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und sagte kein einziges.doc
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09.11.2019
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Ich knipste das Licht aus, zog mich im Dunkeln aus und legte mich ins Bett. „Es ist erst zehn", sagte ich.

„Herrlich", sagte sie „wir können fast neun Stunden schlafen."

„Wie lange bleibt der Jüngling bei den Kindern?" „Bis kurz vor acht."

„Aber wir wollen in Ruhe frühstücken", sagte ich.

„Werden wir geweckt?" „Nein, ich werde schon wach." „Ich bin müde, Fred" sagte sie, „aber erzähl mir noch was. Weißt du keine Berührungsgeschichten mehr?"

„Vielleicht fallen mir noch ein paar ein", sagte ich. „Los", sagte sie, „du bist doch ein netter Kerl, aber ich möchte dich manchmal prügeln. Ich liebe dich."

„Ich bin froh, dass du es mir sagst. Ich hatte Angst dich zu fragen."

„Früher fragten wir uns alle drei Minuten danach."

„Jahrelang."

„Jahrelang", sagte sie.

„Los erzähle", sagte sie, sie nahm meine Hand wieder und hielt sie fest. „Von Frauen?", fragte ich. „Nein", sagte sie, „lieber von Männern oder Kindern, oder von alten Frauen. Ganz geheuer ist es nur nicht mit den jungen Frauen." „Du brauchst gar nichts zu fürchten", sagte ich. Ich beugte mich über sie, küsste sie auf den Mund und als ich mich wieder zurücklegte, fiel mein Blick nach draußen und ich sah die Leuchtschrift VERTRAU DICH DEINEM DROGISTEN AN!

„Los", sagte sie.

„In Italien", sagte ich, „haben mich sehr viele Men sehen berührt. Männer und Frauen junge und alte, auch Kinder. Sogar reiche Frauen. Reiche Männer sogar."

„Und eben sagtest du noch, die Menschen seien langweilig."

„Mir ist ganz anders, viel besser, seitdem ich weiß, dass du mich noch liebst. Du hast mir schreckli­che Dinge gesagt."

„Ich nehme nichts davon zurück. Jetzt spielen wir ein wenig, Fred. Vergiss es nicht, dass wir spielen. Der Ernst kommt wieder. Und ich nehme nichts zurück — und dass ich dich liebe, hat gar nichts zu bedeuten. Du liebst die Kinder auch und kümmerst dich einen Dreck um sie."

„Oh, ich weiß", sagte ich, „du hast es deutlich genug gesagt. Aber jetzt wähle, meinetwegen, Mann, Frau oder Kind und welches Land?"

„Holland", sagte sie, „ein holländischer Mann."

„Oh, du bist gemein", sagte ich, „es ist schwer einen holländischen Mann zu finden, der dein Herz berührt. Du bist gemein, aber im Krieg habe ich wirklich einmal einen Holländer gesehen, der mein Herz berührt hat, sogar einen Reichen. Aber er war nicht mehr reich. Als ich durch Rotterdam7 fuhr — es war die erste zerstörte Stadt, die ich sah; merkwürdig, jetzt ist es so weit, dass eine nicht zerstörte Stadt mich bedrückt — damals war ich ganz verwirrt, ich sah die Menschen, sah die Trümmer ..."

Ich spürte, wie der Griff ihrer Hand sich lockerte, beugte mich über sie und sah, dass sie schlief: Im Schlaf sieht ihr Gesicht hochmütig aus, sehr abweisend, ihr Mund ist ein wenig geöffnet und hat einen schmerzlichen Ausdruck. Ich legte mich zurück, rauchte noch eine Zigarette und lag lange im Dunkeln wach, dachte über alles nach. Ich versuchte auch zu beten, konnte es aber nicht. Einen Augenblick lang dachte ich daran, noch einmal hinunter zu gehen, vielleicht wenigstens einmal zu tanzen mit einem Mädchen aus der Schokoladenfabrik, noch einen Schnaps zu trinken und ein bisschen an den Automaten zu spielen, die jetzt sicher frei waren. Aber ich blieb liegen. Jedes Mal, wenn der Spruch am Giebel des Hochhauses aufflammte, erleuchtete er die grünliche Tapete mit dem herzförmigen Muster, der Schatten der Lampe an der Wand wurde sichtbar und das Muster der Wolldecken: ballspielende Bären, die sich in ballspielende Menschen verwandelt hatten: stiernackige Athleten, die große Seifenblasen einander zuwarfen. Das Letzte aber, was ich sah, bevor ich einschlief, war der Spruch oben:

VERTRAU DICH DEINEM DROGISTEN AN!

·XII·

Es war noch dunkel, als ich wach wurde. Ich hatte tief geschlafen und gleich, als ich erwachte, das Gefühl großen Wohlbefindens. Fred schlief noch, zur Wand gekehrt, ich sah nur seinen mageren Nacken. Ich stand auf, zog den Vorhang beiseite und sah über dem Bahnhof das helle Grau des Morgendämmers. Beleuchtete Züge fuhren ein, die sanfte Stimme des Ansagers kam über die Trümmer bis ans Hotel, das dumpfe Rollen der Züge war zu hören. Im Hause war es still. Ich hatte Hunger. Ich ließ das Fenster offen, legte mich ins Bett zurück und wartete. Aber ich war jetzt unruhig, dachte dauernd an die Kinder, sehnte mich nach ihnen und wusste nicht, wie spät es war. Da Fred noch schlief, konnte es noch keine halb sieben sein, er wird immer um halb sieben wach. Ich hatte noch Zeit. Ich stand wieder auf, zog meinen Mantel über, streifte die Schuhe über die Füße und ging leise ums Bett herum. Ich öffnete vorsichtig die Tür, tappte im Halbdunkel des schmutzigen Flures nach der Toilette und fand sie endlich in einer unbeleuchteten übel riechenden Ecke. Fred schlief noch, als ich zurückkam. Die beleuchteten Uhren im Bahnhof konnte ich sehen: gelblich schimmernde Scheiben, aber ich konnte die Zeit nicht ablesen. Am Giebel des Hochhauses flammte die Schrift auf, scharf ausgestochen in der grauen Dunkelheit:

VERTRAU DICH DEINEM DROGISTEN AN!

Ich wusch mich vorsichtig, ohne Lärm zu verursachen, zog mich an und als ich mich umblickte, sah ich, dass Fred mir zusah: Er lag da blinzelnd, steckte sich eine Zigarette an und sagte: „Guten Morgen."

„Guten Morgen", sagte ich.

„Ist dir nicht mehr schlecht?"

„Kein bisschen", sagte ich, „mir ist ganz wohl."

„Schön", sagte er, „du brauchst dich nicht zu beeilen."

„Ich muss weg, Fred", sagte ich, „ich habe keine Ruhe mehr."

„Wollen wir nicht zusammen frühstücken?"

„Nein", sagte ich.

Die Sirene der Schokoladenfabrik tutete heftig, dreimal schnitt ihr wildes Pfeifen in den Morgen. Ich saß auf der Bettkante, knüpfte meine Schuhe zu und spürte, wie Fred mir von hinten ins Haar griff. Er ließ es sanft durch seine Finger gleiten und sagte: „Wenn alles wahr ist, was du gestern gesagt hast, werde ich dich also so bald nicht wiedersehen, wollen wir da nicht wenigstens zusammen Kaffee trinken?"

Ich schwieg, zog den Reißverschluss an meinem Rock hoch, knöpfte meine Bluse zu, ging zum Spiegel und kämmte mich. Ich sah mich nicht im Spiegel, kämmte aber mein Haar und spürte, wie mein Herz klopfte. Jetzt erst begriff ich alles, was ich gestern gesagt hatte, und ich wollte es nicht zurücknehmen. Ich hatte fest drauf vertraut, dass er zurückkommen würde, aber jetzt schien mir alles unsicher. Ich hörte, wie er aufstand, sah ihn im Spiegel, als er aufrecht neben dem Bett stand, und es fiel mir auf, wie verkommen er aussah. Er hatte in dem Hemd geschlafen, das er auch tagsüber trug, sein Haar war wirr, sein Gesicht hatte einen mürrischen Ausdruck, als er jetzt die Hose hochzog. Mechanisch zog ich den Kamm durch mein Haar. Die bloße Möglichkeit, dass er uns wirklich allein lassen würde — ich hatte nie ernsthaft an sie gedacht — jetzt dachte ich daran: Mein Herz blieb stehen, setzte heftig wieder ein, blieb wieder stehen. Ich beobachtete ihn genau, wie er, die Zigarette im Mund, gelangweilt seine zerknüllte Hose zuknöpfte, den Gürtel stramm zog, Strümpfe und Schuhe anzog: Dann blieb er seufzend stehen, strich sich mit den Händen über die Stirn, die Brauen und ich konnte nicht begreifen, dass ich fünfzehn Jahre mit ihm verheiratet war: Er war mir fremd, dieser gelangweilte, gleichgültige Zeitgenosse, der sich nun aufs Bett hockte, den Kopf in die Hände stützte, und ich ließ mich in den Spiegel fallen1 und dachte an die Verheißung eines anderen Lebens, das ehelos sein sollte: Es musste schön sein in einem Leben, in dem es keine Ehe gab, keine verschlafenen Männer, die, kaum erwacht, nach ihrer Zigarettenpackung griffen. Ich holte meinen Blick aus dem Spiegel zurück, klemmte mein Haar fest und trat ans Fenster. Es war heller geworden, hellgrau jetzt über dem Bahnhof, ich nahm es in mich auf, ohne es zu wissen: Immer noch träumte ich von diesem ehelosen Leben, das uns verheißen ist, hörte den Rhythmus liturgischer Gesänge, sah mich mit Männern zusammen, mit denen ich nicht verheiratet war, und von denen ich wusste, dass sie nicht begehrten, in meinen Schoss zu gelangen.

„Kann ich deine Zahnbürste nehmen?", fragte Fred vom Waschtisch her. Ich blickte zu ihm, sagte zögernd „Ja" und plötzlich wurde ich wieder wach.

„Mein Gott", sagte ich heftig, „zieh doch wenigstens dein Hemd aus, wenn du dich wäschst."

„Ach, wozu", sagte er. Er klappte den Kragen seines Hemdes nach innen, rieb sich mit einem angefeuchteten Handtuch übers Gesicht, durch den Nacken, über den Hals und die Gleichgültigkeit seiner Bewegungen reizte mich.

„Ich werde mich einem Drogisten anvertrauen", sagte er, „werde eine vertrauenswürdige Zahnbürste kaufen. Lasst uns überhaupt unser ganzes Vertrauen den Drogisten schenken."

„Fred", sagte ich heftig, „dass du Witze machen kannst. Es ist mir ganz neu, dass du morgens so gut gelaunt bist."

„Ich bin gar nicht gut gelaunt", sagte er, „nicht einmal besonders schlecht, obwohl es bitter ist, noch kein Frühstück gehabt zu haben, keinen Kaffee."

„Oh, ich kenne dich", sagte ich, „du, lass du nur dein Herz berühren."

Er kämmte sich mit meinem Kamm, hielt jetzt inne, wandte sich um und sah mich an: „Ich habe

dich zum Frühstück eingeladen, Liebste", sagte er sanft, „und du hast mir noch nicht geantwortet."

Er wandte sich wieder ab, kämmte sich weiter und sagte in den Spiegel hinein: „Die zehn Mark kann ich dir erst nächste Woche geben."

„Ach, lass nur", sagte ich, „du brauchst mir nicht dein ganzes Geld zu geben."

„Ich möchte es aber", sagte er, „und ich bitte dich es anzunehmen."

„Danke, Fred", sagte ich, „wirklich, ich danke dir. Wenn wir frühstücken wollen, wird es Zeit."

„Du gehst also mit?"

„Ja."

„Ach, schön."

Er zog die Krawatte durch den Kragen, knüpfte sie und ging zum Bett seinen Rock zu holen. „Ich komme wieder", sagte er plötzlich heftig, „komme bestimmt wieder, komme zu euch zurück, aber ich möchte nicht, dass ich zu etwas gezwungen werde, was ich gerne von mir aus tun würde." „Fred", sagte ich, „ich glaube, es gibt nichts mehr darüber zu reden."

„Nein", sagte er, „du hast Recht. Es wäre schön dich wiederzusehen in einem Leben, in dem ich dich lieben könnte, so lieben wie jetzt, ohne dich zu heiraten."

„Ich dachte eben daran", sagte ich leise, und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Er kam schnell ums Bett herum zu mir, umarmte mich und ich hörte ihn sagen, während sein Kinn

auf meinem Kopf ruhte: „Es müsste schön sein dich dort wiederzusehen. Ich hoffe, du erschreckst

nicht, wenn ich auch dort auftauche."

„Ach, Fred", sagte ich, „denk doch an die Kleinen."

„Ich denke daran", sagte er, „jeden Tag denke ich daran. Gib mir wenigstens einen Kuss."

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