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Die funktionale und stilistische Differenzierung des Wortschatzes und die Stilwerte der Wortgruppen

Der recht umfangreiche Wortschatz der deutscher Sprache, der bisher nicht einmal wissenschaftlich hinlänglich erfaßt werden konnte17, steht nicht allen Sprechern in gleichem Maße zur Verfügung. Abgesehen davon, daß wohl kein Mensch eine so ungeheure Leistung vollbringen kann, einige hunderttausend Wörter in seinem Gedächtnis aufzubewahren – der aktive Durchschnittswortschatz liegt bei 3000-10000 Wörtern, Sprachkünstler und Gelehrte verwenden etwa die doppelte Zahl18, der passive Wortschatz dürfte das Mehrfache davon betragen –, begegnen die meisten Wörter bis auf einen »Grundwortschatz«19 von 1000-5000 Wörtern in recht unterschiedlichen Sprachbereichen, z.B. Fachwortterminologien, sozialen Wortschichtungen u.dgl., die nicht allen Sprechern in gleicher Weise vertraut sind.

Die Stilwirkung eines Textes hängt oft gerade von der gruppenmäßigen Herkunft der verwendeten Wörter ab. Deshalb erscheint es sinnvoll, die

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möglichen, stilistisch wichtigen Wortschatzgruppierungen, die bevorzugten Anwendungsbereiche des jeweiligen Wortschatzes und die allgemeinen Stilwirkungen solcher Wörter kennenzulernen.

Der Wortschatz kann verschieden gegliedert werden. Die alphabetischen Anreihungen der großen Wörterbücher20 müssen dabei unbeachtet bleiben, da sie über kein spezielles Gliederungsprinzip verfügen. Nur in Einzelfällen (bei Zusammensetzungen, z.T. auch bei Ableitungen) wird auf den Zusammenhang einzelner Wortfamilien verwiesen, die Wörter mit gleichem Wortstamm umfassen und so die gleiche Etymologie aufweisen, selbst wenn die Wortartendifferenzierung Bedeutungsdifferenzierungen mit sich gebracht hat (vgl. z.B. geben – Gabe – Gift – angeben – Rückgabe usw.).

Eine mehr grammatisch-morphematische Aufgliederung kann nach der Wortbildung und den Wortarten erfolgen. Sie hat innerhalb dieses Bereichs weitere Gruppierungen zu beachten, z.B. Konkreta, Abstrakta, einfache Bildungen, Ableitungen, Komposita usw.

Die häufigste Form der Wortschatzgliederung ist die Differenzierung nach Bedeutungsgruppen. Dabei sind mehrere Ausgangspunkte möglich: die Gliederung der außersprachlichen Wirklichkeit, die Denk- und Vorstellungsbereiche und -begriffe, die feldmäßige Gliederung nach bestimmten Leitwörtern, die gruppenmäßige Verwendung sowie die Differenzierung nach Stilwerten.

Eine Wortschatzgliederung nach Sachgruppen21 der außersprachlichen Wirklichkeit ist mitunter schwierig, weil diese nur in Wortbegriffen sprachlich faßbar ist; stilistisch ist allenfalls von Interesse, daß für bestimmte Gegenstände oder Vorgänge mehrere Bezeichnungen üblich sind (begriffliche Synonyme). Diese Erkenntnisse gewinnen wir aus jedem Synonymwörterbuch22, das synonyme oder annähernd synonyme Wörter mit gleichem Sachbezug sammelt, ebenso wie aus Wörterbüchern, die nach Begriffsbereichen aufgeteilt und bis hin zu den Einzelbegriffen bzw. -namen verästelt sind.23

Die Sammlung aller Wörter für bestimmte Sach- und Begriffsbereiche hat die Wortforschung zu Einsichten über eine feldmäßige Gliederung des Wortschatzes geführt.24 Innerhalb bestimmter Vorstellungs- und Bezeichnungsbereiche (Sinnbezirke) ergaben sich häufig Differenzierungen nach Einzelvorstellungen und Bezeichnungen, die mit der benennungsmäßigen Aufteilung eines Feldes (der Gesamtheit der Wörter des Sinnbezirks) vergleichbar sind und zumeist als Wortfeld bezeichnet werden.

Ein Muster eines solchen, allerdings stilistisch neutralen Wortfeldes ist z.B. in den Farbbezeichnungen gegeben. Sie beruhen auf traditionellen Übereinkünften in der Sprachgemeinschaft, zeigen aber keine scharfe Abgrenzung der Wortbedeutungen, etwa zwischen rot, orange und gelb. Ähnlich verhält es sich bei anderen Wortfeldern. Einige sind reich gegliedert, andere weniger. Eine große Zahl von Wortfeldern setzt sich aus Wörtern von unterschiedlichem Stilwert zusammen, wenn man die Ausdrücke für die gleiche Sache in den verschiedenen Verwendungsschichten

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und -situationen heranzieht. Ein differenziertes, stilistisch interessantes Wortfeld ist z.B. bei den begrifflichen Synonymen für sterben gegeben, die L. Weisgerber25 in drei Schichten einteilte. Die erste enthält die Wörter sterben, verenden, eingeben als Bezeichnungen des Vorgangs der Beendigung des Lebens beim Menschen bzw. beim Tier oder der Pflanze. Eine weitere Schicht charakterisiert diesen Vorgang durch die Nennung der Ursachen und Begleitumstände des Sterbens, z.B.: ertrinken, erfrieren, ersticken, verbrennen, verhungern, verdursten, fallen sowie durch die verhältnismäßig neutralen, ursprünglich metaphorischen Ausdrücke: zugrunde gehen, umkommen, (dem Leiden) erliegen. Zu den beiden genannten Synonymgruppen zählen zumeist stilistisch verhältnismäßig neutrale Ausdrücke, lediglich die drei letzten Verben enthalten bereits eine gewisse Stilisierung, eine subjektive Charakterisierung und Wertung des Geschehens.

Vollends dominiert eine wertende und damit stilistisch besonders interessante Sicht bei den Verben der dritten Gruppe dieses Wortfeldes, in der so unterschiedlich wirkende Wörter wie: heimgehen, hinübergehen, entschlafen, entschlummern, einschlafen, verscheiden, ableben, erlöschen, verröcheln, abkratzen, draufgehen, verrecken, krepieren u.ä. vertreten sind. Wir haben es hier größtenteils mit metaphorischen Bildungen zu tun, bei denen unterschiedliche Motivationen und Blickweisen angenommen werden müssen: eine religiöse Sichtweise bei heimgehen, hinübergehen, eine euphemistische Ausdrucksweise bei entschlafen, entschlummern, einschlafen, die Sicht des Abschieds bei verscheiden, der Beendigung des Lebens in ableben, das Bild des Lebenslichtes bei erlöschen, während die restlichen Ausdrücke meistens Übertragungen aus dem Bezeichnungsbereich der Tierwelt sind, die, in den menschlichen Bereich übernommen, eine negative, oft brutale Einschätzung und Stilfärbung verraten.

Der gleiche Vorgang kann so stilistisch reche unterschiedlich gekennzeichnet werden. Hier handelt es sich nicht, wie bei grammatischen oder syntaktischen Synonymen oder auch bei stilistisch neutralen Synonymen, um das Nebeneinader gleichwertiger Ausdrücke, sondern um Ausdrucksvarianten, die im einzelnen der stilistischen Entscheidung und Interpretation bedürfen.

Wortfelder sind keineswegs einheitlich differenziert. In einigen decken sich allgemeinere (nullexpressive) und besondere (expressive) Ausdrücke und können einander ersetzen; andere Wortfelder kennen nur das Nebeneinander nichtaustauschbarer Wörter. Manche Synonymbereiche werden durch zahlreiche bildhafte Redewendungen ergänzt, andere hingegen nicht.

Bei einer Reihe von Wortfeldern kommen Synonyme aus den Soziolekten der sozialen Unterschicht oder aus dem Jargon asozialer Gruppen hinzu, so bei Deliktwörtern wie stehlen, betrügen u.ä.

Der Wortschatz der Sondersprache solcher Gruppen wird in der Regel in besonderen Wörterbüchern erfaßt26, teilweise erreicht er über die Umgangs-

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sprache allgemeine Verbreitung und wird deshalb in den Wörterbüchern der Umgangssprache aufgezeichnet.27 Einige Wörter dieser »Sondersprachen« sind über verschiedene Zwischenstufen in die Umgangssprache eingedrungen; so gelangten zahlreiche ursprünglich hebräische Wörter aus der Sprache jüdischer Händler über die »Gaunersprache« und die »Studentensprache« früherer Zeiten oder über Mundarten in die Umgangssprache, zuweilen sogar in die Hochsprache.

Für das hebr. mogal (treulos sein) z.B., das zu nhd. mogeln wurde28 und als Ausdruck unehrlichen Verhaltens bei Karten-, Würfel-, Geschicklichkeitsspielen allgemein bekannt ist, ist dieser Weg nachgewiesen worden. Mitunter haftet solchen Wörtern die Stilfärbung der unterschiedlichen Herkunftbereiche noch an und kommt bei einer inadäquaten Verwendung, etwa in gehobener Sprechweise, um so drastischer zur Geltung-

Beim Wortschatz bestimmter Gruppen haben wir es mit dem regionalen, fachsprachlichen und schichtenspezifischen Wortschatz zu tun, also mit landschaftlich, beruflich und soziologisch bestimmten Herkunfts- und Verwendungsbereichen der Wörter. Häufig gehen mit dieser Wortverwendung ähnlich gruppengebundene grammatische Abweichungen von der Hochsprache einher; im Falle des mundartlichen Wortschatzes z.B. mundartliche Laut- und Flexionsformen, doch zeichnen sich manche Texte gerade durch den Kontrast von mundartlichem Wortschatz und hochsprachlicher grammatischer Einbettung aus.

Als herkunftsbedingte Sondergruppe sind die Fremdwörter anzusehen, Wörter aus anderen Sprachen, die ohne lautliche und grammatische Umformung in deutsch geschriebenen bzw. gesprochenen Texten verwendet werden. Nach dem unterschiedlichen Alter und Häufigkeitsgrad lassen sich die Gruppen der seltener gebrauchten Archaismen und der Neologismen unterscheiden. Auch sie können stilbestimmend sein.

Schließlich ist noch auf die große Zahl von Wortbildern (Vergleichen, Metaphern) und bildhaften Wendungen hinzuweisen, die als wichtige semantische Stilmittel die stilistischen Möglichkeiten des Wortschatzes bereichern.

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