Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

.pdf
Скачиваний:
402
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
2.96 Mб
Скачать

ihr übersetze!»

«Das wäre doch –» stottert Eduard, zum ersten Male aus der Fassung gebracht.

«Es wäre gar nichts», erwidere ich. «Frauen tun so etwas. Ich weiß das.Aber da ich dich als Restaurateur schätze,will ich dir noch etwas anderes verraten: Gerda hat einen herkulischen Bruder,der über die Familienehre wacht.Er hat bereits zwei ihrerVerehrer zu Krüppeln geschlagen.Er bricht besonders gern Plattfüße.Und die hast du ja.»

«Quatsch»,sagt Eduard,aber ich sehe,daß er trotzdem scharf nachdenkt. Eine Behauptung kann noch so unwahrscheinlich sein,wennmannurfestdarauf besteht,bleibtimmeretwashängen – das habe ich vonWatzeks politischemVorbild gelernt.

Der Dichter Hans Hungermann tritt zu uns an das Sofa. Er ist der Verfasser des ungedruckten Romans «Wotans Ende» und der Dramen «Saul», «Baldur» und «Mohammed». Was macht die Kunst, Gesellen?» fragt er. «Habt ihr den Mist gelesen, den Otto Bambuss gestern im Tecklenburger Kreisblatt zum besten gegeben hat? Buttermilch und Spucke! Daß Bauer diesen Schleimscheißer druckt!»

Otto Bambus ist der erfolgreichste Poet der Stadt. Wir sind alle auf ihn neidisch. Er verfaßt stimmungsvolle Verse über stimmungsvolle Winkel, umliegende Dörfer, Straßenecken am AbendundseinewehmütigeSeele.Erhatzweidünnebroschierte Gedichtbände bei Arthur Bauer herausgebracht – einen sogar in zweiter Auflage. Hungermann, der markige Runendichter, haßt ihn, versucht aber, seine Beziehungen auszunützen. Matthias Grund verachtet ihn.Ich dagegen bin Ottos Vertrauter.Er möchte gern einmal in ein Bordell gehen,wagt es aber nicht.Er erwartet davon einen mächtigen bluthaftenAufschwung seiner

201

etwas bleichsüchtigen Lyrik.Als er mich sieht,kommt er gleich auf mich los. «Ich habe gehört, du kennst eine Dame vom Zirkus! Zirkus, das wäre was! Da könnte man farbig sein! Kennst du wirklich eine?»

«Nein, Otto. Eduard hat renommiert. Ich kenne nur eine, die vor drei Jahren Billetts im Zirkus verkauft hat.»

«Billetts–immerhin,siewardabei!Siemußnochetwasdavon haben.DenRaubtiergeruch,dieManege.Könntestdumichnicht einmal mit ihr bekannt machen?»

GerdahatwahrhaftigChanceninderLiteratur!IchseheBambussan.Eristhochgeschossen,blaß,hatkeinKinn,keinGesicht und trägt einen Kneifer.«Sie war im Flohzirkus»,sage ich.

«Schade!» Er tritt enttäuscht zurück. «Ich muß etwas tun», murmelt er dann.«Ich weiß,daß es das ist,was mir fehlt – das Blut.»

«Otto», erwidere ich. «Kann es nicht jemand sein, der nicht vom Zirkus ist? Irgendein netter Betthase?»

Er schüttelt seinen schmalen Kopf. «Das ist nicht so einfach, Ludwig. Über Liebe weiß ich alles. Seelische Liebe, meine ich. Da brauche ich nichts mehr, das habe ich.Was ich brauche, ist Leidenschaft, brutale, wilde Leidenschaft. Purpurnes, rasendes Vergessen.Delirium!»

Er knirscht beinahe mit seinen kleinen Zähnen. Er ist Lehrer in einem winzigen Dorf in der Nähe der Stadt,und da findet er dasnatürlichnicht.Jederwilldortheiratenodermeint,Ottosolle heiraten, ein braves Mädchen, das gut kocht, mit einer schönen Aussteuer.Das will Otto aber nicht.Er findet,als Dichter müsse ersichausleben.«DasSchwierigeist,daßichdiebeidennichtzusammenkriegenkann»,erklärterdüster.«Diehimmlischeunddie irdischeLiebe.Liebeistfürmichsofortsanft,vollHingabe,Opfer undGüte.DerGeschlechtstriebwirddabeiauchsanftundhäuslich.

202

Jeden Sonnabendabend, du verstehst, damit man sonntags ausschlafenkann.Ichbraucheaberetwas,dasnurGeschlechtstriebist, ohneallesandere,etwas,indasmansichverbeißenkann.Schade, ichhörte,duhättesteineTrapezkünstlerin.»

IchbetrachteBambussmitneuemInteresse.Himmlischeund irdischeLiebe–eralsoauch!DieKrankheitscheintverbreiteter zusein,alsichdachte.OttotrinkteinGlasWaldmeisterlimonade und sieht mich mit seinen blassen Augen an. Wahrscheinlich hat er erwartet,daß ich auf Gerda sofort verzichten würde,um seiner Kunst Geschlechtsteile wachsen zu lassen.«Wann gehen wir einmal ins Freudenhaus?» fragt er wehmütig.«Du hast mir das doch versprochen.»

«Bald.Aber es ist kein purpurner Pfuhl der Sünde,Otto.» «IchhabenurnochzweiWochenFerien.Dannmußichwieder auf mein Dorf zurück,und alles ist aus.»

«Wir machen es vorher. Hungermann möchte auch hin. Er braucht es für sein neues Drama ,Casanova‘. Wie wäre es mit einem gemeinsamenAusflug?»

«UmGotteswillen!Ichdarfnichtgesehenwerden!Beimeinem Beruf!»

«Geradedeshalb!EinAusflugistharmlos.DerPu hateineArt Kneipe in den unteren Räumen.Da verkehrt,wer will.» «Natürlich gehen wir», sagt Hungermann hinter mir. «Alle zusammen.Wir machen eine Studienexpedition. Rein wissenschaftlich.Eduard will auch mit.»

IchdrehemichnachEduardum,umdenüberlegenenSonettkoch mit sarkastischer Soße zu übergießen – aber das ist schon nicht mehr notwendig. Eduard sieht plötzlich aus, als hätte er eine Schlange vor sich. Ein schlanker Mensch hat ihm soeben auf die Schulter geklopft.«Eduard,alter Kamerad!» sagt er jetzt freundschaftlich. «Wie geht es dir? Freust dich, daß du noch

203

lebst,was?»

Eduard starrt den schlanken Mann an. «Heutzutage?» würgt er heraus.

Er ist erblaßt.Seine feisten Backen hängen plötzlich herunter, seineSchulternhängen,seineLippen,seineLocken,jaselbstsein Bauch hängt. Er ist im Handumdrehen eine fette Trauerweide geworden.

DerMann,derdasallesverursachthat,heißtValentinBusch.Er ist neben Georg und mir die dritte Pest in Eduards Dasein,und nicht nur das – er ist Pest,Cholera und Paratyphus zusammen. «Du siehst blühend aus, mein Junge», erklärt Valentin Busch herzlich.

Eduard lacht hohl. «Aussehen macht es nicht. Man wird aufgefressen von Steuern,Zinsen und Dieben –»

Erlügt.SteuernundZinsenbedeutenimZeitalterderInflation überhaupt nichts; man zahlt sie nach einem Jahr, das heißt, so gutwieüberhauptnicht.Siesinddannlängstentwertet.Undder einzige Dieb,den Eduard kennt,ist er selbst.

«Andiristwenigstenswasdranzufressen»,erwidertValentin lächelndunderbarmungslos.«DasdachtendieWürmerinFlandern auch,als sie schon auszogen,dich zu holen.»

Eduardwindetsich.«Wassollessein,Valentin?»fragter.«Ein Bier? Bier ist das beste gegen die Hitze.»

«Miristesnichtzuheiß.AberdasBesteistgeradegutgenug,um zufeiern,daßdunochlebst,dahastdurecht.GibmireineFlasche Johannisberger Langenberg,Wachstum Mumm,Eduard.» «Der ist ausverkauft.»

«Er ist nicht ausverkauft. Ich habe mich bei deinem Kellermeister erkundigt.Du hast noch über hundert Flaschen davon. Welch ein Glück,daß es meine Lieblingsmarke ist!»

Ichlache.«Waslachstdu?»schreitEduardwütend.«Geradedu

204

hast keinen Grund dazu. Blutegel! Blutegel seid ihr alle! Blutet mich weiß! Du, dein Bonvivant von Grabsteinhändler und du, Valentin! Blutet mich weiß! Ein Kleeblatt von Schmarotzern!» Valentin blinzelt mir zu und bleibt ernst.«So,das ist also der Dank,Eduard!UndsohältstdudeinWort!Hätteichdasgewußt, damals –»

Er krempelt seinen Ärmel hoch und betrachtet eine lange, zackige Narbe. Er hat Eduard 9 7 im Kriege das Leben gerettet. Eduard, der Küchenuntero zier gewesen war, war damals plötzlich abgelöst und an die Front geschickt worden.Schon in den ersten Tagen erwischte der Elefant auf einer Patrouille im Niemandsland einen Schuß durch die Wade und gleich darauf einenzweiten,beidemervielBlutverlor.Valentinfandihn,band ihn ab und schleppte ihn in den Graben zurück. Dabei erhielt er selbst einen Splitter in den Arm.Aber er rettete Eduards Leben,dersonstsicherverblutetwäre.Eduard,inüberströmender Dankbarkeit,botValentin damals an,er könne sein Leben lang im «Walhalla» essen und trinken,was er wolle.Valentin schlug mit der linken,unverwundeten Hand ein.Georg Kroll und ich waren Zeugen.

Das alles sah 9 7 noch harmlos aus.Werdenbrück war weit, der Krieg nah, und wer wußte schon, ob Valentin und Eduard jemals wieder zum «Walhalla» zurückkommen würden? Sie kamen;Valentin,nachdem er noch zweimal verwundet worden war,Eduard fett und rund,als wiedereingesetzter Küchenbulle. Im Anfang war Eduard tatsächlich dankbar und spendierte, wennValentin zu Besuch kam,ab und zu sogar deutschen Sekt, der nicht mehr schäumte.Doch die Jahre begannen zu zehren. ValentinetabliertesichnämlichinWerdenbrück.Erhattevorher ineineranderenStadtgelebt;jetztzogerineinekleineBudenahe beim «Walhalla» und erschien pünktlich zum Frühstück, zum

205

MittagessenundzumAbendbrotbeiEduard,derbaldseinleichtfertigesVersprechenbitterbereute.ValentinwareinguterEsser, besonders deshalb, weil er ja keine Sorgen mehr hatte. Eduard hätte sich vielleicht noch halbwegs über das Futter hinweggetröstet;dochValentintrankauch,undallmählichentwickelteer Kennerschaft und feinen Geschmack für Wein.Vorher hatte er Biergetrunken;jetzttrankernurnochKellerabzügeundbrachte Eduard dadurch natürlich ganz anders zurVerzweiflung als wir mit unseren armseligen Eßmarken.

«Also schön», sagt Eduard trostlos, als Valentin ihm seine Narbe entgegenhält. «Aber Essen und Trinken heißt Trinken zum Essen,nicht zwischendurch.Trinken zwischendurch habe ich nicht versprochen.»

«Sieh dir diesen erbärmlichen Krämer an»,erwidertValentin und stößt mich an. « 9 7 hat er nicht so gedacht. Da hieß es: Valentin, liebster Valentin, rette mich, ich gebe dir auch alles, was ich habe!»

«Das ist nicht wahr! Das habe ich nie gesagt!» schreit Eduard im Falsett.

«Woherweißtdudas?DuwarstdochhalbverrücktvorAngst und halb verblutet,als ich dich zurückschleppte.»

«Ich hätte es nicht sagen können! Das nicht! Selbst wenn es mein sofortiger Tod gewesen wäre. Es liegt nicht in meinem Charakter.»

«Das stimmt», sage ich. «Der Geizknochen wäre lieber verreckt.»

«Das meine ich», erklärt Eduard, aufatmend, Hilfe gefunden zuhaben.ErwischtsichdieStirn.SeineLockensindnaß,sohat ihndieletzteDrohungValentinserschreckt.Ersahschoneinen Prozeß um das «Walhalla» vor sich. «Also meinetwegen, für dieses Mal»,sagt er rasch,um nicht weiter bedrängt zu werden.

206

«Kellner,eine halbe Flasche Mosel.»

«Johannisberger Langenberg, eine ganze Flasche», korrigiert Valentinundwendetsichanmich.«DarfichdichzueinemGlas einladen?»

«Und ob!» erwidere ich.

«Halt!» sagt Eduard. «Das war bestimmt nicht in der Abmachung! Sie war nur für Valentin allein! Ludwig kostet mich ohnehinschonjedenTagschweresGeld,derBlutsaugermitden entwerteten Eßmarken!»

«Sei ruhig, du Giftmischer», erwidere ich. «Dies ist geradezu eine Karma-Verknüpfung. Du schießt auf mich mit Sonetten, ich bade meineWunden dafür in deinem Rheinwein.Willst du, daß ich einer gewissen Dame einen Zwölfzeiler in der Art des AretinoüberdieseSituationzuschicke,duWuchererandeinem Lebensretter?»

Eduardverschlucktsich.«IchbrauchefrischeLuft»,murmelter wütend.«Erpresser! Zuhälter! Schämt ihr euch eigentlich nie?» «Wir schämen uns über schwierigere Dinge, du harmloser Millionenzähler.» Valentin und ich stoßen an. Der Wein ist hervorragend.

«Wie ist es mit dem Besuch im Haus der Sünde?» fragt Otto Bambuss,scheu vorübergleitend.

«Wir gehen bestimmt,Otto.Wir sind es der Kunst schuldig.» «WarumtrinktmaneigentlichamliebstenbeiRegen?»fragtValentin und schenkt neu ein.«Es müßte doch umgekehrt sein.» «Möchtest du für alles immer eine Erklärung haben?» «Natürlich nicht. Wo bliebe sonst die Unterhaltung? Mir ist das nur aufgefallen.»

«Vielleicht ist es der Herdentrieb, Valentin. Flüssigkeit zu Flüssigkeit.»

«Magsein.AberichpisseauchöfteranTagen,wennesregnet.

207

Das ist doch zumindest sonderbar.»

«Du pißt mehr, weil du mehr trinkst. Was ist daran sonderbar?»

«Stimmt.» Valentin nickt erleichtert. «Daran habe ich nicht gedacht. Führt man auch mehr Kriege, weil mehr Menschen geboren werden?»

XII

Bodendiek streicht wie eine große schwarze Krähe durch den Nebel. «Nun», fragt er jovial. «Verbessern Sie noch immer die Welt?»

«Ich betrachte sie»,erwidere ich.

«Aha! Der Philosoph! Und was finden Sie?»

IchschaueinseinmunteresGesicht,dasrotundnaßvomRegen unterdemSchlapphutleuchtet.«Ichfinde,daßdasChristentum dieWelt in zweitausend Jahren nicht wesentlich weitergebracht hat»,erwidere ich.

EinenAugenblick verändert sich die wohlwollend überlegene Miene; dann ist sie wieder wie vorher. «Meinen Sie nicht, daß Sie ein bißchen jung für solche Urteile sind?»

«Ja – aber finden Sie nicht,daß es ein trostlosesArgument ist, jemand seine Jugend vorzuwerfen? Haben Sie nichts anderes?» «Ich habe eine ganze Menge anderes.Aber nicht gegen solche Albernheiten.WissenSienicht,daßjedeVerallgemeinerungein Zeichen von Oberflächlichkeit ist?»

«Ja»,sageichmüde.«Ichhabedasauchnurgesagt,weilesregnet.Imübrigenistetwasdaran.IchstudiereseiteinigenWochen Geschichte,wenn ich nicht schlafen kann.»

«Warum?Auch weil es ab und zu regnet?»

208

Ich ignoriere den harmlosen Schuß. «Weil ich mich vor vorzeitigen Zynismus und lokalerVerzweiflung bewahren möchte. Es ist nicht jedermanns Sache, mit einfachem Glauben an die heilige Dreifaltigkeit darüber hinwegzusehen, daß wir mitten drinsind,einenneuenKriegvorzubereiten–nachdemwirgera- de einen verloren haben,den Sie und Ihre Herren Kollegen von den verschiedenen protestantischen Bekenntnissen im Namen GottesundderLiebezumNächstengesegnetundgeweihthaben

ich will zugeben,Sie etwas gedämpfter und verlegener – Ihre Kollegen dafür um so munterer, in Uniform, mit den Kreuzen rasselnd und siegschnaubend.»

Bodendiek schüttelt den Regen von seinem schwarzen Hut. «WirhabendenSterbendenimFeldedenletztenTrostgespendet

das scheinen Sie völlig vergessen zu haben.»

«Siehättenesnichtdazukommenlassensollen!Warumhaben Sienichtgestreikt?WarumhabenSieIhrenGläubigendenKrieg nichtverboten?DaswäreIhreAufgabegewesen.AberdieZeiten derMärtyrersindvorbei.Dafürhabeichoftgenug,wennichzum Feldgottesdienstmußte,dieGebeteumdieSiegeunsererWa en gehört.GlaubenSie,daßChristusfürdenSiegderGaliläergegen die Philister gebetet hätte?»

«Der Regen»,erwidert Bodendiek gemessen,«scheint Sie ungewöhnlichemotionellunddemagogischzumachen.Siewissen anscheinendschonrechtgut,daßmanauf geschickteWeise,mit Auslassungen,Umdrehungen und einseitiger Darstellung,alles in derWelt angreifen und angreifbar machen kann.»

«Das weiß ich. Deshalb studiere ich ja Geschichte. Man hat uns in der Schule und im Religionsunterricht immer von den dunklen,primitiven,grausamen vorchristlichen Zeiten erzählt. Ich lese das nach und finde,daß wir nicht viel besser sind – abgesehenvondenErfolgeninTechnikundWissenschaft.Dieaber

209

benutzen wir zum größten Teil nur, um mehr Menschen töten zu können.»

«Wenn man etwas beweisen will, kann man alles beweisen, lieberFreund.DasGegenteilauch.FürjedevorgefaßteMeinung lassen sich Beweise erbringen.»

«Das weiß ich auch», sage ich. «Die Kirche hat das auf das brillanteste vorgemacht,als sie die Gnostiker erledigte.»

«Die Gnostiker! Was wissen denn Sie von denen?» fragt Bodendiek mit beleidigendem Erstaunen.

«Genug,umdenVerdachtzuhaben,daßsiedertolerantereTeil des Christentums waren.Und alles,was ich bis jetzt in meinem Leben gelernt habe,ist,Toleranz zu schätzen.»

«Toleranz –» sagt Bodendiek.

«Toleranz!» wiederhole ich.«Rücksicht auf den anderen.Verständnisfürdenanderen.JedenaufseineWeiselebenlassen.Toleranz,die in unserm geliebtenVaterlande ein Fremdwort ist.» «Mit einem Wort, Anarchie», erwidert Bodendiek leise und plötzlich sehr scharf.

Wir stehen vor der Kapelle.Die Lichter sind angezündet,und diebuntenFensterschimmerntröstlichindenwehendenRegen. Aus der o enen Tür kommt der schwache Geruch von Weihrauch.«Toleranz,HerrVikar»,sageich.«NichtAnarchie,undSie wissendenUnterschied.AberSiedürfenihnnichtzugeben,weil IhreKircheihnnichthat.Siesindalleinseligmachend!Niemand besitzt den Himmel,nur Sie! Keiner kann lossprechen,nur Sie! Sie haben das Monopol.Es gibt keine Religion außer der Ihren! Sie sind eine Diktatur!Wie können Sie da tolerant sein?» «Wir brauchen es nicht zu sein.Wir haben dieWahrheit.» «Natürlich», sage ich und zeige auf die erleuchteten Fenster. «Das dort! Trost für Lebensangst. Denke nicht mehr; ich weiß allesfürdich!DieVersprechungdesHimmelsunddieDrohung

210