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Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk

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08.06.2015
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EinMausoleum!»sagtFrauNiebuhr.«EinMausoleumundnichts anderes!»

«Gut»,erwidere ich.«Also ein Mausoleum.»

Die kleine, verschüchterte Frau hat sich in der kurzen Zeit, seit Niebuhr tot ist, stark verändert. Sie ist scharf, redselig und zänkisch geworden und eigentlich bereits eine ziemliche Pest. Ich verhandle seit zweiWochen mit ihr über ein Denkmal für denBäckerunddenkejedenTagmilderüberdenVerstorbenen. Manche Menschen sind gut und brav,solange es ihnen schlecht geht, und sie werden unausstehlich, wenn sie es besser haben, besonders in unserm geliebtenVaterlande; die unterwürfigsten undschüchternstenRekrutenwurdendaspäteroftdiewüstesten Untero ziere.

«Sie haben ja keine zurAnsicht»,sagt Frau Niebuhr spitz. «Mausoleen»,erkläreich,«gibtesnichtzurAnsicht.Diewerden nach Maß angefertigt wie die Ballkleider von Königinnen.Wir haben ein paar Zeichnungen dafür da und müssen vielleicht sogar eine Extrazeichnung für Sie entwerfen.»

«Natürlich!EsmußetwasganzBesonderessein.Sonstgeheich zu Hollmann und Klotz.»

«Ich ho e, Sie sind schon dort gewesen. Wir haben es gern, wenn unsere Kunden sich bei der Konkurrenz informieren.Bei einem Mausoleum kommt es ja nur auf die Qualität an.»

Ichweiß,daßsiedortgewesenist.DerReisendevonHollmann und Klotz, Tränen-Oskar, hat es mir erzählt. Wir haben ihn kürzlichgetro enundversucht,ihnzumVerräterzumachen.Er schwanktnoch,aberwirhabenihmhöhereProzenteangeboten als Hollmann und Klotz,und um sich während der Bedenkzeit freundlichzuerweisen,arbeitetereinstweilenfürunsalsSpion. «Zeigen Sie mir Ihre Zeichnungen!» befiehlt Frau Niebuhr wie

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eine Herzogin.

Wir haben keine,aber ich hole ein paar Kriegerdenkmalsentwürfehervor.Siesinde ektvoll,einundeinhalbMeterhoch,mit KohleundbunterKreidegezeichnetundmitstimmungsvollem Hintergrund geschmückt.

«Ein Löwe», sagt Frau Niebuhr. «Er war wie ein Löwe! Aber wie ein springender, nicht wie ein sterbender. Es müßte ein springender Löwe sein.»

«WiewäreesmiteinemspringendenPferd?»frageich.«Unser Bildhauer hat darin vor einigen Jahren den Wanderpreis von Berlin-Teplitz gewonnen.»

Sie schüttelt den Kopf.«EinAdler»,sagt sie nachdenklich. «EinwirklichesMausoleumsollteeineArtKapellesein»,erkläre ich.«BunteScheibenwieeineKirche,einMarmorsarkophagmit einembronzenenLorbeerkranz,eineMarmorbankzumAusruhenundzumstillenGebetfürSie,rundherumBlumen,Zypressen,Kieswege,einVogelbad für unsere gefiederten Sänger,eine Grabeinfassung von niedrigen Granitsäulen und Bronzeketten, eineschwereEisentürmitdemMonogramm,demFamilienwappen oder demWahrzeichen der Bäckerinnung –»

FrauNiebuhrlauscht,alsspieleMoritzRosenthaleinNocturne von Chopin. «Klingt ganz gut», sagt sie dann. «Aber haben Sie nicht etwas Originelles?»

Ich starre sie ärgerlich an. Sie starrt kalt zurück – das Urbild des ewigen Kunden mit Geld.

«EsgibtschonoriginelleSachen»,erwidereichsanftundgiftig. «ZumBeispielsolchewieaufdemCampoSantoinGenua.Unser Bildhauer hat dort jahrelang gearbeitet. Eines der Glanzstücke ist von ihm – eine weinende Frauengestalt,über einen Sarg gebeugt, im Hintergrund der auferstandene Tote, der von einem Engel himmelwärts geführt wird. Der Engel sieht zurück und

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segnet mit der freien Hand die trauernde Hinterbliebene.Alles das in weißem carrarischem Marmor, der Engel entweder mit angelegten oder ausgebreiteten Flügeln –»

«Ganz nett.Was gibt es sonst noch?»

«ManstellthäufigauchdenBerufdesVerschiedenendar.Man könntezumBeispieleinenBäckermeisterbeimBrotknetenaushauen.Hinter ihm steht der Tod und tippt ihm auf die Schulter. Der Tod kann mit oder ohne Sense gezeigt werden, entweder in ein Bahrtuch gekleidet,oder aber nackt,das heißt in diesem Falle als Gerippe,eine sehr schwierige bildhauerische Leistung, besonders bei den Rippen,die ja einzeln sehr vorsichtig ausgemeißelt werden müssen,damit sie nicht brechen.»

Frau Niebuhr schweigt, als erwarte sie mehr. «Die Familie kann natürlich auch noch hinzugefügt werden», fahre ich fort. «Betend zur Seite oder schreckerfüllt dem Tode wehrend. Das sind aber Objekte,die in die Billionen gehen und ein oder zwei JahreArbeiterfordern.EingroßerVorschußundRatenzahlungen wären dazu unerläßlich.»

Ich habe plötzlichAngst,daß sie einen derVorschläge annehmenkönnte.KurtBachkannhöchstenseinenwindschiefenEngel modellieren;aber viel weiter geht seine Kunst nicht.Immerhin, zur Not könnten wir die Bildhauerarbeiten anderswo bestellen. «Und sonst?» fragt Frau Niebuhr unerbittlich.

Ichüberlege,obichdiesemunbarmherzigenTeufeletwasvon dem Grabmal in Form eines Sarkophags erzählen soll, dessen Deckel sich etwas verschoben hat und aus dem eine skelettige Handherausgreift–aberichlassees.UnserePositionensindzu ungleich; sie ist der Käufer und ich bin der Verkäufer,sie kann mich schikanieren,ich sie nicht – denn vielleicht kauft sie doch etwas.

«Das wäre alles für denAugenblick.»

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Frau Niebuhr wartet noch einen Moment. «Wenn Sie weiter nichts haben,muß ich zu Hollmann und Klotz gehen.»

SiesiehtmichmitihrenKäferaugenan.DenTrauerschleierhat sieüberdenschwarzenHutemporgeschlagen.Sieerwartet,daß ich jetzt ein wildes Theater mache.Ich tue es nicht.«Sie werden uns damit einVergnügen machen»,erkläre ich statt dessen kalt. «EsistunserPrinzip,dieKonkurrenzheranzuziehen,damitman sieht, wie leistungsfähig unsere Firma ist. Bei Aufträgen mit so vielBildhauerarbeitkommtesnatürlichsehraufdenKünstleran, sonsthatmanplötzlich,wiekürzlichbeiderArbeiteinesunserer Konkurrenten, dessen Namen ich verschweigen möchte, einen EngelmitzweilinkenFüßen.AuchschielendeMütterGottessind schon dagewesen und ein Christus mit elf Fingern.Als man es merkte,war es dann zu spät.»

Frau Niebuhr läßt den Schleier herunter wie einen Theatervorhang.«Ich werde schon aufpassen!»

Ich bin überzeugt, daß sie das tun wird. Sie ist ein gieriger Genießer ihrer Trauer und schlürft sie in vollen Zügen. Es wird noch lange dauern, bis sie etwas bestellt; denn solange sie sich nicht entscheidet, kann sie alle Grabsteingeschäfte drangsalieren – nachher aber nur noch das eine, bei dem sie bestellt hat. Sie ist jetzt gewissermaßen noch ein flotter Junggeselle der Trauer – später ist sie wie ein verheirateter Mann, der treu sein muß.

Der Sargtischler Wilke kommt aus seiner Werkstatt. In seinem Schnurrbart hängen Hobelspäne.Er hält ein Kistchen appetitlicher Kieler Sprotten in der Hand und ißt sie schmatzend.

«Wie denken Sie über das Leben?» frage ich ihn.

Er hält an.«Morgens anders als abends,imWinter anders als imSommer,vordemEssenandersalsnachher,undinderJugend

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wahrscheinlich anders als imAlter.» «Richtig.Endlich eine vernünftigeAntwort!»

«Na schön, wenn Sie es wissen, weshalb fragen Sie denn noch?»

«Fragenbildet.Außerdemfrageichmorgensandersalsabends, imWinterandersalsimSommer,undvordemBeischlaf anders als nachher.»

«NachdemBeischlaf»,sagtWilke.«Richtig,daistimmeralles anders! Das hatte ich ganz vergessen.»

IchverbeugemichvorihmwievoreinemAbt.«Gratulierezur Askese!SiehabendenStacheldesFleischesalsoschonüberwunden!Wer auch soweit wäre!»

«Unsinn! Ich bin nicht impotent. Aber die Weiber sind komisch,wenn man Sargtischler ist.Grauen sich.Wollen nicht in dieWerkstatt rein,wenn ein Sarg drinsteht.Nicht einmal,wenn man Berliner Pfannkuchen und Portwein auftischt.»

«Woauftischt?»frageich.«Auf demunfertigenSarg?Auf dem polierten doch sicher nicht;Portwein macht Ringe.»

«AufderFensterbank.AufdemSargkannmansitzen.Dabeiist esdochnochgarkeinSarg.EinSargwirdeserst,wenneinToter drin liegt.Bis dahin ist es nur ein Stück Tischlerarbeit.» «Stimmt. Aber es ist schwer, das immer auseinanderzuhalten!»

«Eskommtdaraufan.Einmal,inHamburg,hatteicheineDame, der war es egal.Es machte ihr sogar Spaß.Sie war scharf drauf. IchfülltedenSarghalbvollmitweichenweißenHobelspänenaus Tanne,die riechen immer so romantisch nachWald.Alles ging gut.Wir hatten mächtigen Spaß,bis sie wieder herauswollte.Da war irgendwo noch etwas von dem verdammten Leim an einer StelleaufdemBodennichtganztrockengewesen,dieHobelspäne hatten sich verschoben,und die Haare der Dame waren in den

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Leim geraten und festgeklebt.Sie ruckte ein paarmal,und dann ging das Schreien los.Sie glaubte,es wären Tote,die sie bei den Haarenfesthielten.Sieschrieundschrie,undLeutekamen,mein Meister auch, sie wurde freigemacht, und ich flog aus meiner Stellungheraus.Schade–eshätteeineschöneBeziehungwerden können;das Leben ist nicht leicht für unsereins.»

WilkewirftmireinenwildenBlickzu,grinstkurzundscharrt genußvoll in seinem Kistchen, ohne es mir anzubieten. «Ich kenne zwei Fälle von Sprottenvergiftung»,sage ich.«Das ist ein grauenhafter,langwieriger Tod.»

Wilke winkt ab. «Diese hier sind frisch geräuchert. Und sehr zart.Eine Delikatesse.Ich teile sie mit Ihnen,wenn Sie mir ein nettes,unvoreingenommenesMädchenverscha en–sowiedie mit dem Sweater,die Sie jetzt öfter abholen kommt.»

IchstarredenSargtischleran.ErmeintzweifellosGerda.Gerda, auf die ich gerade warte. «Ich bin kein Mädchenhändler», sage ichscharf.«AberichwillIhneneinenRatgeben.FührenSieIhre Damen anderswohin und nicht gerade in IhreWerkstatt.» «Wohindenn?»WilkestochertnachGräteninseinenZähnen. «DaliegtjaderHaken!IneinHotel?Zuteuer.DazudieAngstvor Polizei-Razzien.IndiestädtischenAnlagen?WiederdiePolizei! Hier in den Hof? Da ist meineWerkstatt doch noch besser.» «Haben Sie keineWohnung?»

«Mein Zimmer ist nicht sturmfrei. Meine Vermieterin ist ein Drache.VorJahrenhabeichmalwasmitihrgehabt.Inäußerster Not,verstehenSie?Nurkurz–aberderSatanistheute,zehnJahre später,noch eifersüchtig.Mir bleibt nur dieWerkstatt.Also,wie istesmiteinemFreundschaftsdienst?StellenSiemichderDame im Sweater vor!»

IchzeigestummaufdasleergefresseneSprottenkistchen.Wilke wirftesindenHof undgehtzumWasserhahn,umsichdiePfo-

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ten zu waschen.«Ich habe oben noch eine Flasche erstklassigen Portwein-Verschnitt.»

«Behalten Sie das Gesö für Ihre nächste Bajadere.»

«BisdahinwirdTintedaraus.AberesgibtnochmehrSprotten in derWelt als dieses eine Kistchen.»

Ichzeigeauf meineStirnundgeheinsBüro,ummireinenZeichenblockundeinenKlappsesselzuholenundfürFrauNiebuhr einMausoleumzuentwerfen.IchsetzemichnebendenObelisken

– so kann ich gleichzeitig das Telefon hören und die Straße und denHofüberblicken.DieZeichnungdesDenkmalswerdeichmit derInschriftschmücken:Hierruhtnachlangem,schweremLeiden derMajora.D.Wolkenstein,gestorbenimMai 923.

Eines der Knopfmädchen kommt und bestaunt meineArbeit. Es ist einer der Zwillinge,die kaum zu unterscheiden sind.Die Mutter kann es,am Geruch,Knopf ist es egal,und von uns anderen kann es keiner genau.Ich versinke in Gedanken darüber, wie es sein müßte,wenn man einen Zwilling heiratete und der zweite wohnte im selben Hause.

Gerdaunterbrichtmich.SiestehtimHofeingangundlacht.Ich legemeineZeichnungbeiseite.DerZwillingverschwindet.Wilke hörtauf,sichzuwaschen.ErzeigthinterGerdasRückenauf das leereSprottenkistchen,dasdieKatzedurchdenHofschiebt,dann auf sich und hebt zwei Finger.Dazu flüstert er lautlos:«Zwei.» Gerda trägt heute einen grauen Sweater, einen grauen Rock undeineschwarzeBaskenmütze.Siesiehtnichtmehrauswieein Papagei;sieisthübschundsportlichundguterLaune.Ichblicke siemitneuenAugenan.EineFrau,dieeinandererbegehrt,auch wennesnureinliebestollerSargtischlerist,wirdsofortkostbarer alsvorher.DerMenschlebtnuneinmalvielmehrvomrelativen als vom absolutenWert.

«Warst du heute in der Roten Mühle?» frage ich.

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Gerda nickt. «Eine Stinkbude! Ich habe da geprobt. Wie ich diese Lokale mit dem kalten Tabakqualm hasse!»

Ich sehe sie beifällig an. Wilke hinter ihr knöpft sein Hemd zu,streicht sich die Hobelspäne aus dem Schnurrbart und fügt seinem Angebot drei Finger hinzu. Fünf Kistchen Sprotten! Ein schönes Angebot, aber ich beachte es nicht. Vor mir steht das Glück einerWoche,klar,fest,ein Glück,das nicht schmerzt

– das einfache Glück der Sinne und der gemäßigten Phantasie, das kurze Glück eines Nachtklub-Engagements von vierzehn Tagen,einGlück,dasschonhalbvorüberist,dasmichvonErna erlöst hat und das selbst Isabelle zu dem gemacht hat, was sie sein sollte:eine Fata Morgana,die nicht schmerzt und die keine Wünsche weckt,die unerfüllbar sind.

«Komm,Gerda»,sage ich voll plötzlich aufschießender sachlicherDankbarkeit.«Laßunsheuteerstklassigessengehen!Bist du hungrig?»

«Ja,sehr.Wir können irgendwo –»

«Nichts von Karto elsalat heute und nichts von Würstchen! Wir werden hervorragend essen und ein Jubiläum feiern: die Mitte unseres gemeinsamen Lebens.Vor einerWoche warst du zum erstenmal hier;in einerWoche wirst du mir vom Bahnhof aus Lebewohl zuwinken. Laß uns das erste feiern und an das zweite nicht denken!»

Gerdalacht.«IchhabeauchgarkeinenKarto elsalatmachenkönnen.ZuvielArbeit.ZirkusistwasanderesalsblödesKabarett.» «Gut, dann gehen wir heute ins ,Walhalla‘. Ißt du gern Gulasch?»

«Ich esse gern»,erwidert Gerda.

«Das ist es! Laß uns dabei bleiben! Und nun auf zum Fest der großen Mitte unseres kurzen Lebens!»

Ich werfe den Zeichenblock durch das o ene Fenster auf den

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Schreibtisch. Im Weggehen sehe ich noch Wilkes maßlos enttäuschte Visage. Mit trostlosem Ausdruck hält er beide Hände hoch – zehn Kistchen Sprotten – einVermögen!

«Warum nicht?» sagt Eduard Knobloch kulant zu meinem Erstaunen.IchhatteerbittertenWiderstanderwartet.DieEßmarken geltennurfürmittags,abernacheinemBlickaufGerdaistEduard nichtnurbereit,sieauchfürheuteabendzuakzeptieren,erbleibt sogar am Tisch stehen:«Würdest du mich bitte vorstellen?» Ich bin in einer Zwangslage. Er hat die Eßmarken akzeptiert

– also muß ich ihn akzeptieren. «Eduard Knobloch, Hotelier, Restaurateur,Poet,BillionärundGeizhals»,erkläreichnachlässig. «Fräulein Gerda Schneider.»

Eduard verneigt sich,halb geschmeichelt,halb verärgert. «Glauben Sie ihm nichts von allem,gnädiges Fräulein.» «Auch nicht deinen Namen?» frage ich.

Gerda lächelt.«Sie sind Billionär?Wie interessant!»

Eduard seufzt. «Nur ein Geschäftsmann mit allen Sorgen eines Geschäftsmannes. Hören Sie nicht auf diesen leichtfertigen Schwätzer da! Und Sie? Ein schönes, strahlendes Ebenbild Gottes,sorgenloswieeineLibelleüberdendunklenTeichender Schwermut schwebend –»

Ichglaube,nichtrechtgehörtzuhaben,undglotzeEduardan, als hätte er Gold gespuckt. Gerda scheint heute eine magische Anziehungskraft zu haben.«Laß die Stuckornamente,Eduard», sage ich. «Die Dame ist selbst Künstlerin. Bin ich der dunkle Teich der Schwermut?Wo bleibt das Gulasch?»

«Ichfinde,HerrKnoblochsprichtsehrpoetisch!»Gerdaschaut Eduard mit unschuldiger Begeisterung an.«Wie finden Sie nur Zeit dafür? Mit so einem großen Haus und so vielen Kellnern! Sie müssen ein glücklicher Mensch sein! So reich und begabt

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dazu.»

«Esgeht,esgeht!»EduardsGesichtglänzt.«So,Künstlerin,Sie auch –»

Ichsehe,wieervoneinemplötzlichenMißtrauenerfaßtwird. Der Schatten Renée de la Tours gleitet ohne Zweifel vorüber, wie eineWolke über den Mond.«Seriöse Künstlerin,nehme ich an»,sagt er.

«Seriöser als du», erwidere ich. «Fräulein Schneider ist auch keine Sängerin, wie du gerade geglaubt hast. Sie kann Löwen durch Reifen jagen und auf Tigern reiten.Und nun vergiß den Polizisten, der in dir, als echtem Sohn unseres geliebten Vaterlandes,steckt,und tisch auf!»

«So,LöwenundTiger!»EduardsAugenhabensichgeweitet.«Ist das wahr?» fragt er Gerda.«Dieser Mensch dort lügt so oft.» IchtreteihrunterdemTischaufdenFuß.«IchwarimZirkus», erwidert Gerda, die nicht versteht, was dabei so interessant ist. «Und ich gehe wieder zum Zirkus zurück.»

«Was gibt es zu essen, Eduard?» frage ich ungeduldig. «Oder müssenwirersteinenganzenLebenslaufinvierAusfertigungen einreichen?»

«Ichwerdeeinmalpersönlichnachsehen»,sagtEduardgalant zu Gerda.«Für solche Gäste! Der Zauber der Manege!Ah!VerzeihenSieHerrnBodmerseinerratischesBenehmen.Eristunter Torfbauern im Kriege aufgewachsen und hat seine Erziehung einem hysterischen Briefträger zu verdanken.»

Erwatscheltdavon.«EinstattlicherMann»,erklärtGerda.«Ist er verheiratet?»

«Er war es.Seine Frau ist ihm davongelaufen,weil er so geizig ist.»

Gerda befühlt den Damast des Tischtuches. «Sie muß eine dumme Person gewesen sein», sagt sie träumerisch. «Ich habe

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