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Remarque, Erich Maria - Der Feind

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08.06.2015
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60JahrenachihremerstenErscheinenin der amerikanischen Zeitschrift Collier’s Weekly ( 930/3 ) sind diese Erzählungen Remarques für den deutschen Leser eine Novität.SieentstandennachRemarques Roman Im Westen nichts Neues und stellen die gleiche Frage wie dieser: Was istausdenMenschen,diedenKriegerlebt haben,geworden?DasStigmadesKrieges zeigt sich in diesen Geschichten erst in den Jahren danach, als unterirdisches Beben, das in den Menschen stille, oft auchdramatischeVeränderungenauslöst. Josef Thiedemann. im Krieg verschüttet und »äußerlich praktisch unverletzt«, verfällt in eine jahrelange katatone Starre, bis seine Frau ihn an den Ort des Kriegsgeschehens zurückführt und das Trauma als Erinnerung zurückkehrt und ihn heilt. Die Menschen von der Verdrängung zu befreien, das Grauen des Kriegs in ein neues Bewußt sein des»Nie nieder«zu verwandeln, ist der heimliche Appell dieser Texte. Er macht ihre unverwechselbare Eindringlichkeit aus.

Remarque kann erzählen. Mehr als das. er kann Szenen komponieren. Dialoge abrunden. Episoden so formen, daß sie eine Pointe haben und dem Ton des GanzenebensoentsprechenwiedemStil desDetails.ZudemhatRemarqueselbst eine so unwiderlegbare psychologische Süffisanz, zudem weiß Remarque so haarsträubend genau Bescheid darüber. wie man sich fühlt, wenn die Abgründe rings herum gähnen.

Joachim Kaiser

WasfüreinGlückfürdasdeutscheVolk, daß es in seinen schlimmsten Zeiten, da eine Welt in ihm den Weltfeind sah, solcheliterarischeRepräsentantenhatte, wennauchimExil,wiediesenWeltfreund Erich Maria Remarque.

Hermann Kesten

»EineMenschenstimme,diesichbemüht, gefaßtüberUnmenschlicheszusprechen.

Günter Blöcker

ErichMariaRemarque, 898inOsnabrück geboren, 9 6 Soldat. 929 erschien sein Buch Im Westen nichts Neues, das ein ungeheurerErfolgwurde. 933wurdenseine Bücherö entlichverbrannt.Lebteseit 929 überwiegendimAusland.nachdemKrieg inderSchweiz,woer 970starb.

V. 04 2

unverkäuflich

 

ErichMariaRemarque

DerFeind

Erzählungen

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Thomas Schneider Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim

Kiepenheuer & Witsch

© 993 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden

Umschlag: Manfred Schulz, Köln

Satz: Fotosatz Froitzheim, Bonn

Druck und Bindearbeiten: Clausen & Bosse, Leck ISBN 3-462-02268-7

Inhalt

Der Feind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Schweigen um Verdun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Karl Broeger in Fleury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Josefs Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Geschichte von Annettes Liebe. . . . . . . . . . . . . 4 Das seltsame Schicksal des Johann Bartok . . . . . . . . . 5

Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Nachwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Der Feind

AlsichmeinenSchulkameradenLeutnantLudwigBreyerfragte,welchesKriegserlebnisihmamlebhaftesteninErinnerung wäre, erwartete ich, von Verdun, von der Somme oder von Flandernzuhören;dennerwarindenschlimmstenMonaten an allen drei Fronten gewesen. Aber statt dessen erzählte er mir Folgendes:

Nichtderlebhafteste,aberderbleibendstemeinerEindrücke fing damit an, daß wir in einem kleinen französischen Dorf weit hinter den Linien in Ruhe lagen. Wir hatten in einem scheußlichenAbschnittgelegen,wodasArtilleriefeuerextrem heftig gewesen war, und waren weiter als sonst zurückgenommenworden,weilwirstarkeVerlusteerlittenhattenund wieder Kräfte sammeln mußten.

Es war eine herrliche Augustwoche, ein wunderbarer, biblischerSommer,unddasstiegunszuKopfwiederschweregoldeneWein,denwireinmalineinemKellerinderChampagne gefunden hatten. Wir waren entlaust worden; einige von uns warensogaransaubereWäschegekommen,dieanderenkochten ihre Hemden gründlich über kleinen Feuern aus; überall herrschte eine Atmosphäre von Sauberkeit – deren Zauber nur ein schmutzverkrusteter Soldat kennt –, freundlich wie ein Samstagabend in jenen weitentfernten Friedenstagen, da wir als Kinder in der großen Wanne badeten und Mutter

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die frische Wäsche aus dem Schrank holte, die nach Stärke, Sonntag und Kuchen roch.

Duweißtja,daßeskeinMärchenist,wennichsage,daßdas Gefühl dieses zur Neige gehenden Augustnachmittags mir süßundstarkindieGliederfuhr.AlsSoldathatmaneinganz anderes Verhältnis zur Natur als die meisten Menschen. All dietausendVerbote,dieHemmungenundZwängefallenvor dem harten, dem schrecklichen Dasein am Rande des Todes ab; und in den Minuten und Stunden der Unterbrechung, in den Tagen der Ruhe, steigert sich manchmal der Gedanke an das Leben, die bloße Tatsache, noch dazusein, durchgekommen zu sein, zu schierer Freude, sehen zu können, zu atmen und sich frei zu bewegen.

Ein Feld in der Abendsonne, die blauen Schatten eines Waldes, das Rauschen einer Pappel, das klare Strömen fließenden Wassers waren eine unbeschreibliche Freude; aber tiefdrinnen,wieeinePeitsche,wieeinStachel,lagderscharfe Schmerz des Wissens, daß dies alles in ein paar Stunden, in einpaarTagenvorbeisein,wiedergegendieverdorrtenLandschaften des Todes eingetauscht werden mußte. Und dieses Gefühl,dassomerkwürdigzusammengesetztwarausGlück, Schmerz, Melancholie, Trauer, Sehnsucht und Ho nungslosigkeit, war die übliche Erfahrung eines Soldaten in Ruhe. Nach dem Abendessen ging ich mit einigen Kameraden ein kleinesStückausdemDorf.Wirredetennichtviel;zumersten Mal seit Wochen waren wir völlig zufrieden und wärmten uns in den schrägen Sonnenstrahlen, die uns voll ins Gesicht schienen. So kamen wir schließlich zu einem kleinen, tristen Fabrikgebäude mitten in einem weiten eingezäunten Grundstück, um das Wachposten aufgestellt waren. Der Hof war

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voller Gefangener, die auf den Transport nach Deutschland warteten.DieWachpostenließenunsohneUmständeein,und wir konnten uns umsehen. Einige hundert Franzosen waren da untergebracht. Sie saßen oder lagen herum, rauchten, redeten und dösten. Das ö nete mir die Augen. Bis dahin hatte ich nur kurze, flüchtige Eindrücke – vereinzelt, schemenhaft

– von den Männern gehabt, die die feindlichen Gräben hielten.EinHelmvielleicht,dereinenAugenblicküberdenRand der Brustwehr ragte; ein Arm, der etwas warf und wieder verschwand; ein Stück graublauen Sto s, eine Gestalt, die in dieLuftsprang–fastabstrakteDinge,diehinterGewehrfeuer lauerten, hinter Handgranaten und Stacheldraht.

Hier sah ich zum ersten Mal Gefangene, und zwar viele, sitzend, liegend, rauchend – Franzosen ohne Wa en. Ein plötzlicher Schock traf mich; gleich darauf mußte ich über mich selbst lachen. Mich hatte schockiert, daß sie Menschen waren wie wir selbst. Aber die Tatsache war – weiß Gott, merkwürdig genug –, daß ich einfach noch nie darüber nachgedachthatte.Franzosen?DaswarenFeinde,diegetötet werdenmußten,weilsieDeutschlandzerstörenwollten.Aber anjenemAugustabendwurdemirjenesunheilvolleGeheimnis klar, die Magie der Wa en. Wa en verwandeln die Menschen.UnddieseharmlosenKameraden,dieseFabrikarbeiter, Hilfsarbeiter, Geschäftsleute, Schuljungen, die da so still und resigniert herumsaßen, würden, wenn sie nur Wa en hätten, augenblicklich wieder zu Feinden werden.

Ursprünglich waren sie keine Feinde; erst als sie Wa en bekamen.Dasmachtemichnachdenklich,obwohlichjawußte, daß meine Logik vielleicht nicht ganz richtig war. Aber mir

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dämmerte, daß es die Wa en waren, die uns den Krieg aufzwangen.EsgabsovieleWa eninderWelt,daßsieamEnde dieOberhandüberdieMenschengewannenundsieinFeinde verwandelten…;Undvielspäterdann,inFlandern,beobachteteichwiederdasselbe:WährenddieMaterialschlachtwütete, waren die Menschen praktisch zu nichts mehr nutze. Die Wa en schleuderten sich selbst in irrer Wut gegeneinander. Als Mensch mußte man das Gefühl haben, daß auch dann, wenn alles zwischen den Wa en tot wäre, die Wa en von selbst weitermachen würden bis zur totalen Vernichtung der Welt. Aber hier in dem Fabrikhof sah ich nur Menschen wie wir.UndzumerstenMalbegri ich,daßichgegenMenschen kämpfte;Menschen,diewiewirvonstarkenWortenundWaffen verhext waren; Menschen, die Frauen und Kinder, Eltern undBerufhattenunddievielleicht–wennmirdieEingebung durchsiegekommenwar–dochjetztauchwachwerdenund sich genauso umschauen und fragen mußten: »Brüder, was tun wir denn da? Was soll das?«

EinpaarWochendanachwarenwirwiederineinemruhigerenAbschnitt.DiefranzösischeLinierückteunsererziemlich nahe, aber die Stellungen waren gut befestigt, und außerdem war, würde ich sagen, fast nichts los. Pünktlich um sieben jeden Morgen tauschte die Artillerie ein paar Schüsse zum Gruß aus; mittags gab es dann noch einen kleinen Salut und gegenAbenddenüblichenSegen.WirnahmenSonnenbäder vor unseren Unterständen und wagten es sogar, nachts zum Schlafen die Stiefel auszuziehen.

Eines Tages tauchte plötzlich auf der anderen Seite des Niemandslandes über der Brustwehr ein Schild auf mit der Aufschrift:»Attention!«Mankannsichvorstellen,wieerstaunt

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wir es anstarrten. Dann kamen wir am Ende zu dem Schluß, siewolltenunsnurwarnen,daßeseinbesonderesArtilleriefeuergebenwürde,überdasüblicheProgrammhinaus;also hielten wir uns in Bereitschaft, beim Geräusch des ersten Schusses in unsere Unterstände zu verschwinden.

Aberallesbliebstill.DasSchildverschwand.Danngingein paar Sekunden später ein Spaten hoch, und auf der Schaufel konnten wir eine große Zigarettenschachtel erkennen. Einer unsererKameraden,deretwasAhnungvonderSprachehatte, malte mit Schuhwichse das Wort »Compris« hinten auf eine Kartentasche.WirhieltendieKartentaschehoch.Daschwenkten sie auf der anderen Seite die Zigarettenschachtel hin und her. Und wir schwenkten daraufhin unsere Kartentasche. Dann ging ein weißes Stück Sto hoch. In aller Eile nahmen wir dem Obergefreiten Bühler, der sich gerade entlauste, das Hemd von den Knien und winkten damit.

Nach einer Weile erhob sich der weiße Sto auf der anderen Seite, und ein Helm erschien. Wir schwenkten unser Hemd heftiger, bis die Läuse herausgeregnet sein mußten. Ein Arm wurde hochgestreckt, der ein Paket hielt. Und dann kletterte einMannlangsamdurchdenStacheldrahtheraus;aufHänden undKnienkrocheraufunszu,unddabeiwinkteervonZeitzu ZeitmiteinemTaschentuchundlachteaufgeregt.Etwainder MittedesNiemandslandeshielterinneundsetzteseinPaket ab.Erzeigtemehrmalsdarauf,lachte,nickteundkrochzurück. Das versetzte uns in ungewöhnliche Aufregung. Verbunden mit dem fast jungenhaften Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, dem Gefühl, jemandem ein Schnippchen zu schlagen, und einfach der nackten Begierde, an die guten Sachen heranzu-

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