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Zahlungen von Verwandten) bestreiten können. In begründeten Fällen können auch Menschen staatliche Unterstützung erfahren, die zwar den notwendigen Lebensunterhalt aus Einkommen oder Vermögen bestreiten, aber einzelne für den Lebensunterhalt notwendige Tätigkeiten nicht verrichten können.

Spricht man vom notwendigen Lebensunterhalt, so meint man damit im Besonderen die Sicherstellung von Unterkunft, Ernährung, Hausrat, Heizung, Körperpflege sowie die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse im täglichen Leben. Im letztgenannten Punkt sind in einem abgegrenzten Umfang auch die Aufrechterhaltung der Beziehungen zur Umwelt sowie die Teilnahme am kulturellen Leben enthalten.

Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt werden grundsätzlich zwei Formen unterschieden: regelmäßige und einmalige Leistungen. Die Regel ist die laufende ständige Hilfeleistung, in deren Rahmen einmal im Monat die festgelegten Beträge an die Hilfsempfänger gezahlt werden.

Zu den einmaligen Leistungen zählt man u. a. Beihilfen zur Beschaffung und Instandhaltung von Kleidung, Wäsche und Hausrat, Transport-, Umzugssowie Bestattungskosten, Beihilfen zur Einrichtung altersbzw. behindertengerechter Wohnung, zur Winterbefeuerung aber auch Weihnachthilfen.

Solche einmaligen Leistungen erhalten nicht nur Empfänger der regelmäßigen Leistungen, sondern auch Personen, die ansonsten in der Lage sind ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst aufzubringen. Bestimmten Personengruppen wird in diesem Zusammenhang ein erhöhter Bedarf zugestanden, z. B. Rentnern, erwerblosen Personen, allein stehenden Frauen in der Schwangerschaft, allein erziehenden Müttern mit einem Kind unter sieben Jahren oder mehreren Kindern, Tuberkulosekranken und Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen.

Die Diskussion darüber, was zur "Hilfe zum Lebensunterhalt" zählt und wer Anspruch darauf hat, ist seit langem umstritten. Insbesondere die Veränderung der demografischen Faktoren in Deutschland – mit einer zunehmenden "Vergreisung" der Gesellschaft – stellt dabei die zukünftige Frage des zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorzufindenden Systems in Frage. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit die Ausgestaltung des Systems ggf. falsche Anreize bezüglich der selbstverantwortlichen Mittelbeschaffung schafft. In diesem Zusammenhang ist die am 01.01.2005 umgesetzte Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu verstehen [42, c. 403–404].

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Text 7.

Sozialprobleme der kinderreichen Familien in Deutschland.

Seither hat die Politik die großen Familien jedoch aus dem Blick verloren. So wurden bei den letzten vier Kindergelderhöhungen nur noch die Sätze für die ersten beiden Kinder angehoben. Beim neuen Elterngeld, das das bisherige Erziehungsgeld abgelöst hat, zählen ebenfalls die Mehrkindfamilien zu den Verlierern. Denn in den meisten Fällen sind die Mütter vor der Geburt ihres dritten oder vierten Kindes nicht berufstätig und bekommen deshalb nur den Mindestbetrag von 300 Euro im Monat, allenfalls ergänzt um einen kleinen Geschwisterbonus. Berufstätige, die eine Babypause einlegen, erhalten dagegen bis zu 1800 Euro. Ebenso wie der forcierte Krippenausbau dient auch das längstens 14 Monate gewährte Elterngeld erklärtermaßen dazu, die Berufstätigkeit von Müttern zu fördern.

"Ich bin in der Mutterrolle aufgegangen". Das gilt auch für Anke und Matthias Kamenz, die mit ihren fünf Kindern in einem Haus mit Garten im Berliner Umland wohnen. Anke Kamenz hat kein Problem damit, dass ihr Ehemann beruflich eine steile Karriere macht, während sie zu Hause das Familienleben organisiert – dabei sind beide promovierte Historiker. „Als wir erst ein Kind hatten, habe ich noch Vollzeit gearbeitet. Doch ich hatte das Gefühl, das Wichtigste zu verpassen“, erzählt die gebürtige Rheinländerin. Außerdem habe sie noch mehr Kinder gewollt und schließlich ihren aussichtsreichen Referentenjob an den Nagel gehängt. Bereut hat sie es nicht, im Gegenteil: „Ich bin in der Mutterrolle aufgegangen.“

Heute ist ihr ältestes Kind elf Jahre alt, die beiden Jüngsten, Zwillinge, knapp sieben. Auch als Schulkind bräuchte jeder Einzelne von ihnen viel Zuwendung, meint Anke Kamenz. „Gerade den Kleinen ist es wichtig, mir jeden Tag zu zeigen, was sie in der Schule gelernt haben.“ Auch sei sie immer da, wenn ein Kind krank sei oder Kummer habe. „Es ist so spannend, zu sehen, wie die Kinder zusammen groß werden, wie unterschiedlich jeder von ihnen ist und wie nah sich die Geschwister sind“, sagt die Mutter. Es stört sie, dass viele Kinder immer nur mit Arbeit und Kosten verbunden würden, „aber keiner sieht das Glück, das sie bedeuten“.

Für die Experten bilden kinderreiche Familien ein „Gegenmodell der Moderne“. Denn diese Lebensform basiere auf langfristigen Bindungen und sei mit vielen Anforderungen der modernen Gesellschaft wie Mobilität und intensiver, flexibler Berufstätigkeit „nur schwer zu vereinbaren“, heißt es in ihrer Studie. Dieses Lebensmodell funktioniere vor allem dort, wo individuelle Interessen gegenüber familiären Interessen

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zurückstünden. Sich also nicht jeder Partner in erster Linie selbst verwirklichen will.

Elisabeth Lehmann-Dronke war es nicht leicht gefallen, nach dem Musikstudium auf eine Karriere als Orchesterflötistin zu verzichten. „Doch das wäre mit dem Familienleben, wie wir es führen wollen, einfach nicht zu vereinbaren gewesen“, sagt sie. An den Nachmittagen musiziert die Mutter jetzt manchmal mit ihren vier größeren Kindern, die alle ein Instrument lernen und zusammen ein richtiges kleines Kammerorchester bilden – und Helene begleitet sie auf der Papp-Geige [19].

Text 8.

Die Jugend. Suche nach Orientierung.

Fast jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik Deutschland ist jünger als 18 Jahre. Von den gut 15,7 Millionen Kindern und jugendlichen in Deutschland hat etwa jedes zehnte eine ausländische Staatsangehörigkeit. Etwa ein Drittel aller Einwohner, gut 27 Millionen, sind jünger als 27 Jahre. Für den weitaus größten Teil von ihnen haben sich im vergangenen Jahrzehnt die Lebenschancen und Zukunftserwartungen erheblich verbessert. Dies gilt für westwie ostdeutsche jugendliche. Insbesondere in Westdeutschland verfügen die meisten jugendlichen über gute materielle Lebensgrundlagen. Ihre finanziellen Möglichkeiten sind so gut wie nie zuvor, und ihre Ausstattung mit Konsumgütern ist komfortabel. Niemals zuvor unternahmen junge Menschen so viele Reisen im Inland wie auch in das Ausland. So sind denn auch 95 Prozent der westdeutschen und 84 Prozent der ostdeutschen jugendlichen mit dem Leben, das sie führen, zufrieden. Mit 72 Prozent blicken junge Ostdeutsche noch zuversichtlicher in die Zukunft als junge Westdeutsche. Mit der in den letzten Jahren zu beobachtenden Abnahme der lebensprägenden Kräfte von Familie, Konfession, sozialem Milieu und Gemeinde wuchsen gleichzeitig die individuellen Freiheitsräume junger Menschen und ihre Chancen, über den eigenen Lebensentwurf selbst zu bestimmen.

In diese Richtung weisen die Verlängerung der Bildungszeiten, die Trennung der Generationen durch eine zunehmende Orientierung an den Normen der Gleichaltrigen, die wachsende Bedeutung des Freizeitund Konsumsektors und die Wirkung der Massenmedien. Auch wenn damit der Druck zu selbstverantwortlicher Lebensgestaltung zunimmt, so bekennen doch 83 Prozent der westdeutschen und 89 Prozent der ostdeutschen Befragten, dass sie im Falle persönlicher Probleme zunächst

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Hilfe bei ihren eigenen Eltern finden. Dies ist ein Beleg für die Suche nach klaren Orientierungen und Leitbildern.

Freilich finden nicht alle jungen Menschen den gewünschten Zugang und das Verständnis für ihre Probleme in Elternhaus oder Schule; häufig sind auch die Bindungen zu anderen verantwortlichen Bezugspersonen oder gesellschaftlichen Gruppen geschwächt, und nicht selten werden sie von den isolierten jugendlichen ganz in Frage gestellt. In solcher Lage werden die jungen Menschen leicht verführbar zu Verhaltensweisen, die ihnen selbst, aber auch ihren Mitmenschen zur Gefahr werden können. Berufliche Perspektivlosigkeit verstärkt diesen Sog. Hier liegen einige Gründe für die Bereitschaft zu gesellschaftlichem und politischem Radikalismus, die in letzter Zeit insbesondere von Ideologen rechtsextremer politischer Gruppierungen für ihre kriminellen Ziele manipuliert und ausgenutzt wurde. Die kriminellen Angriffe jugendlicher gegen Ausländer, vor allem in den neuen Bundesländern, haben insgesamt den Blick auf die Lebenssituation der Menschen in Ostdeutschland verstärkt.

Auf Nachsicht seitens der Justiz und Strafverfolgungsbehörden dürfen jugendliche Gewalttäter und ihre politischen Verführer nicht rechnen. Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder haben ihre Entschlossenheit bewiesen, Straftäter mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu verfolgen und sie ihrer Strafe zuzuführen. Mindestens ebenso wichtig ist die Eindämmung politisch motivierter Gewalt durch erzieherische und aufklärende Maßnahmen, gerade angesichts des niedrigen Alters der Täter. So hat die Bundesregierung seit 1991 mehrere Jugendprogramme zur Bekämpfung der Ausländerfeindlichkeit aufgelegt; dazu gehörten eine zielgerichtete Projektförderung an den Brennpunkten der Gewalt und Maßnahmen zum Aufbau der Jugendarbeit freier Träger in den neuen Bundesländern. Seit Anfang 1993 führt sie gemeinsam mit den Innenministern der Bundesländer eine große Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit durch. Die ganz überwiegende Mehrheit junger Menschen in Deutschland hat indessen kein Verständnis für fremdenfeindliche Ausschreitungen; das ergaben repräsentative Umfragen [42, c. 415–416].

Text 9.

Kulturelle Jugendbildung

und Jugendorganisationen in Deutschland.

Junge Menschen sind in Westdeutschland sehr viel häufiger in Gruppen aktiv als in Ostdeutschland. Dies gilt sowohl für formale

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Jugendorganisationen und Vereine als auch für Cliquen. 37 Prozent der jugendlichen und jungen Erwachsenen in Westdeutschland sind Mitglieder einer Jugendorganisation, im Osten sind es nur 19 Prozent. Davon sind sowohl im Osten als auch im Westen 62 Prozent in einem Sportverein. 68 Prozent der westdeutschen Befragten geben an, einer Clique anzugehören, im Osten sind es nur 31 Prozent. Die Unterschiede der Cliquenzugehörigkeit weisen auf einen Nachholbedarf bei der Bildung autonomer Jugendkulturen in den neuen Bundesländern hin; diese wird noch dadurch erschwert, dass ein akuter Mangel an Häusern, Begegnungsoder Sportstätten für spontane Zusammenkünfte oder organisierte Jugendarbeit herrscht. Dies darf auch im Hinblick auf das Freizeitverhalten nicht außer Acht gelassen werden. Die Freizeitmöglichkeiten der jugendlichen im Osten sind durch Geldmangel, fehlende Angebote und Zeitmangel eingeschränkt. Dies bringt es mit sich, dass Sport, Rockund Popkonzerte, Kino und der Besuch von Szene-Kneipen von den ostdeutschen jugendlichen weniger wahrgenommen werden als von den westdeutschen. Als bevorzugte Freizeitaktivitäten liegen sowohl in den neuen wie in den alten Bundesländern Lesen und Musikhören an der Spitze.

Es gibt in Deutschland etwa 80 überregionale Jugendverbände, in denen rund ein Viertel aller jugendlichen organisiert ist. Die meisten bundesweiten Jugendverbände haben sich im Bundesjugendring zusammengeschlossen, so z.B. die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, die Jugendverbände der Gewerkschaften, die Landjugendverbände und der Ring Deutscher Pfadfinder. Mitgliederstärkste Jugendorganisation ist die Deutsche Sport Jugend. Jugendverbände gibt es auch im politischen Bereich: Den meisten der dem Deutschen Bundestag angehörenden Parteien haben sich parteinahe Jugendverbände angeschlossen: Sie gehören dem Ring Politischer Jugend an.

Kulturelle Bildung ist zentraler Bestandteil allgemeiner Bildung und damit Grundlage einer umfassenden Persönlichkeitsbildung. Unter dieser Voraussetzung setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass eine aktive Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur in möglichst frühen Lebensjahren stattfinden kann und dass Kinder und jugendliche frühzeitig vielfältige kulturelle Erfahrungen sammeln.

Wie wertvoll der Kontakt mit Kunst und Kultur für die positive Entwicklung junger Menschen ist, zeigt sich in der Jugendarbeit von Musikschulen, Jugendfilmclubs, Theatern, Tanzgruppen, Bibliotheken, Jugendkunstschulen, Museen und vielen anderen Institutionen. In zahlreichen Jugendkulturprojekten werden wichtige Themen wie

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Ökologie, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit aufgegriffen: Die jungen Menschen erarbeiten sich selbständig neue Einsichten in die gesellschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf ein friedliches und demokratisches Miteinander.

Die Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung ist ein Zusammenschluss von 48 bundesweit agierenden Fachverbänden, an deren Aktivitäten mehr als 12 Millionen junge Menschen pro Jahr teilnehmen. Mit mehr als 100000 Projekten, Wettbewerben, Werkstätten, Begegnungen, Seminaren und Tagungen initiieren, organisieren und begleiten die Fachorganisationen Kinderund Jugendkulturarbeit auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene [42, c. 418–419].

Text 10.

Anna von Gierke

Anna von Gierke war eine deutsche Sozialpädagogin und Politikerin. Sie ist die Tochter des Juristen, Rechtshistorikers und Sozialpolitikers Otto von Gierke (1841–1921), der als Begründer des Genossenschaftsrechts in Deutschland gilt. Ihre um sechs Jahre jüngere Schwester ist die Sozialpädagogin Hildegard von Gierke und ihr 1875 geborene Bruder der bekannte Rechtsprofessor Julius von Gierke.

Anna Ernestine Therese war das älteste von sechs Kindern. Sie hatte noch zwei Schwestern und drei Brüder. Nach dem Besuch Höherer Töchterschulen in Heidelberg und Berlin, arbeitete sie in dem von Hedwig Heyl gegründeten „Jugendheim“ in Charlottenburg als Helferin mit und übernahm 1892 die Leitung des Mädchenhortes. 1898 berief Hedwig Heyl sie zur Leiterin des 1894 gegründeten Vereins „Jugendheims“, nachdem sie einige Monate lang im renommierten Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus ihre durch Erfahrung gewonnenen Kenntnisse in Kindergartenpädagogik und Hauswirtschaft vertieft hatte. Sie führte erste Schulungskurse für die Helferinnen in den Horten durch, die nach und nach an allen Charlottenburger Schulen eingerichtet wurden, stellte Schulpflegerinnen ein und organisierte die Schulspeisung in Charlottenburg. 1910 führte sie die verschiedenen Zweige ihrer Arbeit in dem neu gebauten „Jugendheim“ in der Charlottenburger Goethestraße 22 zusammen.

1911 eröffnete sie im „Jugendheim“ das Sozialpädagogische Seminar. Die Ausbildung bereitete auf zwei Berufszweige vor, den der Hortnerin sowie den der Schulpflegerin, die schnell in ganz Deutschland Anerkennung und Verbreitung fanden. Im Laufe der Jahre ging die

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Schulpflege in Charlottenburg immer mehr aus der Vereinsarbeit im Jugendheim in die städtische Verwaltung über.

1912 war sie Mitbegründerin des Verbandes für Schulkinderpflege, dessen Vorsitzende sie bald wurde. Auf Reisen im Auftrag des preußischen Kultusministeriums inspizierte sie seit 1914 die Horte in den preußischen Regierungsbezirken. 1915 gründete sie auf Anregung von Hedwig Heyl den Charlottenburger Hausfrauenverein, 1918 wurde sie Vorstandsmitglied im Bund, später Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine. 1917 wurde sie zur Sachverständigen für Kinderfürsorge in das Kriegsamt in Berlin berufen und führte ihre Hortreisen jetzt als Inspektionsreisen im Auftrag des Kriegsamtes weiter.

1924 war sie Mitbegründerin und zweite Vorsitzende des 5. Wohlfahrtsverbands. Zusammen mit Isa Gruner gründete Anna von Gierke 1921 das westlich von Berlin, in idyllischer Landschaft gelegene Landjugendheim Finkenkrug. Die Einrichtung, in der Schülerinnen, Angestellte und Kinder Erholung fanden sowie im gärtnerischen und landwirtschaftlichen Bereich ausgebildet wurden, avancierte zum Vorbild für weitere ähnliche Institutionen. Viele ihrer sozialreformerischen Ideen hatte Anna von Gierke von 1923 an in dem von ihr begründeten Fachperiodikum Soziale Arbeit, einem Organ für alle sozial tätigen Frauen, veröffentlicht. 1931 wurde sie Vorstandsmitglied im Bund Deutscher Frauenvereine.

1933 wurde sie wegen ihrer „halbjüdischen“ Abstammung aus allen Ämtern entlassen. Trotzdem stand sie weiterhin im regen Kontakt mit ihren „Jugendheimern“, führte einen Mittagstisch und kümmerte sich um in Not geratene Menschen, egal welchen Alters, welcher Religion und Herkunft. Sie half illegal lebenden Juden und vermittelte auch Lebensmittelmarken, wechselnde Unterkünfte und Verbindungen zum rettenden Ausland. Nach der Sozialpädagogin ist der Anna-von-Gierke- Ring in Hamburg-Allermöhe benannt. In Berlin erinnern der Gierkeplatz und die Gierkezeile an sie. Ihre letzte Ruhestätte fand Anna von Gierke auf dem Friedhof der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche [29, c. 228–235].

Text 11.

Siegfried Bernfeld

Siegfried Bernfeld war ein von der Jugendbewegung beeinflusster Reformpädagoge, Psychoanalytiker und Mitbegründer der modernen Jugendforschung. Bernfeld gehörte zur ersten Generation der Psychoanalytiker. Er ist ein Mitbegründer der modernen Jugendforschung und

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der Psychoanalytischen Pädagogik. Grundlage seiner theoretischen und praktischen Arbeit ist der Zusammenhang zwischen Psychoanalyse und Sozialismus in kollektiver Selbstregulierung. Dabei stellt er Überlegungen über die Zuwendung des Pädagogen und die Grenzen der Pädagogik an.

Bernfelds Sisyphos von 1925 gilt in der Erziehungswissenschaft seit seinem Erscheinen bis heute als tiefer Einschnitt in deren Theoriegeschichte. Bernfeld kritisiert darin die bis in die 1960er Jahre hinein dominante Geisteswissenschaftliche Pädagogik, namentlich als führender Vertreter derselben Eduard Spranger. Bernfeld formulierte die schon lange allgemein anerkannte Einsicht, dass der Erfolg von Bildung und Erziehung eben nicht allein von der Erziehbarkeit der Kinder abhängt, sondern ganz maßgeblich von den materiellen Voraussetzungen sowie der historischen Verfassung des Bildungswesens. Mit anderen Worten könnte man diese Position als antikapitalistische Kritik an der Reformpädagogik bezeichnen.

Während die Streitschrift in etlichen Zeitschriften rezensiert wurde, so wurde sie beispielsweise in der führenden Zeitschrift der Kritisierten „Die Erziehung“ einfach ignoriert. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Werk in der Bundesrepublik Deutschland in einigen wichtigen Werken nie explizit erwähnt. Vom Außenseiter zum Klassiker schaffte es Bernfeld durch kritische „Erziehungswissenschaftler“ und die „Antiautoritäre Erziehung“ nach 1968.

Er empfand es als seine Pflicht der Waisenschaft eine sinnvolle und bedeutsame Eingliederung in den Prozess der jüdischen Erneuerung zu ermöglichen, es ging ihm aber auch um das jüdische Erziehungswesen überhaupt. Bernfeld wollte das jüdische Erziehungswesen davor bewahren einfach nur an das Übrige in Europa angepasst zu werden. Somit beschloss er die Schaffung einer „jüdischen Schulsiedlung“ zur Erziehung der Waisen, gelegen auf einer großen Landwirtschaft, um gewerbliche, landwirtschaftliche und industrielle Lehrstätten zu ermöglichen. Außerdem sollte das Areal Wohnund Verpflegungsgrundlage für einige tausend Kinder, Jugendliche und – da die Lehrer mit den Kindern zusammenleben sollten – auch für Erwachsene bieten. Finanziell unterstützte ihn dabei das American Joint Committee, Vienna Branch.

Das Kinderheim Baumgarten wurde schließlich im August 1919 als erste jüdische Schulgemeinde nach Unterrichtsgrundsätzen Maria Montessoris, Berthold Ottos und Gustav Wynekens gegründet und stand bis 1920 unter der pädagogischen Leitung Bernfelds. Es war der erste Versuch der mit einer solch beträchtlichen Anzahl von fast 300 Kindern (jedoch immer noch weniger als Bernfeld sich in seinen Vorüberlegungen

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gewünscht hätte) im Alter von 3 bis 16 Jahren im Rahmen des Internatund Schulbetriebes unternommen wurde. Jedoch konnte aufgrund der Größe und Lage der Baracken nur ein gutes jüdisches Kinderheim geschaffen werden, das aber die Vorbereitung zur eigentlichen Schulsiedlung darstellen sollte. Die Kinder, die anschließend das Heim bezogen, kamen aus unterschiedlichen anderen Heimen bzw. Flüchtlingslagern – ihre Verwahrlosung war ebenfalls jeweils eine andere. Nach einem halben Jahr war jedoch jede Spur von Verwahrlosung weggewischt (bis auf wenige). Schlussendlich aber hatte es zu viele Konflikte gegeben zwischen den Pädagogen und der Verwaltung, die zuständig war für den Erhalt des Kinderheims. Es kam zu zahllosen Störungen der pädagogischen Entwicklung, was 1920 schließlich zu einer solidarischen Kündigung aller Pädagogen führte [33, c. 178–188].

Text 12.

Marie Baum

Marie Baum war eine Sozialpolitikerin der Weimarer Republik und gilt heute als Wegbereiterin der sozialen Arbeit.

Marie Baum war das dritte von fünf Kindern. Ihr Vater, Wilhelm Georg Baum, war Chefarzt des Städtischen Krankenhauses in Danzig. Die Mutter, Fanny Auguste (Flora) Baum engagierte sich in der Frauenbewegung; sie leitete in Danzig den „Verein Frauenwohl“. In ihrer Heimatstadt besuchte Marie Baum von 1891 bis 1893 Realkurse, die auf das Abitur vorbereiteten. Anschließend ging sie, da Frauen noch nicht an deutschen Universitäten akademische Abschlüsse erwerben konnten, an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, um dort Chemie zu studieren. Sie promovierte mit 22 Jahren und arbeitete gleichzeitig als Assistentin an der Universität Zürich. Anschließend arbeitete Marie Baum kurzzeitig als Chemikerin in Berlin.

Im Jahre 1907 übernahm sie die Geschäftsführung des von Arthur Schlossmann gegründeten Vereins für Säuglingsfürsorge und Wohlfahrtspflege in Düsseldorf. Dieser unterstand dem „Bund deutscher Frauenvereine“, wo Marie Baum bald Kontakte mit Gleichgesinnten schloss. Im Jahre 1909 wurde sie in den Hauptausschuss und in den Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge gewählt. Ferner wurde sie ab 1908 Mitglied des Vorstandes und des

Präsidiums der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge.

 

 

Marie Baum wurde von Gertrud Bäumer gebeten, in Personalunion die

in

Hamburg

neu

gegründete

Soziale

Frauenschule

und

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Sozialpädagogisches Institut zu leiten, die am 30. April 1917 ihre Pforten öffnete. Sie unterrichte Sozialpolitik, Volkswirtschaftslehre und war vor allem für die praktische Ausbildung der Seminaristinnen zuständig. Daneben arbeitete sie noch als Referentin für Wohlfahrtspflege im Badischen Ministerium. 1919/20 gehörte Marie Baum für die Deutsche Demokratische Partei der Weimarer Nationalversammlung an. Anschließend war sie bis zur Neuwahl der Schleswig-Holsteinischen Abgeordneten im Februar 1921 Reichstagsabgeordnete. 1921 schied sie mit Ende der Legislaturperiode aus Rücksicht auf ihre neuen beruflichen Aufgaben in Karlsruhe, im Badischen Staatsministerium, aus dem Parlament aus. Marie Baum widmete sich nun sieben Jahre lang dem staatlichen Aufbau des Fürsorgewesens.

Zusammen mit anderen Frauen und Männern, darunter Alice Salomon, Gertrud Bäumer und Eduard Spranger, gründete sie 1925 in BerlinSchöneberg die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, für dessen Forschungsabteilung sie, in Zusammenarbeit mit Alice Salomon, die seinerzeit vielbeachtete Publikation „Das Familienleben in der Gegenwart“ 182 Familienmonographien verfasste. 1928 erhielt Marie Baum einen Lehrauftrag für soziale Fürsorge und Wohlfahrtspflege am Institut für Sozialund Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg. Damit verbunden war ein Umzug von Karlsruhe nach Heidelberg. Von 1928 bis 1933 entfaltete die Sozialpolitikerin eine reichhaltige Vortragstätigkeit und reiste nach England, Italien und in die USA. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste sie all ihre Lehraufträge und Ämter aufgeben, da ihre Großmutter, eine Mendelssohn-Bartholdy, Jüdin war. Sie unterstützte Pfarrer Hermann Maas, der Hilfeleistungen für „Nichtarier“ sowie Juden organisierte und ihnen bei der Auswanderung half.

Ab 1946 übernahm die inzwischen über 70-jährige erneut einen Lehrauftrag an der Universität Heidelberg und gründete dort den „Studentenclub Friesenberg“. Folgenden schließt sich Marie Baum dem Kreis um Alfred Weber, Alexander Mitscherlich mit dem Namen „Heidelberger Aktionsgruppe“ an. Zudem unterstützte sie den Wiederaufbau des 1927 von Elisabeth von Thadden im Schloss Wieblingen gegründeten Landerziehungsheimes.

In Heidelberg trägt seit 1974 eine hauswirtschaftliche Berufsschule und in Karlsruhe seit 2000 eine Straße ihren Namen [20, c. 204–228].

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