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remarque_erich_maria_die_nacht_von_lissabon.doc
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28.03.2016
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Ich sah ihm fest in seine harmlosen grauen Augen. „Mercedes, den Wagen des Führers, selbstverständ­lich!"

Er nickte. „Es ist schön hier, was? Nicht so wie zu Hause, aber doch schön, finden Sie nicht?

„Sehr schön. Nicht wie zu Hause, das ist klar."

Wir tranken. Der Cognac war hervorragend. Henri kam mit unseren Sachen und legte sie auf einen Stuhl. Ich kontrollierte den Rucksack. Es war alles da.

„In Ordnung", sagte ich zu dem Unteroffizier.

„Es war Schuld des Burschen", erklärte der Wirt. „Du bist entlassen, Henri! Scher dich raus!"

„Danke, Unteroffizier", sagte Helen. „Sie sind ein deutscher Mann und ein Kavalier."

Der Unteroffizier salutierte. Er war unter fünfund­zwanzig Jahre alt. „Da wäre noch die Rechnung für den Dubonnet und die Flasche Pernod, die zerbrochen worden sind", sagte der Wirt, der wieder Mut gefaßt hatte.

Helen übersetzte. „Kein Kavalier", fügte sie hinzu. „Es war Notwehr."

Der Unteroffizier nahm die nächste Flasche von der Theke. „Erlauben Sie", meinte er galant. „Schließlich sind wir nicht umsonst die Sieger!"

„Madame trinkt keinen Cointreau", erklärte ich. „Nehmen Sie den Cognac, Unteroffizier, auch wenn er schon angebrochen ist."

Der Unteroffizier präsentierte Helen mit der Flasche. Ich steckte sie in den Rucksack. Wir verabschiedeten uns vor der Tür. Ich hatte Sorge, daß der Soldat uns bis zu unserm Mercedes begleiten wolle; aber Helen machte das ausgezeichnet. „So was kann bei uns nicht passieren", sagte der junge Mann stolz beim Abschied. „Bei uns herrscht Ordnung."

Ich sah ihm nach. Ordnung, dachte ich. Mit Foltern, Genickschüssen und Massenmord! Gib mir lieber hunderttausend kleine Betrüger wie diesen Wirt! „Wie fühlst du dich?" fragte Helen. „Gut. Ich wußte nicht, daß du so fluchen kannst." Sie lachte. „Ich habe es im Lager gelernt. Wie das befreit! Ein Jahr Internierung ist plötzlich von meinen Schultern geglitten! Aber wo hast du gelernt, mit zerbrochenen Flaschen zu kämpfen und Leute zu Eunuchen zu treten?"

„Im Kampf um die Menschenrechte", erwiderte ich. „Wir leben im Zeitalter der Paradoxe. Zur Erhaltung des Friedens führen wir Krieg."

Es war fast so. Man war gezwungen, zu lügen und zu betrügen, um sich zu verteidigen und am Leben zu bleiben. In den nächsten Wochen stahl ich den Bauern Obst von den Bäumen und Milch aus den Kellern. Es war eine glückliche Zeit. Sie war gefährlich, lächerlich, manchmal trostlos und oft komisch — aber sie war nie bitter. Ich habe Ihnen soeben den Zwischenfall mit dem Wirt erzählt; ähnliche Situationen gab es bald mehr. Sie kennen das wahrscheinlich auch?"

Ich nickte. „Wenn man sie so auffassen konnte, waren sie oft komisch."

„Ich lernte es", erwiderte Schwarz. „Durch Helen. Sie war ein Mensch, in den sich keine Vergangenheit mehr sammelte. Das, was ich nur manchmal gefühlt hatte, wurde in ihr strahlende Wirklichkeit. Die Vergangenheit brach bei ihr jeden Tag ab wie das Eis hinter dem Reiter über den Bodensee. Dafür drängte sich alles in die Gegenwart. Das, was sich bei anderen über ein Leben verteilt, konzentrierte sich bei ihr auf den Augenblick; aber es war keine starre Konzentration. Sie war völlig gelöst, heiter wie Mozart und unerbittlich wie der Tod. Die Begriffe Moral und Verantwortung, in ihrem dumpfen Sinne, existierten nicht mehr; höhere, fast ätherische Gesetze traten an ihre Stelle. Sie hatte keine Zeit mehr für etwas anderes. Wie ein Feuerwerk sprühte sie, aber ohne Asche. Sie wollte nicht gerettet werden; ich glaubte das damals noch nicht. Sie wußte, daß sie nicht zu retten war. Da ich aber darauf bestand, ließ sie es zu — und ich, Narr, schleppte sie den Kreuzweg entlang, alle zwölf Stationen, von Bordeaux nach Bayonne und dann den endlosen Weg nach Marseille und zurück bis hierher.

Als wir zu dem Schlößchen zurückkamen, war es besetzt. Wir sahen Uniformen, Soldaten, die hölzerne Werktische heranschleppten, und ein paar Offiziere, die in Fliegerbreeches und glänzenden hohen Stiefeln wie fremdartige Pfauen umherstolzierten.

Wir beobachteten sie vom Park aus, hinter einer Buche und einer marmornen Göttin versteckt. Es war ein seidener später Nachmittag. „Haben wir noch etwas drüben?" fragte ich.

„Die Apfel an den Bäumen, die Luft, den goldenen Oktober und unsere Träume", sagte Helen.

„Die haben wir überall hinterlassen", erwiderte ich. „Wie fliegende Spinnweben im Herbst."

Der Offizier auf der Terrasse gab ein paar scharfe Kommandos. „Die Stimme des zwanzigsten Jahrhunderts"', sagte Helen. „Laß uns gehen. Wo schlafen wir heute nacht?"

„Wir werden irgendwo im Heu schlafen", sagte ich. „Vielleicht auch in einem Bett. Auf jeden Fall aber zusammen."

16

„Erinnern Sie sich an den Platz vor dem Konsulat in Bayonne?" fragte Schwarz. „An die Viererreihen der Flüchtlinge, die sich dann lösten und in Panik den Eingang blockierten und verzweifelt stöhnten und weinten und um Platz kämpften?"

„Ich erinnere mich daran, daß es Platzzettel gab", erwiderte ich. „Sie gaben einem das Recht, draußen zu stehen. Trotzdem blockierte die Menge den Eingang. Wenn die Fenster geöffnet wurden, stieg das Stöhnen zum Schreien und Heulen an. Die Pässe mußten aus den Fenstern heruntergeworfen werden. Dieser Wald von ausgestreckten Händen!"

Die hübschere der beiden Frauen, die in der Kneipe noch auf waren, schlenderte heran und gähnte. „Ihr seid komisch", sagte sie. „Redet und redet! Wir aber müssen jetzt schlafen. Wenn ihr noch anderswo sitzen wollt — alle Kneipen der Stadt sind wieder in Betrieb." Sie öffnete die Tür. Weiß und kreischend brach der Morgen herein. Die Sonne schien. Sie schloß die Tür wieder. Ich sah auf die Uhr.

„Das Schiff geht nicht heute nachmittag", erklärte Schwarz. „Es fährt erst morgen abend".

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