbildungskosten wurde erweitert. „Wir sind auf dem richti­gen Weg", sagt Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), doch weiß sie, dass kein Paar für Nachwuchs sorgt, nur weil es pro Kind 30 Mark mehr zum Ausgeben hat.

Mangelnde Betreuungsmöglichkeiten

„Wir müssen alles dafür tun, damit die Übernahme von Eltern­verantwortung vereinbar ist mit anderen Wünschen zur Lebensgestaltung", sagt Ministerin Bergmann und meint vor allem die Kombination von Beruf und Familie, „eine der großen gesell­schaftlichen Zukunftsaufgaben". Die Bundesregierung hat des­halb schon bald nach Regierungsantritt entsprechende Initia­tiven ergriffen: So können Eltern seit 1. Januar 2001 die „Elternzeit", wie der Erziehungsurlaub seitdem heißt, ge­mein­sam in Anspruch nehmen und gleichzeitig auf Teilzeitarbeit bis zu 30 Wochenstunden umstei­gen. Auf Unterstützung durch die Bundesländer und Kommunen freilich ist die Bundesregierung angewiesen, wenn es darum geht, eine der größten Hürden der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu überwinden: die mangelnden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Von insgesamt 35 000 allge-mein bildenden Schulen bieten gerade einmal 2015 Schulen Unterricht am Nachmittag an. Vor allem in den alten Bundesländern ist das öffentliche Betreuungsangebot äußerst dürftig. Meist kom­men dort die Schulkinder um die Mittagszeit hungrig nach Hause. Dabei wünschen sich 50 Prozent der El­tern für ihren Nachwuchs eine Ganztagsbetreuung.

Kerstin Decker kann sich glücklich schätzen, im Osten Deutschlands zu leben. Hier profitieren die Frauen vom noch immer dichten Netz an Krippen, Kindergärten und Horten, das in der DDR geknüpft worden war, um Frauen in die Arbeitswelt zu integrieren und die systemkonforme Erziehung des sozialisti­schen Nachwuchses zu gewährleisten. Natürlich wünscht sich niemand die Verhältnisse in den sozialistischen Kinderkrippen, geprägt von staatlichen Plänen und autoritärer Pädagogik, zu­rück. „Aber wir sind froh, dass wir diese Angebote haben", sagt Kerstin Decker, „und nutzen sie auch".

Zwar beschleicht sie bisweilen das „schlechte Gewissen, dass eines zu kurz kommt: der Job oder die Kinder." Kerstin Decker will dennoch auf keines verzichten und weiß sich durchaus in einer von vielen beneideten Stellung. Mit der guten Betreuungssituation, die zwei Jobs und zwei Gehälter ermög­licht – und mit zwei Elternteilen – gehört ihre Familie nicht zu den Unter­privilegierten im Land. Viel härter trifft es da die stei­gende Zahl der Alleinerziehenden, vor allem die Mütter. Sie weisen mit Abstand die höchsten Sozialhilfequoten auf. Jede dritte Frau, die ohne Partner zwei Kinder versorgt, bezieht Hilfe zum Le­bensunterhalt. Von den drei Millio­nen Sozial-hilfeempfängern ist in­zwischen jeder dritte unter 18 Jah­ren alt. Immer mehr Kinder und Ju­gendliche werden als „arm" einge­stuft, und immer häufiger werden sie zum Armutsrisiko. Die jungen Deut­schen ficht die Statistik nicht an. Die Zahl de­rer, die Familie als „sehr wichtig" einstufen, liegt bei rund 80 Prozent. Gar 90 Prozent der Jugendlichen träumen davon, spä­ter zu heiraten, und Frauen unter 20 Jahren möchten im Schnitt noch immer zwei Kinder haben. Doch die Realität hinkt hinter­her: Zwar ist die Ehe nach wie vor die weit­aus beliebteste Form des menschlichen Zu­sammen­le­bens. Doch nach rund 500 000 Eheschließungen in den 80er-Jahren lassen sich heute nur noch etwa 430 000 Paare trauen. Die Zahl der Paare, die ohne Ehering zusammenleben, steigt Jahr für Jahr an. Ebenso die Zahl der Scheidungen. Jede dritte Ehe wird früher oder später getrennt. Ebenso wird bei weitem nicht jeder Kin­derwunsch in die Tat umgesetzt. Ein wichtiger Grund: Immer weniger junge Frauen möchten auf ihren Beruf verzichten, um sich den Kindertraum zu erfüllen.

Chancengleichheit für Frauen und Männer

In manchen Unternehmen scheint die Botschaft angekommen zu sein. Im inzwischen glo-balen „war for talents", dem Kampf um die besten Köpfe, haben die Manager die Frauen entdeckt. „Noch nie gab es so gut qualifizierte Frauen wie heute", sagt Familienministerin Bergmann. Frauen von der Erwerbstätigkeit auszuschließen, sei deshalb „eine Verschleuderung menschli­cher Ressour­cen", ergänzt ihre Parteifreundin Renate Schmidt.

Die Lufthansa etwa hat die Palette der Arbeitszeitmodelle um Teil- und Gleitzeit, Telearbeit, Jahresarbeitszeit und Sabbaticals erheblich erweitert. Alle Angebote richten sich an Männer wie Frauen. „Wer sich so genau über­legt, wie er arbeiten will, ist meist hoch motiviert und will bewei­sen, dass es klappt", sagt Gerhard Weiß, Beauftragter für Chancengleichheit.

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