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weitere 1,7 Millionen praktizieren einen gesundheitsschädigenden, missbräuchlichen Alkoholkonsum.

Beim Alkohol müsse Verantwortung die Grenze setzen, fordert die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing: „Die Diskussion über das Rauschtrinken unter Jugendlichen hat deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, mehr und nachdrücklicher für ein gemeinsames Verständnis für den zurückhaltenden Alkoholkonsum zu tun. Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit gegenüber einem problematischen Trinkverhalten und ein von Verantwortung geprägtes Leitbild für den Umgang mit Alkohol. Das muss insbesondere Kindern und Jugendlichen vorgelebt werden. Prävention beginnt schon in der Familie.“

Dennoch: Das Suchtproblem Alkohol wird in Deutschland kollektiv verschwiegen. Nicht ohne Grund spricht Bätzing von der „gesellschaftlichen Verharmlosung von Alltagsdrogen“. Dabei sterben nach offiziellen Statistiken in Deutschland in Folge von Alkohol 14.940 Menschen. Allerdings dürfte die tatsächliche Zahl viel höher liegen. Schätzungen sprechen von über 40.000 Opfern, die direkt oder indirekt durch hohen Alkoholkonsum sterben.

Das könnte eigentlich eine gute Meldung sein. Denn nach Ansicht von Dr. Wolf-Rüdiger Horn, Suchtbeauftragter des Berufsverbands der Kinderund Jugendärzte, geht der Alkoholkonsum bei Jugendlichen zurück. Doch leider bleibt der Konsum immer noch auf zu hohem Niveau, sagt Horn. Deshalb so Horn, könne noch keine Entwarnung gegeben werden. Das Trinkniveau, auf dem sich Erwachsene und Jugendliche befänden, sei „einfach erschreckend hoch“.

Alkohol ist gerade für Kinder und Jugendliche so gefährlich, weil sie sich noch im Wachstum, das heißt in der Entwicklung, befinden. Horn: „Alkoholkonsum wirkt sich hier unmittelbar aus, vor allem auf die Entwicklung des Gehirns, des Lernens und der sozialen Beziehungen. Die Folgen von Alkoholkonsum in jungen Jahren können dann häufig Verhaltensstörungen sowie Probleme in Schule, Beruf, Familie und sonstigem Umfeld sein.“

Allerdings fällt es nach Erfahrung von Horn nicht gerade leicht, junge Menschen auf solche Themen anzusprechen, ohne gleich eine Blockadehaltung zu erhalten. Deshalb hat der Berufsverband mit der DAK die „Aktion Glasklar“ gestartet. Horn: „Wir möchten den Alkohol nicht generell mies machen und damit den Wunsch nach „verbotenen Früchten jetzt erst recht“ wecken. Gegen einen verantwortungsvollen Genuss von niedrigprozentigem Alkohol in kleinen Mengen bei den ab 16-Jährigen

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gibt es wenige Einwände. Bestimmte Tätigkeiten oder Umstände passen aber mit Alkohol einfach nicht zusammen.“ Darüber soll im Rahmen der Aktion Glasklar informiert und dazu aufgefordert werde, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.

Vor allem sollen die Jugendlichen begreifen lernen, wann Alkoholkonsum tabu ist: Vor allem in der Schwangerschaft – aber auch in Schule und Beruf, im Umgang mit Maschinen, wo allein aus der Unfallträchtigkeit durch den Alkoholgenuss schwerwiegende Komplikationen entstehen können. Ebenfalls die Finger vom Alkohol müssen sie beim Autofahren lassen, wenn man mit dem Motorrad oder Fahrrad unterwegs ist und möglichst auch als Fußgänger [24].

Text 27.

Alkoholund Drogenprobleme bei Jugendlichen

Rauschtrinken, Alkoholexzesse, mal Cannabis rauchen – für viele Jugendliche ist das harmloser Spaß. Die möglichen Konsequenzen werden von den Jugendlichen meistens unterschätzt. Häufig kommt es zu Problemen in Schule und Ausbildung, zum Verlust des Führerscheins, zu Problemen mit der Justiz, sei es durch aggressive Handlungen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum oder Problemen durch den Konsum von illegalen Drogen. Viele gleiten unbewusst in eine Abhängigkeit.

Die Ursachen für eine Abhängigkeit sind vielschichtig. Es gibt nicht die eine Ursache, vielmehr spielen biologische, psychische und soziale Faktoren eine Rolle. Oft stecken nicht bewältigte Krisen, die schon in der Kindheit lagen, dahinter.

Häufig kommen abhängige Jugendliche aus einem Elternhaus, in dem ein Elternteil selbst Probleme mit Suchtmitteln hatte. Auch sexueller oder psychischer Missbrauch findet sich in der Geschichte von Jugendlichen, die abhängig Suchtmittel konsumieren. Depression, Angst, Hyperaktivität oder andere psychische Probleme können schon bei Kindern auftreten und werden alleine nur schwer bewältigt. Drogen und Alkohol werden benutzt, um Problemen in der Realität zu entfliehen.

Ängste, Selbstzweifel und Unsicherheiten, die Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleiten, können für sie ein großes Problem darstellen. Viele fühlen sich von ihren Eltern unverstanden und haben in dieser Phase extreme Probleme mit ihnen. Sie können oder wollen ihnen ihre Gefühle nicht mitteilen. Jugendliche haben oft die falschen Bezugspersonen. Geraten Jugendliche in eine Gruppe, in der es normal ist, Alkohol und Drogen zu konsumieren, kann der Gruppenzwang für sie der

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Beginn ihrer Suchtkarriere sein. Denn Jugendliche orientieren sich in der Regel an Gleichaltrigen. Sie wollen sich bei ihnen Anerkennung verdienen, besonders wenn sie zu Hause oder in der Schule keine erhalten. Und sie wollen sich abgrenzen von der Welt der Erwachsenen, gleichzeitig erwachsen wirken und „cool“ sein. Alkohol oder Cannabis erfüllen diese Funktionen scheinbar sehr gut. Für die meisten Jugendlichen bleibt es bei einer Art „Probierverhalten“, sie hören nach kurzer Zeit wieder auf. Andererseits steigen riskante Konsummuster und Rauschtrinken.

Suchtmittel werden in unangemessenen Situationen genommen – in der Schule oder bei der Ausbildung. Die Konsequenten können ihnen erst Recht die Freude an der Zukunft rauben. Ohne Schulabschluss bestehen für sie kaum Chancen einen Ausbildungsplatz zu bekommen und ohne Ausbildung gibt’s für sie später keinen guten Job. Andere landen im Gefängnis oder auf der Strasse. Und wer im Alkoholrausch auf der Autobahn sein Leben lässt, hat sofort keine Zukunft mehr.

„Haschisch ist eine Einstiegsdroge“ meinen einige. Tatsächlich kann Cannabis zu einer psychischen Abhängigkeit führen. Man hat dann das Gefühl, ohne den Stoff nicht mehr auskommen zu können. Doch die meisten fangen mit Alkohol an, bevor sie illegale Drogen wie Cannabis probieren. Aber auch Alkohol selbst hat ein erhebliches Suchtpotenzial. Die Gefahr der Abhängigkeit von Alkohol wird oft nur unterschätzt, weil das Augenmerk auf den illegalen Drogen liegt.

Egal welches Suchtmittel – wird es regelmäßig zu bestimmten Anlässen genommen, ist es nahe liegend, dass ein bestimmter Zustand, wie Entspannung und Zufriedenheit, nur mit Hilfe der Droge erreicht werden kann. Der Drogenkonsum kann so zur Gewohnheit werden, weil keine Alternativen da sind, um den gewünschten Zustand zu erreichen. Schließlich wird er unverzichtbar. Werden hier schon früh regelmäßig Suchtmittel genommen, stehen erst recht keine Alternativen zur Verfügung. Zudem reagieren der jugendliche Körper und das Gehirn in dieser Zeit empfindlicher auf Suchtmittel.

Die Zahl von Minderjährigen, die bereits abhängig sind und die Kontrolle über ihren Konsum verloren haben, scheint zuzunehmen. Gerade diese Gruppe verelendet nach Beobachtungen rasend schnell und sie geraten bereits sehr jung in den Teufelskreis der Abhängigkeit: Sie verlieren die Kontrolle über ihren Konsum und können nicht mehr ohne Suchtmittel leben. Sechs Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 24 Jahren zeigen bereits in jungen Jahren eine Abhängigkeit, stellten Forscher fest [24].

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Text 28.

Jugendlichen beim Erwachsenwerden helfen

Gemäß der Jugendstudie suchen viele Jugendliche – angesichts vieler wirtschaftlicher Unsicherheiten – in der Familie sozialen Rückhalt und emotionale Unterstützung. Fast drei Viertel der Jugendlichen zwischen 18 und 21 Jahren leben noch bei ihren Eltern. 90 Prozent der Jugendlichen bekunden, gut mit ihren Eltern auszukommen, und 71 Prozent würden auch ihre eigenen Kinder genauso oder so ähnlich erziehen wollen.

Trotz aller Schwierigkeiten, viele Eltern scheinen also einen Weg gefunden zu haben, mit den Problemen ihrer jugendlichen Kinder fertig zu werden und sie zu stabilen Persönlichkeiten zu erziehen. Was können Sie tun, um ihrem Kind zu helfen?

Vorbild sein

Auch wenn sich Jugendliche immer mehr an Gleichaltrigen orientieren oder sich Idole aus der Medienwelt schaffen, die Eltern bleiben der wichtigste Bezugspunkt im Leben eines Jugendlichen. Es ist daher wichtig, dass in der Familie Stabilität herrscht und dem Kind feste Lebensmuster geboten werden, auf die es immer zurückkommen kann. Wenn Eltern für ihr eigenes Leben einen Sinn sehen, können sie ihrem Kind diesen leichter vermitteln. Wenn Eltern keine Ziele im Leben haben, wie soll das Kind dann welchen nachstreben?

Freiheiten gewähren

Natürlich kommt es in der Familie zu Konflikten, wenn sich Jugendliche eingeengt und ständig kontrolliert fühlen. Einigen Eltern fällt es tatsächlich schwer loszulassen. Doch es ist für die Entwicklung der Kinder wichtig, ihnen entsprechend ihres Alters mehr Freiheiten zu gewähren. Natürlich müssen Regeln und Prinzipien weiter beibehalten werden. Nur dadurch funktioniert ein Zusammenleben. Außerdem brauchen auch junge Erwachsene Leitlinien, die ihnen Orientierung bieten. Schließlich ist es Jugendlichen gar nicht möglich immer zu wissen, was am besten für sie ist.

Das Gespräch suchen

Statt zu befehlen und mit aller Gewalt ihre Anweisungen durchsetzten zu wollen, können die Eltern das Gespräch mit dem jugendlichen Kind suchen. Dabei hilft es, ihm die Konsequenzen seines Handelns zu zeigen. Mütter und Väter können dem Jugendlichen erklären, was sie von ihm erwarten und ihre Vorstellungen anschließend gut begründen. Oft fühlen sich die Jugendlichen dann als vollwertig angenommen und akzeptieren die Entscheidungen ihrer Eltern. Vielleicht zwar nur widerwillig – doch

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liebevolle Gespräche zeigen dem Kind wenigstens, dass Eltern nicht einfach nur ihre Macht ausüben wollen und tragen zu einer harmonischen Atmosphäre bei.

Eltern sollten ihren Kindern signalisieren, dass sie immer Verständnis für ihre neuen Gedanken aufbringen werden. Außerdem müssen die Jugendlichen wissen, dass Eltern wirklich an ihren Problemen interessiert sind. Besonders in der Pubertät ist Vertrauen die Basis für eine enge Eltern-Kind-Beziehung [24].

Text 29.

Sozialpädagogische Ansätze

zur AIDS-Prävention bei Jugendlichen

In unserer Gesellschaft ist Sexualität immer noch ein Tabuthema. Jugendliche haben ihr Wissen über Sexualität aus den Medien und halten auch Fehlinfos für richtig. Dadurch ergeben sich Defizite, die vor allem bei den Ansteckungsrisiken mit AIDS auffallen. Die Eltern und pädagogische Fachkräfte müssen die Aspekte der Sexualerziehung und der AIDS-Prävention im Blickwinkel der gesundheitsfördernden, ganzheitliche und positiv eingestellte Erziehung zu integrieren.

Wir alle haben in der Vergangenheit schon von der Krankheit AIDS gehört: AIDS ist die Abkürzung für „Acquired Immune Defiency Syndrome“ und bedeutet eine schwere Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems, ausgelöst durch HIV, was „Humanes Immundefekt Virus“ bedeutet. Die Übertragung erfolgt überwiegend durch Geschlechtsverkehr und infiziertes Blut. AIDS macht den Körper gegen viele Krankheitserreger wehrlos, die ein gesunder Mensch problemlos abwehren kann. Die durch die Immunschwäche ausgelösten Krankheiten führen schließlich zum Tod. AIDS wurde 1981 zum ersten Mal als eigenständiges Krankheitsbild beschrieben. Da es trotz intensiver Forschung noch keinen wirksamen Impfstoff gegen HIV gibt, ist der einzige wirksame Schutz vor einer HIV-Infektion nach wie vor die Vermeidung von Ansteckung.

Auch wenn AIDS immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein und den Medien verschwindet, bleibt die Gefahr auch in unserem Jahrtausend bestehen. Und gerade in Zeiten von AIDS ist die Förderung der Gesundheit unerlässlich. Die Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „AIDS im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahr 2000 belegt, dass der Kontakt der Bevölkerung zur AIDS-Aufklärung sowie das Bewusstsein von AIDS

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als gefährliche Krankheit sinken. Der Umgang mit AIDS zeigt in unserer Gesellschaft generell eine Entwicklung hin zur Normalität. Dies beinhaltet, dass das Basiswissen über AIDS in der Gesellschaft vorhanden ist und man weiß, wie man sich schützen kann, dies dennoch nicht tut. Bei Jugendlichen kommen erhebliche Wissenslücken bzw. Missverständnisse über AIDS hinzu. Jugendliche befinden sich in einer Entwicklungsphase der sexuellen Orientierung, der ersten großen Liebe und der ersten sexuellen Erfahrungen. Die Zahl der an AIDS infizierten Jugendlichen ist in Deutschland sehr gering, das heißt aber keinesfalls, dass daher die AIDS-Prävention für sie unbedeutsam ist. Ganz im Gegenteil: Für Jugendliche ist AIDS-Prävention so aktuell und wichtig wie schon immer. Über Sexualität reden heißt nicht nur Wissensvermittlung. Sexualerziehung ist keine einmalige Aufklärung, sondern ein langer Prozess. Dies gilt auch für eine gelungene AIDS-Prävention. Bis auf wenige Ausnahmen befasst sich die Ratgeberliteratur entweder nur mit AIDS-Prävention oder nur mit Sexualerziehung, es gibt einige wenige Ausnahmen, die beide miteinander in Verbindung setzen. Aus diesem Grund wird die Motivation der pädagogischen Fachkräfte für die Wichtigkeit der Sexualerziehung mit integrierter AIDS-Prävention und deren Vermittlung in einer bewussten, ganzheitlichen Erziehung als sehr wichtig betrachtet [16, c. 2–7].

Text 30.

Armut als soziales Problem

Wann ist ein Mensch arm? Diese Frage ist keineswegs so einfach zu beantworten, wie es im ersten Moment scheint. Die Wissenschaft kennt verschiedene Definitionen von Armut. Grundsätzlich wird dabei zwischen der absoluten und der relativen Armut unterschieden.

Absolute Armut: Der Begriff der absoluten Armut bezeichnet dabei die Unfähigkeit zur längerfristigen Sicherung der physischen Selbsterhaltung. Damit kann sowohl eine unmittelbare (zum Beispiel Gefahr des Todes durch Erfrieren oder Verhungern) wie auch eine mittelbare (zum Beispiel durch fehlende körperliche Widerstandskraft) Gefährdung der körperlichen Existenz gemeint sein. Diese Form der Armut findet sich heute noch in weiten Teilen der Welt.

Relative Armut: In den Gesellschaften der Industrieländer kann im Gegensatz dazu Armut nur als relative Armut gefasst werden. Es geht nicht mehr um die physische Selbsterhaltung, sondern um die – relative – Schlechterstellung einiger Personen/Gruppen gegenüber der Mehrheit der

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Bevölkerung. Die Festlegung der relativen Armutsgrenze ist dabei ebenso schwierig wie ihre empirische Erfassung. Generell werden zwei Konzepte der relativen Armut unterschieden:

Ressourcen-Definition: Sie geht davon aus, dass Armut immer dann vorliegt, wenn keine ausreichenden eigenen Geldmittel zum Handeln vorhanden sind. Diesem Konzept entsprechend ist also die Ausstattung mit Einkommen das einzige Definitionskriterium. Diese eindimensionale Definition von Armut wirft jedoch einige Probleme auf.

Lebensdefinition: Es ist Konsens, dass die Ressourcendefinition Armut nur in eingeschränktem Maße erfasst und es eines mehrdimensionalen Ansatzes bedarf. Im Lebenslagenansatz werden entsprechend neben der Ausstattung mit Einkommen weitere Indikatoren erfasst, zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Bildungsstand, Wohnen, Gesundheit, Ernährung, Kommunikation und Freizeitgestaltung. Ziel ist es, neben der reinen materiellen Mangelausstattung auch die immaterielle Unterversorgung von Armut betroffener Menschen zu erfassen. Im Vergleich zur Ressourcendefinition stellen sich hier jedoch Probleme in Bezug auf die empirische Erfassung:

Darüber hinaus bedarf es nicht nur einer jeweils landesspezifischen, sondern auch einer kontinuierlichen Anpassung an gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen (zum Beispiel Bedeutungszuwachs des Bereichs "Freizeit"). Diese Schwierigkeiten führen dazu, dass die Lebenslagendefinition – trotz ihrer höheren Aussagekraft – nur selten zur Anwendung kommt und bei der Erstellung von Statistiken zumeist lediglich auf die Erfassung der Einkommenswerte zurückgegriffen wird. Bei der Setzung der jeweiligen Armutsgrenzen kommen dabei wiederum verschiedene Verfahren zur Anwendung, von denen die wichtigsten genannt werden sollen:

Sozialhilfestandard: Es werden die Einkommenshöhen als Armutsgrenzen angesehen, die unterhalb derer Sozialhilfeleistungen gewährt werden. Es handelt sich in diesem Falle also um eine politische Operationalisierung, in der die Erfassung von Armut und die Einleitung sozialpolitischer Maßnahmen zusammenfallen. Probleme entstehen dadurch, dass die Gewährung von Sozialhilfe zum Teil auf der Basis von Ermessensentscheidungen durch einzelne Personen erfolgt, Sozialhilfestatistiken in der Regel unvollständig sind und die erhebliche Dunkelziffer derer, die Sozialhilfe trotz Berechtigung nicht in Anspruch nehmen, nicht erfasst wird. [38, c. 161–162]

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Text 31.

Entwicklung der Sozialversicherung

Die Anfänge der Sozialversicherung in Deutschland reichen bis ins Mittelalter zurück, als Bergleute gemeinschaftliche Kassen zur Unterstützung verunglückter, Not leidender Mitglieder errichteten. Aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine umfassende Sozialversicherung geschaffen. Den Anstoß dazu gab die rasche industrielle Entwicklung, die zu einer immer größeren Zahl von Industriearbeitern führte. Die Arbeiter waren weitgehend schutzlos; ihr geringer Lohn erlaubte keine Bildung von Rücklagen, und bei Krankheit oder Unfällen standen sie vor dem Nichts. Diese soziale Frage bewegte die deutsche Innenpolitik. Der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck leitete eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung in die Wege. Dies geschah auch aus politischen Gründen, um der erstarkenden Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Rückblickend wird aber einhellig anerkannt, dass mit dieser Gesetzgebung der Grundstein zu einer modernen, auch für andere Industriestaaten vorbildlichen Sozialversicherung gelegt wurde.

Durch Gesetze von 1883, 1884 und 1889 wurden drei Versicherungszweige ins Leben gerufen, die bis heute für die deutsche Sozialversicherung prägend sind: die Krankenversicherung, die Unfallversicherung und die Invaliditätsund Altersversicherung. Rentner mussten damals 70 Jahre alt werden, um in den Genuss eines Altersruhegeldes zu kommen. 1911 wurden diese Versicherungen dann in der Reichsversicherungsordnung zusammengefasst, die außerdem die Hinterbliebenenversorgung durch Witwenund Waisenrente einführte. Die Invaliditätsund Altersversicherung wurde auf alle Angestellten ausgedehnt. Für die Bergleute wurde 1923 eine eigene Versicherung, die Knappschaft, eingeführt. 1927 entstand die Arbeitslosenversicherung, und vom Jahr 1938 an wurden auch die Handwerker in die gesetzliche Sozialversicherung einbezogen, soweit sie sich nicht privat absicherten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Leistungen der Sozialversicherung wesentlich ausgebaut und verbessert. So wurde 1957 eine gesetzliche Altershilfe für Landwirte eingeführt. Mit der großen Rentenreform von 1957 wurden die Renten an die allgemeine Entwicklung der Einkommen angekoppelt: Wenn der Durchschnittsverdienst der Arbeitnehmer steigt, werden auch die Renten entsprechend erhöht (Dynamische Rente). Weitere Rentenreformen erfolgten 1972 und 1992. Das umfassende Netz der sozialen Sicherheit kommt seit 1990 auch denjenigen

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zugute, die als Rentner, Kriegsopfer oder Behinderte in der früheren DDR benachteiligt waren. Die Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion und der Einigungsvertrag haben 1990 die Grundlage dafür geschaffen, dass alle Menschen im gemeinsamen Sozialstaat Deutschland nach einer Übergangszeit die gleiche soziale Sicherheit genießen. [42, c. 398–405]

Text 32.

Soziale Arbeit:

Hilfe oder Kontrolle armer Familien?

Soziale Arbeit insgesamt, aber Sozialpädagogische Familienhilfe im besonderen, hat zu tun mit dem Umgang dieser Gesellschaft mit der sozialen Benachteiligung von armen Familien, von Unterschichtfamilien, die wenig Bildung, wenig finanzielle Ressourcen, kaum Außenkontakte und Schwierigkeiten haben, sich Hilfe zu organisieren. Dabei stellte sich immer wieder die Frage, wie Armut zu bekämpfen und die Situation der Armen zu verbessern sei: durch materielle Hilfen und Verbesserung der sozialen Infrastruktur oder durch die individuelle Belehrung der Armen.

Wohin das Pendel ausschlägt, ist abhängig von der Vorstellung, welche Gründe Armut hat. Wenn z.B. Faulheit und Arbeitsunwilligkeit für die Lage der Armen verantwortlich gemacht wird, dann müssen sie erzogen (oder diszipliniert) werden. Sind es soziale Bedingungen, mangelnde Ressourcen, müssen diese auf der Basis einer Vorstellung sozialer Gerechtigkeit und eines Anspruchs auf lebenswerte Existenz erweitert werden – sei es auf der individuellen Ebene einer einzelnen Familie oder allgemein sozialpolitisch. Der Ausgangspunkt der sozialen Arbeit lag in der Erziehung und sozialen Disziplinierung der Armen, die von den Arbeitshäusern bis zur Vielzahl von örtlichen Vereinen und Gruppen reichte, welche sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland gebildet hatten und die als Bibel-, Sittlichkeits-, Jünglings-, Frauenund Erziehungsvereinigungen für die Verbreitung des bürgerlichen Familienideals Sorge trugen und den Frauen die Pflicht zu Häuslichkeit, Hygiene und Moral vermittelten.

Auch heute gibt es Ansichten, nach denen Armut in ähnlicher Weise nicht als ein ökonomisches Strukturproblem, sondern als ein individuell moralisches verstanden wird. Diese Auffassung kommt in der Diskussion um den Missbrauch der "sozialen Hängematte" in der Bundesrepublik Deutschland ebenso zum Ausdruck wie in Urteilen von Sozialarbeiter, in die sich moralische Verurteilungen einschleichen,

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welche bei näherem Hinsehen – in moderneren Formulierungen – individuelle Schuldzuschreibungen für Armut enthalten. Dies zeigt das folgende Beispiel, in dem eine Familie nach einer zwei Jahre dauernden sozialpädagogischen Familienhilfe so beschrieben wird: Die Eltern haben keine abgeschlossene Schulausbildung und keinen erlernten Beruf. Schreiben und lesen können sie nur bedingt. Beide sind arbeitslos. Die Familie bewohnt eine 4-Zimmerwohnung. Genutzt werden von diesen Räumen nur zwei. Zwei Räume werden nicht genutzt, da sie aus Bequemlichkeit und Faulheit nicht hergerichtet wurden. Hier spiegelten sich schon der geringe Intellekt und ein sehr geringes Anspruchsniveau der erwachsenen Personen in diesem Haushalt wider. Finanzielle Schwierigkeiten durch falsches Wirtschaften waren auch immer vorhanden. Die Familie ist kaum einsichtig und kritikfeindlich. Sie wird nicht aus der Sozialhilfe herauskommen (Langzeitarbeitslosigkeit und negative Arbeitseinstellung). Die Familie sieht nicht bei sich die Schuld, sondern immer bei anderen Menschen. Eine rationelle Finanzeinteilung wird von ihnen abgelehnt.

Insbesondere schwappt aus den USA diese Diskussion herüber, in der mehr und mehr strukturelle Erklärungen von Armut aus der politischen Kultur verschwinden, moralische Erklärungen in den Vordergrund rücken und die persönliche Verantwortung als Heilmittel propagiert wird. Fraser beschreibt den neokonservativen "Common Sense" hinsichtlich des Sozialstaates, den sie vor allem in der ReaganÄra ansiedelt, folgendermaßen: „Es hieß, die Armen in den Ghettos würden sich nicht den Werten der Gesellschaft verpflichtet fühlen, wozu auch sexuelle Enthaltsamkeit und Arbeitsmoral gehörten. Möglichkeiten waren vorhanden, so sagte man, aber die Kultur der Armen hinderte diese daran, sie zu ergreifen. Daran waren teilweise auch Sozialprogramme schuld, da sie solche „dysfunktionalen“ Verhaltensweisen wie „uneheliche Kinder“ und „Arbeitsscheu“ belohnt und gefördert hatten. Das Heilmittel war 'persönliche Verantwortung“. Dabei gab es gerade in den USA am Ende des 19. Jahrhunderts neue Bestrebungen in der sozialen Arbeit, die mit Vorstellungen aufräumten, dass es Unlust zur Arbeit sei, Verschwendungssucht und lasterhaftes Leben, welche die entscheidende Variablen für das Eintreten von Hilfsbedürftigkeit darstellten, vielmehr die Lebensund Arbeitssituation selbst, der die betroffenen Familien hilflos ausgesetzt waren [36, c. 13–22].

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