Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

.pdf
Скачиваний:
401
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
2.96 Mб
Скачать

Sie kommen und wollen Blut! Hörst du sie nicht? Die grauen Flügel! Sie flattern wie Fledermäuse! Laß sie nicht heran!» Sie drückt ihren Kopf gegen meine Schulter und ihren bebenden Körper gegen meinen. Ich halte sie und blicke in die Dämmerung,dietieferundtieferwird.DieLuftiststill,aberdas Dunkel rückt jetzt aus den Bäumen der Allee langsam vor wie eine lautlose Kompanie von Schatten. Es scheint uns umgehen zu wollen und kommt aus dem Hinterhalt heran, um uns den Wegabzuschneiden.«Komm»,sageich.«Laßunsgehen!Drüben hinter derAllee ist es heller.Da ist noch viel Licht.»

Sie widerstrebt und schüttelt den Kopf. Ich fühle ihr Haar an meinem Gesicht,es ist weich und riecht nach Heu,und auch ihr Gesichtistweich,ichfühledieschmalenKnochen,dasKinnund denBogenderStirn,undplötzlichbinichwiedertiefverwundert darüber,daß hinter diesem engen Halbkreis eineWelt mit völlig anderen Gesetzen lebt,und daß dieser Kopf,den ich mit meinen Händenmühelosumspanne,allesanderssiehtalsich,jedenBaum, jeden Stern, jede Beziehung und auch sich selbst. Ein anderes Universum ist in ihm beschlossen, und einen Augenblick lang schwimmt alles durcheinander, und ich weiß nicht mehr, was Wirklichkeit ist – das,was ich sehe,oder das,was sie sieht,oder das,wasohneunsdaistundwaswirnieerkennenkönnen,daes mitihmsoist,wiemitdenSpiegeln,diedasind,wennwirdasind, unddiedochimmernichtsanderesspiegelnalsunsereigenesBild. Nie,niewissenwir,wassiesind,wennsiealleinsind,undwashinter ihnenist;siesindnichts,unddochkönnensiespiegelnundmüssen etwassein;aberniemalsgebensieihrGeheimnispreis.

«Komm»,sageich.«Komm,Isabelle.Keinerweiß,waseristund wo und wohin er geht – aber wir sind zusammen, das ist alles, was wir wissen können.»

Ichziehesiemitmir.Vielleichtgibteswirklichnichtsanderes,

101

wenn alles zerfällt, denke ich, als das bißchen Beieinandersein, undauchdasistnocheinsanfterBetrug,dennda,woderandere einenwirklichbraucht,kannmanihmnichtfolgenundihmnicht beistehen,dashabeichoftgenuggesehen,wennichimKriegein die toten Gesichter meiner Kameraden geblickt habe.Jeder hat seinen eigenen Tod und muß ihn allein sterben, und niemand kann ihm dabei helfen.

«Du läßt mich nicht allein?» flüstert sie. «Ich lasse dich nicht allein.» «Schwöre es»,sagt sie und bleibt stehen.

«Ich schwöre es»,erwidere ich unbedenklich. «Gut,Rudolf.»

Sie seufzt,als wäre jetzt vieles leichter. «Aber vergiß es nicht.Du vergißt so oft.» «Ich werde es nicht vergessen.»

«Küsse mich.»

Ich ziehe sie an mich. Ich fühle ein sehr leichtes Grauen und weiß nicht, was ich tun soll, und küsse sie mit trockenen, geschlossenen Lippen.

Sie hebt ihre Hände um meinen Kopf und hält ihn. Plötzlich spüreicheinenscharfenBißundstoßesiezurück.MeineUnterlippe blutet.Sie hat hineingebissen.Ich starre sie an.Sie lächelt. Ihr Gesicht ist verändert.Es ist böse und schlau.«Blut!» sagt sie leiseundtriumphierend.«Duwolltestmichwiederbetrügen,ich kenne dich!Aber jetzt kannst du es nicht mehr.Es ist besiegelt. Du kannst nicht mehr weg!»

«Ich kann nicht mehr weg», sage ich ernüchtert. «Meinetwegen! Darum brauchst du mich aber doch nicht wie eine Katze anzufallen.Wie das blutet!Was soll ich der Oberin sagen,wenn sie mich so sieht?»

Isabellelacht.«Nichts»,erwidertsie.«Warummußtduimmer

102

etwas sagen? Sei doch nicht so feige!»

Ich spüre das Blut lau in meinem Munde. Mein Taschentuch hat keinen Zweck – die Wunde muß sich von selbst schließen. Genevièvestehtvormir.SieistplötzlichJenny.IhrMundistklein undhäßlich,undsielächeltschlauundboshaft.Dannbeginnen dieGlockenfürdieMaiandacht.EinePflegerinkommtdenWeg entlang.Ihr weißer Mantel schimmert ungewiß im Zwielicht.

Meine Wunde ist während der Andacht getrocknet, ich habe meine tausend Mark empfangen und sitze jetzt mit dem Vikar Bodendiek am Tisch.Bodendiek hat seine seidenen Gewänder in der kleinen Sakristei abgelegt.Vor fünfzehn Minuten war er noch eine mystische Figur –, weihrauchumdampft stand er in Brokat und Kerzenlicht da und hob die goldene Monstranz mit dem Leib Christi in der Hostie über die Köpfe der frommen Schwestern und die Schädel der Irren,die Erlaubnis haben,bei derAndachtdabeizusein–jetztaber,imschwarzenabgeschabten Rock und dem leicht verschwitzten weißen Kragen,der hinten statt vorne geschlossen ist, ist er nur noch ein einfacher Agent Gottes,gemütlich,kräftig,mitdenrotenBacken,derrotenNase unddengeplatztenÄderchendarin,diedenLiebhaberdesWeines kennzeichnen.Er weiß es nicht – aber er war mein Beichtvater für manche Jahre vor dem Kriege, als wir, auf Anordnung der Schule,jedenMonatbeichtenundkommunizierenmußten.Wer nicht ganz dumm war,ging zu Bodendiek.Er war schwerhörig, und da man bei der Beichte flüstert,konnte er nicht verstehen, was für Sünden man bekannte. Er gab deshalb die leichtesten Bußen auf. Ein paar Vaterunser, und man war aller Sünden ledig und konnte Fußball spielen gehen oder in der Städtischen Leihbücherei versuchen, verbotene Bücher zu bekommen. Das war etwas anderes als beim Dompastor,zu dem ich einmal ge-

103

riet,weil ich es eilig hatte und weil vor Bodendieks Beichtstuhl eine lange Schlange Wartender stand. Der Dompastor gab mir eine heimtückische Buße auf:ich mußte in einerWoche wieder zur Beichte kommen, und als ich es tat, fragte er mich, warum ich da sei. Da man in der Beichte nicht lügen darf, sagte ich es ihm,undergabmiralsBußeeinpaarDutzendRosenkränzezu beten und den Befehl, die folgende Woche ebenfalls wiederzukommen.Das ging so weiter,und ich verzweifelte fast – ich sah michbereitsmeinganzesLebenanderKettedesDompastorszu wöchentlichen Konfessionen verurteilt.Zum Glück bekam der heilige Mann in der vierten Woche die Masern und mußte im Bett bleiben.Als mein Beichttag herankam,ging ich zu Bodendiek und erklärte ihm mit lauter Stimme die Lage – der Dompastor habe mich verpflichtet,heute wieder zu beichten,aber er sei krank.Was ich tun solle? Zu ihm hingehen könne ich nicht, da Masern ansteckend seien. Bodendiek entschied, daß ich bei ihmebensogutbeichtenkönne;BeichteseiBeichteundPriester Priester. Ich tat es und war frei. Den Dompastor aber mied ich seither wie die Pest.

Wir sitzen in einem kleinen Zimmer in der Nähe des großen Saales für die freien Kranken.Es ist kein eigentliches Eßzimmer; Bücherregalestehendarin,einTopfmitweißenGeranien,einpaar Stühle und Sessel und ein runder Tisch.Die Oberin hat uns eine FlascheWeingeschickt,undwirwartenaufdasEssen.Ichhättevor zehnJahrenniegeglaubt,einmalmitmeinemBeichtvatereineFla- scheWeinzutrinken–aberichhättedamalsauchniegeglaubt,daß icheinmalMenschentötenunddafürnichtaufgehängt,sondern dekoriertwerdenwürde,undtrotzdemistessogekommen.

BodendiekprobiertdenWein.«EinSchloßReinhardshausener vonderDomänedesPrinzenHeinrichvonPreußen»,erklärter andächtig. «Die Oberin hat uns da etwas sehr Gutes geschickt.

104

Verstehen Sie was vonWein?» «Wenig»,sage ich.

«Sie sollten es lernen. Speise und Trank sind Gaben Gottes. Man soll sie genießen und verstehen.»

«Der Tod ist sicher auch eine Gabe Gottes»,erwidere ich und blicke durch das Fenster in den dunklen Garten. Es ist windig geworden, und die schwarzen Kronen der Bäume schwanken. «Soll man den auch genießen und verstehen?»

Bodendiek sieht mich über den Rand seinesWeinglases belustigtan.«FüreinenChristenistderTodkeinProblem.Erbraucht ihn nicht gerade zu genießen; aber verstehen kann er ihn ohne weiteres.DerTodistderEingangzumewigenLeben.Daistnichts zu fürchten.Und für viele ist er eine Erlösung.»

«Warum?»

«Eine Erlösung von Krankheit, Schmerz, Einsamkeit und Elend.» Bodendiek nimmt einen genießerischen Schluck und läßt ihn hinter seinen roten Backen im Munde umhergehen.

«Ich weiß»,sage ich.«Die Erlösung vom irdischen Jammertal. Warum hat Gott es eigentlich gescha en?»

Bodendiek sieht imAugenblick nicht so aus,als könne er das Jammertalnichtertragen.EristrundundvollundhatdieSchöße seines Priesterrocks über die Lehne des Stuhls gebreitet, damit sienichtzerknitternunterdemDruckseineskräftigenHinterns. So sitzt er da,der Kenner des Jenseits und desWeines,das Glas fest in der Hand.

«WozuhatGotteigentlichdasirdischeJammertalgescha en?» wiederholeich.«HätteerunsnichtgleichimewigenLebenlassen können?»

Bodendiek hebt die Schultern. «Sie können das in der Bibel nachlesen.Der Mensch,das Paradies,der Sündenfall –»

«Der Sündenfall,dieVertreibung aus dem Paradiese,die Erb-

105

sündeunddamitderFluchüberhunderttausendGenerationen. Der Gott der längsten Rache,die es je gegeben hat.»

«Der Gott derVergebung»,erwidert Bodendiek und hält den WeingegendasLicht.«DerGottderLiebeundderGerechtigkeit, derimmerwiederbereitist,zuvergeben,undderseineneigenen Sohn geopfert hat,um die Menschheit zu erlösen.»

«HerrVikarBodendiek»,sagteich,plötzlichsehrwütend.«WeshalbhatderGottderLiebeundderGerechtigkeiteigentlichdie Menschen so verschieden erscha en? Warum den einen elend und krank und den andern gesund und gemein?»

«Werhiererniedrigtwird,wirdimJenseitserhöht.Gottistdie ausgleichende Gerechtigkeit.»

«Ich bin nicht so sicher»,erwidere ich.«Ich kannte eine Frau, die zehn Jahre Krebs hatte,die sechs fürchterliche Operationen hintersichbrachte,dienieohneSchmerzenwarunddieschließlich an Gott verzweifelte,als zwei ihrer Kinder starben.Sie ging nicht mehr zur Messe, zur Beichte und zur Kommunion, und nach den Regeln der Kirche starb sie im Stande der Todsünde. Nach denselben Regeln brennt sie jetzt für alle Ewigkeit in der Hölle, die der Gott der Liebe gescha en hat. Das ist gerecht, nicht wahr?»

BodendieksiehteineZeitlangindenWein.«IstesIhreMutter?» fragt er dann.

Ich starre ihn an.«Was hat das damit zu tun?» «Es ist Ihre Mutter,nicht wahr?»

Ich schlucke.«Und wenn es meine Mutter wäre –»

Erschweigt.«EsgenügteineeinzigeSekunde,umsichmitGott zu versöhnen»,sagt er dann behutsam.«Eine Sekunde vor dem Tode.EineinzigerGedanke.Erbrauchtnichteinmalausgesprochen zu werden.»

«DashabeichvoreinpaarTageneinerverzweifeltenFrauauch

106

gesagt.Aber wenn der Gedanke nicht da war?»

Bodendiek sieht mich an.«Die Kirche hat Regeln.Sie hat Regeln, um zu verhüten und zu erziehen. Gott hat keine. Gott ist die Liebe.Wer von uns kann wissen,wie er richtet?»

«Richtet er?»

«Wir nennen es so.Es ist Liebe.»

«Liebe»,sageichbitter.«EineLiebe,dievollSadismusist.Eine Liebe,diequältundelendmachtunddieentsetzlicheUngerechtigkeitderWeltmitdemVersprecheneinesimaginärenHimmels zu korrigieren glaubt.»

Bodendiek lächelt. «Glauben Sie nicht, daß vor Ihnen schon andere Leute darüber nachgedacht haben?»

«Ja,unzählige.Und klügere als ich.»

«Das glaube ich auch»,erwidert Bodendiek gemütlich. «Das ändert nichts daran,daß ich es nicht auch tue.» «Bestimmtnicht.»BodendiekschenktseinGlasvoll.«TunSie es nur gründlich.Zweifel ist die Kehrseite des Glaubens.»

Ichseheihnan.Ersitztda,einTurmderFestigkeit,undnichts kann ihn erschüttern. Hinter seinem kräftigen Kopf steht die Nacht, die unruhige Nacht Isabelles, die weht und gegen das Fenster stößt und endlos und voller Fragen ohne Antwort ist. Bodendiek aber hat auf alles eineAntwort.

DieTürö netsich.Auf einergroßenPlatteerscheintdasEssen, in runden Schüsseln, die aufeinandergestellt sind. Eine paßt in die andere, es ist die Art, wie in Hospitälern serviert wird. Die Küchenschwester breitet ein Tuch über den Tisch, legt Messer, Lö el und Gabeln darauf und verschwindet.

Bodendiek lüftet die obere Schüssel. «Was haben wir denn heute nacht? Bouillon», sagt er zärtlich. «Bouillon mit Markklößchen. Erstklassig! Und Rotkohl mit Sauerbraten. Eine

107

O enbarung!»

ErschöpftdieTellervollundbeginntzuessen.Ichärgeremich darüber, mit ihm disputiert zu haben, und fühle, daß er klar überlegen ist, obschon es nichts mit dem Problem zu tun hat. Er ist überlegen, weil er nichts sucht. Er weiß. Aber was weiß er schon? Beweisen kann er nichts. Trotzdem kann er mit mir spielen,wie er will.

Der Arzt kommt herein. Es ist nicht der Direktor; es ist der behandelndeArzt.«EssenSiemituns?»fragtBodendiek.«Dann müssen Sie sich dazuhalten.Wir lassen sonst nichts übrig.» Der Arzt schüttelt den Kopf.«Ich habe keine Zeit.Es gibt ein Gewitter.Da sind die Kranken immer besonders unruhig.» «Es sieht nicht nach einem Gewitter aus.»

«Noch nicht.Aber es wird kommen.Die Kranken fühlen das voraus.Wir,mußtenschoneinpaarinsDauerbadlegen.Eswird eine schwierige Nacht werden.»

Bodendiek verteilt den Sauerbraten zwischen uns. Er nimmt sich die größere Portion.«Gut,Doktor»,sagt er.

«Aber trinken Sie wenigstens ein Glas Wein mit uns. Es ist ein Fünfzehner. Eine Gabe Gottes! Sogar für unseren jungen Heiden hier.»

Erzwinkertmirzu,undichmöchteihmgernmeineSauerbratensauceinseinenleichtspeckigenKragenschütten.DerDoktor setzt sich zu uns und nimmt das Glas an.Die bleiche Schwester steckt den Kopf durch die Tür.

«Ich esse jetzt nicht,Schwester»,sagt der Doktor.«Stellen Sie mir ein paar belegte Brote und eine Flasche Bier in mein Zimmer.»

Er ist ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren,dunkel,mit einemschmalenGesicht,dichtzusammenstehendenAugenund großen,abstehendenOhren.ErheißtWernicke,GuidoWernicke,

108

und haßt seinenVornamen so,wie ich «Rolf» hasse. «Wie steht’s mit Fräulein Terhoven?» frage ich.

«Terhoven?Achso–nichtsobesonders,leider.HabenSienichts bemerkt heute? EineÄnderung?»

«Nein.Siewarsowieimmer.Vielleichtetwaserregter;aberSie sagten ja,das käme vom Gewitter.»

«Wir werden sehen. Man kann nie viel voraussagen hier oben.»

Bodendiek lacht.«Das sicher nicht.Hier nicht.»

Ichseheihnan.WasfüreinroherChrist,denkeich.Aberdann fälltmirein,daßerjaberufsmäßigerSeelenpflegerist;dabeigeht immer etwas an Empfindung auf Kosten des Könnens verloren

– ebenso wie bei Ärzten, Krankenschwestern und Grabsteinverkäufern.

Ichhöre,wieersichmitWernickeunterhält.Ichhabeplötzlich keine Lust mehr zu essen und stehe auf und gehe ans Fenster. Hinter den bewegten schwarzen Wipfeln ist eine Wolkenwand mit fahlen Rändern emporgewachsen. Ich starre hinaus. Alles scheint auf einmal sehr fremd, und hinter dem vertrauten Gartenbild drängt ein anderes,wilderes schweigend hervor,das das alte wegstößt wie eine leere Hülse. Ich erinnere mich an Isabelles Schrei: «Wo ist mein erstes Gesicht? Mein Gesicht vor allen Spiegeln?» Ja,wo ist das allererste Gesicht? denke ich.Die Urlandschaft,bevor sie zur Landschaft unserer Sinne wurde,zu Park undWald und Haus und Mensch – wo ist das Gesicht Bodendieks,bevoresBodendiekwurde,wodasWernickes,bevores seinemNamenentsprach?Wissenwirnochetwasdavon?Oder sind wir gefangen in einem Netz von Begri en und Worten, von Logik und täuschender Vernunft, und dahinter stehen die einsam lodernden Urfeuer, zu denen wir keinen Zugang mehr haben,weilwirsieinNützlichkeitundWärmeverwandelthaben,

109

in Küchenfeuer und Heizung und Schwindel und Gewißheit und Bürgerlichkeit und Mauern und allenfalls in ein türkisches Bad schwitzender Philosophie und Wissenschaft? Wo sind sie? Stehen sie immer noch unfaßbar und rein und unzugänglich hinterLebenundTod,bevorsieLebenundTodfürunswurden, und sind vielleicht nur die, die jetzt in diesem Hause in ihren vergitterten Zimmern hocken und schleichen und starren und dasGewitterinihremBlutfühlen,ihnennahe?WoistdieGrenze, dieChaosvonOrdnungscheidet,undwerkannsieüberschreiten und zurückkommen,und wenn es ihm gelingt,wer weiß dann nochetwasdavon?LöschtdaseinenichtdieErinnerungandas andere aus? Wer ist der Gestörte, Gezeichnete,Verbannte, sind wir es mit unseren Grenzen,mit unsererVernunft,unserem geordnetenWeltbild,odersindesdieandern,durchdiedasChaos rastundblitzt,unddiedemGrenzenlosenpreisgegebensindwie ZimmerohneTüren,ohneDecke,RäumemitdreiWanden,indie eshineinblitztundstürmtundregnet,währendwirandernstolz in unsern geschlossenen Zimmern mit Türen und vierWänden umhergehen und glauben, wir seien überlegen, weil wir dem Chaosentkommensind?AberwasistChaos?UndwasOrdnung? Und wer hat sie? Und warum? Und wer entkommt je?

Ein fahles Leuchten fliegt über dem Parkrand hoch,und nach langerZeitantworteteinsehrschwachesMurren.WieeineKabinevollLichtscheintunserZimmerzuschwimmeninderNacht, dieunheimlichwird,alsrütteltenirgendwogefangeneRiesenan ihrenKetten,umaufzuspringenunddasGeschlechtderZwerge zuvernichten,dassiefürkurzeZeitgefesselthat.EineKabinemit Licht in der Dunkelheit,Bücher und drei geordnete Gehirne in einemHause,indemwieindenWabeneinesBienenkorbesdas Unheimliche eingesperrt ist,wetterleuchtend in den zerstörten Gehirnen ringsum! Wie, wenn in einer Sekunde ein Blitz der

110