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Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

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Jeder Zivilist ist ein ewiger Rekrut.

«NächtlicheRuhestörung!»schnauztderamusischeUniformträger.

«Verhaftet sie!» heult dieWitwe Konersmann.

BodosVerein besteht aus zwanzig handfesten Sängern.Dagegen stehen zwei Polizisten.«Bodo»,rufe ich besorgt.«Rührt sie nicht an! Verteidigt euch nicht! Ihr kommt sonst für Jahre ins Zuchthaus!»

Bodo macht eine beruhigende Geste und singt mit weit o e- nem Munde:

«Möchte mit dir so gerne ziehn – himmelwärts.» «Ruhe,wir wollen schlafen!» schreit dieWitwe Konersmann. «Heda!» ruft Lisa den Polizisten zu.«Laßt doch die Sänger in Ruhe!Warum seid ihr nicht da,wo gestohlen wird?»

DiePolizistensindverwirrt.Siekommandierennocheinpaar- mal:«AlleszurPolizeistation!»–aberniemandrührtsich.Bodo beginnt die zweite Strophe. Die Polizisten tun schließlich, was sie können – sie verhaften jeder einen Sänger.«Verteidigt euch nicht!» rufe ich.«Es istWiderstand gegen die Staatsgewalt!» Die Sänger leisten keinen Widerstand. Sie lassen sich abführen.

Der Rest singt weiter, als wäre nichts geschehen. Die Station istnichtweit.DiePolizistenkommenimLaufschrittwiederund verhaftenzweiweitereSänger.Dieandernsingenweiter;aberder ersteTenoristrechtschwachgeworden.DiePolizistenverhaften vonrechts;beimdrittenmalwirdWillyabgeführt,unddamitist der erste Tenor zum Schweigen gebracht.Wir reichen Bierflaschen aus den Fenstern.«Halte aus,Bodo!» sage ich.

«KeineAngst! Bis zum letzten Mann!»

Die Polizei kommt wieder und verhaftet im zweiten Tenor. Wir haben kein Bier mehr und stiften unsern Korn. Zehn Mi-

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nuten später singen nur noch die Bässe. Sie stehen da, ohne hinzuschauen,wie verhaftet wird.Ich habe einmal gelesen,daß Walroßherdensounbeteiligtbleiben,währendJägerunterihnen mitKeulendieNachbarnerschlagen–undgesehenhabeich,daß ganzeVölker im Kriege dasselbe tun.

NacheinerweiterenViertelstundestehtBodoLedderhoseallein da. Die schwitzenden, wütenden Polizisten kommen zum letztenmal angaloppiert.Sie nehmen Bodo in die Mitte.Wir folgen ihm zur Station.Bodo summt einsam weiter.«Beethoven»,sagt er kurz und summt wieder,eine einzelne musikalische Biene. Aber plötzlich ist es, als ob Windharfen ihn aus unendlicher Ferne begleiteten. Wir horchen auf. Es klingt wie ein Wunder

–aberEngelscheinentatsächlichmitzusummen,Engelimersten und zweiten Tenor und in den beiden Bässen. Sie umschmeicheln und umgaukeln Bodo und werden deutlicher, je weiter wir kommen,und als wir um die Kirche biegen,können wir die fliegenden, körperlosen Stimmen sogar verstehen. Sie singen «Heil’ge Nacht,o gieße du –»,und an der nächsten Ecke erkennen wir,woher sie kommen:aus der Polizeiwache,in der Bodos verhaftete Kameraden furchtlos stehen und weitersingen,ohne sichumetwaszukümmern.BodoalsDirigenttrittzwischensie, alswäredasdiealltäglichsteSachevonderWelt,undweitergeht es:«Schenk dem müden Pilger Ruh –»

«Herr Kroll, was soll das?» fragt der Vorsteher der Wache perplex.

«EsistdieMachtderMusik»,erwidertGeorg.«EinAbschiedsständchen für einen Menschen, der in die Welt hinausgeht. Harmlos und eigentlich zu fördern.»

«Das ist alles?» «Das ist alles.»

«Es ist nächtliche Ruhestörung»,erklärt einer derVerhafter.

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«WäreesauchnächtlicheRuhestörung,wennsie,Deutschland, Deutschland über alles‘ sängen?» frage ich ihn.

«Das wäre was anderes!»

«Wer singt,stiehlt nicht,mordet nicht und versucht nicht,die Regierungzustürzen»,erklärtGeorgdemVorsteherderWache. «Wollen Sie den ganzen Chor einsperren,weil er das alles nicht tut?»

«Werft sie raus!» zetert der Vorsteher. «Aber sie sollen jetzt ruhig bleiben.»

«Sie werden ruhig bleiben.Sie sind kein Preuße,wie?» «Franke.»

«Das dachte ich mir»,sagt Georg.

Wir stehen am Bahnhof. Es ist windig, und niemand ist außer uns auf dem Perron. «Du wirst mich besuchen, Georg», sage ich. «Ich werde alles daransetzen, die Frauen deiner Träume kennenzulernen. Zwei bis drei werden für dich da sein, wenn du kommst.»

«Ich komme.»

Ich weiß,daß er nicht kommen wird.«Du bist es allein schon deinemSmokingschuldig»,sageich.«Wosonstkönntestduihn anziehen?»

«Das ist wahr.»

Der Zug bohrt ein paar glühendeAugen in das Dunkel. «Halte die Fahne hoch, Georg! Du weißt, wir sind unsterblich.»

«Das sind wir. Und du, laß dich nicht unterkriegen. Du bist so oft gerettet worden, daß du die Verpflichtung hast, weiter durchzukommen.»

«Klar», sage ich. «Schon der andern wegen, die nicht gerettet wurden.SchonValentins wegen.»

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«Unsinn.Einfach,weil du lebst.»

DerZugbraustindieHalle,alswartetenfünfhundertLeuteauf ihn.Aber nur ich warte.Ich suche einAbteil und steige ein.Das Abteil riecht nach Schlaf und Menschen. Ich ziehe das Fenster imGangauf undlehnemichhinaus.«Wennmanetwasaufgibt, braucht man es nicht zu verlieren», sagt Georg. «Nur Idioten tun das.»

«Wer redet schon von Verlieren», erwidere ich, während der Zuganzieht.«DawirsowiesoamEndeverlieren,könnenwiruns erlauben,vorher zu siegen wie die geflecktenWalda en.» «Siegen die immer?»

«Ja – weil sie gar nicht wissen,was das ist.»

Der Zug rollt bereits. Ich fühle Georgs Hand. Sie ist zu klein und zu weich, und in der Schlacht an der Pißbude hat sie Schrammen bekommen,die noch nicht heil sind.Der Zug wird schneller,Georg bleibt zurück,er ist plötzlich älter und blasser, als ich dachte,ich sehe nur noch seine blasse Hand und seinen blassen Kopf,und dann ist nichts mehr da als der Himmel und das fliegende Dunkel.

IchgeheindasAbteil.EinReisendermiteinerBrilleröcheltin einer Ecke;ein Förster in einer andern.In der dritten schnarcht einfetterMannmiteinemSchnurrbart;ineinerviertengibteine Frau mit Hängebacken und einem verrutschten Hut seufzende Triller von sich.

Ich spüre den scharfen Hunger der Traurigkeit und ö ne meinenKo er,derimGepäcknetzliegt.FrauKrollhatmichmit belegten Butterbroten bis Berlin versehen. Ich fingere danach, findesieabernichtundholedenKo erausdemNetz.DieFrau mit dem verrutschten Hut und den Trillern erwacht,sieht mich wütend an und trillert gleich darauf herausfordernd weiter.Ich sehe, weshalb ich die Butterbrote nicht gefunden habe. Georgs

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Smoking liegt darüber. Er hat ihn wahrscheinlich eingepackt, während ich den Obelisken verkauft habe. Ich sehe eine Weile aufdasschwarzeTuch;dannholeichdieButterbroteherausund beginne zu essen. Es sind gute, erstklassig belegte Butterbrote. DasganzeAbteilwachteinenAugenblickvomGeruchdesBrotes undderherrlichenLeberwurstauf.Ichkümmeremichumnichts und esse weiter. Dann lehne ich mich zurück auf meinen Sitz undseheindasDunkel,durchdasabundzuLichterfliegen,und ich denke an Georg und den Smoking,und dann denke ich an IsabelleundHermannLotzundandenObelisken,derangepißt wurdeundzumSchlußdieFirmagerettethat,undzuletztdenke ich an gar nichts mehr.

XXVI

Ich habe keinen von allen wiedergesehen.Ich wollte ab und zu einmal zurückfahren, aber immer kam etwas dazwischen, und ich glaubte,ich hätte noch Zeit genug,aber plötzlich war keine Zeit mehr da. Die Nacht brach über Deutschland herein, ich verließ es, und als ich wiederkam, lag es in Trümmern. Georg Krollwartot.DieWitweKonersmannhatteweiterspioniertund herausbekommen,daßGeorgeinVerhältnismitLisagehabthatte

– 933,zehnJahrespäter,hatsieesanWatzekverraten,derdamals Sturmführer der SA war.Watzek ließ Georg in ein Konzentrationslager sperren, obschon er schon fünf Jahre vorher von Lisa geschieden worden war.Ein paar Monate später war Georg tot. Hans Hungermann wurde Kulturwart und Obersturmbannführer der neuen Partei.Er feierte sie in glühendenVersen und hatte deshalb nach 945 etwas Sorgen, da er seine Position als Schuldirektor verlor – inzwischen sind aber seine Pensionsan-

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sprüche vom Staat längst anerkannt worden, und er lebt, wie unzählige andere Parteigenossen, sehr behaglich davon, ohne arbeiten zu müssen.

Der Bildhauer Kurt Bach war sieben Jahre im Konzentrationslager und kam als arbeitsunfähiger Krüppel zurück. Heute, zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazis, kämpft er immernochumeinekleineRente,ebensowieunzähligeandere Opfer des Regimes.Er hofft,wenn er Glück hat,auf eine Rente von siebzig Mark im Monat – etwa einem Zehntel dessen, was HungermannalsPensionbezieht,undauchetwaeinemZehntel dessen, was der Staat dem ersten Chef der Gestapo seit Jahren an Pension bezahlt – dem Mann, der das Konzentrationslager gegründethat,indemKurtBachzumKrüppelgeprügeltwurde –, ganz zu schweigen natürlich von den noch wesentlich höheren Pensionen und Schadenersatzabfindungen, die an Generäle, KriegsverbrecherundhohefrühereParteibeamtegezahltwerden. HeinrichKroll,dergutdurchdieZeitgekommenist,siehtdarin mit viel Stolz einen Beweis für das unerschütterliche Rechtsbewußtsein unseres geliebtenVaterlandes.

DerMajorWolkensteinmachteeineausgezeichneteKarriere.Er wurdeMitgliedderPartei,warbeiderJudengesetzgebungbeteiligt,lagnachdemKriegeeinigeJahrestillundistheutemitvielen anderen Parteigenossen imAuswärtigenAmt beschäftigt.

Bodendiek undWernicke hielten in der Irrenanstalt für lange Zeit einige Juden versteckt. Sie brachten sie in die Zellen für die unheilbaren Kranken, schoren sie und lehrten sie, wie sie sich alsVerrückte benehmen mußten.Bodendiek wurde später in ein kleines Dorf versetzt, weil er sich darüber ungebührlich aufgeregt hatte,daß sein Bischof den Titel eines Staatsrates angenommen hatte von einer Regierung,die den Mord als heilige Pflicht pries. Wernicke wurde abgesetzt, weil er sich weigerte,

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tödliche Einspritzungen an seinen Kranken vorzunehmen. Es gelang ihm, die versteckten Juden vorher noch herauszuholen und fortzuscha en.Man schickte ihn ins Feld,und er fiel 944. Willy fiel 942,Otto Bambuss 945,Karl Kroll 944.Lisa wurde bei einem Bombenangri getötet.Ebenso die alte Frau Kroll.

Eduard Knobloch überstand alles;er servierte Gerechten und Ungerechten gleich erstklassig. Sein Hotel wurde zerstört, ist aberwiederaufgebautworden.Gerdahaternichtgeheiratet,und niemand weiß, was aus ihr geworden ist.Auch von Geneviève Terhoven habe ich nie wieder etwas gehört.

Eine interessante Karriere machte Tränen-Oskar. Er kam als Soldat nach Rußland und wurde zum zweiten Male Friedhofskommandant. 945 wurde er Dolmetscher bei den Besatzungstruppen und schließlich für einige Monate Bürgermeister von Werdenbrück.Danach ging er ins Geschäft zurück,zusammen mit Heinrich Kroll. Sie gründeten eine neue Firma und hatten große Erfolge – Grabsteine waren damals fast so gesucht wie Brot.

Der alte Knopf starb drei Monate,nachdem ichWerdenbrück verlassen hatte. Er wurde von einem Auto nachts überfahren. SeineFrauheirateteeinJahrspäterdenSargtischlerWilke.Niemand hätte das erwartet.Es wurde eine glückliche Ehe.

Die Stadt Werdenbrück wurde während des Krieges durch Bombensozertrümmert,daßfastkeinHausunbeschädigtblieb. Sie war ein Eisenbahn-Knotenpunkt; deshalb wurde sie so oft angegri en. Ich war ein Jahr später einmal einige Stunden auf der Durchreise da. Ich suchte nach den alten Straßen, aber ich verirrtemichinderStadt,inderichsolangegelebthatte.Nichts warmehrdaalsTrümmer,undichfandauchniemandvonfrüherwieder.IneinemkleinenLaden,dersichnahedemBahnhof in einer Bretterbude befand,kaufte ich ein paar Postkarten mit

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Ansichten der Stadt aus der Zeit vor dem Kriege.Das war alles, wasübriggebliebenwar.WennjemandfrühersichseinerJugend erinnern wollte,ging er an den Ort zurück,wo er sie verbracht hatte. Heute kann man das in Deutschland kaum noch. Alles ist zerstört und neu aufgebaut worden und fremd. Postkarten müssen es ersetzen.

DieeinzigenbeidenGebäude,dievölligunbeschädigtsind,sind die Irrenanstalt und die Gebäranstalt – hauptsächlich deshalb, weil sie etwas außerhalb der Stadt liegen.Sie waren sofort wieder voll belegt und sind es noch.Sie mußten sogar beträchtlich erweitert werden.

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»Unser Golgatha«

Nachwort von Tilman Westphalen

I

Remarque, von seinem Verleger Joseph Caspar Witsch gefragt, worumesinseinemneuenBuchgehe,antwortetineinemBrief vom .Juli 956 aus Porto Ronco:

Den Inhalt des Buches kann ich Ihnen nicht beschreiben. Könnte ich es,brauchte ich nicht ca.380 Seiten dazu.2

MitdiesemAntwortbriefsendetRemarqueeinenweiterenManuskriptteil von Der schwarze Obelisk,der mit Kapitel XI endet. Den Umfang und die voraussichtliche Zahl der Kapitel kannte RemarqueausseinerRohfassung.3 DerschwarzeObeliskalsTitel dieses Romans stand für ihn vonAnfang an fest.4

Wasist»derschwarzeObelisk«?Wofürstehter?Istereinverbindendes Symbol für eine Gesamtdeutung der verwirrenden VielfaltvonThemenundPerspektivenindiesemRoman?Ineiner Besprechung kurz nach Erscheinen des Romans heißt es:

DerschwarzeObeliskstehtalsdunklerSpiegelindiesemWerk, leibhaftigundrätselhaft,wiediesesreicheBuchselbst.5DieBasler Nachrichten formulieren imAugust 957:

...dasPrunkstück(desGrabsteingeschäfts),derschwarzeObelisk, ist Zeichen und Fanal für eine verlogene, prunkende und völlig tote bürgerliche Ideologie.6

DerseitdenSchultagenmitRemarquebekannteOsnabrücker Hanns-GerdRabebetiteltseineKritikinderOsnabrückerNeuen Tagespost mit: »Dunkles Spiegelbild des Osnabrück von 923«.7 Das Rätseln in der Kritik über den Sinn des Obelisk-Symbols, soweit es überhaupt als solches zur Kenntnis genommen wird,

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führt zu keinen schlüssigen Lösungen.Die Zitate ließen sich in großerVielfalt undWidersprüchlichkeit ergänzen.

Was bedeutet der schwarze Obelisk als das titelgebende, den Roman durchziehende Zentralsymbol,als möglicher Eckpfeiler der Romanstruktur? Auf welcheWeise mag der schwarze Stein denAutorinspirierthaben,derihmschonfrühbeimSchreiben als ein Leitelement des Romans diente? Was fängt der heutige Leser damit an?Was war seine Funktion für die Lektüre in den 50er Jahren?

»Schwarze Obelisken« stehen für Remarque überall in einer Welt,dieinseinenAugenaufdemHöhepunktdes»KaltenKrieges«inden50erJahrendenDrittenWeltkriegalsunausweichlich zu akzeptieren schien:

DieWelt liegt wieder im fahlen Licht derApokalypse,der GeruchdesBlutesundderStaubderletztenZerstörungsindnoch nicht verflogen,und schon arbeiten Laboratorien und Fabriken aufsNeuemitHochdruckdaran,denFriedenzuerhaltendurch die Erfindung von Wa en, mit denen man den ganzen Erdball sprengen kann.8

So wie die Menschen es nicht vermocht hatten, den Zweiten Weltkrieg nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zu verhindern, so bedrohlich ist auch heute noch die Lage, in der zahllose Interkontinentalraketen auf ihrenAbschußrampen für den Knopfdruck zum atomaren Holocaust bereitstehen. Der schwarzeObeliskwirdimRomananeinerStellealsder«finstere Steinfinger,derausderErdeindenHimmelzeigt»9 beschrieben. Einvielleicht›prophetisch‹zunennendesBildRemarques?Denn derObeliskistmitdenWortendesAutorsder»dunkleAnkläger«, den »ja bereits zwei Generationen von Krolls«, d. h. von Grabsteinhändlern,die für die Toten Mahnmale verschachern,nicht »verkaufenhaben…können.«9 Das›Raketen-Grabsteinlager‹der

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