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Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

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08.06.2015
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chen von Frauen»,knurrt er. «Gelernt – von Ihnen!»

Erprostetmirzu,ahnungslosgeschmeichelt.«Ichmöchtegern einesvonIhnenwissen»,sageich.«IchhabedasGefühl,daßSie zu Hause im Odenwald ein erstklassiger, ruhiger Bürger und Familienvatersind–SiehabenunsjavorhindieFotosIhrerdrei Kinder und Ihres rosenumblühten Hauses gezeigt, zu dessen Mauern Sie aus Prinzip kein Stück Granit verwendet haben, was ich, als verkrachter Poet, Ihnen hoch anrechne –, warum verwandeln Sie sich dann draußen in einen solchen König der Nachtklubs?»

«Um zu Hause mit um so mehr Genuß Bürger und Familienvater zu sein»,erwidert Riesenfeld prompt.

«Das ist ein guter Grund.Aber warum erst der Umweg?» Riesenfeldgrinst.«EsistmeinDämon.DiedoppelteNaturdes Menschen.Nie davon gehört,was?»

«Ich nicht? Ich bin eines der Musterbeispiele dafür.» Riesenfeldlachtbeleidigend,ungefährwieWernickemorgens. «Sie?»

«Es gibt so etwas auch auf einer etwas geistigeren Ebene», erkläre ich.

Riesenfeld nimmt einen Schluck und seufzt. «Wirklichkeit und Phantasie! Die ewige Jagd, der ewige Zwiespalt! Oder –» fügt er,sich wiederfindend,mit Ironie hinzu «– in Ihrem Falle, als dem eines Poeten, natürlich Sehnsucht und Erfüllung, Gott und Fleisch,Kosmos und Lokus –»

Zum Glück setzen die Trompeten wieder ein. Georg kommt mit Lisa von der Tanzfläche zurück.Lisa ist eineVision in aprikosenfarbenemCrêpedeChine.Riesenfeldhat,nachdemerüber ihrenplebejischenHintergrundaufgeklärtwordenist,alsSühne verlangt,daß wir alle als seine Gäste mit ihm zur Roten Mühle

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gehen müssen. Er verbeugt sich jetzt vor Lisa. «Einen Tango, gnädige Frau.Würden Sie –»

LisaisteinenKopfgrößeralsRiesenfeld,undwirerwarteneine interessanteVorstellung.AberzuunsermErstaunenerweistsich derGranitkaiseralshervorragenderTangomeister.Erbeherrscht nichtnurdenargentinischen,sondernauchdenbrasilianischen und anscheinend auch noch ein paar andereVarianten.Wie ein KunstschlittschuhläuferpirouettiertermitderfassungslosenLisa auf dem Parkett umher.«Wie fühlst du dich?» frage ich Georg. «Nimmesnichtzuschwer.MammongegenGefühl!Ichhabevor ein paar Tagen auch eine Anzahl Lehren darüber bekommen. Sogar von dir, pikanterweise. Wie ist Lisa heute morgen aus deiner Bude entwichen?»

«Es war schwer.Riesenfeld wollte das Büro als Beobachtungspostenübernehmen.ErwollteihrFensterbeobachten.Ichdachte, ich könnte ihn verscheuchen,wenn ich ihm enthüllte,wer Lisa ist. Es nützte nichts. Er trug es wie ein Mann. Es gelang mir schließlich, ihn für ein paar Minuten in die Küche zum Ka ee zuschleppen.DaswarderMomentfürLisa.AlsRiesenfeldwieder ins Büro auf Ausguck ging, lächelte sie huldvoll aus ihrem eigenen Fenster.»

«In dem Kimono mit den Störchen?» «In einem mitWindmühlen.»

Ich sehe ihn an. Er nickt. «Eingetauscht gegen einen kleinen Hügelstein. Es war notwendig. Immerhin, Riesenfeld, unter Verbeugungen,rief ihr über dis Straße die Einladung für heute abend hinüber.»

«Das hätte er nicht gewagt,als sie noch ,de la Tour‘ hieß.» «Er tat es mit Respekt. Lisa akzeptierte. Sie dachte, es würde uns geschäftlich helfen.»

«Und das glaubst du?»

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«Ja»,erwidert Georg fröhlich.

RiesenfeldundLisakommenvonderTanzflächezurück.Riesenfeld schwitzt. Lisa ist kühl wie eine Klosterlilie. Zu meinem ungeheuren Erstaunen sehe ich plötzlich im Hintergrund der Bar zwischen den Luftballons eine neue Gestalt erscheinen. Es ist Otto Bambuss.Er steht etwas verloren im Gewühl und paßt ungefähr so hierher,wie Bodendiek passen würde.Dann taucht nebenihmderroteSchädelWillysauf,undichhörevonirgendwoher die Kommandostimme Renée de la Tours: «Bodmer,Sie können rühren!»

Icherwache.«Otto»,sageichzuBambuss,«washatdenndich hierher verschlagen?»

«Ich»,antwortetWilly.«IchwilletwasfürdiedeutscheLiteratur tun. Otto muß bald in sein Dorf zurück. Da hat er dann Zeit, GedichteüberdiesündigeWeltzudrechseln.Vorläufigabersoll er sie noch sehen.»

Ottolächeltsanft.SeinekurzsichtigenAugenzwinkern.Leichter SchweißstehtaufseinerStirn.WillyläßtsichmitRenéeundihm amNebentischnieder.ZwischenLisaundRenéehateinrasantes, sekundenkurzes Blickgefecht stattgefunden.Beide wenden sich ungeschlagen,üppig und lächelnd wieder ihren Tischen zu.

Ottolehntsichzumirherüber.«IchhabedenZyklus,DieTigerin‘ fertig», flüstert er. «Gestern nacht beendet. Bin bereits bei einer neuenSerie:,DasscharlachneWeib‘.Werdeesvielleichtauch,Das großeTierderApokalypse‘nennenundzufreienRhythmenübergehen.Esistgroßartig.DerGeististübermichgekommen!» «Gut!Aber was erwartest du dann noch hier?»

«Alles»,erwidertOttoglückstrahlend.«Icherwarteimmeralles, das ist das Schöne,wenn man noch nichts kennt.Übrigens,du kennst doch eine Dame vom Zirkus!»

«Damen,die ich kenne,sind nicht fürAnfänger da,um damit

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zu trainieren», sage ich. «Du scheinst wirklich noch nichts zu wissen,du naives Kamel,sonst wärest du nicht so dummdreist! MerkedirdeshalbGesetzNummereins:LaßdieFingervonden Damen anderer Leute – du hast nicht den nötigen Körperbau dazu.»

Ottohüstelt.«Aha»,sagterdann.«BürgerlicheVorurteile!Ich spreche doch nicht von Ehefrauen.»

«Ich auch nicht,du Riesenroß.Bei Ehefrauen sind die Regeln nichtsostreng.WarumsollichdennmitallerGewalteineDame vomZirkuskennen?Ichhabedirdochschoneinmalgesagt,daß sie Billettverkäuferin in einem Flohzirkus war.»

«Willyhatmirerzählt,daswärenichtwahr.SieseibeimZirkus Akrobatin.»

«So,Willy!» Ich sehe den roten Schädel wie einen Kürbis auf dem Meer der Tanzfläche schwanken.«Hör zu,Otto»,sage ich. «Es ist ganz anders.Willys Dame ist vom Zirkus. Die mit dem blauen Hut. Und sie liebt die Literatur.Also da ist die Chance! Immer feste drauf los!»

Bambuss sieht mich mißtrauisch an. «Ich spreche aufrichtig mit dir,du vertrottelter Idealist!» sage ich.

RiesenfeldistschonwiedermitLisaunterwegs.«Wasistlosmit uns, Georg?» frage ich. «Dort drüben sucht dir ein GeschäftsfreunddeineDameauszuspannen,undhierhabeichgeradeeine Anfrage gehabt, im Interesse der deutschen Dichtkunst Gerda auszuleihen.SindwirsolcheSchafe,odersindunsereDamenso begehrenswert?»

«Beides.Außerdem ist die Frau eines anderen immer fünfmal begehrenswerteralseine,diezuhabenist.EinaltesSittengesetz. LisawirdaberinwenigenMinutenanschwerenKopfschmerzen erkranken,hinausgehen,uminderGarderobeAspirinzuholen, unddanneinenKellnerherschickenmitderNachricht,siehätte

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nach Hause gehen müssen,wir sollten uns weiter amüsieren.» «Ein Schlag für Riesenfeld. Er wird uns morgen nichts mehr verkaufen.»

«Er wird uns mehr verkaufen.Du solltest das wissen.Gerade deshalb.Wo ist Gerda?»

«Ihr Engagement beginnt erst in drei Tagen. Ich ho e, sie ist im Altstädter Hof. Aber ich fürchte, sie sitzt in der Walhalla Eduards.Sie nennt das ein Abendessen sparen.Ich kann wenig dagegenmachen.SiehatsoerstklassigeGründe,daßichdreißig Jahreälterwerdenmuß,umantwortenzukönnen.Paßdulieber auf Lisa auf.Vielleicht kriegt sie keine Kopfschmerzen,um uns wieder weiter im Geschäft zu helfen.»

Otto Bambuss lehnt sich wieder zu mir herüber.SeineAugen sindwiedieeineserschrecktenHeringshinterdenBrillengläsern. «,Manege‘ wäre ein guter Titel für einen Band Zirkusgedichte, was? MitAbbildungen von Toulouse-Lautrec.»

«Warum nicht von Rembrandt,Dürer und Michelangelo?» «Gibt es von denen Zirkuszeichnungen?» fragt Otto ernsthaft.

Ichgebeihnauf.«Trink,meinJunge»,sageichväterlich.«Und freuedichdeineskurzenLebens,dennirgendwannwirstdumal ermordet.Aus Eifersucht,du Mondkalb!»

Erprostetmirgeschmeicheltzuundsiehtdannnachdenklich zu Renée hinüber, die einen sehr kleinen eisvogelblauen Hut auf ihren blonden Löckchen schaukelt und aussieht wie eine Dompteuse am Sonntag.

Lisa und Riesenfeld kommen zurück.«Ich weiß nicht,was los ist», sagt Lisa. «Ich habe plötzlich solche Kopfschmerzen. Ich gehe mal einAspirin nehmen –»

Bevor Riesenfeld aufspringen kann, ist sie schon vom Tisch weg. Georg sieht mich entsetzlich selbstgefällig an und greift

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nach einer Zigarre.

XVII

«Das süße Licht», sagte Isabelle. «Warum wird es schwächer? Weil wir ermatten? Wir verlieren es jeden Abend. Wenn wir schlafen, ist die Welt fort.Wo sind wir dann? Kommt die Welt immer wieder,Rudolf?»

Wir stehen am Rande des Gartens und sehen durch das GittertorindieLandschaftdraußen.DerfrüheAbendliegtauf den reifenden Feldern,die sich zu beiden Seiten der Kastanienallee bis zumWalde hinabziehen.

«Siekommtimmerwieder»,sageichundfügevorsichtighinzu: «Immer,Isabelle.»

«Und wir?Wir auch?»

Wir? denke ich.Wer weiß das? Jede Stunde gibt und nimmt und verändert.Aber ich sage es nicht.Ich will in kein Gespräch geraten,das plötzlich in einenAbgrund rutscht.

VondraußenkommendieAnstaltsinsassenzurück,dieaufden Äckerngearbeitethaben.SiekommenzurückwiemüdeBauern, und auf ihren Schultern liegt das ersteAbendrot.

«Wirauch»,sageich.«Immer,Isabelle.Nichts,wasdaist,kann verlorengehen.Nie.»

«Glaubst du das?»

«Es bleibt uns doch nichts anderes übrig,als es zu glauben.» Sie dreht sich zu mir um. Sie ist außerordentlich schön an diesem frühenAbend mit dem ersten klaren Gold des Herbstes in der Luft.

«Sind wir sonst verloren?» flüstert sie.

Ich starre sie an. «Das weiß ich nicht», sage ich schließlich.

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Verloren – was kann das alles heißen! So vieles! «Sind wir sonst verloren,Rudolf?»

Ich schweige unschlüssig. «Ja», sage ich dann. «Aber da erst beginnt das Leben,Isabelle.»

«Welches?»

«Unsereigenes.Daerstbeginntalles–derMut,dasgroßeMit- leid,dieMenschlichkeit,dieLiebeunddertragischeRegenbogen der Schönheit.Da,wo wir wissen,daß nichts bleibt.»

Ich sehe in ihr vom untergehenden Licht bestrahltes Gesicht. EinenAugenblick steht die Zeit still.

«Du und ich,wir bleiben auch nicht?» fragt sie.

«Nein, wir bleiben auch nicht», erwidere ich und sehe an ihr vorbei in die Landschaft voll Blau und Rot und Ferne und Gold.

«Auch nicht,wenn wir uns lieben?»

«Auchnicht,wennwirunslieben»,sageichundfügezögernd und vorsichtig hinzu:«Ich glaube,deshalb liebt man sich.Sonst könnte man sich vielleicht nicht lieben.Lieben ist etwas weitergeben zu wollen,das man nicht halten kann.»

«Was?»

IchhebedieSchultern.«DafürgibtesvieleNamen.UnserSelbst vielleicht, um es zu retten. Oder unser Herz. Sagen wir: Unser Herz.Oder unsere Sehnsucht.Unser Herz.»

Die Leute von den Feldern sind herangekommen.DieWärter ö nendieTore.PlötzlichdrängtsichseitlichvonderMauer,wo er versteckt hinter einem Baum gestanden haben muß,jemand raschanunsvorbei,schiebtsichdurchdieFeldarbeiterundrennt hinaus.EinerderWärterbemerktihnundläuftziemlichgemächlich hinter ihm her; der zweite bleibt ruhig stehen und läßt die anderenPatientenweiterpassieren.DannschließterdasTorab. Unten sieht man denAusbrecher laufen.Er ist viel schneller als

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der Wärter, der ihn verfolgt. «Glauben Sie, daß Ihr Kollege ihn in dem Tempo einholt?» frage ich den zweitenWärter.

«Er wird schon mit ihm zurückkommen.» «Es sieht nicht so aus.»

DerWärterhebtdieSchultern.«EsistGuidoTimpe.Erversucht jedenMonatmindestenseinmalauszubrechen.Läuftimmerbis zumRestaurantForsthaus.TrinktdorteinpaarBiere.Wirfinden ihnjedesmalda.Erläuftnieweiterundnieirgendwoandershin. Just für die zwei,drei Biere.Er trinkt immer Dunkles.»

Erzwinkertmirzu.«DarumläuftmeinKollegenichtschneller. Er will ihn nur im Auge behalten,für den Fall eines Falles.Wir lassenTimpeimmersovielZeit,daßerseineBiereverquetschen kann. Warum nicht? Nachher kommt er dann zurück wie ein Lamm.»

Isabelle hat nicht zugehört.«Wohin will er?» fragt sie jetzt. «ErwillBiertrinken»,sageich.«Weiternichts.Werauchsoein Ziel haben könnte!»

Sie hört mich nicht.Sie sieht mich an.«Willst du auch weg?» Ich schüttle den Kopf.

«Esgibtnichts,umwegzulaufen,Rudolf»,sagtsie.«Undnichts, um anzukommen.Alle Türen sind dieselben.Und dahinter –» Sie stockt.«Was ist dahinter,Isabelle?» frage ich.

«Nichts. Es sind nur Türen. Es sind immer nur Türen, und nichts ist dahinter.»

Der Wärter schließt das Tor und zündet sich eine Pfeife an. Der würzige Geruch des billigen Knasters trifft mich und zaubert ein Bild hervor: ein einfaches Leben, ohne Probleme, mit einem braven Beruf,einer braven Frau,braven Kindern,einem bravenAbdienenderExistenzundeinembravenTod–allesals selbstverständlich hingenommen, Tag, Feierabend und Nacht, ohne Frage, was dahinter sei. Eine scharfe Sehnsucht danach

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packt mich einen Augenblick, und etwas wie Neid. Dann sehe ich Isabelle.Sie steht am Tor,die Hände um die eisernen Stäbe des Gitters gelegt, den Kopf daran gepreßt, und blickt hinaus. Sie steht lange so. Das Licht wird immer voller und röter und goldener,dieWälder verlieren die blauen Schatten und werden schwarz, und der Himmel über uns ist apfelgrün und voll von rosa angestrahlten Segelbooten.

Endlich dreht sie sich um. Ihre Augen sehen in diesem Licht fast violett aus.

«Komm»,sagt sie und nimmt meinenArm.

Wirgehenzurück.Sielehntsichanmich.«Dumußtmichnie verlassen.»

«Ich werde dich nie verlassen.» «Nie»,sagt sie.«Nie ist so kurz.»

Der Weihrauch wirbelt aus den silbernen Kesseln der Meßdiener.Bodendiekdrehtsichum,dieMonstranzinseinenHänden. Die Schwestern knien in ihren schwarzen Trachten wie dunkle Häufchen Ergebung in den Bänken;die Köpfe sind gesenkt,die Hände klopfen an die verdeckten Brüste,die nie Brüste werden durften, die Kerzen brennen, und Gott ist in einer Hostie, von goldenenStrahlenumgeben,imRaum.EineFraustehtauf,geht durch den Mittelgang nach vorn bis zur Kommunionbank und wirft sich dort auf den Boden. Die meisten Kranken starren regungslos auf das goldeneWunder.Isabelle ist nicht da.Sie hat sich geweigert,in die Kirche zu gehen.Früher ist sie gegangen; jetzt,seiteinigenTagenwillsienichtmehr.Siehatesmirerklärt. Sie sagt,sie wolle den Blutigen nicht mehr sehen.

Zwei Schwestern heben die Kranke auf,die sich hingeworfen hat und mit den Händen den Boden schlägt.Ich spiele das Tantum ergo. Die weißen Gesichter der Irren heben sich mit einem

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RuckderOrgelentgegen.IchziehedieGambenunddieViolinen. Die Schwestern singen.

DieweißenSpiralendesWeihraucheswirbeln.Bodendiekstellt die Monstranz zurück in das Tabernakel.Das Licht der Kerzen flackertüberdenBrokatseinesMeßgewandes,aufdaseingroßes Kreuzgesticktist,undwehtaufwärtsmitdemRauchzudemgroßen Kreuz,an dem blutüberströmt seit fast zweitausend Jahren der Heiland hängt. Ich spiele mechanisch weiter und denke an Isabelle und das,was sie gesagt hat,und dann an die Beschreibung der vorchristlichen Religionen, die ich gestern abend gelesenhabe.DieGötterwarendamalsheiterinGriechenland,sie wandeltenvonWolkezuWolke,siewarenleichtschurkischund immer treulos und wandelbar wie die Menschen, zu denen sie gehörten. Sie waren Verkörperungen und Übertreibungen des Lebens in seiner Fülle und Grausamkeit und Unbedenklichkeit undSchönheit.Isabellehatrecht:DerbleicheMannübermirmit dem Bart und den blutigen Gliedern ist es nicht. Zweitausend Jahre, denke ich, zweitausend Jahre, und immer ist das Leben mitLichtern,Brunstschreien,TodundVerzückungumdieSteinbauten gewirbelt,in denen dieAbbilder des blassen Sterbenden aufgerichtetwaren,düster,blutig,vonMillionenvonBodendieks umgeben–undbleifarbenistderSchattenderKirchenüberden Ländern gewachsen und hat die Lebensfreude erdrosselt,er hat aus Eros, dem heiteren, eine heimliche, schmutzige, sündhafte Bettgeschichtegemachtundnichtsvergeben,trotzallerPredigten über Liebe undVergebung – denn wirklich vergeben heißt,den anderen zu bestätigen,wie er ist,nicht aber Buße zu verlangen und Gefolgschaft und Unterwerfung, bevor das Ego te absolvo ausgesprochen wird.

Isabelle hat draußen gewartet. Wernicke hat ihr erlaubt, daß

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