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Remarque, Erich-Maria - Liebe Deinen Nchsten

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08.06.2015
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»Ich weiß es,und du weißt es auch von mir.«

Siesahensichimmernochan.»Sonderbar«,sagteSteiner,»nur einStückZeitundeinStückLeben,daszwischenunssteht.Alles andere ist da.«

»Alle Zeit,Steiner«,erwiderte Lilo sanft,»alle Zeit und unser ganzes Leben …«

Er nickte. Lilo legte ihre Hände um sein Gesicht und sprach einigerussischeWorte.DanngabsieihmeinStückBrotundetwasSalz.»Ißes,wenndufortbist.EssolldirBrotohneKummer in der Fremde geben.Und nun geh.«

Steiner wollte sie küssen,aber er unterließ es,als er sie ansah. »Geh jetzt!« sagte sie leise.»Geh!«

Er ging durch denWald.Nach einiger Zeit blickte er sich um. Die Budenstadt war in der Nacht versunken,und es war nichts mehrdaalsdieungeheure,saugendeDunkelheitmitdemLichtviereck einer fernen, o enen Tür und eine kleine Gestalt, die nicht winkte.

15Kern wurde nach vierzehn Tagen dem Bezirksgericht wiedervorgeführt.DerdickeMannmitdemApfelgesichtblickteihnbekümmertan.»IchmußIhnenetwas

Unangenehmes mitteilen,Herr Kern …«

Kernrichtetesichgeradeauf.VierWochen,dachteer,ho entlich nicht mehr als vier Wochen! So lange kann Beer Ruth zur Not noch im Krankenhaus behalten.

»Der Rekurs für Sie ist vom Obergericht verworfen worden. Siewarenzu langein derSchweiz.DerBegri einesNotstandes war nicht mehr gerechtfertigt.Außerdem war da die Sache mit demGendarmen.SiesindzuvierzehnTagenGefängnisverurteilt worden.«

»Zu vierzehn Tagen mehr?«

»Nein.NurvierzehnTage.DieUntersuchungshaftwirddarauf angerechnet.«

Kern tat einen tiefen Atemzug. »Danach käme ich also heute heraus?«

»Ja. Sie haben in Ihrer Erinnerung lediglich statt in Haft im Gefängnisgesessen.Schlimmistnur,daßSiejetztalsvorbestraft gelten.«

»Das werde ich aushalten.«

Der Richter sah ihn an. »Es wäre besser, Sie hätten nichts im Strafregister.Aber es war nicht zu machen.«

»Werde ich heute abgeschoben?« fragte Kern. »Ja.Über Basel.«

»ÜberBasel?NachDeutschland?«Kernblicktesichblitzschnell um. Er war bereit, sofort aus dem Fenster zu springen und zu flüchten.ErhatteeinigeMaledavongehört,daßmanEmigranten nach Deutschland abgeschoben hatte. Aber es waren meistens Flüchtlinge gewesen, die gerade aus Deutschland gekommen waren.

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Das Fenster war o en, und der Gerichtsraum lag zu ebener Erde.DraußenschiendieSonne.DraußenwiegtederApfelbaum seineZweige,unddahinterwareineHecke,diemanüberspringen konnte,und dahinter war die Freiheit.

DerRichterschütteltedenKopf.»SiewerdennachFrankreich gebracht.NichtnachDeutschland.Baselistunseredeutscheund unsere französische Grenze.«

»Kann ich denn nicht in Genf über die Grenze geschoben werden?«

»Nein, das geht leider nicht. Basel ist der nächste Platz. Wir haben unsereAnweisungen dafür.Genf ist viel weiter.«

Kern schwieg einen Moment. »Es ist bestimmt, daß ich nach Frankreich abgeschoben werde?« fragte er dann.

»Ganz bestimmt.«

»Wird niemand, der hier ohne Papiere gefaßt wird, nach Deutschland abgeschoben?«

»Niemand,sovielichweiß.DaskannhöchstensindenGrenzstädteneinmalpassieren.Aberichhabeauchdavonkaumetwas gehört.«

»Eine Frau würde doch bestimmt nicht nach Deutschland zurückgeschickt werden?«

»Sicher nicht. Ich würde es jedenfalls niemals tun. Warum wollen Sie das wissen?«

»Es hat keinen besonderen Grund. Ich habe nur unterwegs auch manchmal Frauen ohne Papiere gesehen.Für die war alles noch viel schwerer.Deshalb fragte ich.«

Der Richter nahm ein Schreiben aus denAkten und zeigte es Kern.»HieristIhrAusweisungsbefehl.GlaubenSienun,daßSie nach Frankreich gebracht werden?« – »Ja.«

Der Richter legte das Papier in den Aktendeckel zurück.»Ihr Zug geht in zwei Stunden.«

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»Es ist völlig unmöglich,nach Genf gebracht zu werden?« »Völlig.DieFlüchtlingekostenunseineMengeEisenbahnfahrten.Es besteht eine strikte Anweisung,sie zur nächsten Grenze zu bringen.Ich kann Ihnen da wirklich nicht helfen.«

»Wenn ich die Reise selbst bezahlen würde, könnte ich dann nach Genf gebracht werden?«

»Ja,das wäre möglich.Wollen Sie denn das?«

»Nein, dazu habe ich nicht genug Geld. Es war nur so eine Frage.«

»FragenSienichtzuviel«,sagtederRichter.»Eigentlichmüßten SieauchdieFahrtnachBaselschonbezahlen,wennSieGeldbei sich hätten. Ich habe davon abgesehen, das zu inquirieren.« Er stand auf.»Leben Sie wohl! Ich wünsche Ihnen alles Gute! Und ho entlich wird alles bald anders!«

»Ja, vielleicht! Ohne das könnten wir uns ja sofort aufhängen.«

KERNHATTEKEINEGelegenheitmehr,RuthNachrichtzugeben. Beer war am Tage vorher dagewesen und hatte ihm erklärt,sie müsse noch ungefähr eine Woche im Hospital bleiben. Er beschloß,ihm sofort von der französischen Grenze aus zu schreiben. Er wußte jetzt das Wichtigste – daß Ruth auf keinen Fall nach Deutschland abgeschoben wurde und daß sie, wenn sie Reisegeld hatte,nach Genf gebracht werden konnte.

PünktlichnachzweiStundenholteihneinDetektivinZivilab. SiegingenzumBahnhof.KerntrugseinenKo er.Beerhatteihn am Tage vorher aus dem Schafstall geholt und ihm gebracht.

SiekamenaneinemGasthofvorbei.DieFensterderWirtsstube, die zu ebener Erde lag, standen weit o en. Eine Zitherkapelle spielte einen Ländler, und ein Männerchor sang dazu. Neben demFensterstandenzweiSängerinÄlplertrachtundjodelten.Sie

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wiegten sich dabei hin und her,einer denArm um die Schulter des andern.

Der Detektiv blieb stehen. Einer der Jodler brach ab. Es war der Tenor.»Wo bleibst du denn so lange,Max?« fragte er.»Alle warten schon.«

»Dienst!« erwiderte der Detektiv.

DerJodlerstreifteKernmiteinemBlick.»SoeinMist!«brummteermitplötzlichtieferStimme.»DannistunserQuartettheute abend geschmissen.«

»Ausgeschlossen.Ich bin in zwanzig Minuten zurück.« »Bestimmt?«

»Bestimmt!«

»Gut! Wir müssen den neuen Doppeljodler heute unbedingt hinkriegen.Erkälte dich nicht!«

»Nein,nein!«

Sie gingen weiter. »Fahren Sie denn nicht mit zur Grenze?« fragte Kern nach einiger Zeit.

»Nein.Wir haben ein neues Patent für euch.«

Sie kamen zum Bahnhof.Der Detektiv suchte den Zugführer. »Hier ist er«, erklärte er und zeigte auf Kern. Dann übergab er demZugführerdenAusweisungsbefehl.»GuteReise,meinHerr«, sagte er auf einmal sehr höflich und stapfte von dannen.

»Kommen Sie mit!«

Der Zugführer brachte Kern zu dem Bremserhäuschen eines Güterwagens.»Steigen Sie hier ein.«

DiekleineKabineenthieltnichtsalseinenhölzernenSitz.Kern schob seinen Ko er darunter auf den Boden. Der Zugführer schloß die Tür von außen ab. »So! In Basel werden Sie ’rausgelassen.«

Er ging weiter, den schwach beleuchteten Bahnsteig entlang. KernschauteausdemFensterderKabine.Erprobiertevorsichtig,

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ob er sich hindurchzwängen könne. Es ging nicht; das Fenster war schmal.

EinpaarMinutenspäterfuhrderZugan.DiehellenWartesäle glitten vorüber mit leeren Tischen und dem leeren, sinnlosen Licht.DerStationsvorstehermitderrotenMützebliebimDunkel zurück.Ein paar geduckte Straßen schwangen vorüber,eine Bahnschranke mit wartenden Automobilen, ein kleines Café, in dem ein paar Leute Karten spielten – dann war die Stadt verschwunden.

KernsetztesichaufdashölzerneBrett.ErstellteseineFüßeauf den Ko er.Er preßte sie fest dagegen und sah aus dem Fenster. DieNachtdraußenwardunkelundunbekanntundwindig,und er fühlte sich plötzlich sehr elend.

InBaselwurdeervoneinemPolizistenabgeholtundzurZollwachegebracht.Mangabihmzuessen.Dannfuhrermiteinem Beamten mit der Straßenbahn nach Burgfelden. Sie kamen im DunkelaneinemjüdischenFriedhofvorbei.Dannpassiertensie eineZiegelei undbogenvonder Chausseeab.NacheinigerZeit blieb der Beamte stehen.»Hier weiter – immer geradeaus.« Kern ging weiter.Er wußte ungefähr,wo er war,und hielt sich inderRichtungaufSt.Louis.Erverstecktesichnicht;eswarihm gleich,ob man ihn sofort faßte.

Er verfehlte die Richtung. Erst gegen Morgen kam er in St. Louis an. Er meldete sich sofort bei der französischen Polizei underklärte,nachtsvonBaselherübergeschobenwordenzusein. Er mußte vermeiden, daß man ihn ins Gefängnis steckte. Das konnte er nur,wenn er sich stets am selben Tage bei der Polizei oder beim Zoll meldete. Dann war er nicht strafbar, und man konnte ihn nur zurückschicken.

Die Polizei behielt ihn tagsüber in Haft. Abends schickte sie ihn zum Grenzzollamt.

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Es waren zwei Zollbeamte da. Einer saß an einem Tisch und schrieb.Der andere hockte auf einer Bank neben dem Ofen.Er rauchte Zigaretten aus schwerem algerischem Tabak und musterte Kern von Zeit zu Zeit.

»Was haben Sie in Ihrem Ko er?« fragte er nach einerWeile. »Ein paar Sachen,die mir gehören.«

»Machen Sie ihn mal auf.«

Kern ö nete den Deckel.Der Zöllner stand auf und kam faul heran. Dann beugte er sich interessiert über den Ko er. »Toilettewasser,Seife,Parfüm! Sieh an – haben Sie das alles aus der Schweiz mitgebracht?«

»Siewollendochnichtsagen,daßSiedasallesselbstgebrauchen

für ihren persönlichen Bedarf?« »Nein.Ich habe damit gehandelt.«

»DannmüssenSieesverzollen!«erklärtederBeamte.»Packen Sieesaus!DiesenKramda«,erzeigteaufdieNadeln,Schnürsenkel und die andern kleinen Sachen,»will ich Ihnen erlassen.« Kern glaubte,er träume.»Verzollen?« frage er.»Ich soll etwas verzollen?«

»Selbstverständlich!SiesinddochkeindiplomatischerKurier, was?OderdachtenSie,ichwolltedieFlaschenkaufen?Siehaben Zollgut nach Frankreich gebracht.Los,’raus damit jetzt!«

Der Beamte gri nach einem Zolltarif und rückte eineWaage heran.

»Ich habe kein Geld«,sagte Kern.

»Kein Geld?« Der Beamte steckte die Hände in die Hosentaschen und wiegte sich in den Knien. »Gut, dann werden die Sachen eben beschlagnahmt.Geben Sie sie her.«

Kern blieb auf dem Boden hocken und hielt seinen Ko er fest.»Ichhabemichhiergemeldet,umzurückindieSchweizzu gehen.Ich brauche nichts zu verzollen.«

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»Sieh mal an! Sie wollen mich wohl noch belehren,was?« »Laß den Jungen doch in Ruhe, François!« sagte der Zöllner, der am Tisch saß und schrieb.

»Ich denke gar reicht daran! Ein Boche,der alles besser weiß, wie die ganze Bande drüben! Los,’raus mit den Falschen!« »Ich bin kein Boche!« sagte Kern.

In diesem Augenblick trat ein dritter Beamter ein. Kern sah, daß er einen höheren Rang hatte als die beiden andern. »Was gibt’s hier?« fragte er kurz.

Der Zöllner erklärte, was los war. Der Inspektor betrachtete Kern. »Haben Sie sich sofort bei der Polizei gemeldet?« fragte er.

»Ja.«

»Und Sie wollen zurück in die Schweiz?« »Ja.Deshalb bin ich ja hier.«

Der Inspektor dachte einen Augenblick nach.»Dann kann er nichts dafür«,entschied er.»Er ist kein Schmuggler.Er ist selbst geschmuggelt worden.Schickt ihn zurück und damit basta.« Er verließ den Raum.»Siehst du,François«,sagte der Zöllner, deramTischsaß.»Wozuregstdudichimmersoauf?Esschadet nur deiner Galle.«

François erwiderte nichts. Er starrte Kern ängstlich an. Kern starrte zurück. Es fiel ihm plötzlich ein, daß er französisch gesprochen hatte und Franzosen verstanden hatte,und er segnete im geheimen den russischen Professor aus dem Gefängnis in Wien.

AMNÄCHSTENMORGENwarer wiederinBasel.Erändertejetzt seineTaktik.ErgingnichtsofortmorgenswiederzurPolizei.Es konnteihmnichtvielpassieren,wennertagsüberinBaselblieb und sich erst abends meldete.Für Basel aber hatte er dieAdres-

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senlisteBinders.EswarzwardervonEmigrantenüberlaufenste PlatzderSchweiz,abererbeschloßtrotzdem,zuversuchen,etwas zu verdienen.

Er fing mit den Pastoren an. Es war ziemlich sicher, daß sie ihn nicht denunzierten. Beim ersten wurde er sofort hinausgeworfen; beim zweiten erhielt er ein Butterbrot; beim dritten fünf Franken.ErarbeiteteweiterundhatteGlück–bismittags hatte er siebzehn Franken verdient. Er versuchte vor allem sein letztes Parfüm und sein Toilettewasser loszuwerden, für den Fall, daß er François noch einmal begegnen würde. Das war schwer bei den Pastoren – aber es gelang bei den andern Adressen.Nachmittags hatte er achtundzwanzig Franken verdient.Er ging in die katholische Kirche.Sie war o en,und sie war der sicherste Platz,sich auszuruhen.Er hatte zwei Nächte nicht geschlafen.

DieKirchewarhalbdunkelundleer.SierochnachWeihrauch undKerzen.KernsetztesichineineBankundschriebeinenBrief an Doktor Beer. Er legte einen Brief für Ruth und Geld für sie hinein.Dann klebte er ihn zu und steckte ihn in die Tasche.Er fühltesichsehrmüde.LangsamrutschteeraufdieKniebankund legte den Kopf auf das Betpult.Er wollte nur einen Augenblick ausruhen;aber er schlief ein.

Als er erwachte,wußte er überhaupt nicht,wo er war.Er blinzelte in den matten, roten Schein des Ewigen Lichtes und fand sich allmählich zurecht. Als er Schritte hörte, wurde er sofort völlig wach.

Ein Geistlicher in schwarzer Priestertracht kam langsam den Mittelgang herunter. Er blieb bei Kern stehen und sah ihn an. Kern faltete zurVorsicht die Hände.

»Ich wollte Sie nicht stören«,sagte der Geistliche. »Ich wollte gerade gehen«,erwiderte Kern.

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»IchsahSievonderSakristeiaus.SiesindschonzweiStunden hier.Haben Sie für etwas Besonderes gebetet?«

»O ja«,sagte Kern,etwas überrascht,aber schnell gefaßt. »Sie sind nicht von hier?« Der Geistliche blickte auf Kerns Ko er.

»Nein.« Kern sah ihn an. Der Priester machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. »Ich bin Emigrant. Ich muß heute nacht über die Grenze.In dem Ko er dort habe ich Sachen,die ich verkaufe.«

ErhattenachmittagsnocheineFlascheToilettewasserübrigbehaltenundfaßteplötzlichdieirrsinnigeIdee,siedemGeistlichen inderKirchezuverkaufen.Eswarunwahrscheinlich;abererwar anunwahrscheinlicheDingegewöhnt.»Toilettewasser«,sagteer. »Sehr gutes.Und sehr billig.Ich verkaufe es gerade aus.«

Er wollte seinen Ko er ö nen.

Der Priester wehrte ab.»Lassen Sie nur.Ich glaube Ihnen.Wir wollendieWechslerimTempelnichtnachahmen.Ichfreuemich, daßSiesolangegebetethaben.KommenSiemitindieSakristei. Wir haben einen kleinen Fond für bedürftige Gläubige.

KernbekamzehnFranken.Erwaretwasbeschämt,abernicht lange.EswareinStückfranzösischeEisenbahnfürihnundRuth. Die Pechsträhne scheint zu Ende zu sein, dachte er. Er ging in die Kirche zurück und betete nun tatsächlich. Er wußte nicht genau zu wem – er selbst war protestantisch, sein Vater war Jude,und er kniete in einer katholischen Kirche – aber er fand, daß in Zeiten wie diesen wahrscheinlich auch im Himmel ein ziemlichesDurcheinanderseinmußte,undernahman,daßsein Gebet schon den richtigenWeg finden würde.

AbendsfuhrermitderEisenbahnnachGenf.Erhatteplötzlich dasGefühl,RuthkönneschonfrüherausdemHospitalentlassen werden.Erkammorgensan,deponierteseinenKo eramBahn-

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