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Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

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08.06.2015
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«Weil ich mir aus Charakter nichts mache»,zirpte Renée mit einer zimperlichenAltjungfernstimme.«Ich liebe Komfort und Sicherheit.»

Gerda saust mit einem perfekten Salto auf uns zu.Sie kommt einen halben Meter vor mir zum Stehen,wippt ein paarmal auf den Zehen hin und her und lacht.«Renée lügt»,sagt sie.

«Hast du gehört,was sie erzählt hat?»

«JedeFraulügt»,sagtRenéemitEngelsstimme.«Undwennsie nicht lügt,ist sie nichts wert.»

«Amen»,erwidert der Hundedresseur.

GerdastreichtdieHaarezurück.«Ichbinhierfertig.Warte,bis ich mich umgezogen habe.»

SiegehtzueinerTür,andereinSchildmitderAufschrift«Garderobe»hängt.Renéesiehtihrnach.«Sieisthübsch»,erklärtsie sachlich.«SchauenSie,wiesiesichhält.Siegehtrichtig,dasistdie Hauptsache bei einer Frau.Hintern rein,nicht raus.Akrobaten lernen das.»

«Das habe ich schon einmal gehört», sage ich. «Von einem Frauenund Granitkenner.Wie geht man richtig?»

«Wenn man das Gefühl hat,mit dem Hintern ein Fünfmarkstück festzuhalten – und es dann vergißt.»

Ich versuche,mir das vorzustellen.Ich kann es nicht;ich habe seit zu langer Zeit kein Fünfmarkstück mehr gesehen.Aber ich kenne eine Frau, die auf diese Weise einen mittleren Nagel aus derWand reißen kann.Es ist Frau Beckmann,die Freundin des Schusters Karl Brill.Sie ist ein mächtigesWeib,völlig aus Eisen. Karl Brill hat schon manche Wette mit ihr gewonnen, und ich habe ihre Kunst selbst bewundert.Ein Nagel wird in die Wand der Werkstatt eingeschlagen, nicht allzutief natürlich, aber so, daß es eines tüchtigen Ruckes mit der Hand bedürfte, ihn herauszureißen.Dann wird Frau Beckmann geweckt.Sie erscheint

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unter den Trinkern in der Werkstatt im leichten Morgenrock, ernst, nüchtern und sachlich. Ein bißchen Watte wird um den Nagelkopf gewunden,damit sie sich nicht verletzen kann,dann stellt sich Frau Beckmann hinter einen niedrigen Paravant,mit demRückenzurWand,leichtgebückt,denMorgenrockzüchtig umgeschlagen,dieHändeaufdenParavantgelegt.Siemanövriert etwas, um den Nagel mit ihren Schinken zu fassen, strafft sich plötzlich, richtet sich auf, entspannt – und der Nagel fällt auf den Boden.Etwas Kalkstaub rieselt gewöhnlich hinterher.Frau Beckmann,wortlos,ohne ein Zeichen von Triumph,dreht sich um,entschwindetdieTreppehinauf,undKarlBrillkassiertvon den erstaunten Kegelbrüdern die Wetten ein. Es ist eine streng sportlicheSache;niemandsiehtFrauBeckmannsFormenanders als von der rein fachlichen Seite. Und niemand wagt ein loses Wortdarüber.SiewürdeihmeineOhrfeigekleben,dieihmden Kopf losrisse. Sie ist riesenstark; die beiden Ringerinnen sind blutarme Kinder gegen sie.

«Also,machen Sie Gerda glücklich»,sagt Renée lakonisch. «Für vierzehn Tage.Einfach,was?»

Ich stehe etwas verlegen da. Das Vademekum für guten Ton siehtdieseSituationsichernichtvor.ZumGlückerscheintWilly. Eristelegantgekleidet,hateinenleichtengrauenBorsalinoschief auf demKopf undwirkttrotzdemwieeinZementblock,dermit künstlichen Blumen besteckt ist. Mit vornehmer Geste küßt er Renée die Hand; dann greift er in seine Tasche und bringt ein kleinesEtuihervor.«DerinteressantestenFrauinWerdenbrück», erklärt er mit einerVerbeugung.

RenéestößteinenSopranschreiausundsiehtWillyungläubig an.Dann ö net sie das Kästchen.Ein goldener Ring mit einem Amethyst funkelt ihr entgegen.Sie schiebt ihn auf ihren linken Mittelfinger, starrt ihn entzückt an und wirft dann ihre Arme

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umWilly.Willy steht sehr stolz da und lächelt.Er hört sich das Trillern und die Baßstimme an; Renée verwechselt sie in der AufregungalleAugenblicke.«Willy!»zirptunddonnertsie.«Ich bin ja so glücklich!»

Gerda kommt im Bademantel aus der Garderobe.Sie hat das Geschrei gehört und will sehen,was los ist.

«Macht euch fertig, Kinder», sagt Willy. «Wir wollen hier raus.»

Die beiden Mädchen verschwinden.«Hättest du Ka er Renée denRingnichtspätergebenkönnen,wennihralleinseid?»frage ich.«Was mache ich jetzt mit Gerda?»

WillybrichtineingutmütigesGelächteraus.«Verdammt,daran habe ich nicht gedacht! Was machen wir da wirklich? Kommt mit uns essen.»

«Damit wir alle vier dauernd auf Renées Amethyst starren müssen?Ausgeschlossen.»

«Hör zu», erwidert Willy. «Die Sache mit Renée und mir ist anders als deine mitGerda.Ich bin seriös.Glaubees oder nicht: IchbinverrücktnachRenée.Seriösverrückt.SieisteinePrachtsnummer!»

WirsetzenunsinzweialteRohrstühleanderWand.Dieweißen Spitze üben jetzt,auf denVorderpfoten zu gehen.

«Stell dir vor», erklärt Willy. «Was mich verrückt macht, ist die Stimme.Nachts ist das eine tolle Sache.Als ob du zwei verschiedene Frauen hast.Einmal eine zarte und gleich darauf ein Fischweib. Es geht sogar noch weiter. Wenn es dunkel ist und sie auf einmal mit der Kommandostimme loslegt, läuft es mir kalt über den Rücken.Es ist verdammt sonderbar! Ich bin doch nicht schwul,aber manchmal habe ich das Gefühl,ich schände einen General oder dieses Aas, den Untero zier Flümer, der dich ja auch gefoltert hat in unserer Rekrutenzeit – es ist nur

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so ein Augenblick,dann ist alles wieder in Ordnung,aber – du verstehst,was ich meine?»

«So ungefähr.»

«Schön, also sie hat mich erwischt. Ich möchte, daß sie hierbleibt.Werde ihr eine kleineWohnung einrichten.»

«Glaubst du,daß sie ihren Beruf aufgeben wird?»

«Brauchtsienicht.AbundzukannsieeinEngagementannehmen.Dann gehe ich mit.Mein Beruf ist ja beweglich.» «Weshalb heiratest du sie nicht? Du hast doch Geld genug.» «Heiraten ist etwas anderes», erklärt Willy. «Wie kannst du eine Frau heiraten, die jeden Augenblick fähig ist, dich wie ein Generalanzubrüllen?Manerschricktdochimmerwieder,wenn es unvermutet passiert, das liegt uns so im Blut. Nun, heiraten werde ich mal eine kleine,ruhige Dicke,die erstklassig kochen kann.Renée,mein Junge,ist die typische Mätresse.»

IchstaunedenWeltmannan.Erlächeltüberlegen.DasBrevier fürguteManierenistfürihnüberflüssig.Ichverzichteauf Spott. Spottwirddünn,wennjemandAmethystringeverschenkenkann. DieRingerinnenerhebensichlässigundmacheneinpaarGri e. Willy sieht interessiert zu.«KapitaleWeiber»,flüstert er,wie ein aktiver Oberleutnant vor dem Kriege.

«WasfälltIhnenein?Augenrechts!Stillgestanden!»brüllteine markige Stimme hinter uns.

Willyfährtzusammen.EsistRenée,dieringgeschmückthinter ihm lächelt.«Siehst du jetzt,was ich meine?» fragtWilly mich. Ichsehees.Diebeidenziehenab.DraußenwartetWillysAuto, das rote Kabriolett mit den roten Ledersitzen.Ich bin froh,daß Gerdalängerbraucht,umsichanzuziehen.Siesiehtsowenigstens dasKabriolettnicht.Ichüberlege,wasichihrheutebietenkönnte. Das einzige,was ich außer dem Brevier fürWeltleute habe,sind die Eßmarken Eduard Knoblochs, und die sind leider abends

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nichtgültig.Ichbeschließe,estrotzdemmitihnenzuversuchen, indem ich Eduard vorlüge,es seien die beiden letzten.

Gerdakommt.«Weißtdu,wasichmöchte,Schatz?»sagtsie,bevorichdenMundö nenkann.«LaßunsetwasinsGrünefahren. Mit der Straßenbahn hinaus.Ich möchte Spazierengehen.» Ich starre sie an und traue meinen Ohren nicht. Ins Grüne spazieren–genaudaswares,wasErna,dieSchlange,mirinver- giftetenWorten vorgeworfen hat.Sollte sie Gerda etwas erzählt haben? Zuzutrauen wäre es ihr.

«Ich dachte,wir könnten zur ,Walhalla‘ gehen»,sage ich vorsichtig und mißtrauisch.«Man ißt dort großartig.»

Gerda winkt ab. «Wozu? Es ist viel zu schön dazu. Ich habe heutenachmittagetwasKarto elsalatgemacht.Hier!»Siehältein Pakethoch.«DenessenwirdraußenundkaufenunsWürstchen und Bier dazu.Recht?»

Ichnickestumm,argwöhnischeralsvorher.ErnasVorwurfmit dembilligenWeinohneJahrgangistnochunvergessen.«Ichmuß ja um neun schon zurück in die ekelhafte Stinkbude, die Rote Mühle»,erklärt Gerda.

EkelhafteStinkbude?Ichstarresiewiederan.AberihreAugen sindklarundunschuldig,ohnejedeIronie.Undplötzlichbegreife ich! Ernas Paradies ist für Gerda nichts anderes als eine Arbeitsstätte!SiehaßtdieBude,dieErnaliebt!Gerettet,denkeich. Gottlob! Die Rote Mühle mit ihrenWahnsinnspreisen versinkt, wieGastonMünchalsGeistHamletsimStadttheater,jähinder Versenkung.Köstlich stille Tage mit belegten Butterbroten und selbstgemachtemKarto elsalattauchenvormirauf!Daseinfache Leben!DieirdischeLiebe!DerFriedederSeele!Endlich!Sauerkrautmeinetwegen,aberSauerkrautkannauchetwasHerrliches sein!MitAnanaszumBeispiel,inChampagnergekocht.Ichhabe eszwarnochniesogegessen,aberEduardKnoblochbehauptet,

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es sei ein Gericht für regierende Könige und Poeten.

«Gut,Gerda»,sage ich gemessen.«Wenn du es absolut willst, gehen wir imWald spazieren.»

VIII

Das DorfWüstringen prangt im Flaggenschmuck.Wir sind alle versammelt–GeorgundHeinrichKroll,KurtBachundich.Das Kriegerdenkmal wird eingeweiht,das wir geliefert haben.

DiePfarrerbeiderBekenntnissehabenmorgensinderKirche zelebriert;jederfürseineToten.DerkatholischePfarrerhatden Vorteil dabei gehabt;seine Kirche ist größer,sie ist bunt bemalt, hatbunteFenster,Weihrauch,brokateneMeßgewänderundweiß undrotgekleideteMeßdiener.DerProtestanthatnureineKapelle,nüchterne Wände,einfache Fenster,und jetzt steht er neben dem katholischen Gottesmann wie ein armer Verwandter. Der Katholik ist geschmückt mit Spitzenüberwürfen und umringt von seinen Chorknaben; der andere hat einen schwarzen Rock an,und das ist seine ganze Pracht.Als Reklamefachmann muß ichzugeben,daßderKatholizismusLutherindiesenDingenweit überlegen ist.Er wendet sich an die Phantasie und nicht an den Intellekt.SeinePriestersindangezogenwiedieZauberdoktoren bei den Eingeborenenstämmen; und ein katholischer Gottesdienst mit seinen Farben,seiner Stimmung,seinemWeihrauch, seinendekorativenGebräuchenistalsAufmachungunschlagbar. Der Protestant fühlt das; er ist dünn und trägt eine Brille. Der Katholik ist rotwangig,voll und hat schönes,weißes Haar.

Jeder von beiden hat für seine Toten getan, was er konnte. Leider sind unter den Gefallenen auch zwei Juden, die Söhne des Viehhändlers Levi. Für sie ist kein geistlicher Trost vor-

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handen. Gegen die Zuziehung des Rabbis haben beide gegnerischen Gottesmänner ihre Stimmen vereint – zusammen mit demVorsitzenden des Kriegervereins,Major a.D.Wolkenstein, einem Antisemiten,der fest davon überzeugt ist,daß der Krieg nur durch die Juden verloren wurde. Fragt man ihn warum, dann bezeichnet er einen sofort alsVolksverräter.Er war sogar dagegen, daß die Namen der beiden Levis auf die Gedenktafel eingraviertwürden.Erbehauptet,sieseienbestimmtweithinter der Front gefallen. Zum Schluß wurde er jedoch überstimmt. Der Gemeindevorsteher hatte seinen Einfluß geltend gemacht. Sein Sohn war 9 8 im ReservelazarettWerdenbrück an Grippe gestorben,ohne je im Felde gewesen zu sein.Er wollte ihn auch alsHeldenauf derGedenktafelhabenunderklärtedeshalb,Tod sei Tod und Soldat Soldat – und so bekamen die Levis die untersten zwei Plätze auf der Rückseite des Denkmals,da,wo die Hunde es wahrscheinlich anpissen werden.

Wolkenstein ist in voller kaiserlicher Uniform. Das ist zwar verboten, aber wer tut schon etwas dagegen? Die seltsame Verwandlung, die bald nach dem Wa enstillstand begann, ist immer weitergegangen. Der Krieg, den fast alle Soldaten 9 8 haßten, ist für die, die ihn heil überstanden haben, langsam zum großen Abenteuer ihres Lebens geworden.Sie sind in den Alltagzurückgekehrt,der,alssienochindenGräbenlagenund auf den Krieg fluchten, ihnen als Paradies erschien. Jetzt ist es wieder Alltag geworden, mit Sorgen und Verdruß, und dafür ist allmählich der Krieg am Horizont emporgestiegen,entfernt, überlebtunddadurchohneihrenWillenundfastohneihrZutun verwandelt,verschönertundverfälscht.DerMassenmordistzum Abenteuergeworden,demmanentkommenist.DieVerzweiflung istvergessen,dasElendistverklärt,undderTod,dereinennicht erreicht hat, ist das geworden, was er fast immer im Leben ist:

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etwas Abstraktes, aber nicht mehr Wirklichkeit. Wirklichkeit ist er nur,wenn er nahe einschlägt oder nach einem greift.Der Kriegerverein,der unter dem Kommando vonWolkenstein vor dem Denkmal aufmarschiert ist, war 9 8 pazifistisch; jetzt ist er bereits scharf national.Wolkenstein hat die Erinnerungen an den Krieg und das Kameradschaftsgefühl, das fast jeder hatte, geschickt in Stolz auf den Krieg umgewandelt.Wer nicht nationalistisch ist,beschmutzt das Andenken der gefallenen Helden

– dieser armen,mißbrauchten,gefallenen Helden,die alle gern noch gelebt hätten. Wie sie Wolkenstein von seinem Podium herunterfegenwürden,auf demergeradeseineRedehält,wenn sie es nur noch könnten! Aber sie sind wehrlos und sind das Eigentum von Tausenden von Wolkensteins geworden, die sie für die egoistischen Zwecke benützen,die sie unterWorten wie Vaterlandsliebe und Nationalgefühl verbergen.Vaterlandsliebe! Wolkensteinverstehtdarunter,wiederUniformzutragen,Oberst zu werden und weiter Leute in den Tod zu schicken.

ErdonnertmächtigvonderTribüneundistbereitsbeiminnerenSchweinehundangekommen,beimDolchstoßindenRücken, bei der unbesiegten deutschen Armee und beim Gelöbnis für unseretotenHelden,siezuehren,siezurächenunddiedeutsche Armee wieder aufzubauen.

Heinrich Kroll hört andächtig zu; er glaubt jedes Wort. Kurt Bach, der als Schöpfer des Löwen mit der Lanze in der Flanke auch eingeladen worden ist, starrt verträumt auf das verhüllte Denkmal. Georg sieht aus, als gäbe er sein Leben für eine Zigarre;undich,imgeborgtenkleinenGesellschaftsanzug,wollte, ich wäre zu Hause geblieben und schliefe mit Gerda in ihrem weinumrankten Zimmer, während das Orchestrion aus dem Altstädter Hof die SiamesischeWachtparade klimpert.

WolkensteinschließtmiteinemdreifachenHurra.DieKapelle

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intoniertdasLiedvomgutenKameraden.DerSängerchorsingt es zweistimmig. Wir alle singen mit. Es ist ein neutrales Lied, ohne Politik und Rache – einfach die Klage um einen toten Kameraden.

Die Pastoren treten vor. Die Hülle des Denkmals fällt. Kurt Bachs brüllender Löwe kauert oben darauf. Vier au iegende Bronzeadler sitzen auf den Stufen. Die Gedenktafeln sind aus schwarzemGranit,dieübrigenSteinesindquaderförmigbossiert. Es ist ein sehr teures Denkmal, und wir erwarten die Zahlung dafür heute nachmittag. Sie ist uns versprochen worden, und deshalb sind wir hier.Wenn wir sie nicht bekommen, sind wir nahezubankrott.DerDollaristinderletztenWocheumfastdas Doppelte gestiegen.

Die Pastoren segnen das Denkmal ein; jeder für seinen Gott. IchhabeimFelde,wennwirzumGottesdienstbefohlenwurden und die Pastoren der verschiedenen Bekenntnisse für den Sieg der deutschen Wa en beteten, oft darüber nachgedacht, daß ja ebenso englische,französische,russische,amerikanische,italienische und japanische Geistliche für die Siege derWa en ihrer Länder beteten, und ich habe mir Gott dann so vorgestellt wie eine Art von eiligem Vereinspräsidenten in Nöten, besonders wenn zwei gegnerische Länder des gleichen Bekenntnisses beteten. Für welches sollte er sich entscheiden? Für das mit den meistenEinwohnern?OderdasmitdenmeistenKirchen?Oder wo war seine Gerechtigkeit, wenn er ein Land gewinnen ließ, dasandereabernicht,obschonauchdortfleißiggebetetwurde? ManchmalkamermirauchvorwieeinabgehetzteralterKaiser übervieleStaaten,derdauerndzuRepräsentationenmußteund immer die Uniform zu wechseln hatte – jetzt die katholische, danndieprotestantische,dieevangelische,dieanglikanische,die episkopalische, die reformierte, je nach dem Gottesdienst, der

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gerade gehalten wurde, so wie ein Kaiser bei den Paraden von Husaren,Grenadieren,Artillerie und Marine.

DieKränzewerdenniedergelegt.Wirhabenaucheinendabei, im Namen der Firma. Wolkenstein stimmt mit seiner überschnappenden Stimme das Lied «Deutschland, Deutschland über alles» an. Das scheint im Programm nicht vorgesehen zu sein; die Musik schweigt,und nur ein paar Stimmen fallen ein. Wolkensteinwirdrotunddrehtsichwütendum.InderKapelle beginnenderTrompeterunddanndasEnglischhorndieMelodie zuübernehmen.BeideübertönenWolkenstein,derjetztmächtig winkt. Die anderen Instrumente finden sich, und ungefähr die HälfteallerVersammeltensingtallmählichmit;aberWolkenstein hatzuhochangefangen,undeswirdeinziemlichesQuietschen. Zum Glück greifen die Damen ein. Sie stehen zwar im Hintergrund,dochsierettendieSituationundbringendasLiedsieghaft zu Ende.Ohne zu wissen warum,fällt mir Renée de la Tour ein

– sie hätte es allein gekonnt.

NachmittagsbeginntdergemütlicheTeil.Wirmüssennochbleiben,dawirunserGeldnochnichtbekommenhaben.Durchdie langepatriotischeRedeWolkensteinshabenwirdenDollarkurs vom Mittag versäumt – wahrscheinlich ein erheblicherVerlust. Esistheiß,unddergeborgtekleineBesuchsanzugistmirzueng umdieBrust.AmHimmelstehendickeweißeWolken,auf dem TischstehendickeGläsermitSteinhäger-Schnapsunddaneben lange Glasstangen mit Bier. Die Köpfe sind rot, die Gesichter glitzern von Schweiß.Das Festessen für die Toten war fett und reichlich. Am Abend soll großer patriotischer Ball im Niedersächsischen Hof sein. Überall hängen Girlanden aus Papier, Fahnen,natürlichschwarzweißrote,undKränzeausTannengrün. Nur am letzten Hause des Dorfes hängt aus dem Bodenfenster

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