Literatur heute
1998 erschien in Berlin ein Buch, das begeisterte Kritiken bekam. Man sprach von „dem langersehnten Roman über das vereinigte Deutschland"
1995 gab der Dresdner Autor Ingo Schulze (geboren 1962) sein Debüt mit „33 Augenblicke des Glücks", drei Jahre später schrieb er dann „Simple Storys, Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz", der aus scheinbar einfachen Geschichten besteht, die aber die großen Zusammenhänge festhalten. In dem unpathetischen Stil in der Tradition der amerikanischen Short Story erzählt Ingo Schulze von den Bewohnern der ostthüringischen Kleinstadt Altenburg, einer in der DDR runtergekommenen Stadt im Uran- und Kohleabbaugebiet. In Alltagsbegebenheiten schildert er das Zusammenstürzen einer ganzen Welt nach 1990 und wie sich der Umbruch in den Biographien der Menschen niederschlägt.
Es war einfach nicht die Zeit dafür. Fünf Tage mit dem Bus: Venedig, Florenz, Assisi. Für mich klang das alles wie Honolulu ... In den dunkelgrünen Koffer packten wir unsere Sachen, in die schwarzrot karierte Tasche Besteck, Geschirr und Proviant: Wurst- und Fischkonserven, Brot, Eier, Butter, Käse, Salz, Pfeffer, Zwieback, Äpfel, Apfelsinen und je eine Thermoskanne Tee und Kaffee ... Sie müssen mal versuchen, sich das vorzustellen. Plötzlich ist man in Italien und hat einen westdeutschen Paß. ... Man befindet sich auf der anderen Seite der Welt und wundert sich, daß man wie zu Hause trinkt und ißt und einen Fuß vor den anderen setzt, als wäre das alles selbstverständlich.
Es ist Februar 91, Ich arbeite bei einer Wochenzeitung. Überall wartet man auf den großen Aufschwung. Supermärkte und Tankstellen werden gebaut, Restaurants eröffnet und die ersten Häuser saniert. Sonst gibt es aber nur Entlassungen und Schlägereien zwischen Faschos und Punks, Skins und Redskins, Punks und Skins. An den Wochenenden rückt Verstärkung an, aus Gera oder Leipzig-Connewitz, und wer in der Überzahl ist, jagt den anderen. Es geht immer um Vergeltung. Die Stadtverordneten und der Kreistag fordern Polizei und Justiz zu energischen Schritten auf. Anfang Januar schrieb ich eine ganze Seite über das, was sich regelmäßig freitags auf dem Bahnhof abspielt. Von Patrick stammten die Fotos. Eine Woche später sorgte ein anderer Artikel von mir für Wirbel. Nach Zeugenaussagen berichtete ich, daß Unbekannte nachts in Altenburg-Nord eine Wohnungstür aufgebrochen und den fünfzehnjährigen Punk Mike P. fast erschlagen hatten. ...
Beyer, unser Chef, untersagte mir, die Beiträge zu unterzeichnen. Auch Patricks Name durfte nicht erscheinen ... „Gegen Vandalismus", sagte er, versichert niemand."
(aus: Ingo Schulze, Simple Storys, a.a.O., S. 15/16, 17 und 30)
In seinem neuesten Roman, „Neue Leben" (2005) erzählt Ingo Schulze wiederum von Zeiten des Umbruchs und den Brüchen im Leben (www.schulzeneueleben.de: Ingo Schulze liest aus seinem Buch).
Aufgaben
1. Hör-Bücher sind Verkaufsschlager geworden. Kennen Sie gelesene Literatur auf CD?
2. In Deutschland ist eine Vorlesekultur entstanden. Literaturabende werden zu attraktiven Events. In vielen Städten werden m i t große n Besucherzahlen Lesefestivals mit Autoren- und Schauspielerlesungen, Leseperformances und Vorlesefestivals für Kinder veranstaltet. Welchen Stellenwert hat Literatur in Ihrem Land?