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Fragen und Aufgaben zur Konversation

72. a) Lesen Sie den folgenden Text.

Ein Brief aus der österreichischen Provinz.

Liebe S.A.!

Spät aber doch findet der versprochene Brief seine Vollendung. In ihm wird die Rede vom Mühlviertel, dem nördlich der Donau gelegenen Teil Oberösterreichs, sein.

Da in meinen Adern Mühlviertler Blut fließt und meine Eltern ein Wo-chenendhaus im Mühlviertel gemietet haben (früher eine Grote, alte Müh-le aus dem 16. Jahrhundert, jetzt ein kleines gemütliches Auszugshaus), und ich so viel Zeit meiner Jugend in diesem Landstück verbrachte, habe ich eine emotionelle Beziehung zu dieser einmaligen Gegend. Erwarten Sie also keine objektive Beschreibung.

Das Mühlviertel sucht in mancherlei Hinsicht vergeblich Vergleichbares in Österreich: wenig Industrie und Gewerbe, (noch) kein Tourismus, schwierige Bedingungen für die Landwirtschaft (steile Hügeln, steiniger Granit-Gneisboden). Dazu kam die isolierte Lage an der österreichisch-tschechischen Grenze. Viele Mühlviertler sind daher gezwungen, nach Linz zu pendeln, und das dauert bis zu 4 Stunden (hin und zurück) täglich!

Landschaftlich zeichnet sich das Mühlviertel durch eine sogenannte „herbe Schönheit“ aus: bisweilen sehr steile Hügel, Granitfelsen, viele Täler mit kleinen Flüssen, Mischwald, kleine Felder, Apfel- und Birnbäume. Im Herbst, wenn aus den Flußtälern der Nebel aufsteigt, gewinnt das Mühlviertel einen geradezu mystischen Charakter. Nachzulesen ist dies alles beim Mühlviertler „Nationaldichter“ Adolbert Stifter.

Die abgesonderte Lage und der Charakter der Gesellschaft bedingen den mehrfachen Konservatismus der Mühlviertler. Politisch – sie sind in der Mehrheit Wähler der konsrvativen ÖVP. Religiös – Der sonntägliche Kirchgang ist nach wie vor oberste Bürgerpflicht. Natürlich wird er mit einem Frühschoppen verbunden: d.h. nach der Kirche wird ins Wirtshaus gegangen (und derer gibt es unzählige – sie sind nach wie vor die wichtigsten Zeiten der Geselligkeit und des Informationsaustausches), und Bier und Nationalgetränk Most getrunken. Dazu isst man einen fetten Schweinsbraten mit warmem Sauerkraut und mehligen Erdäpfeln(= Kartoffeln)knödeln.

Sprachlich – Der Mühlviertler Dialekt ist einer der unverdorbensten und unverständ-lichsten in Österreich. Einige Beispiele: Beavogl = Biene, oft´n = nachher, schmek´n = riechen, hlaz = jetzt. Bemerkenswert ist auch die Anrede „Es“ – sie bedeutet etwa „Sie“. Die Magd etwa verkehrt mit den Bauern über „Es“: „Hob´n Es scho obndgesn?“ = „Haben Sie schon zu Abend gegessen?“

Brauchtum – eine Vielzahl von vorindustriellen Bräuchen hat sich im Mühlviertel erhalten. Sie alle sind das Ergebnis einer „wilden“ Gesellschaftsstruktur. Einer dieser Bräuche ist die sogenannte „Bosheitsnacht“. Leider habe ich vergessen, wann genau sie stattfindet. Ich glaube, irgendwann im Mai oder Juni. Verbreitet ist die jetzt noch vor allem im oberen Mühlviertel, d.h. im nordwestlichen Teil des Mühlviertels, an der tschechischen Grenze. In ihrer Funktion ist die Bosheitsnacht ein Mittel der Volksjustiz. Das Volk vollzieht Strafen für Vergehen, die von der Rechtsprechung nicht bestraft werden, bzw. die in streng rechtlichem Sinn keine Vergehen sind. In der vorindustriellen Zeit des schwachen Staates, der im Mühlviertel kaum für Rechts-sicherheit garantieren konnte, waren solche Weisen der Volksjustiz wichtige Mittel, die Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten. Der Bosheitsnacht zu Opfer fallen „unangenehme Zeitgenossen“. Die Bäuerin, die Lügen über andere verbreitet, der Bauer, der seinen neuen Traktor nicht herborgt, und ähnliche Menschen, die sich in der einen oder anderen Weise „schädlich“ verhalten.

Natürlich handelt es sich hierbei nicht um Verbrechen oder ernsthafte Vergehen – dafür gibt es den Staat und seinen Apparat. Aber nichtsdestotrotz Handlungen und Unterlassungen, die andere Gesellschaftsmitglieder schädigen. Es sind also von den Strafen der Bosheitsnacht Bürger bestraft, die den normalen Gesellschaftsablauf verhindern.

Die Strafen haben ungefähr folgende Form: In der Nacht dringen junge Männer (nur die Dorfjugend darf diese „Strafen“ vollziehen) in den Hof des Opfers ein und verstreuen das sorgsam geschichtete Holz über das Feld. Oder es wird ein Anhänger für den Traktor gestohlen und tief im Wald versteckt. Natürlich kann ein Traktor in seine Einzelteile zerlegt werden.

Prinzip bei diesen Aktionen ist, dass dem Opfer kein ernstlicher materieller Schaden entsteht. Nur eine Unannehmlichkeit : der „Bestrafte“ soll den Unmut seiner Nachbarn spüren und durch irgendeine zusätzliche Arbeit büßen. Alle diese „Strafen“ sind – strenggenommen – Rechtsbrüche und könnten gerichtlich verfolgt werden. Doch die Polizei toleriert die Vorkommnise der Bosheitsnacht, sofern sie sich in gewissen Grenzen halten (keine großen materiellen Schäden, keine tödlichen Übergriffe). In einer so engen Gesellschaft wie der der Mühlviertler kann diese natürlich großen Druck ausüben und jedem, der durch ungebührliches Verhalten auffällt, das Weiterleben in ihr verunmöglichen.

In letzter Zeit häufen sich leider Exzesse während der Bosheitsnacht. In Bälde wird es auch diesen jahrhunderte alten und äußerst effektiven Brauch nicht mehr geben.

Hiermit verbleibe ich mit den besten Grüßen

Ihr Ulf Brunnbauer

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