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Im Ton unverwechselbar

Gibt es eine eigenständige österreichische Literatur? Hat sie sich nach 1945 an die deutsche Literatur angehängt wie der Schilling an die D-Mark? Oder gingen die österreichischen Autoren selbstbewusst ihre eigenen Wege? Die buchmedia-Redaktion hat sich bei österreichischen Autorinnen und Autoren umgehört. Von Nilsjensen, Johannes Gelich und Tobias Hierl

„Die deutsche Sprache ist kein Merkmal der österreichischen Literatur." Dieser Satz des Lyrikers Gerald Bisinger ist mehrdeutig zu verstehen. Doch was ist eigentlich das Spezifische an der österreichischen Literatur? Der Schriftsteller und langjährige Sprecher der Bachmann-Jury Robert Schindel erklärt sich die Eigenständigkeit der österreichischen Literatur weniger aus der Sprache heraus als vielmehr durch ihre spezifische Geschichte bedingt. Die Habsburgermonarchie einerseits und die deutschen Kleinstaaten auf der anderen Seite, das hatte einen ganz verschiedenen Habitus in der Bevölkerung hervorgerufen. „Das ist schwierig nachzuweisen, aber wenn man die Kontinuitäten beider Literaturen anschaut, merkt man schon das Sinnliche, das Wortspielerische, auch den Bezug auf die Heimat, positiv oder negativ, das eher ein Kennzeichen der österreichischen Literatur ist. Es ist ein unverkennbarer Ton, den man als österreichisch bezeichnen kann. Es gibt keinen Schnitzler in Deutschland“.

Wie stark die Differenzierung auch ist und wie man sie festlegt, die Entwicklung der literarischen Landschaft in Österreich nach 1945 verlief auf alle Fälle unabhängig von Deutschland oder der Schweiz. Grob vereinfacht schlingerte die österreichische Literaturgeschichte zwischen den Polen der Sprachkritik im Umkreis der Wiener Gruppe einerseits und der realistischen Erzähler der 70er Jahre andererseits. Daraus ergibt sich heute ein breites Spektrum an Autoren, die sich in eine sprach- und generell kunstkritische Tradition einordnen, und jenen, die vor allem eines wollen: Erzählen.

Michael Kohlmeier bezieht dabei eindeutig Position: „Wenn man nicht mehr erzählen kann, dann ist meines Erachtens die Literatur am Ende. Als ich begonnen habe zu schreiben, da hieß es, der Roman ist zu Ende und das Erzählen ist zu Ende und Geschichtenschreiben ist zu Ende. Alles war sehr diktiert und unter der Angstknute der Avantgarde. Da habe ich gedacht, wenn das so ist, dann müsste ich gar nicht erst anfangen zu erzählen. Aus diesem Grund hat mich das meiste der damals zeitgenössischen österreichischen Literatur überhaupt nicht interessiert."

Auch für Thomas Glavinic ist es klar: „Ich möchte Geschichten erzählen, nicht die Welt, die Literatur oder die Sprache verbessern. Ich möchte, wie Helmut Gollner es für mich formuliert hat, die, Wirklichkeit verwirklichen'. Das ist ein Ansatz, der sich von der literarischen Vatergeneration in unseren Breiten schon ziemlich unterscheidet. Aber ich sehe mich da in guter Gesellschaft; ich würde sagen, Daniel Kehlmann, Radek Knapp oder Manfred Rumpl wollen in etwa auch dasselbe wie ich."

Susanne Ayoub sieht sich zwar als traditionelle Erzählerin, möchte sich aber auch eine sprachkritische und experimentierfreudige Haltung bewahren: „Ich wollte nie etwas anderes als Geschichten erzählen, doch die andere Seite hat mir immer sehr gefallen." Kathrin Röggla ortet ihre Wurzeln hingegen bei den Sprachkünstlern der damaligen Avantgarde. „Ende der 80er, Anfang der 90er war ich noch voll in dem Avantgarde-Furor: H.C. Artmann, Ernst Jandl ist schon noch präsenter und vor allem Konrad Bayer, der für mich wichtigste Autor der Wiener Gruppe. Aber das ist schon so weit zurück, und das ist ein bisschen merkwürdig. Trotzdem sind das eben sozusagen meine ästhetischen Wurzeln, die Auseinandersetzung damit, da komme ich eben her." Heute würde sie aber die Art ihres Schreibens anders einschätzen: „In meinem Schreiben hat sich etwas verschoben: weg von einer Sprachkri­tik, mehr hin zu einer Gesellschaftskritik, die aber auch Sprachkritik ist, weil das mein Ansatzpunkt ist: Der Diskurs, die Rhetorik." Kathrin Rög­gla hat für sich das Thema Sprachkritik auf ihre Weise gelöst und in ihre Literatur eingebunden: „Mich interessiert ein kritischer Blick, der Sprachkritik und politische Kritik vereint. Eine ästhetische Struktur ist für mich gebunden an den Gegenstand und das Material; es gibt nicht die Sprachkritik, die abgehoben ist; das sozusa­gen rein Formale interessiert mich nicht. Ist ja auch eine Fiktion."

Die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, der sozialkritische und politische Diskurs verlief in Österreich anders als beispielsweise in Deutschland. „Wenn man Deutschland und Österreich vergleicht, dann lief in Österreich das Politische über das Ästhetische, da gab es Auseinandersetzungen um den Wiener Aktionismus oder die Besetzung der Arena, das Poli­tische lief über das Ästhetische, während in Deutschland das Politische selbst der Ort der Austragung war," resümiert Röggla. Aber die Avantgarde stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. So meint Michael Kohlmeier: „Ich glaube nicht, dass einem durchschnittlich literarisch Gebildeten auch nur drei Namen der österreichischen Avantgarde einfallen würden. Dieses Auftreten der Avantgarde, wie ich es eigentlich nur von autoritären Lehrern gekannt habe, das fand ich doppelt lächerlich."

Neben dem Sprachexperiment dominierte dann ab den 70er Jahren die so genannte realistische Litera­tur. Dazu zählten unter anderem Gernot Wolfgruber, Franz Innerhofer oder Michael Scharang. Robert Schindel oder Doron Rabinovici sind in den letzten Jah­ren eher den Weg der Erinnerungsliteratur gegangen. Dazu meint Robert Schindel: „Dieses Literaturwunder der 70er Jahre war die erste junge Literatur, die eine Anti-Heimat-Literatur war. Bis dato gab es ja nur eine positiv konnotierte Heimatliteratur. Und bis in die 60er Jahre hinein haben ja noch die ständestaatlichen Großen dominiert, wenn man von Weigel und Torberg absieht, deren Literaturverständnis auch eher dieser Literatur zuzuschreiben ist. Daher hat diese 70er- Literatur erstaunliches Echo gefunden, auch in Deutschland. Ich habe auf dem aufbauen können, spielte ja bis Mitte der 80er Jahre keine Rolle im Literaturbetrieb. War zwar nicht genau mein Thema, da ich nicht am Land aufgewachsen bin, aber meine Wurzeln habe ich auch beschrieben. Das sind urbane Wurzeln."

Diese Tendenz zum geschichts- und sozialkritischen Ajnti-Heimat-Roman dominiert in Zeiten der Globalisierung nicht mehr. Jetzt werden Geschichten aus der Geschichte geschrieben, etwa ,,Gebürtig" von Robert Schindel oder ,,Die Vertreibung aus der Hölle" von Robert Menasse, eine Art Geschichts-Roman über eine Lebenssituation in Österreich hier und heute mit historischen Bezügen in einem internationalisierten Kontext. Doron Rabinovici nimmt in seinem Schreiben einen eigenen Standpunkt dazu ein, da er sich das, Deutsche' erst erarbeiten musste:

,,Es ist eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die in der Gegenwart widergespiegelt wird. Es sind sehr urbane, von den 70er Jahren abgesetzte Texte. Ich habe wenig Bezug zu den Anti-Heimat-Romanen. Wenn ich schreibe, setze ich mich auseinander mit dem, was mich umgibt, und das sind Dinge, die auch woanders in Europa stattfinden konnten. Aber sie passieren halt hier. Ich bin Doppelstaatsbürger, konnte mich sozusagen in verschiedene Sparten einreihen, außerdem bin ich ein Kind von Emigranten. Bin natürlich kein, Gastarbeiterkind, aber trotzdem auch Zweite Generation. Insofern ist Wien die Stadt, in der ich wohne. Aber was passiert, kann eben auch woanders passieren." Durch die geringe Größe Österreichs sind Autorinnen und Autoren fast gezwungen, bei deutschen Verlagen ihre Bücher unterzubringen. Für Thomas Glavinic ist das eine Herausforderung: ,,Der literarische Betrieb in Österreich ist sehr verfilzt. Auto­ren fördern sich gegenseitig, Kleinverleger drucken die Bücher ihrer Freunde und sitzen dann in den Jurys, welche eben diesen Autoren Jahresgehälter zusprechen. Ich halte das österreichische Kleinverlagswesen für nicht unproblematisch: Würde man weniger Verlage fördern, dafür aber mit mehr Geld, konnten diese eine ganz andere Macht haben, Bücher durchzusetzen. So aber schmort das System sozusagen ständig im eigenen Saft. Das Beste, was einem österreichischen Autor passie­ren kann, ist ein deutscher Verlag, der ihn zwingt, sich einer größeren Konkurrenz auszusetzen, und ihn aus diesem System wohlfeiler gegenseitiger Selbstbestätigung herausholt. Auch hier ist das Risiko natürlich großer. Aber in der Kunst ist nichts gefährlicher als Sicherheit." Die Aus­einandersetzung mit der Konkurrenz hat aber zuerst das Lektorat in einem Verlag zu durchlaufen und da kann das Österreichische mitunter ein wenig unter die Räder kommen, wie Susanne Ayoub sich erinnert: ,,Der österreichische Humor ist innerhalb der deutschen Sprache etwas ganz Eigenständiges, das fast nicht exportierbar ist. Die österreichische Sprache hat etwas Unverwechselbares und wird auch sofort eingeengt, wenn sie sich auf dem deutschen Markt bewegen muss. Was in Deutschland nicht verstanden wird, darf auch nicht drinstehen. Eine österreichische Tönung wird aber gerne gesehen. Bei einzelnen Wörtern gibt es aber immer einen Kampf, etwa um ,,Stiege" oder ,,Treppe", ,,Müll" oder ,,Mist". Ich habe nicht wütend über meine Wörter gewacht, doch schon angemerkt, dass ich nicht verstehe, warum man eine österreichische Autorin in einem deutschen Verlag publiziert, wenn man ihr dann das Österreichische wegnehmen will, noch dazu bei einer Geschichte, die in Wien spielt." Wenn schon so viel die Rede ist vom Schreiben, drangt sich zuletzt natürlich die Frage auf: Lesen österreichische Autoren österreichische Autoren? Zuerst kommt dann mal eine Relativierung: ,,Ich nehme die österreichische Literatur mehr wahr, doch sie interessiert mich nicht mehr als eine andere Literatur," meint Susanne Ayoub. Und auf die Nachfrage: nFasziniert bin ich von der Ingeborg Bachmann, aber Vorbilder habe ich eigentlich nicht. Unter den zeitgenossischen Autoren habe ich am meisten den Christoph Ransmayr geschätzt mit seiner wLetzten Welt" und den Schrecken des Eises und der Finsternis". Mit Peter Handke bin ich aufgewachsen, habe ihn dann aber wieder verlassen. Turrini war mir ein Vorbild, auch die Mikrodramen von Wolfgang Bauer habe ich gemocht." Michael Kohlmeier geht ein wenig weiter in die Vergangenheit zurück, wo es noch eine breite Zahl an Erzählern gegeben hat: nAm meisten von allen Österreichern habe ich von Joseph Roth gelesen. Ich finde die Erzählhaltung des Joseph Roth viel geeigneter, um daraus zu lernen, unsere Welt zu beschreiben als die Erzählhaltung von Robert Musil, obwohl man das gar nicht laut sagen darf. Der Robert Musil gilt so als der große Fels, der die moderne Welt gese­hen hat, aber ich glaube, dass seine Mittel heute scheitern würden, während die Mittel des Joseph Roth nicht scheitern. Joseph Roth ist eine Quelle der eigenen Kreativität, nicht der nachahmerischen, nachäffenden Kreativität." Auch für Glavinic scheint die Großvater-Generation wichtiger zu sein als die Gegenwart: ,,Die Generation der österreichischen Schriftsteller vor mir hat mich nur wenig interessiert. Es ist in der Litera­tur wohl grundsätzlich so, dass man sich mehr mit der Großvatergeneration als mit jener der Vater identifiziert. Bei den Großvätern fasziniert mich am meisten Joseph Roth. Was die Vater betrifft: Mit Handke oder Bernhard kann ich kaum etwas anfangen. Ich kann ihren Zugang zur Lite­ratur zwar nachvollziehen, aber ich selbst habe andere Vorstellungen." Man versucht eigene Wege zu gehen - und eigene Wege sind die österreichischen Autoren schon immer gegangen, so wie Kathrin Röggla: ,,Ich habe mich in den letzten Jahren kaum von österreichischen Gegenwartsautoren beeinflussen lassen. Sie waren für mein Schreiben einfach nicht so wichtig. Schon eher der österreichische Film."