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remarque_erich_maria_die_nacht_von_lissabon.doc
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28.03.2016
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Ich mußte lachen. „So kann man es auch auffassen."

Sie war sehr heiter an diesem Abend und feierte ihn

wie ein Fest. Mit einer Kerze und goldenen Pantöf-

felchen, die sie in Paris gekauft und über alles hinweg gerettet hatte, lief sie in den Keller und brachte eine neue Flasche Wein herauf. Ich stand oben an der Treppe und sah sie durch das Dunkel heraufsteigen, das beleuchtete, zu mir gehobene Gesicht vor den vielfäl­tigen Schatten. Ich war glücklich, wenn man Glück einen Spiegel nennen kann, der ein geliebtes Gesicht spiegelt, rein und vollkommen vor vielen Schatten.

Das Feuer erlosch langsam. Sie schlief unter den bunten Sachen ein. Es war eine seltsame Nacht. Erst spät hörte ich das Dröhnen von Flugzeugen, unter dem die Rokokospiegel leise klirrten.

Wir blieben vier Tage allein. Dann mußte ich ins nächste Dorf, um einzukaufen. Ich hörte dort, daß von Bordeaux zwei Schiffe abgehen sollten. „Sind die Deutschen noch nicht da?" fragte ich.

„Sie sind da, und sie sind nicht da", antwortete man mir. „Es kommt darauf an, wer Sie sind."

Ich besprach es mit Helen. Sie war zu meinem Erstaunen ziemlich gleichgültig. „Schiffe, Helen!" sagte ich aufgeregt. „Fort von hier! Nach Afrika. Nach Lissabon. Irgendwohin. Von da kann man weiter.

„Warum bleiben wir nicht hier?" erwiderte sie. „Im Garten gibt es Obst und Gemüse. Ich kann es kochen, solange wir Holz haben. Brot bekommen wir im Dorf. Haben wir noch Geld?"

„Wir haben noch etwas. Und ich habe noch eine Zeichnung. Ich kann sie in Bordeaux verkaufen, damit wir Reisegeld haben."

„Wer kauft jetzt Zeichnungen?" „Leute, die ihr Geld anlegen wollen."

Sie lachte. „Dann verkaufe sie und laß uns hierblei­ben."

„Ich wollte, wir könnten es!" Sie hatte sich in das Haus verliebt. Auf der einen Seite lag ein kleiner Park, dahinter der Obst und Gemüsegarten. Sogar ein Teich und eine Sonnenuhr waren da. Helen liebte das Haus, und das Haus schien sie zu lieben. Es war ein Rahmen, der zu ihr paßte, und wir waren zum erstenmal nicht in Hotels oder Baracken. Das Leben in den Maskenkostümen und der Atmosphäre von heiterer Vergangenheit gab auch mir eine verzau­berte Hoffnung — manchmal sogar einen Glauben an ein Leben nach dem Tode —, als hätten wir bereits eine erste Bühnenprobe dafür hinter uns. Es wäre auch mir recht gewesen, wenn wir einige hundert Jahre so hätten leben können.

Trotzdem aber dachte ich weiter an die Schiffe in Bordeaux. Es schien mir unwahrscheinlich, daß sie auslaufen könnten, wenn die Stadt schon teilweise besetzt war — aber dies war die Zeit des Zwielichtkrieges. Frankreich hatte einen Waffenstill­stand, aber noch keinen Frieden, es hatte angeblich eine Okkupationszone und eine freie Zone, aber es hatte keine Macht, Abmachungen zu verteidigen, und außerdem war da die deutsche Armee und die Gestapo, und beide arbeiteten nicht immer Hand in Hand.

„Ich muß es herausfinden", sagte ich. „Du bleibst hier, und ich versuche, nach Bordeaux zu kommen."

Helen schüttelte den Kopf. „Ich bleibe nicht allein hier. Ich gehe mit dir."

Ich verstand sie. Es gab keine abgetrennten gefähr­lichen und ungefährlichen Gebiete mehr. Man konnte lebendig aus einem feindlichen Hauptquartier entkommen und auf einer entlegenen Insel von Gestapoagenten gefaßt werden; alle Maßstäbe von früher hatten sich verschoben.

Wir kamen auf die zufällige Weise hin, die Sie wahrscheinlich kennen", sagte Schwarz. „Wenn man hinterher darüber nachdenkt, begreift man nicht, wie sie möglich war. Zu Fuß, in einem Lastwagen — einmal ritten wir sogar eine Strecke auf zwei breiten, gutmü­tigen Ackerpferden, die ein Knecht zum Verkauf fortbrachte.

Es waren bereits Truppen in Bordeaux. Die Stadt war nicht besetzt, aber es waren Truppen da. Der Schock war stark; man erwartete, jede Minute festge­nommen zu werden. Helen trug ein unauffälliges Kostüm; es war außer dem Abendkleid, einem Paar Hosen und zwei Sweatern ungefähr alles, was sie an Garderobe besaß. Ich hatte den Monteuranzug. Einen zweiten Anzug hatte ich im Rucksack.

Wir ließen die Sachen in einer Kneipe. Es war überall auffällig, Gepäck zu haben, obschon auch zahlreiche Franzosen mit Koffern unterwegs waren. „Wir werden zu einem Reisebüro gehen und nach den Schiffen fragen", sagte ich. Wir kannten niemand in der Stadt.

Es existierte tatsächlich noch ein Büro. In den Fenstern hingen alte Plakate. „Verbringt den Herbst in Lissabon" —„Algier, die Perle Afrikas" —„Ferien in Florida" —„Sonniges Granada". Die meisten waren ausgebleicht, aber die von Lissabon und Granada leuchteten noch prachtvoll farbig.

Wirbrauchten nicht zu warten, bis wir zum Schalter kamen. Ein vierzehnjähriger Experte informierte uns. Es stimme nicht mit den Schiffen. Gerüchte dieser Art hätten seit Wochen umhergeschwirrt. Tatsache sei, daß lange vor der Besetzung ein englisches Schiff da gewesen sei, um Polen und Emigranten abzuholen, die sich zur polnischen Legion gemeldet haften, einer Truppe von Freiwilligen, die in England zusammengestellt wurde. Zur Zeit ginge kein Schiff.

Ich fragte, was alle die Leute im Raum dann wollten. „Die meisten dasselbe wie Sie", erwiderte der Experte.

„Und Sie?" fragte ich.

„Ich habe aufgegeben wegzukommen", sagte er. „Ich mache daraus meinen Broterwerb. Ich bin Dolmetscher, Ratgeber, Fachmann in Visa-Angelegenheiten, Experte in Unterkünften..."

Ich wunderte mich nicht. Not macht frühreif, und Jugend kennt keine Trübung des Blickes durch Sentimentalität und Vorurteile. Wir gingen in ein Cafe, und der Experte gab mir einen Überblick über die Lage. Es war möglich, daß die Truppen abziehen würden; aber Bordeaux war für Aufenthaltserlaubnisse trotzdem schwierig; für Visa ganz schlecht. Bayonne wurde für spanische Visa als gut im Augenblick befunden, aber es war überfüllt. Am besten schien Marseille zu sein;

aber das war ein langer Weg. Wir haben ihn alle gemacht, später. Sie auch?" fragte Schwarz.

„Ja", sagte ich. „Den Kreuzweg."

Schwarz nickte. „Ich versuchte natürlich das amerikanische Konsulat auf dem Wege. Aber Helen hatte einen gültigen deutschen Paß aus der Nazizeit; wie konnten wir da beweisen, daß wir in Todesgefahr waren? Die Juden, die ohne Papiere voll Angst vor den Türen lagen, schienen in größerer Gefahr zu sein. Unsere Pässe wurden Zeugen gegen uns, sogar der des toten Schwarz.

Wir beschlossen, zu unserem Schlößchen zurückzu­kehren. Zweimal hielten uns Gendarmen an; beide Male machte ich mir die Depression zunutze — ich schnauzte die Gendarmen an, hielt ihnen die Pässe unter die Nase und berief mich als Österreich-Deutscher auf die Militärverwaltung. Helen lachte, sie fand das alles komisch. Ich war das erstemal auf die Idee gekommen, als ich in der Kneipe unser Gepäck zurückverlangt hatte. Der Wirt hatte erklärt, nie Gepäck von uns erhalten zu haben. „Wenn Sie wollen, können Sie ja die Polizei rufen", sagte er und blinzelte mich lächelnd an. „Aber das wollen Sie doch wohl nicht!"

„Das brauche ich nicht", erwiderte ich. „Geben Sie die Sachen her!"

Der Wirt nickte dem Schankburschen zu. „Henri, der Herr möchte gehen."

Henri kam mit aufgekrempelten Ärmeln heran. „Ich würde mir das überlegen, Henri", sagte ich zu ihm. „Oder brennen Sie darauf, zu sehen, wie ein deutsches Konzentrationslager von innen aussieht?"

„Ta gueule", erwiderte Henri und hob die Anne nach mir.

„Schießen Sie, Sergeant!" sagte ich scharf und sah an seinem Kopf vorbei.

Henri fiel darauf herein. Er sah sich um, und da er die Arme noch halb erhoben hatte, trat ich ihm mit aller Kraft in seine Geschlechtsteile. Er brüllte auf und ging zu Boden. Der Wirt griff nach einer Flasche und kam um die Theke herum.

Ich nahm eine Flasche Dubonnet, die auf dem Zinkbelag stand, schlug sie gegen eine Ecke und hielt den zackigen Rest in der Hand. Der Wirt blieb stehen. Hinter mir splitterte eine zweite Flasche. Ich sah mich nicht um; ich konnte den Wirt nicht aus den Augen lassen. „Ich bin's", sagte Helen und schrie den Wirt an: „Salaud! Gib die Sachen heraus, oder du hast kein Gesicht mehr!"

Sie kam um mich herum, ihre zerbrochene Flasche in der Hand, und ging gebückt auf den Wirt los. Ich hielt sie mit der freien Hand fest. Sie mußte eine Pernodflasche erwischt haben, denn alles roch plötzlich nach Anis. Ein Strom von Hafenflüchen ergoß sich über den Wirt. Helen zerrte, halb geduckt, an meiner Hand, um loszukommen. Der Wirt trat rasch hinter die Theke zurück.

„Was geht hier vor?" fragte jemand von der Tür her auf deutsch.

Der Wirt begann zu grinsen. Helen wandte sich um. Der deutsche Unteroffizier, den ich vorher für Henri erfunden hatte, stand jetzt wirklich da.

„Ist er verletzt?" fragte der Unteroffizier.

„Das Schwein da?" Helen zeigte auf Henri, der noch immer die Fäuste zwischen die Beine preßte und, die Knie angezogen, auf dem Boden hockte. „Das ist kein Blut! Das ist Dubonnet!"

„Sind Sie Deutsche?" fragte der Unteroffizier.

„Ja", erwiderte ich. „Und wir sind bestohlen worden."

„Haben Sie Papiere?"

Der Wirt grinste; er schien etwas Deutsch zu verstehen.

„Natürlich", fauchte Helen. „Und ich bitte Sie, uns zu unserem Recht zu verhelfen!" Sie hielt ihren Paß hoch. „Ich bin die Schwester des Obersturmbannführers Jürgens. Hier,..", sie zeigte auf das Datum des Passes. „Wir wohnen im Schloß — " sie nannte einen Namen, den ich nie gehört hatte — ,und sind auf einen Tag nach Bordeaux gefahren. Unsere Sachen haben wir hiergelassen, bei diesem Dieb. Jetzt behauptet er, er hätte sie nie bekommen. Helfen Sie uns, bitte!"

Sie fuhr wieder auf den Wirt los. „Ist das wahr?" fragte der Unteroffizier ihn,

„Natürlich ist es wahr! Die deutsche Frau lügt nicht!" zitierte Helen einen der idiotischen Aussprüche des Regimes.

„Und wer sind Sie?" fragte mich der Unteroffizier. „Der Chauffeur", erklärte ich und zupfte an meinem Monteuranzug.

„Also los!" schrie der Unteroffizier den Wirt an. Der Mann hinter der Theke hatte aufgehört zu grinsen.

„Sollen wir Ihnen die Bude schließen?" fragte der Unteroffizier.

Helen übersetzte mit großem Genuß und fügte noch eine Anzahl , salauds" und „sales etrangers" hinzu. Das letzte entzückte mich besonders; einen Franzosen in seinem eigenen Land einen dreckigen Ausländer zu nennen, konnte nur von jemand voll genossen werden, der dasselbe oft genug selbst genannt worden war.

„Henri!" bellte der Wirt. „Wo hast du die Sachen gelassen? Ich weiß von nichts", erklärte er dem Unteroffizier, „der Bursche muß das getan haben."

„Er lügt", übersetzte Helen. „Er schiebt die Schuld auf den Gorilla dort. Raus mit den Sachen", sagte sie zum Wirt. „Sofort! Oder wir holen die Gestapo!"

Der Wirt gab Henri einen Tritt. Er schlich davon. „Entschuldigen Sie", sagte der Wirt zum Unteroffizier. „Ein Mißverständnis. Ein Gläschen?"

„Cognac", erwiderte Helen. „Den besten." Der Wirt stellte ein Glas auf den Schanktisch. Helen starrte ihn an. Er fügte zwei Gläser hinzu. „Sie sind eine tapfere Frau", sagte der Unteroffizier.

„Die deutsche Frau fürchtet sich vor nichts", zitierte Helen die Nazi-Ideologie und legte die zerbrochene Pernodflasche weg.

„Was für einen Wagen fahren Sie?" fragte mich der Unteroffizier.

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