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Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

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08.06.2015
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«Ihr wollt heiraten?» frage ich überrascht. «Glaubst du ihm das wirklich? Er wird dich ausnützen und dann irgendeine Hotelierstochter mit Geld heiraten.»

«Er hat mir nichts versprochen.Ich habe nur einen Kontrakt mit ihm für die Bar gemacht,für drei Jahre.Er wird in den drei Jahren merken,daß er mich nicht entbehren kann.»

«Du hast dich verändert»,sage ich.

«Ach,du Schaf! Ich habe nur einen Entschluß gefaßt.» «BaldwirstdumitEduardauf unsschimpfen,weilwirimmer noch die billigen Eßmarken haben.»

«Habt ihr noch welche?»

«Noch für ein und einen halben Monat.»

Gerda lacht.«Ich werde nicht schimpfen.Außerdem habt ihr sie ja seinerzeit richtig bezahlt.»

«Es war unser einziges gelungenes Börsengeschäft.» Ich sehe Gerdanach,währendsiedieTellerabräumt.«IchwerdesieGeorg lassen»,sage ich.«Ich komme nicht mehr ins ,Walhalla‘.»

Sie dreht sich um. Sie lächelt, aber ihre Augen lächeln nicht. «Warum nicht?» fragt sie.

«Ich weiß nicht.Mir ist so.Aber vielleicht komme ich doch.» «Natürlich kommst du!Warum solltest du nicht kommen?» «Ja,warum nicht?» sage ich mutlos.

VonuntentöntgedämpftdaselektrischeKlavier.Ichsteheauf und gehe ans Fenster.«Wie schnell dieses Jahr vorbeigegangen ist»,sage ich.

«Ja»,erwidert Gerda und lehnt sich an mich.«Typisch»,murmelt sie. «Gefällt einem schon einmal jemand, da muß es ausgerechnet so einer sein wie du – der nicht zu einem paßt.» Sie stößt mich weg.«Nun geh schon – geh zu deiner himmlischen Liebe – was verstehst du schon von Frauen?»

«Nichts.»

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Sie lächelt.«Versuch es auch gar nicht erst,Baby.Es ist besser. Und nun geh! Hier,nimm das mit.»

Sie holt eine Münze und gibt sie mir.«Was ist das?» frage ich. «Ein Mann,der Leute durchsWasser trägt.Er bringt Glück.» «Hat er dir Glück gebracht?»

«Glück?» erwidert Gerda. «Das kann eine Menge sein. Vielleicht.Und nun geh.»

Sie schiebt mich hinaus und schließt die Tür hinter mir. Ich gehe die Treppe hinunter.Auf dem Hof begegnen mir zwei Zigeunerinnen. Sie gehören jetzt zum Programm in der Kneipe. Die Ringkämpferinnen sind längst fort. «Die Zukunft, junger Herr?» fragt die jüngere Zigeunerin.Sie riecht nach Knoblauch und Zwiebeln.

«Nein»,sage ich.«Heute nicht.»

BeiKarlBrillherrschthöchsteSpannung.EinHaufenGeldliegt aufdemTisch;esmüssenBillionensein.DerGegneristeinMann mitdemKopfeinesSeehundesundsehrkleinenHänden.Erhat soebendenNagelinderWandprobiertundkehrtzurück.«Noch zweihundert Milliarden»,erklärt er mit heller Stimme.

«Angenommen»,erwidert Karl Brill.

DieDuellantendeponierendenZaster.«Nochjemand?»fragt Karl.

Niemand meldet sich. Das Spiel ist für alle zu hoch. Karl schwitztklarePerlen,istaberzuversichtlich.DieEinsätzestehen vierzig zu sechzig für ihn.Er hat erlaubt,daß der Seehund dem Nagel noch einen kleinen letzten Hammerschlag geben darf; dafür ist der Einsatz von fünfzig-fünfzig für ihn auf vierzigsechzigfestgesetztworden.«WürdenSie,DerVögleinAbendlied‘ spielen?» fragt Karl mich.

Ich setze mich ans Klavier. Bald darauf erscheint Frau Beck-

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mann im lachsroten Kimono. Sie ist nicht so statuenhaft wie sonst;dasGebirgeihrerBrüstebewegtsich,alstobedarunterein Erdbeben, und auch die Augen sind anders als sonst. Sie sieht Karl Brill nicht an.

«Klara»,sagtKarl.«DukennstdieHerrenbisaufHerrnSchweizer.» Er macht eine elegante Geste.«Herr Schweizer –»

DerSeehundverneigtsichmiterstauntemundetwasbesorgtem Ausdruck.Erschieltauf dasGeldunddannauf dieKubikbrünhilde.DerNagelwirdwattiert,undKlarastelltsichinPositur.Ich spiele die Doppeltriller und breche ab.Alles schweigt.

Frau Beckmann steht ruhig und konzentriert da. Dann geht zweimal ein Zucken durch ihren Körper. Sie schießt plötzlich einen wilden Blick auf Karl Brill.«Bedaure!» knirscht sie durch die Zähne.«Es geht nicht.»

Sie tritt von derWand hinweg und verläßt dieWerkstatt. «Klara!» schreit Karl.

Sieantwortetnicht.DerSeehundstößteinfettesGelächteraus undbeginntzukassieren.DieSaufbrüdersindwievomBlitzgetro en.KarlBrillstöhnt,stürztzudemNagelundkommtzurück. «EinenAugenblick!»sagterzudemSeehund.«EinenAugenblick, wirsindnochnichtfertig!WirhabenaufdreiVersuchegewettet. Es waren aber erst zwei!»

«Es waren drei.»

«Das können Sie nicht so beurteilen! Sie sind neu auf diesem Gebiet.Es waren zwei!»

KarlrinntjetztdasWasservomSchädel.DieSaufbrüderhaben die Sprache wiedergefunden.«Es waren zwei»,bestätigen sie. EsentstehteinStreit.Ichhörenichtzu.Ichfühlemich,alssäße ich auf einem fremden Planeten. Es ist ein kurzes, intensives und entsetzliches Gefühl, und ich bin froh, als ich wieder den Stimmenfolgenkann.DerSeehundhatdieSituationausgenutzt;

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er will den dritten Versuch anerkennen, wenn ein weiterer Betrag gesetzt wird,dreißig zu siebzig für den Seehund.Karl geht schwitzendaufallesein.Sovielichsehe,haterdiehalbeWerkstatt gesetzt, einschließlich der Schnellbesohlmaschine. «Kommen Sie!»flüstertermirzu.«GehenSiemitmirrauf!Wirmüssensie umstimmen! Sie hat es absichtlich getan.»

Wir klettern die Treppe hinauf, Frau Beckmann hat Karl erwartet. Sie liegt im Kimono mit dem Phönix auf dem Bett, erregt,wunderbarschönfürjemand,derdickeFrauenliebt,und kampfbereit. «Klara!» flüstert Karl. «Wozu das? Du hast es mit Absicht getan!»

«So?» sagt Frau Beckmann.

«Bestimmt! Ich weiß es! Ich schwöre dir –»

«Schwöre keinen Meineid! Du Lump hast mit der Kassiererin vom Hotel Hohenzollern geschlafen! Du ekelerregendes Schwein!»

«Ich? So eine Lüge!Woher weißt du das?» «Siehst du,du gibst es zu?»

«Ich gebe es zu?»

«Du hast es gerade zugegeben! Du hast gefragt, woher ich es weiß.Wie kann ich es wissen,wenn es nicht wahr ist?»

IchsehedenBrustschwimmerKarlBrillmitleidigan.ErfürchtetkeinnochsoeisigesWasser,aberhieristerohneZweifelverloren.Auf derTreppehabeichihmgeraten,sichnichtauf einen Wortwechsel einzulassen,sondern Frau Beckmann einfach auf den Knien anzubeten und sie um Verzeihung zu bitten, ohne natürlichdasGeringstezuzugeben.Stattdessenwirfterihrjetzt einengewissenHerrnKletzelvor.DieAntwortisteinfurchtbarer SchlagaufdieNase.Karlpralltzurück,faßtanseinenZinken,um zuprüfen,obBlutkommt,undducktsichmiteinemWutschrei, um als alter Kämpfer Frau Beckmann an den Haaren aus dem

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Bett zu reißen, ihr einen Fuß auf den Nacken zu stellen und ihre gewaltigen Schinken mit seinem schweren Hosengürtel zu bearbeiten. Ich gebe ihm einen mittelstarken Tritt in den Hintern.Erdrehtsichum,bereit,auchmichanzufallen,siehtmeine beschwörendenAugen,meineaufgehobenenHändeundmeinen lautlos flüsternden Mund und erwacht aus seinem Blutrausch. MenschlichesVerstehenglänztwiederinseinenbraunenAugen auf.Ernicktkurz,währendihmnunmehrdasBlutausderNase sprudelt,dreht sich wieder um und sinkt mit dem Ruf:

«Klara!Ichhabenichtsgetan,aberverzeihmir!»anFrauBeckmanns Bett nieder.

«Du Ferkel!» schreit sie.«Du Doppelferkel! Mein Kimono!» Sie zerrt das kostbare Stück beiseite.Karl blutet ins Bettlaken. «Verfluchter Lügner!» erklärt sie.«Auch noch das!»

Ich merke, daß Karl, ein ehrlicher, einfacher Mann, der eine sofortigeBelohnungfürseinenKniefallerwartethat,wiederwütendhochwill.WennermitderblutendenNaseeinenRingkampf beginnt,istallesverloren.FrauBeckmannwirdihmvielleichtdie Kassiererinausdem«Hohenzollern»,aberniedenverdorbenen Kimono verzeihen.Ich trete ihm von hinten auf den Fuß,halte mit einer Hand seine Schulter herunter und sage: «Frau Beckmann,er ist unschuldig! Er hat sich für mich geopfert.» «Was?»

«Fürmich»,wiederholeich.«UnterKameradenausdemKriege kommt so was vor –»

«Was?IhrmiteurerverfluchtenKriegskameradschaft,ihrLügenhälse und Gauner – und so was soll ich glauben!» «Geopfert!»sageich.«ErhatmichmitderKassiererinbekanntgemacht,das war alles.»

Frau Beckmann richtet sich mit flammendenAugen auf. «Was? Sie wollen mir doch nicht einreden, daß ein junger

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MannwieSieaufsoeinaltes,abgetakeltesStückfliegtwiediesen Kadaver im .Hohenzollern‘!»

«Nicht fliegen,gnädige Frau»,sage ich.«Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen. Wenn einen die Einsamkeit an der Gurgel hat –»

«Ein junger Mann wie Sie kann doch andere kriegen!» «Jung,aber arm»,erwidere ich.«Frauen wollen heutzutage in Bars geführt werden, und wenn wir schon davon reden, dann werden Sie mir doch zugeben,daß,wenn Sie schon mir,einem alleinstehenden Junggesellen im Sturm der Inflation, die Kassiererin nicht glauben,es doch völlig absurd wäre,so etwas von Karl Brill anzunehmen, der sich der Gunst der schönsten und interessantestenFrauvonganzWerdenbrückerfreut,unverdientermaßen,zugegeben –»

Das Letzte saß.«Er ist ein Lump!» sagt Frau Beckmann.«Und unverdient ist wahr.»

Karlregtsich.«Klara,dubistdochmeinLeben!»heulterdumpf aus den blutigen Bettlaken.

«Ich bin dein Bankkonto, du kalter Stein!» Frau Beckmann wendet sich mir zu. «Und wie war es mit der halbtoten Ziege vom ,Hohenzollern‘?»

Ich winke ab. «Es ist zu nichts gekommen! Ich habe mich geekelt.»

«Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können!» erklärte sie tief befriedigt.

DerKampfistentschieden.WirsindbeimRückzugsgeplänkel. KarlversprichtKlaraeinenseegrünenKimonomitLotosblumen undBettschuhemitSchwanenflaum.Danngehter,kaltesWasser indieNasehochzuziehen,undFrauBeckmannerhebtsich.«Wie hoch ist dieWette?» fragt sie.

«Hoch»,erwidere ich.«Billionen.»

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«Karl!» ruft sie. «Beteilige Herrn Bodmer mit 250 Milliarden.»

«Selbstverständlich,Klara!»

Wir schreiten die Treppe hinunter. Unten sitzt der Seehund, bewachtvondenFreundenKarls.Wirerfahren,daßerversucht hatzuschwindeln,währendwirfortwaren,aberKarlsSaufbrüder haben ihm den Hammer rechtzeitig entrissen.Frau Beckmann lächelt verächtlich,und dreißig Sekunden später liegt der Nagel aufdemFußboden.Majestätischentwandeltsie,vondenKlängen des «Alpenglühens» geleitet.

«Ein Kamerad ist ein Kamerad»,sagt Karl Brill später gerührt zu mir.

«Ehrensache!Aber wie war das mit der Kassiererin?»

«Wassollmanmachen?»erwidertKarl.«Siewissen,wieeinem manchmal abends zumute ist! Aber daß das Luder auch reden muß! Ich werde den Leuten meine Kundschaft entziehen. Sie aber,lieberFreund–wählenSie,wasSiewollen!»Erzeigtaufdie Lederstücke.«EinPaarMaßschuheersterQualitätalsGeschenk

was Sie wollen: Boxcalf schwarz,braun,gelb,Lack,Wildleder

ich werde sie selbst anfertigen –» «Lack»,sage ich.

Ich komme nach Hause und sehe im Hof eine dunkle Gestalt.

EsisttatsächlichderalteKnopf,dergeradevormireingetro en istundsich,alswäreernichtschontoterklärt,bereitmacht,den Obelisken zu schänden.«Herr Feldwebel»,sage ich und nehme ihn am Arm. «Sie haben für Ihre kindischen Äußerungen jetzt Ihren eigenen Grabstein.Benützen Sie den!»

IchführeihnzudemHügelstein,denergekaufthat,undwarte vor der Haustür,damit er nicht noch den Obelisken benutzt. Knopfstarrtmichan.«MeineneigenenStein?SindSieverrückt. Was ist er jetzt wert?»

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«Nach dem Dollarkurs von heute abend neun Milliarden?» «Und daran soll ich pissen?»

Knopfs Augen irren ein paar Sekunden umher – dann wankt erknurrendinsHaus.Wasniemandzuwegegebrachthat,hatder schlichteBegri desEigentumserreicht!DerFeldwebelbenützt seineeigeneToilette.DakommenocheinermitKommunismus! Eigentum gibt Sinn für Ordnung!

IchstehenocheineWeiledaunddenkedarübernach,daßdie Natur von der Amöbe her Millionen von Jahren gebraucht hat, um über Fisch, Frosch, Wirbeltier und A en den alten Knopf hervorzubringen,ein Geschöpf,vollgestopft mit physikalischen undchemischenWunderwerken,einemBlutkreislaufvonhöchster Genialität,einer Herzmaschine,die man nur anbeten kann, einer Leber und zwei Nieren, gegen die die IG Farbenfabriken lächerlichePfuscherwerkstättensind–unddasalles,diesesüber MillionenvonJahrensorgfältigvervollkommneteWunderwerk, etatsmäßiger Feldwebel Knopf genannt, nur dazu, um für eine kurzeZeitauf ErdenarmseligeBauernjungenszuschindenund sichdannmiteinermäßigenStaatspensiondemTrunkezuergeben! Gott macht sich wirklich manchmal viel Mühe um nichts! KopfschüttelnddreheichdasLichtinmeinemZimmeranund starreindenSpiegel.DaisteinanderesWunderwerkderNatur, dasauchnichtvielmitsichanzufangenweiß.IchdrehedasLicht ab und ziehe mich im Dunkeln aus.

XXIII

InderAlleekommtmireinejungeDameentgegen.EsistSonntag morgen,undichhabesiebereitsinderKirchegesehen.Sieträgt ein hellgraues,gut sitzendes Jackenkleid,einen kleinen Filzhut,

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graue Wildlederschuhe, heißt Geneviève Terhoven und ist mir sonderbar fremd.

Sie war mit ihrer Mutter in der Kirche. Ich habe sie gesehen, und ich habe Bodendiek gesehen und auchWernicke,dem der ErfolgnursovondenMundwinkelntrieft.IchhabedenGarten umkreist und auf nichts mehr gehofft,und nun kommt Isabelle plötzlichalleindurchdieAllee,dieschonfastkahlist.Ichbleibe stehen. Sie kommt, schmal und leicht und elegant, und mit ihr kommtaufeinmalalleSehnsuchtwieder,derHimmelundmein eigenes Blut. Ich kann nicht sprechen. Ich weiß von Wernicke, daßsiegesundist,daßdieSchattenverwehtsind,undichspüre es selbst; sie ist auf einmal da, anders als früher, aber ganz da, nichts von Krankheit steht mehr zwischen uns,voll springt die Liebe aus meinen Händen undAugen,und ein Schwindel steigt wie ein lautloserWirbelsturm dieAdern empor ins Gehirn.Sie sieht mich an.

«Isabelle»,sage ich.

Sie sieht mich wieder an, eine schmale Falte zwischen den Brauen.«Ja?» fragt sie.

Ich fasse es nicht sofort.Ich glaube,ich müsse sie erinnern. «Isabelle», wiederhole ich. «Erkennst du mich nicht? Ich bin doch Rudolf.

«Rudolf?» wiederholt sie.«Rudolf – wie,bitte?»

Ich starre sie an. «Wir haben oft miteinander gesprochen», sage ich dann.

Sienickt.«Ja,ichwarlangehier.Ichhabevielesdavonvergessen, entschuldigen Sie.Sind Sie auch schon lange hier?»

«Ich?Ichwardochniehieroben!IchhabehierdochnurOrgel gespielt.Und dann –»

«Orgel, ja, so», erwidert Geneviève Terhoven höflich. «In der Kapelle.Ja,ich erinnere mich.Entschuldigen Sie,daß es mir im

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Augenblick entfallen war.Sie haben sehr schön gespielt.Vielen Dank.»

Ich stehe da wie ein Idiot.Ich verstehe nicht,warum ich nicht gehe.Geneviève versteht es o enbar auch nicht.

«Verzeihen Sie»,sagt sie.«Ich habe noch viel zu tun; ich reise bald.»

«Sie reisen bald?»

«Ja»,erwidert sie erstaunt.

«Und Sie erinnern sich an nichts? Nicht an die Namen,die in der Nacht abfallen und an die Blumen,die Stimmen haben?» Isabelle hebt verständnislos die Schultern.«Gedichte»,erklärt sie dann lächelnd. «Ich habe sie immer geliebt.Aber es gibt so viele! Man kann sich nicht an alle erinnern.»

Ich gebe auf. Es ist so, wie ich es geahnt habe! Sie ist gesund geworden,und ich bin aus ihren Händen geglitten wie aus den HändeneinerschlafendenBäuerineineZeitung.Sieerinnertsich annichtsmehr.Esist,alswäresieauseinerNarkoseerwacht.Die Zeit hier oben ist aus ihrem Gedächtnis entschwunden.Sie hat allesvergessen.SieistGenevièveTerhovenundweißnichtmehr, werIsabellewar.Sielügtnicht,dasseheich.Ichhabesieverloren, nicht so,wie ich fürchtete,weil sie einem anderen Kreise als ich entstammt und in ihn zurückgeht, sondern schlimmer, gründlicherundunabänderlicher.Sieistgestorben.Sielebtundatmet nochundistschön,aberindemAugenblick,wodieFremdeder Krankheit weggenommen wurde, ist sie gestorben, ertrunken fürimmer.Isabelle,derenHerzflogundblühte,istertrunkenin Geneviève Terhoven, einem wohlerzogenen Mädchen besserer Kreise, das sicher einmal wohlhabend heiraten und sogar eine gute Mutter sein wird.

«Ich muß fort», sagt sie. «Vielen Dank noch einmal für das Orgelspiel.»

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