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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Die Verwendung des Passivs

Wie der Konjunktiv, so ist auch das Passiv keine dominierende Ausdrucksweise. Ebenso wie wir die Welt vorwiegend als tatsächlich gegeben zu erfassen suchen, rücken wir unser aktivisches Verhältnis zu diesen Gegebenheiten in den Vordergrund unseres Denkens und Sprechens. Begünstigt wird diese Aussage dadurch, daß in den intransitiven Vorgangs- und Zustandssätzen auch die Seinsverhältnisse der Dinge aktivisch ausgesagt werden können: Die Blumen blühen (und werden nicht »geblüht«, allenfalls »zum Blühen gebracht«, »veranlaßt« usw.). Die Suppe kocht (aber: »wird gekocht«).

Die Kausalitäts- und Beziehungsverhältnisse erlauben jedoch nicht nur aktivische sprachliche Darstellungen, selbst wenn wir eigene Befindlichkeiten aussagen. Schließlich empfinden wir auch fremde Aktivitäten, die auf uns einwirken: Wir wurden von einem Unwetter überrascht. Außerdem lassen sich Beziehungsverhältnisse nicht einfach vertauschen: Deutschland wurde 1945 besiegt, die Alliierten haben es besiegt.

Gibt der Sprecher dem einen, oder dem anderen Genus verbi den Vorzug, so vermittelt er eine bestimmte Sicht der Dinge, beweist aber mitunter auch die eigene stilistische Vorliebe für eine bestimmte Betrachtungs- und Ausdrucksweise: die Betonung des Handelns und subjektbestimmten Geschehens bei der Bevorzugung des Aktivs, die Betonung des Vollzugs von Prozessen oder Ereignissen und die Ausklamrnerung des handelnden oder verantwortlichen Subjekts bei der Wahl des Passivs.

Über den Anteil passivischer Verben an der Gesamtzahl finiter Verben gibt es kaum Untersuchungen.68 Er dürfte in den einzelnen Textsorten unterschiedlich groß sein und wohl nur in wenigen den Anteil aktivischer Verben erreichen oder übersteigen. Solche passivbevorzugenden Texte sind etwa Behördenbekanntmachungen:

Alle Hundebesitzer werden aufgefordert, die ausstehende Hundesteuer bis zum 15. II. bei der Stadtkasse einzuzahlen. Der Stadtdirektor

(öffentliche Steuermahnung)

Der Auffordernde fordert hier kraft seines Amtes und im Namen der kommunalen Behörde, die er vertritt. Nach alter Stiltradition deutscher Behörden vermeidet er es deshalb, sich oder seine Behörde als Subjekt zu nennen. Weniger sinnvoll erscheint es, wenn auch einzelne Behördenangestellte diese anonyme, passivische Stilform wählen, selbst wenn diese zuweilen höflicher wirken soll als eine persönliche Einladung (Sie werden gebeten . . .).

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Als weitere Textsorten mit passivischen Satzforrnen kommen Tätigkeitsanleitungen oder -beschreibungen u.ä. in Betracht, sofern sie sich nicht oder nicht nur imperativischer oder infinitivischer Formen bedienen (vgl. S. 93). Hier kann der passivische Ausdruck mit aktiven Sätzen mit »man« wechseln:

Vor dem Zusammenbau des Geräts sortiert man die Einzelteile, dann werden sie nach den Angaben der beiliegenden Zeichnung in die Halterangen eingesehraubt ...

Auch in Kochrezepten u.ä. tritt mitunter das Passiv auf:

Das Mehl wird fein gesiebt and der Milch beigefügt ...

Passivische Sätze sind auch in allen Folgebeschreibungen (Berichten etc.) üblich:

Durch den heftigen Luftdruck wurden die Fenster im Umkreis von 200 Metern eingedrückt. Personen wurden nicht verletzt, Häuser nicht beschädigt.

Ebenso stehen in Lagebeschreibungen häufig Passivsätze:

Das Gebiet wird begrenzt durch ... Die Sicht wird durch die Bäume behindert.

Wiederholte Passivverwendung bedingt allerdings die Häufung von »werden«-Formen, die gegen das Stilprinzip der Ausdrucks Variation verstößt. Ältere Stillehren warnten wegen der Gefahr des anonymen Ausdrucks und der Wiederholungen vor der Passivverwendung; doch entbehrte die Sprachgemeinschaft eines wichtigen Ausdrucks- und Stilmittels, wenn sie auf diese Formen verzichtete.

Daß wir es hier mit einer besonders leistungsfähigen Aussageform zu tun haben, bestätigt die Verwendung in theoretischen (wissenschaftlichen) Texten, in denen sonst das Aktiv dominiert. Neben den reinen Passivformen sind die Partizip-II-Formen in attributiver wie prädikativer Verwendung wichtige passivische Ausdrucksmittel. Die passivischen Sätze heben dabei mitunter das Regelmäßige, Gesetzmäßige hervor:

In beiden Fällen wird auf eine bekannte Größe hingewiesen, auf ein bestimmtes Einzelwesen ... wobei einzelne Exemplare von allen übrigen ... abgegrenzt werden. Man faßt deshalb beide Arten auch mit der Bezeichnung »bestimmter Artikel« zusammen, dem das Indefinitum »ein« ... gegenübergestellt wird.

(J. Erben, »Abriß der deutschen Grammatik«)

In literarischen Texten treten passivische Ausdrücke zurück. Sie finden sich vorwiegend in Berichten, Beschreibungen, Reflexionen, weniger in Handlungs- und Vorgangsschilderungen, es sei denn, sie schildern das »Erleiden« oder die Wirkung fremder Aktivität:

Dann wurden auch wir über Bord gespült und sogleich voneinander getrennt.

(G. Hartlaub, »Die Segeltour«)

Nein, er bewegt sich nicht, er wird doch nur bewegt.

(W. Borchert, »Die lange lange Straße lang»)

Der Mann also hieß Rensch, und über Nacht wurde sein Name berühmt.

(R. Baumgart, »Sieben rote Fahnen«)

Das Passiv in erzählenden Texten kann aber auch die Anonymität der Geschehnisse betonen. Das Ausweichen in eine wissenschaftliche Diktion und

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passivische Sätze in A. Kluges Erzählung »Ein Liebesversuch« unterstreicht das Inhumane menschlichen Verhaltens:

Schon längere Zeit vor Beginn des Versuches waren die in Aussicht genommenen Versuchspersonen besonders gut ernährt worden... Oberscharführer Wilhelm ließ die beiden aus Gartenschläuchen anspritzen, anschließend wurden sie wieder, frierend, in das Dielenzimmer geführt ...

Es gab keine Möglichkeit, die Versuchspersonen z» einer eindeutigen Reaktion zu gewinnen, und so wurde der Versuch ergebnislos abgebrochen. Später wurde er mit anderen Personen wieder aufgenommen... Die widerspenstigen Versuchspersonen wurden erschossen. (A. Kluge, »Ein Liebesversuch«)

Mitunter wird der Vollzug eines Geschehens der Vorzeitigkeit im Passiv wiedergegeben:

Die stählerne Rakete war von der Bodenmannschaft abgefeuert worden und sogleich den Blicken entschwunden. (H. Kasack, »Das unbekannte Ziel«)

Eine andere Form der Passivverwendung ist in Vorankündigungen gegeben. Peter Handke fügt z.B. eine große Zahl passivischer Konditionalsätze in seinen Roman »Der Hausierer« ein, um dadurch die Darstellungsweise zu erklären oder die Reaktionen der beteiligten Personen zu umschreiben.

Die erste Person, die auftritt, wird nur flüchtig beschrieben, aber nicht mit dem Namen genannt. Wird sie von hinten beschrieben, so geht die Beschreibung in der Regel vom künftigen Mörder aus ... (P. Handke, »Der Hausierer«)

Auch in älteren Texten tritt diese Form auf, wenn es gilt, ein Vorhaben zu erläutern. Durch die Auslassung des berichtenden Subjekts wird der Eindruck einer objektiven Darstellung suggeriert. Man kann dieses Passiv also nicht immer als »Passiv der Bescheidenheit«69 bezeichnen:

Als Vorwort zu der gegenwärtigen Arbeit, welche desselben vielleicht mehr als eine andere bedürfen möchte, stehe hier der Brief eines Freundes, durch den ein solches, immer bedenkliches Unternehmen veranlaßt worden.

(Goethe, »Dichtung und Wahrheit«)

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