- •Verlag von s. Hirzel in leipzig
- •I. Das Chortitzaer Mennonitengebiet(1)
- •II. Das Neusatzer Kolonistengebiet(1)
- •III. Das Zьrichtaler Kolonistengebiet
- •IV. Das Molotschnaer Kolonistengebiet(1)
- •V. Das Molotschnaer Mennonitengebiet(1)
- •VI. Das Schwedengebiet(2)
- •VII. Das Mariupoler Kolonisten- und Mennonitengebiet(4)
- •VIII. Alt-Danzig
- •X. Rybalsk(3)
- •XI. Die Kolonie Neudanzig
V. Das Molotschnaer Mennonitengebiet(1)
Geschichtliche Ьbersichten der Grьndung und des Bestehens der
Mennonitengemeinden an der Molotschna bis zum Jahr 1848. Aus
archivalischen Quellen herausgegeben von J. Stach.
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 165-167,
169-172, 174-176, 178-179, 183, 185-186, 188-191, 193, 196-197,
199, 201-204, 206, 208-210, 212-213, 215-218, 220, 222, 225,
228, 231.
1. Halbstadt(2)
Den Mennoniten im Kцnigreich PreuЯen war laut Allerhцchster Deklaration von 1801
nicht erlaubt, ihre Lдndereien zu erweitern, noch andere auЯer den schon
vorhandenen kдuflich an sich zu bringen, weil sie sich ihren Glaubensgrundsдtzen
nach, der Kantonpflichtigkeit(*) nicht unterwerfen konnten(3). Dadurch gerieten
* Kanton hieЯ frьher in PreuЯen ein aushebungsbezirk. Kantonpflichtigkeit war
also soviel als Militдrpflichtigkeit. Anm. d. Red. [der Odessaer Zeitung].
sie bei zunehmender Familienzahl in bedrдngte Umstдnde. Nun waren schon frьher
auf das Verlangen Ihrer Majestдt der Kaiserin Katharina Mennoniten in's sьdliche
RuЯland eingewandert. Auf Grund dieses Verlangens und auf die den im Chortitzer
Bezirk im Jekaterinoslawschen Gouvernement angesiedelten Mennoniten von Sr.
Majestдt Kaiser Paul 1800 am 6. September Allerhцchst verliehenen
Privilegien(4), wanderten 1803 und 1804 eine Bedeutende Anzahl Familien aus dem
Kцnigreich PreuЯen, der Provinz WestpreuЯen und den Regierungsbezirken
Marienwerder und Danzig in das sьdliche RuЯland, wo sie sich im taurischen
Gouvernement niederlieЯen(5).
Eigentliche Anfьhrer hatten diese Einwanderer nicht, aber zwei aus ihrer Mitte,
Klaas und Wiens(6), spдter Ansiedler in der Kolonie Altona, und David Hьbert(7),
Ansiedler in der Kolonie Lindenau, hatten einigermaЯen das Ruder in der Hand.
________________
(1) Nach J. Stach in der Odessaer Zeitung Jg. 42, 1904, Nr. 165, S. 2, wurden
vom Molotschnaer Mennoniten-Gebietsamt (Gebietsvorsteher Tцws,
Gebietsbeisitzer: Braun und Neufeld, Gebietsschreiber Reimer) am 15. Mai
1848 44 Berichte an das "Fьrsorgekomitee" gesandt, von denen J. Stach aber
nur 43 verцffentlichte. Ьber den Bericht der Kolonie Ohrloff vgl. S. 161
Anm. 1.
(2) Halbstadt hat viel lдnger als die ьbrigen Kolonien seinen deutschen Namen
beibehalten.
(3) Vgl. die "Privilegia, Rescripte und Declarationen, zum Besten der
Mennoniten" bei Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 33 ff., besonders S. 38 (17.
Dezember 1801).
(4) Vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19546 und die Inhaltsangabe bei Friesen a.a.O. S.
98-100.
(5) 1802 wurden 150 Mennonitenfamilien aus Chortitza in das "Nikolajewsche"
Gouvernement versetzt, 1803 wanderten noch 150 Familien (1055 Personen),
1804 162 Familien (942 Personen) ein, vgl. Storch a.a.O. Bd. 4, S. 115, Bd.
6, Tabelle 6 und Bd. 8, S. 140, Varadinow a.a.O. Bd. 1, S. 124 f.
(6) soll wohl heiЯen "Klaas Wiens", der 1804-1806 erster Oberschulz des
Molotschnaer Mennonitengebiets war, vgl. H. Schroeder: RuЯlanddeutsche
Friesen. Dцllstдdt-Langensalza 1936, S. 19 und unten S. 90.
(7) Der Name wird auch "Hiebert" geschrieben.
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Schon auf der Reise, in der Grenz- und Gouvernementsstadt Grodno, hatten diese
Einwanderer von der Russischen hohen Krone einer besonderen Huld und Wohltat
sich zu erfreuen, indem einer jeden Familie 50 Rbl. Banko geschenkt wurden.
AuЯerdem bekamen sie noch von dort an auf 40 Tage fьr eine jede Seele ьber 12
Jahren 20 Kop. und unter 12 Jahren 10 Kop. Banko Zehrgeld, sowie nach ihrer
Ankunft bis zur ersten Ernte Nahrungsgelder, und zwar 8 Kop. Banko auf jede
Seele(1).
Unter diesen Einwanderern waren auch die 21 Familien, die die Kolonie Halbstadt
grьndeten(2). Sie kamen im Frьhjahr 1804, nachdem sie grцЯtenteils im Chortitzer
Mennonitenbezirk gewintert hatten, auf der ihnen vom Kriegsgouverneur Herzog von
Richelieu und dem Vorsitzer des Jeketerinoslawschen Kontors fьr auslдndische
Ansiedler Herrn Kontenius zur Besiedlung angewiesenen Steppe an, welche damals
teils von den Kronsbauern des 10 Werst entfernt liegenden Kirchdorfes
GroЯtokmak(3) und teils von umherziehenden Nogaiern benutzt wurde(4).
Die Kolonie wurde gegrьndet in der nicht gerade bedeutenden Niederung am linken
Ufer des Steppenflusses Molotschna, welcher 25 Werst auЯerhalb der Grenze des
Bezirks auf einem bedeutenden Berghьgel entspringt und bis 2 Werst vor dieser
Kolonie, wo das ZuflьЯchen Schцnhull(5) mьndet, Tokmak und von da an Molotschna
heiЯt. Die Entfernung von der damaligen Kreisstadt Orechow(6) ist 40, von der
jetzigen Kreisstadt Berdjansk(7) ungefдhr 120, von der Gouvernementsstadt
Simferopol ungefдhr 330 Werst(8).
Von Hдusern und Wohnungen jeder Art war diese Steppe ganz frei. Der Boden
besteht in der Niederung aus einer Mischung von Moorerde, Lehm und Sand; die
etwas hцher liegende Steppe, auЯer der oberen Schicht von 1 bis 1Ѕ FuЯ tiefer
schwarzer Erde, nur aus Lehm. Der Graswuchs auf den Heusteppen war
durchschnittlich nur mittelmдЯig, dagegen war die Weide fьr Pferde, Rindvieh und
________________
(1) Vgl. S. 8 und S. 106 Anm. 1.
(2) 1855: 21 Wirtschaften, 91 Anwohnerfamilien (insgesamt 311 Mдnner, 278
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
abwesenden Kolonisten sind inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (175 Mдnner) auf 2165 Desj. und 24 landlose Familien
(133 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(3) GroЯ- (Bolschoj-) Tokmak, gegr. 1784 im Wandergebiet der Nogaier, war
1797-1801 Verwaltungsmittelpunkt des Kreises Mariupol, vgl.
Semenov-Tjan-Sanskij a.a.O. Bd. 14, S. 665.
(4) Nach der Einverleibung der Krim wurden die Nogaier zunдchst an den Kuban
versetzt - wo sie den Namen der Kuban-Tataren erhielten -, 1791 jedoch auf
ihre alten Weideplдtze zwischen der Berda und Molotschna zurьckgefьhrt,
versuchte die russische Regierung sie hier seЯhaft zu machen, vgl. Storch
a.a.O. Bd. 5, S. 113.
(5) = Tschujgul, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 301.
(6) 1796 entstand in einer gдnzlich verцdeten Gegend die Siedlung Orechowoje
Balka, die 1801 zur Stadt erhoben, Verwaltungsmittelpunkt des Mariupoler und
bis 1842 auch des Melitopoler Kreises war, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, s.
710.
(7) Berdjansk wurde 1842 Kreisstadt, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 235 und oben
S. 91 Anm. 2.
(8) Bereits 17785 hatte Michail Kachowskoj, der das Taurische Gebiet verwaltete
und im Auftrage von Potemkin geeignete Lдndereien zur Anlage von Siedlungen
feststellen sollte, in erster Linie auf die Vorzьge des Molotschnaer Gebiets
hingewiesen, vgl. Skalkovskij a.a.O. Bd. 1, S. 174.
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Schafe krдftig und nдhrend; besonders aber eignete sich der Boden bei guter
Zubereitung und Behandlung mehr noch zum Ackerbau und trug in fruchtbaren Jahren
10 bis 15fдltige Frucht. Zur Verschцnerung der baumlosen Steppe ist am
nцrdlichen Ende des Dorfes dicht an der Molotschna auf den Wunsch Sr. Majestдt
Kaiser Alexander I. bei dessen hochgeschдtztem Besuch in den hiesigen Kolonien
im Jahr 1825 ein Wald von 10Ѕ Dess. angepflanzt(1), wozu von Sr. Exzellenz dem
Staatsrat Herrn Kontenius und dem hiesigen landwirtschaftlichen Verein(2) von
auswдrts Sдmereien bezogen wurden. Auch hat ein jeder Landwirt unter der Leitung
des Vereins 1 Dess. mit verschiedenen Obstbдumen auf seiner Feuerstelle als
Garten bepflanzt.
Den Namen Halbstadt gab der damalige Oberschulz(3) Klaas Wiens dieser Kolonie
ohne besondere Veranlassung auf den Wunsch der Ansiedler nach der Benennung
eines Dorfes in PreuЯen, in welchem einige derselben gewohnt hatten.
Die Hдuser wurden mehrenteils schon im ersten Sommer von mit zubereitetem Lehm
ausgefьlltem Fachwerk gebaut. Zur Unterstьtzung bekam jeder Ansiedler von der
Hohen Krone das zu einem Wohnhause erforderliche Bauholz und 125 Rbl. Banko als
VorschuЯ zum Ankauf von Vieh und Ackergerдten(4). Dieser VorschuЯ sollte ohne
Zinsen laut der Einwanderungsukase nach den gnдdigst bewilligten zehn Freijahren
in den zehn darauffolgenden Jahren zurьckgezahlt werden(5). Ihre eigenen vom
Auslande hergebrachten Mittel bestanden hauptsдchlich nur in Pferden, Wagen und
einigem Rindvieh. An baarem Gelde hatte die Mehrzahl kaum das Nцtige zur Reise;
und diese dьrftigen Umstдnde erschwerten die Ansiedlung sehr. Die Einnahme war
eine Reihe von Jahren in jeder Hinsicht дuЯerst klein. Die Produkte des Feldes
waren nicht abzusetzen, weil kein Handel stattfand. Der Weizen wurde in Mariupol
hцchstens zu 5 Rbl. Banko das Tschetwert gekauft. Bei solchen Preisen sah der
Landmann seine Arbeit nicht bezahlt und baute Getreide nur zu wirtschaftlichem
Gebrauch an.
Bei dieser geringen Einnahme konnten die Bewohner weder Mцbel noch
wirtschaftliche Gerдte anschaffen, sondern verfertigten solches zum
notwendigsten Bedarf meistens selbst, wodurch kein Handwerk und Gewerbe
emporkommen konnte. Nach und nach gewдhrte der Verkauf von Butter und Kдse, die
bei uns Mennoniten gut zubereitet werden, eine ziemliche Einnahme, doe noch
durch den zwar seltenen Verkauf von Pferden und Rindvieh etwas vergrцЯert
wurden.
Die Grundlage des Wohlstandes wurde die Schafzucht, welch wir der unermьdlichen
und vдterlichen Fьrsorge des Herrn Kontenius zu danken haben. Die Preise der
Wolle stiegen, und Veredelung und Verbesserung der Schafzucht war nun das
Hauptaugenmerk der Bewohner. In den Jahren 1835 und 1836 stieg das Pud Wolle auf
________________
(1) d.h. Ѕ Desj. von jedem Hof, vgl. auch S. 108 und S. 112 Anm. 4.
(2) Vgl. S. 109 Anm. 1.
(3) Vgl. S. 88 Anm. 4.
(4) Als es 1803 in RuЯland bekannt wurde, daЯ 150 Mennonitenfamilien aus der
Umgebung von Elbing und Marienburg nach RuЯland auswandern wollen, erhielt
der Zivilgouverneur von Grodno Anweisung, sie gut zu empfangen und
mittellosen Familien Geldunterstьtzung zu gewдhren, ohne daЯ die Hцhe der zu
verabfolgenden Gelder dabei angegeben wurde, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20691
(28 Mдrz 1803). Im Jahre 1803 wurden fьr sie 20209 Rbl. 34ѕ Kop. B. und 9286
Rbl. 58 Kop. Silber verausgabt, vgl. Storch a.a.O. Bd. 6, Tabelle VI.
(5) Vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21909.
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45 R. Banko. So wurde die Schafzucht fьr eie Reihe von Jahren eine Quelle
reichlicher Einnahmen(1).
Ein anderes hцchst wichtiges Ereignis fьr diese Gegend ist die Anlegung der
Seestadt Berdjansk, wofьr wir und der hohen Regierung zu innigem Dank
verpflichtet fьhlen(2). Seit einem Jahrzehnt blьht nun ein weit verbreiteter
Handel in dieser Stadt. Mit gutem Gewinn konnte nun der Landmann die Produkte
seines Landes dorthin absetzen. Das gab ihm neuen Mut und neues Leben. Mit Luft
und doppeltem FleiЯ betrieb und verbesserte er nun den Ackerbau, wobei ihn der
landwirtschaftlich Verein unterstьtzte. Durch die ganz allgemein eingefьhrte
Schwarzbrache wurde der Acker bei Kraft erhalten. Auch durch die Verbesserung
der Pferde- und Rindviehzucht wurde der Wohlstand einigermaЯen gehoben(3).
Dagegen aber hat diese Kolonie und ihre Schwestern auch wieder Zeiten und
Umstдnde erlebt, die dem Fortschritt des Wohlstandes ganz und gar entgegen
waren.
In den Jahren 1812, 1813, und 1821 fiel die Ernte so gering aus, daЯ die
Bewohner sich und ihr Vieh nur mьhsam durchbrachten. 1833 war ein gдnzlicher
MiЯwachs, es wurde weder Getreide noch Futter fьr Vieh geerntet, und es entstand
ein groЯer Mangel. Aus Mangel an Weide auf der Steppe, die beinahe schwarz war,
und infolge der dazugekommenen Viehseuche fiel schon im Spдtsommer der grцЯte
Teil des Rindviehes und von dem durchgewinterten Vieh raubte einen Teil das
rauhe Frьhlingswetter. Brotgetreide fьr die Dьrftigen wurde mit von wohlhabenden
Bewohnern geliehenen Geldern in Polen angekauft. Das Pud Weizenmehl hat bis 5 R.
Banko gegolten. 1834 wurde auch nur wieder die Aussaat geerntet.
1823 und 1824 zerstцrten groЯe Heuschreckenschwдrme(4) die an sich geringe und
1827 eine hoffnungsvolle Ernte.
1829 und 1833 raffte die Viehseuche den Bewohnern durchschnittlich den grцЯten
Teil des Viehbestandes hinweg, wдhrend 1839 ein Teil von diesem Verlust
________________
(1) Die Gesamtzahl der Schafe bei den Molotschnaer Mennoniten betrug 1825: 33056
vgl. Rempel a.a.O. S. 7; 1836: 107895, vgl. P. Ja. Neufeld: Materaily po
istorii "krasnoj nemke" na r. Molocnoj v XIX veke (Materialien zur
Geschichte der "Roten Deutschen / soll heiЯen Kuh / am Molotschna-FluЯ im
19. Jh.). Molotschansk 1927 S. 1, Klaus a.a.O. Beilage 7; 1841: 104875, vgl.
ebenda; 1842: 97908, vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 189 f.; 1844: 103030,
vgl. ebenda.
(2) 1827 an der Stelle der ehemaligen Nogaiersiedlung Kotur Ogu entstanden, bot
Berdjansk - seit 1837 Hafenstadt -, den Kolonisten die Mцglichkeit, Getreide
ins Ausland auszufьhren, was eine starke Umstellung ihrer gesamten
Wirtschaft zur Folge hatte, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 235.
(3) In diesen Gebiet waren:
Pferde Hornvieh
1825: 4569 6890 vgl. Rempel a.a.O. S. 7.
1836: 5029 7719 vgl. Neufeld a.a.O. S. 1, Klaus a.a.O. Beilage 7.
1841: 8688 10431 vgl. ebenda.
1842: 9021 12353 vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 187 f.
1844: 10086 13611 vgl. ebenda.
(4) In Anbetracht der Heuschreckenplage des Jahres 1824 wurde der Beginn der
Rьckzahlung von Kronsschulden fьr diejenigen Kolonisten, deren Freijahre
damals abliefen, auf den 1. Januar 1826 verschoben, vgl. I PSZ Bd. 40, Nr.
30281, 9. Mдrz 1825.
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verschont blieb.
Im Winter von 1824 auf 1825 litt die Gemeinde an einem fьrchterlichen
Schneejagen, doch nicht in dem Grade und so ununterbrochen anhaltend, wie in den
Kolonien an dem цstlichen Ende des Bezirks. Obgleich schon im Herbst der grцЯte
Teil des Viehes der MiЯernte wegen fьr sehr billige Preise hatte mьssen verkauft
werden, so konnte man doch das ьbrige des ungestьmen Wetters wegen nicht alles
retten, weil das дuЯerst wenige Futter tief im Schnee begraben lag und das
Stroh von den Dдchern nicht auslangte und auch zu schlecht war. Daher verlor die
Gemeinde fast all ihr Vieh.
Im Juni 1845 richtete ein starker Hagelregen, worunter Stьcke ѕ Pfund wogen, auf
den Feldern einigen Schaden an; aber Anfangs Juli zerschlug ein zweiter
Hagelregen die beinahe reifen Gersten- und Roggenfelder. Die Arbusenfelder, die
ebenfalls zerstцrt waren, erholten sich wieder.
1821 starben viele Einwohner an einem starken Nervenfieber.
1836 am 11. Januar Ѕ10 Uhr Abends war hier ein starkes Erdbeben, welches aber
keinen Schaden verursachte.
Als nьtzliche Anlagen zдhlt die Kolonie eine Bierbrauerei seit 1809, eine
Brennerei mit einem Dampfapparat, 3 Essigbrauereien, eine Wassermьhle seit 1810,
2 Fдrbereien, eine Tuchfabrik, welche 1815 und 1816 gebaut wurde, 1839 abbrannte
und 1842 wieder schцner und vollkommener aufgebaut wurde. Zu dieser Fabrik sind
von der hohen Krone 3000 Dessj. Land, im hiesigen Bezirk gelegen, geschenkt
worden(1). 1816 wurde das Gebietsamt hierher versetzt(2). Auch befindet sich
hier seit vielen Jahren eine bedeutende Handlung von verschiedenen
Schnittwaren, Holz, Eisen und vielen anderen fьr die Bewohner notwendigen Sachen
und Materialien.
1837 wurde die Kolonialgemeinde Halbstadt im Schulzenamte von dem Vorsitzer des
landwirtschaftlichen Vereins Johann Cornies(3) und dem Oberschulz Johann
Regier(4) um Erlaubnis gefragt, eine Handwerkerkolonie aus 200 Handwerkern
bestehend am цstlichen Ende von Halbstadt anzulegen, wozu von der Gemeinde 50
Dessj. Land zum Anbau und fьr 200 Stьck Vieh Weide verlangt wurde(5), was die
Gemeinde laut Gemeindespruch unter der Bedingung bewilligte, wenn sie als
Entschдdigung an der sьdцstlichen Grenze ihres Landes 600 Dessj. vom
angrenzenden Kronslande zugemessen bekдme, um 200 Stьck ihres Viehes dahin
versetzen und das Vieh der Handwerker mit ihrem ьbrigen Vieh gemeinschaftlich
weiden zu kцnnen. Das wurde 1841 vom Fьrsorgekomitee bestдtigt und 1842 die
Handwerkerkolonie angelegt(6).
________________
(1) Der von Johann Klaassen gegrьndeten Tuchfabrik war eine Fдrberei und Weberei
zur Herstellung von Tьchern angeschlossen. 1832 stellte sie 1467 Arschin,
1833 bereits 11918 Arschin her, die Arschin zu 2-16 Rbl. 1843 beschдftigte
sie bis zu 48 Arbeiter, vgl. Zurnal Ministerstva Vnutrennich Del (Journal
des Innenministeriums) 1843, Teil 1, S. 70.
(2) Woher? Aus Chortitza? Der Inspektor ьber alle deutschen Kolonien an der
Molotschna scheint damals in Prischib gewohnt zu haben, vgl. Reiswitz und
Wadzeck a.a.O. S. 371.
(3) Vgl. S. 96 Anm. 1.
(4) Johann Regier, 1833-1842 Oberschulz des Molotschnaer Mennonitengebiets, vgl.
Schroeder a.a.O. S. 19.
(5) nicht 50, sondern 600 Desj. von denen 200 Handwerkerfamilien je 3 Desj.
erhalten sollten, vgl. II PSZ Bd. 16, 1, Nr. 14703, 2. Juli 1841.
(6) Die Grьndung der Handwerkerkolonie war von Peter von Koeppen beim
Domдnenministerium (vgl. S. 93 Anm. 2) befьrwortet worden, weil von 539
Handwerkerfamilien in Halbstadt 269 Familien kein Land besaЯen. Die
Erlaubnis zu ihrer Errichtung wurde von der Erfьllung folgender Bedingungen
abhдngig gemacht: Bau eines Bethauses, Erцffnung einer Schule, Errichtung
von Verkaufslдden, Schaffung eines dem Molotschnaer Gebietsamt
unterstehenden Handwerkeramts mit einem Bьrgermeister und zwei Ratsherrn an
der Spitze, Anstellung von zwei Zehntmдnnern zur Aufrechterhaltung der
polizeilichen Ordnung, Errichtung von Hдusern nach dem genauen Vorbild der
ьbrigen Molotschnaer aus gebrannten Ziegeln, Anlage von Hausgдrten nach den
Weisungen des Landwirtschaftlichen Vereins (der Kommission fьr Gartenbau),
Aufnahme von nur tьchtigen, mennonitischen und verheirateten Handwerkern
durch das Molotschnaer Gebietsamt sowie den Landwirtschaftlichen Verein mit
der Erlaubnis, Lehrlinge aus anderen Stдnden zu beschдftigen, Zuweisung von
je drei Desj. an einen Handwerker, es sei denn, daЯ sein Gewerbe ein
grцЯeres Grundstьck rechtfertige, Errichtung und Umzдunung der Gebдude und
Vorbereitung des Bodens zum Setzen von Bдumen innerhalb von drei Jahren,
Eintragung in die Brandversicherung, Verbot auf den Landteilen der
Handwerker Landwirtschaft zu treiben, Anlage eines Vorrats-Magazins mit
Getreide, sobald die ersten 20 Hдuser errichtet sind, vgl. II PSZ Bd. 16, 1,
Nr. 14703, 2. Juli 1841.
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Mit Hohen Besuchen ist die Kolonie beehrt worden:
1818 von Sr. Majestдt Kaiser Alexander I. Hцchst derselbe geruhte einige
Augenblicke bei der Tuchfabrik abzusteigen und sie zu besehen.
1837 von Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Thronfolger Alexander Nikolajewitsch.
1841 von Ihrer Kaiserlichen Hoheit der GroЯfьrstin Helena Pawlowna(1), welche
bei dem hiesigen Bewohner und derzeitigen Gebietsbeisitzer Johann Neufeld zu
nдchtigen geruhte.
1845 von Sr. Kaiserlichen Hoheit dem GroЯfьrsten Konstantin Nikolajewitsch,
welcher ebenfalls die Tuchfabrik besichtigte.
1841 von Sr. Erlaucht dem Minister der Reichsdomдnen General-Adjutanten Grafen
Kisselew(2).
1828 und 1835 von Sr. Erlaucht dem Kriegsgouverneur Grafen Woronzow(3), welcher
auch die Tuchfabrik besichtigte.
Schulz David Friesen.
Beisitzer Heinrich Nikkel, Johann Efau.
Schullehrer Andreas Voth.
Halbstadt im April 1848.
________________
(1) = Friederike Charlotte Marie, Prinzessin von Wьrttemberg (1806-1873),
Gemahlin des GroЯfьrsten Michail Pawlowitsch.
(2) Pawel D. Kiselew (1788-1872), ein entschiedener Vorkдmpfer der
Bauernbefreiung in RuЯland, leitete 1837-1856 das Domдnenministerium, dem
1837 auch die oberste Verwaltung der Auslдnderkolonien ьbertragen wurde
(vgl. II PSZ Bd. 12, Nr. 10834, 26. Dezember 1837), vgl. A.P. Zablockij-
Desjatovskij: Graf P.D. Kiselev i ego vremja (Graf P.D. Kiselew und seine
Zeit). Petersburg 1882.
(3) Als Michail Semenowitsch Woroncow (1782-1853) zum Generalgouverneur von
NeuruЯland (1823) und bevollmдchtigten Statthalter von Bessarabien ernannt
wurde, bemьhte er sich um die Hebung von Wirtschaft und Handel in den ihm
unterstehenden Gebieten. Auf seine Veranlassung entstand 1828 in Odessa eine
der дltesten landwirtschaftlichen Gesellschaften RuЯlands, die Obscestvo
selskogo chozjajstva Juznoj Rossii (Landwirtschaftliche Gesellschaft des
sьdlichen RuЯlands), an der er regen Anteil nahm. Diese Gesellschaft begann
ihre Tдtigkeit mit einer statistischen Untersuchung des Gebiets, sie
sammelte Material zur Geschichte der Landwirtschaft, sorgte fьr die
Ausbildung guter Landwirte, fцrderte den Wald-, Wein- und Gartenbau,
versuchte die Schafzucht zu heben und bessere Ackerbaugerдte einzufьhren.
Besonders groЯe Verdienste erwarb sie sich bei der Bekдmpfung von Seuchen.
Die von ihr herausgegebenen Zapiski (Schriften) enthalten ein reiches
Material auch zur Geschichte der Wirtschaft in den deutschen Siedlungen vgl.
M.P. Borovskij: Istoriceskij obzor 50 letnej dejatelnosti Imp. Obscestva
selskogo chozjajstva Juznoj Rossii (Historischer Ьberblick ьber die
50jдhrige Tдtigkeit der Kais. Landwirtschaftlichen Gesellschaft des
sьdlichen RuЯlands). Odessa 1878.
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2. Muntau(1)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung. 42. Jg., 1904, Nr. 169.
Die auf dem fьr den Molotschnaer Mennonitenbezirk bestimmten Lande nach
Augenschein zur Anlage von Kolonien gewдhlten passendsten Stellen wurden durch's
Loos an die Ansiedlergruppen verteilt, welche sich zur Grьndung der einzelnen
Dцrfer vereinigt hatten. Auf die spдtere Kolonie Muntau fiel bei dieser
Verlosung ein Ort am linken Ufer der Molotschna, welcher zwischen den im
gleichen Jahr angelegten Dцrfern Halbstadt und Schцnau gelegen war, so aber
zwischen letzterem und diesem Dorfe ein Jahr spдter noch Tiegenhagen angesiedelt
wurde, etwa 47 Werst von Orechow und 114 Werst von Berdjansk entfernt, wo die
Nogaier auf freier, baumloser Steppe mit ihren Herden herumschwдrmten. Die
Ansiedlung geschah 1804 unter der Leitung des Oberschulzen Klaas Wiens; der Bau
der Wohnhдuser wurde aber infolge verschiedener Hindernisse erst 1805 und 1806
vollendet. Steppe und FluЯniederung eignen sich gut fьr den Getreidebau, doch
sind die Salpeterstellen in der Niederung bei trockener Witterung dem Graswuchs
hinderlich, wodurch selten eine gute Heuernte ermцglicht wird. Die an beiden
Seiten der Kolonie in gutem Wachstum sich befindenden Obstgдrten haben mehrere
Jahre unter den Beschдdigungen der Spindelraupe gelitten und sind ohne Frucht
und Laub wie verdorrt dagestanden. Die 1803(2) angelegte Waldanlage mit den
hohen Gipfeln ihrer Gehцlz- und Maulbeerbдume bietet dem Reisenden einen
anmutigen Anblick und gewдhrt den Besitzern Nutzholz und Laub zum Seidenbau,
welcher schon mehrere Jahre, wie auch im letzten 1847 gute Einnahme abgeworfen
hat.
Nach Uebereinkunft der 21 Ansiedler(3) der Kolonie mit dem Oberschulzen Klaas
Wiens wurden sie nach einem im frьheren Vaterlande befindlichen Dorfe Muntau
genannt.
Da die hier hausenden Nogaier keine Wohnungen, sondern nur bienenstockдhnliche
aus Stдben und Filzdecken zusammengestellte Zelthьtten, sog. Koschen(4),
besaЯen, so fanden, die Ansiedler hier kein Obdach vor. Zum ersten Winter
richteten sie sich Erdhьtten ein und benutzten die angefangenen Wohnhдuser zu
Viehstдllen. Der von der Krone erhaltene VorschuЯ belief sich fьr diese Kolonie
auf 12,640 R. 27 K. Banko.
Da jeder Wirt anfдnglich nur 2 Pferde besaЯ, so muЯten je zwei Wirte zusammen
die Saat bestellen(5). Die neidischen Nogaier aber stahlen ihnen hдufig die
________________
(1) Ursprьnglich "Nr. 2" genannt, vgl. S. 82 Anm. 4.
(2) muЯ heiЯen "1809".
(3) 1855: 21 Wirtschaften, 58 Anwohnerfamilien (insgesamt 213 Mдnner, 184
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden einbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (164 Mдnner) auf 1365 Desj. und 14 landlose Familien
(109 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(4) russ. kos "Zelt, Lager" ist turkotatarisches Lehnwort.
(5) Aus diesem Grunde bot die russische Regierung 1813 den дrmeren Molotschnaer
Kolonisten die Mцglichkeit, ihren Ochsenbestand aufzufьllen, vgl. u.a. S.
58.
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Pferde weg, so daЯ dann 3 bis 4 Wirte zusammen zu pflьgen gezwungen waren,
weshalb die Saat zu spдt hinausgebracht wurde und die Ernte gering ausfiel.
Durch die Bemьhungen der Obrigkeit wurde der Diebstahl allmдhlich abgeschafft.
Die Viehseuche ist sieben Mal aufgetreten, doch ist die ganze Gemeinde nur
dreimal, 1828, 1833 und 1839 davon betroffen worden.
1822 bis 1827 richteten die Heuschrecken mehr oder weniger Schaden an. Im Jahr
1824 kam noch MiЯwachs und Hagelschlag dazu, so daЯ groЯe Not entstand und
besonders viel Vieh vor Hunger starb. Um einer Hungersnot vorzubeugen, sandte
die Ortsobrigkeit Mдnner nach Polen, um Getreide ankaufen zu lassen, wovon aber
eintretender Hindernisse wegen wenig ankam. Zum Glьck taten sich andere
Hilfsquellen auf, wodurch der grцЯten Not abgeholfen wurde. Im Jahre 1827 sind
die Heuschrecken, nachdem sie groЯen Schaden angerichtet hatten, mit einem
starken Sьdostwinde davongeflogen und bis auf diese Zeit, Gott sei Dank, nicht
wiedergekehrt.
In den Jahren 1833 und 1834 ьberstieg die Not alles Vorhergegangene. Da setzte
die Obrigkeit ьber alle Kolonien eine Hauptkommission ein, welche eine
Geldanleihe machen und in entfernten Gegenden Getreide ankaufen muЯte[n]. Die
fьr die einzelnen Kolonien eingesetzte[n] Kommissionen hatten das angekaufte
Getreide unter den Notleidenden zu verteilen, doch so, daЯ diese verpflichtet
waren, spдter alles wieder zu bezahlen. Hornvieh und Schafe wurden hдufig
geschlachtet, um Brot zu sparen und weniger Vieh zum Ausfьttern zu haben. Die
Pferde wurden auf entfernte Weideplдtze gebracht, so aber viele wegen der
knappen Weide umkamen und mit vielen Kosten zurьckgeholt werden muЯten(1).
Infolge bedeutender Spдtregen wuchs auf den verdorrten Feldern eine Menge Kurai,
womit man das ьbrige Vieh durchbringen konnte. Im Frьhjahr 1834 wurde den
Unbemittelten auch das Saatgetreide geliehen, aber, weil auch jetzt der Regen
ausblieb, gab es nur eine schwache Ernte und das zur Not erforderliche Futter
fьr das Vieh.
Im Julimonat des Jahres 1824 wurden vier Krдmer und ein Knabe aus anderen
Kolonien auf der Rьckreise aus Romen(2), woselbst sie die von den hiesigen und
den Wirten anderer Kolonien auf Kommission mitgenommene Wolle verkauft hatten,
von Juden ьberfallen, des erlцsten Geldes beraubt und schдndlich ermordet.
Am 11. Mai 1818 um 9 Uhr abends verspьrte man einen sanften ErdstoЯ; das
schreckenerregende Erdbeben vom 11. Januar 1838, welches hier um 9 Uhr 30
Minuten ausbrach, hatte die eine angenehme Folge, daЯ das Wasser in den Brunnen
seit der Zeit hцher steht.
Die veredelte Schafzucht, der Obstbau, der Seidenbau und der seit Grьndung der
Stadt Berdjansk aufgeblьhte Weizenbau haben diese und die anderen Kolonien zur
Blьte gebracht. Um das Wohl der Gemeinden hat sich auЯer vielen aus der Mitte
derselben gewдhlten Vorgesetzten besonders der im Jahre 1830 im 81. Lebensjahr
verstorbene Staatsrat S. v. Kontenius verdient gemacht. Der unvergeЯliche
________________
(1) Nдheres Material hierьber enthдlt die demnдchst in dieser Reihe erscheinende
Gemeindechronik von Grunau.
(2) wohl Romny, Gouv. Poltawa, wo bis 1852 einer der wichtigsten Jahrmдrkte der
Ukraine stattfand, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 4, S. 31.
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Vorsitzer Johann Kornies(1) leuchtete ьberall mit gutem Beispiel vor und rьgte
mit ernster Strenge die einschleichende Unordnung und Untдtigkeit. Besonders
verdient machte er sich durch die Verbesserung aller wirtschaftlichen
Einrichtungen. Leider wurde er zu frьh fьr sein ernstes Wirken durch den Tod
abgerufen. Er starb im Alter von 59 Jahren anno 1848 den 13. Mдrz, doch die
Frucht seines Wirkens ist uns soll noch in Zukunft gesegnet bleiben.
Ohne den Weizenbau, welcher noch gewinnbringender wurde als die Produktion der
Wolle, wдren die Kolonien nie das geworden, was sie sind. Jetzt sind in Muntau
die Hьtten der ersten Grьnder durch hьbsche, gerдumige und wohnliche Hдuser von
gebrannten Ziegeln verdrдngt, und diese haben die Kolonie ein weit schцneres
Aussehen gegeben.
Die in der Beschreibung von Halbstadt erwдhnten hohen Besuche wurden auch der
Kolonie Muntau zu teil(2).
Schulz Johann Langermann
Beisitzer Kornelius Lopp, Jak. Dьck.
Muntau, den 30. Apr. 1848. Schullehrer Gerh. Gossen, Verfasser.
3. Schцnau(3)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 170.
Die erste Ansiedlung des Molotschnaer Mennonitenbezirks bestand aus 9
Kolonien(4), worunter auch Schцnau such befand. Schцnau ist von Orechow 52 und
________________
(1) Johann Cornies, geb. in WestpreuЯen 1789, gest. in Ohrloff 1848, der
rьhrigste und erfolgreichste Fьhrer der deutschen Siedler im
Schwarzmeergebiet, was 1804 mit seinen Eltern nach Chortitza eingewandert,
wo er zunдchst unter der Aufsicht seines Vaters an der Branntweinbrennerei
arbeitete. 1806 lieЯ er sich im Molotschnaer Gebiet nieder. In kurzer Zeit
gelang es ihm hier, sich durch Ankauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse und
deren Verkauf in der Krim ein kleines Vermцgen zu schaffen, so daЯ er 1812
eine Schafzucht begrьnden konnte, der er 1816 ein Pferdegestьt anschloЯ.
1812 pachtete er die zur Ansiedlung von Mennoniten bestimmten, noch
unbesetzten Kronslдndereien. Nachdem er, 1817 zum Bevollmдchtigten in Sachen
der Mennonitengemeinde gewдhlt, 1824 vom Fьrsorgekomitee den Auftrag
erhielt, Merinoschafe fьr die Gemeindeschдferei zu kaufen, nahm er starken
Anteil an der Hebung der wirtschaftlichen Kultur seines Gebiets, besonders
seit 1830, als er zum Vorsitzenden der Kommission zur beschleunigten
Entwicklung von Forstwirtschaft, Seidenbau und Weinbau (des sog.
"Landwirtschaftlichen Vereins)" ernannt und vom Fьrsorgekomitee mit fast
unbeschrдnkten Vollmachten ausgestattet wurde. Sein Gut Juschanlee, das er
1836 vom Zaren zum Geschenk erhielt, entwickelte sich nun zu einer
Musterwirtschaft fьr die ganze Umgebung. Seine praktischen Erfahrungen
versuchte Cornies auch wissenschaftlich zu verwerten, so daЯ er 1838 zum
korrespondierenden Mitglied vom Wissenschaftlichen Komitee des
Domдnenministeriums gewдhlt wurde. Durch Cornies' Tдtigkeit erhielt auch das
Schulwesen in den Kolonien eine festere Grundlage. Eine gute Biographie
dieser ьberragenden Persцnlichkeit fehlt einstweilen, vgl. ьber ihn D.H.
Epp: Johann Cornies. Zьge aus seinem Leben und Wirken. Berdjansk 1909;
Gavel: Johann Cornies. Im: "Unterhaltungsblatt" Jg. 3, 1848, Beilage
Oktober; Mennonitisches Lexikon Bd. 1, S. 374; Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S.
181 f.; Friesen a.a.O. O.S. 155 f. u.a.
(2) Dieser Absatz stammt vermutlich von J. Stach.
(3) Ursprьnglich "Nr. 3" genannt.
(4) Die ersten neun, numerierten Kolonien waren: Halbstadt, Muntau, Schцnau,
Fischau, Lindenau, Lichtenau, Blumstein, Mьnsterberg, Altonau, vgl. Klaus
a.a.O. Beilage 2, S. 36.
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von Berdjansk 110 Werst entfernt. Der Boden ist in der Niederung mit leichter
schwarzer, etwas sandiger Erde Bedeckt, an manchen Stellen auch mit Salpeter,
wogegen er auf der Steppe etwas lehmig ist. Nachdem der Ackerbau durch die im
Jahre 1826 eingefьhrte Brache und die vom Jahre 1837 an betriebene
Vierfelderwirtschaft sehr verbessert worden ist, erntet man bei gehцriger
Bearbeitung und gьnstiger Witterung 10 bis 20fдltig(1). Zum Graswuchs ist das
Land nicht so gut geeignet, doch sind die Heuwiesen durch Schьttung mehrerer
Dдmme sehr verbessert; besonders vorteilhaft ist der im Jahre 1833 and der
Molotschna verfertigte, welcher in Frьhjahrzeiten alles den FluЯ herabkommende
Schnee- und Regenwasser auffдngt und ьber das Ufer treibt, wodurch ein Teil der
Niederung bewдssert und der Graswuchs sehr befцrdert wird. Doch ist durch diesen
Damm auch schon Schaden entstanden, indem das Wasser nach den starken
Regen[gьssen] am 21. Juni 1840 viel Gras und gemдhtes Heu durch Ьberschwemmung
zugrunde richtete, bis der 4 FuЯ breite und ebenso tiefe Abzugsgraben zu einem
80 bis 90 FuЯ breiten und 20 FuЯ tiefen Kanal erweitert wurde, wodurch das
Wasser dann wieder in's FluЯbett zurьckstrцmt.
Die im guten Wachstum begriffene Gehцlzplantage wurde im Jahre 1832 angelegt und
bis zum Jahre 1846 mit Mьhe und Kosten bepflanzt. Ehe zum Pflanzen der Bдume
geschritten wurde, muЯte der Boden mit einem eigens dazu verfertigten, mit 40
bis 60 Ochsen bespannten Pfluge ѕ Arschin tief umrigolt werden. Die jungen Bдume
wurden zum Teil 165 Werst weit hergeholt(2).
Die 1837 durch die am FluЯ gelegenen Kolonien angelegte PoststraЯe wurde 1838
ebenfalls mit Baumalleen bepflanzt(3).
Die Name der Kolonie stammt aus der alten Heimat und wurde ihr vom Oberschulzen
Klaas Wiens ohne besondere Veranlassung gegeben. Die Kolonie bestand
ursprьnglich aus 21 Familien(4), unter welchen die Begrьnder der Feuerstellen
Nr. 1 und Nr. 21, Gerhard Hildebrand und Peter Wiebe, ersterer 1000 Rbl. und
letzterer 1125 Rbl. Vermцgen besaЯen.
Was die gьnstigen und ungьnstigen Einflьsse auf den Wohlstand der Kolonie
anbelangt, so wird von hier das Gleiche wie von Muntau berichtet; auch wurden
ihr die gleichen hohen Besuche zu teil(5).
Gewalttaten und Diebstдhle wurden anfдnglich von den nogaischen Nachbarn verьbt.
Am 23 April 1811 wurde der Wirt dieser Kolonie Nr. 44, Jakob Triesen auf der
________________
(1) Vgl. hierzu: Verzeichnis der Aussaat und Ernte in den Jahren 1809-1848. Die
Weizenernte eines Molotschnaer und Chotitzaer Mennonitenwirts. In:
"Unterhaltungsblatt" Jg. 5, 1850, S. 60 und: Genaue Berechnung aus dem
Wirtschaftsbuche eines Wirts in der Molotschnaer Kolonie Mьnsterberg,
Mennoniten Jakob Neumann, ьber seine Aussaaten und Ernten aller
Getreidearten auf einem und demselben Acker 1806-1846. In:
"Unterhaltungsblatt" Jg. 1, 1846, S. 57-58.
(2) Aus dem Kronsgarten zu Jekaterinoslaw, vgl. S. 58 Anm. 5.
(3) Eine in RuЯland sonst ungewцhnliche Erscheinung.
(4) 1855: 21 Wirtschaften, 28 Anwohnerfamilien (insgesamt 154 Mдnner, 129
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die Stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (153 Mдnner) auf 1365 Desj. und 12 landlose Familien
(64 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(5) Dieser Absatz stammt wohl von J. Stach.
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Steppe ьberfallen und mit Hдmmern fast zu Tode geschlagen. Herbeigeeilte
Kolonisten retteten ihn vom sichern Tode. Besonders hдufig wurden Pferde
gestohlen, wodurch manche Kolonisten in einer Nacht ein ganzes Vermцgen
verloren. Im April des Jahres 1813 wurden in einer Nacht 10 der besten Pferde
mit Gewalt genommen(1).
Schulz Klaas Dick.
Beisitzer Jakob Janzen, Peter Hildebrand.
Schцnau, d. 9. Apr. 1848. Johann Fast, Schullehrer.
4. Lichtenau(2)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 170.
Die Kolonie wurde 1804 gegrьndet und die Hдuser in demselben und im
darauffolgenden Jahr angelegt. Die Molotschna bildet die Grenze zwischen dem
Lande dieser Kolonie und demjenigen der Kronsdцrfer Bogdanowka(3) und
Troitzkoje(4), ist aber so flach, daЯ sie im Sommer oft ganz austrocknet. Sie
ist mit Schilf und Rohr bewachsen, welches zum Hдuserbau benьtzt wird. Lichtenau
liegt 58 Werst sьdlich von der frьheren Kreisstadt Orechow und 34 Werst nцrdlich
von der jetzigen Alexandrowka(5). Der Boden enthдlt in der Niederung salzige
Erde, ist zum Graswuchs geeignet und liefert jдhrlich 1 bis 3 Fuder Heu von der
Dessj. Die Steppe ist lehmig und hat wenig schwarze Erde, durch fleiЯiges
Brachen erhдlt man aber bis 8 Tscht. Roggen und Weizen, und bis 16 Tscht. Hafer
und Gerste von der Dessj. Den Namen hat der erste Oberschulz Klaas Wiens der
Kolonie nach einem Dorfe im Marienburger Werder gegeben. Die Zahl ihrer
Ansiedler war 21(6). Ihr KronvorschuЯ betrug etwa 10.400 Rbl. Banko.
Zur Verbesserung und Verschцnerung der Kolonie hat besonders der Umstand
beigetragen, daЯ manche Wirte wegen Alters oder allzu groЯer Schuldenlast ihre
Wirtschaften an bemittelte und tьchtige Wirte ьbergeben haben.
Mit hohen Besuchen ist die Kolonie ebenso wie die vorhergehenden beglьckt und
beehrt worden(7).
Lichtenau, am 1. Mai 1848. Beisitzer: Peter Siemens, Peter Heide.
Schulmeister Gerhard Kornelsen.
Schulz Kornelius Hildebrecht.
________________
(1) d.h. wohl von den Nogaiern gestohlen.
(2) Ursprьnglich "Nr. 6" genannt.
(3) Bogdanowka an der Bolschaja Ternawka, 18 Werst von Jekaterinoslaw entfernt,
war von Duchobory (vgl. S. 79 Anm. 2) angelegt worden, vgl. Semenov a.a.O.
Bd. 1, S. 275 und Skalkovskij Bd. 2, S. 167.
(4) Troitzkoje wohl gleichfalls ein Duchoboren-Dorf.
(5) Gemeint ist Nowo-Aleksandrowka (tatarisch Kysyjar), vgl. S. 56 Anm. 3.
(6) 1855: 21 Wirtschaften, 40 Anwohnerfamilien (insgesamt 160 Mдnner, 158
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (116 Mдnner) auf 1365 Desj. und 12 landlose Familien
(74 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(7) Wohl Zusatz von J. Stach.
Page 99
5. Lindenau(1)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 171.
Am 15. Juli 1804 kamen die ersten Ansiedler unter Leitung ihres noch in
Chortitza gewдhlten Oberschulzen Klaas Wiens an dem ihnen zugewiesenen
Ansiedlungsorte an und grьndeten die Kolonie 269 Faden von der Molotschna
entfernt in einer etwa 2 Quadratwerst groЯen Niederung, welche von einem kleinen
der Molotschna gleich laufenden FlьЯchen in der Richtung von Nordost nach
Sьdwest durchschnitten ist. Zwischen den beiden Flьssen in die Niederung sehr
zum Graswuchs geeignet, weil sie sehr niedrig ist und oft ьberschwemmt wird. In
der Heuernte richten diese Ьberschwemmungen allerdings oft Schaden an. An der
andern Seite des kleinen Flusses ist die Niederung ihres salpeterhaltigen Bodens
wegen fast keines Ausbaus fдhig. Die mit etwas Lehm und Sand vermischte schwarze
Erde der Steppe ist weniger fьr den Graswuchs als fьr den Getreidebau geeignet,
auch wachsen auf ihr die Bдume besser als in der Niederung. Die Gehцlzplantage
ist oberhalb des Dorfes angelegt und zeigt ьppiges Wachstum, hat aber im
vergangenen Winter durch heftige Stьrme und Schneeverwehungen sehr gelitten. Der
erste Gebietsvorsteher(2) hat der Kolonie nach einem Dorfe im frьheren
Vaterlande den Namen Lindenau gegeben. An ihrer Stelle hat frьher ein groЯes
Nogaierdorf gestanden. Auf Befehl der Obrigkeit sind diese Nogaier im Jahre 1805
weggezogen und haben sich in einer Entfernung von 12 Werst und weiter von hier
angesiedelt(3). Die Namen der ursprьnglich hier angesiedelten 21
Familienvдter(4) waren nach der Reihenfolge ihrer Nummern folgende: Peter
Friesen, Peter Wiebe, Martin Born, Jakob Kдmpf, Daniel Neufield, Isaak Lцwen,
Isaak Wiens, Franz Enns, Heinrich Enns, Kornelius Tцws, Jakob Wiens, Kornelius
Penner, Klaas Friesen, Peter Kemsenning, David Hiebert, Jakob Klaasen, Kornelius
Gцrzen, Johann Wiebe, Peter Neufeld, Klaas Frцse, Paul Klaassen. Diese Familien
zдhlten 47 mдnnliche und 43 weibliche Seelen. David Hiebert, war der einzige,
welcher so viel eigenes Vermцgen besaЯ, daЯ er auf die Unterstьtzung der Krone
verzichten und sich auf eigene Kosten anbauen konnte. Die ganze Dorfsgemeinde
besaЯ an mitgebrachtem Vermцgen etwa 8000 Rbl. Silber. Das Anbauen war
anfдnglich etwas beschwerlich: einige hatten sich zum Winter Erdhьtten gemacht,
einige aber, die bemittelter waren oder mehr Arbeitskrдfte besaЯen, bauten sich
zu zwei und mehr Familien ein Wohnhaus fьr den Winter auf. - Zum Schutz fьr das
wenige Vieh bauten sie ebenfalls Hьtten. Das Bauholz muЯte auf eine Entfernung
von 85 Werst herbeigeholt werden. Die anwohnenden Nogaier konnten keine
Unterkunft bieten, weil ihre Behausungen lediglich bienenkorbдhnliche, mit
Filzdecken ьberzogene Zelte waren, welche sie auf ihren zweirдdrigen Wagen von
Ort zu Ort transportierten.
________________
(1) Ursprьnglich "Nr. 5" genannt.
(2) d.h. Klaas Wiens, vgl. S. 90.
(3) Zur Umsiedlung der Nogaier vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21177 (23. Februar 1804).
(4) 1855: 21 Wirtschaften, 445 Anwohnerfamilien (insgesamt 166 Mдnner, 161
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (140 Mдnner) auf 1365 Desj. und 12 landlose Familien
(64 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
Page 100
Die gьnstigen und ungьnstigen Einflьsse auf das Wohl der Gemeinde sind die
gleichen wie in den vorhergehenden Kolonien.
Im Jahre 1825 nahmen unsere Krдmer Peter Bauer von hier, Jakob Dьck von
Tiegenhagen, Johann Willms von Blumstein und Johann Wiens von Altona von den
Bewohnern dieses Bezirks spanische Wolle auf Kommission und brachten sie im
Junimonat auf den Romer (wahrscheinlich Romni(1) im Gouv. Poltawa. D. Red. [der
Odessaer Zeitung]) Jahrmarkt zum Verkauf und begaben sich mit einem ansehnlichen
Erlцs auf die Heimriese. Doch was geschah? Von bekannten Juden in einen Wald
verleitet, wurden sie etwa 10 Werst vor dem Stдdtchen Gaditsch (wahrscheinlich
Gadjatsch)(2) von denselben ermordet. Unter der Zahl der Verunglьckten befand
sich auch der zwцlfjдhrige Sohn des Peter Bauer, namens Erdmann. Die Tдter
wurden bald erwischt, aber das Geld fьr die Wolle war doch meistenteils
verloren.
Im Hungerjahr 1833 wurde vom eigenen Vermцgen 1421 R. 83ѕ K. zum Ankauf von
Brotfrucht verausgabt, auЯer der Anleihe, die noch von einigen wenigen gemacht
worden war.
Es war ein schцner Tag, als Se. Majestдt Kaiser Alexander Pawlowitsch unsere
Kolonie besuchte und gerade hier die Station war. Er kam um 10 Uhr morgens bei
dem ehrwьrdigen Kirchenlehrer David Hiebert an, wo das Frьhstьck bereitet war.
Beim Eintritt ging er einigemal in der Stube auf und ab und sagte liebevoll:
"Jetzt, liebe Kinder, habe ich das deutsche Reich in Meinem Lande." Bei der
Frьhstьckstafel fragte er, ob auch jemand zu klagen habe, worauf dann Frau
Hiebert sagte: "Wir haben nichts zu klagen, sondern vielmehr zu danken fьr die
groЯe Gnade und huldreiche Aufnahme in Ihrem Reiche." Da faЯte er sich zweimal
vor die Brust und sagte: "Sie und Ihre Kinder und Kindeskinder sollen Meine
Gnade genieЯen." Beim Abschied ьberreichte er der Frau Hiebert zum
Gnadengeschenk einen Brillantring. Dieser Tag, an welchem wir den Gesalbten in
unserer Mitte zu sehen das Glьck hatten, wird uns und unseren Kindern nie aus
dem Gedдchtnis kommen(3).
Auch erinnern wir uns noch oft des 16. Oktober 1837 und des 1. Oktober 1841. Der
eine Tag brachte uns die Besuche Sr. Kaiserlichen Hoheit des Zдsarewitsch und
Thronfolgers Alexander Nikolajewitsch und der andere den Besuch Ihrer
Kaiserlichen Hoheit der Gemahlin des GroЯfьrsten Michail Pawlowitsch Helene
Pawlowna(4).
Am 20. August 1845 um 10 Uhr morgens ist auch Se. Kaiserliche Hoheit der
GroЯfьrst Konstantin Nikolajewitsch in unserer Kolonie zum Besuch gewesen, allwo
er bei dem Wirt Gerhard Neufeld einkehrte, mit mehreren seiner Begleiter das
Frьhstьck einnahm und der Frau des besagten Neufeld zu seinem hohen und
ehrenvollen Andenken zwei Brillanten Ohrringe ьberreichte.
Schulz Abraham Riediger.
Beisitzer Peter Quapp, Abraham Friesen.
Lindenau, den 1.Mai 1848. Anton Kornelsen, Schulmeister.
________________
(1) = Romny, vgl. S. 95 Anm. 2.
(2) vermutlich ein Zusatz von J. Stach.
(3) Vgl. hierzu Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 398 und Friesen a.a.O. S. 143
(nach Krцkers Familienkalender 1900).
(4) = Friederike Charlotte Marie, Prinzessin von Wьrttemberg, vgl. S. 93 Anm. 1.
Page 101
6. Fischau(1)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 172.
Die Kolonie wurde 1804 angelegt, doch gelangten die Hдuser in diesem Jahr nur
unvollkommen zum Ausbau. Sie liegt am linken Ufer der Molotschna in einer
Niederung und ist von Melitopol 38 Werst entfernt. Der etwas salzige Boden der
Niederung ist fьr den Graswuchs besonders in trockener Zeit nicht sehr gьnstig.
Die mit etwas Lehm vermischte Schwarzerde der Steppe ist sehr fruchtbar und
liefert reichliche Ernten. Die Kolonie Fischau hat ihren Namen von einem Ort in
PreuЯen durch den Oberschulzen Klaus Wiens erhalten.
Die 22 hier angesiedelten Familien(2) stammen aus dem Danziger, Elbinger und
Tiegenhofener Bezirke im Kцnigreich PreuЯen. Von Anfьhrern bei der Einwanderung
werden auЯer Klaus Wiens, Jakob Neumann und Jakob Wiens namentlich angefьhrt.
Diese Steppe ist den Einwanderern von einem Hofrat v. Scholkow(3) angewiesen
worden.
Schulz Daniel Boschmann.
Beisitzer Abraham Isaak, Abraham Gцrtzen,
Schullehrer Peter Dцrksen.
Fischau, den 4. mai 1848.
7. Blumstein(4)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 172.
Die Kolonie ist im Jahre 1804 am linken Molotschnaufer gegrьndet und 31 Werst
von Melitopol and 100 Werst von Berdjansk entfernt. Das ihr zugehцrige Land hat
eine Lдnge von 9 und eine Breite von etwa 1Ѕ Werst. Am Ende dieses Planes dient
die Juschanlee(5) als Grenze und in der Nдhe der Kolonie flieЯt die Kurischan(6)
in schrдger Richtung durch denselben. In der Kurischan ist vermittelst eines
aufgeschьtteten Dammes ein Teich gemacht, der den Sommer ьber als Viehtrдnke
dient. - Der etwas salzige Boden der Molotschnaniederung ist den Baumpflanzungen
und dem Grase nicht zutrдglich, das etwas sandige Ackerland dagegen ist ziemlich
fruchtbar. Klaas Wiens hat der Kolonie nach einem ihm bekannten Ort in PreuЯen
den Namen Blumstein gegeben. Von den aus PreuЯen eingewanderten 21 Familien
stammten 8 aus dem Marienburgischen, 7 aus dem Elbingschen, 6 aus dem
Teigenhofschen Bezirke(7). Die meisten hiesigen Ansiedler sind unter dem
________________
(1) Ursprьnglich "Nr. 4" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2 S. 36.
(2) 1855: 22 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 164 Mдnner, 162
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 22 Wirtschaften (132 Mдnner) auf 1430 Desj. und 11 landlose Familien
(58 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(3) Scholkow bzw. Tscholkow (vgl. S. 116) - der Name lieЯ sich nicht ermitteln.
(4) Ursprьnglich "Nr. 7" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(5) = Juschanly.
(6) = Kurundujuschanly, vgl. S. 122 Anm. 6.
(7) 1855: 21 Wirtschaften, 71 Anwohnerfamilien (insgesamt 261 Mдnner, 243
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1365 Desj. und 15 landlose Familien
(85 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
Page 102
Anfьhrer Gerhard Hildebrand eingewandert, welcher nebst anderen seiner Partei
seinen Ansiedlungsort in der Kolonie Schцnau gefunden hat. Die Steppe ist den
Ansiedlern von einem Hofrat von Scholkow(1) angewiesen worden.
AuЯer den mit den anderen Kolonien gemeinsam erlebten Unglьcksfдllen und
Landplagen sind am 4. September 1817 zwei dritteile der Hдuser dieses Dorfes
Eingeдschert worden.
Bei seinem Besuch am 21. Mai 1818 geruhte Seine Majestдt Alexander Pawlowitsch
in einem Hause dieser Kolonie abzusteigen.
Schulz Heinrich Teschgraeb.
Beisitzer: Johann Krцker, Johann Harder.
Schullehrer Bernhard Barg.
Blumstein, am 2. Mai 1848.
8. Tiege
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 174.
Diese Kolonie wurde im Jahre 1805 gegrьndet, die Grьnder derselben wanderten
aber schon im vorhergehenden Jahre 1804 in RuЯland ein. Sie kamen nmach einer
zwцlfwцchentlichen Reise mit anderen Einwanderern zu den Chortitzer
Glaubensbrьdern, wo sie einen langen harten Winter verlebten und einen Teil der
Geldvorrдte durch Ankauf von Lebensmitteln fьr die Menschen und das wenige
mitgebrachte Vieh verzehrten.
An dem Orte angelangt, der zur Ansiedlung der Mennonitenbrьderschaft bestimmt
war, nдmlich an dem Flusse Molotschna, wo schon im Jahre vorher 9 Dцrfer mit 191
Familien angesiedelt waren, wurden fьr 161 Familien, die sich in 8 Kolonien(2)
abteilten, passende Ansiedlungsplдtze ausgesucht und durchs Los verteilt. Dabei
kam die Kolonie Tiege mit noch drei Dцrfern an den ersten NebenfluЯ der
Molotschna, welcher Kurundujuschanlee(3) genannt wird, zu liegen, 55 Werst von
der damaligen Kreisstadt Orechow entfernt. Das dieser Kolonie zugehцrige Land
zieht sich von Nordwest nach Sьdost; dort ist der SteppenfluЯ Juschanlee(4) die
Grenze zwischen dem Land der Mennoniten und dem der Tataren(5). Die Lage des
Landes ist so vorteilhaft wie dessen Eigenschaften; das Dorf besitzt zwei
FluЯniederungen, welche 4Ѕ und 2Ѕ Dessj. Heuwiese auf den Wirt enthalten. Durch
aufgeschьttete Dдmme werden kьnstliche Bewдsserungen hervorgerufen, welche die
Ergiebigkeit der Graswiesen bedeutend erhцhen. Die Oberflдche des Steppenlandes
ist mit Lehm vermischte Schwarzerde, und an den Abhдngen ist an Stellen
ungemischter Lehm. In den Niederungen ist die Erde schwarz und mit Ausnahme
einiger Salpeterstellen gut und fruchtbar. Steine und Gestrдuch finden sich in
dieser Gegend nicht; erstere mьssen 24 Werst weit vom FlьЯchen Juschanlee geholt
werden. Man verwendet sie nur fьr die Fundamente der Gebдude. Die angepflanzten
Bдume wachsen in den Niederungen sowohl als auch auf den Anhцhen sehr gut, haben
aber nicht die Dauer, wie in einigen anderen Gegenden. Dabei fordert die
________________
(1) Der Name lieЯ sich nicht ermitteln, vgl. S. 116.
(2) 1805 wurden hier gegrьndet: Tiegenhagen, Petershagen, Schцnsee, Ladekopp,
Rosenort, Blumenort, Ohrloff und Tiege.
(3) Vgl. S. 122 Anm. 6.
(4) Juschanly.
(5) d.h. der Nogaier.
Page 103
Eigenschaft des Bodens eine gute Vorbereitung durch mehrmaliges Rigolen. Je
lдnger und цfter dies vor den Anpflanzungen betrieben wird, desto sicherer und
schnellet ist der Wuchs.
Nicht ohne bange Sorge waren die Grьnder, als sie hier die kahle Steppe sahen
und nicht wissen konnten, ob da ein Baum wachsen wьrde. Alle Kunde, die sie
erhielten, machte das zweifelhaft. So dachte wohl mancher an sein altes
Vaterland und die verlassenen schцnen Bдume in der Gдrten. Es wдhrte aber nicht
lange, so ersetzten die mitten in der Steppe ьppig prangenden und mit Luft und
Liebe gepflegten Baum- und Gartenanlagen den so schmerzlich empfundenen Mangel.
Der Name Tiege hat seinen Ursprung von einem FlьЯchen in WestpreuЯen, allwo ein
Dorf im Marienburgischen Bezirke gleichen Namens ist. Aus demselben war ein
Ansiedler mit Namen Kornelius Tцws, ein alter Mann von etwa 70 Jahren. Dieser
wьnschte, da das FlьЯchen Kurudujuschanlee dem FlьЯchen Tiege дhnlich war, zur
Erinnerung an seinen Wohnort in dem alten Vaterland, diesem Dorf jenen Namen
beizulegen. Die Kolonie Tiege wurde von folgenden (nach der Nummer der
Baustelle) aus dem Marienburgischen und Elbingschen Gebiet herkommenden
Ansiedlern gegrьndet: Gerhard Krцker, Klaas Wiebe, Johann Klaassen, Peter
Krцker, Klaas Wiens, Abraham Krцker, Martin Hamm, Kornelius Tцws, Philipp Isaak,
Peter Isaak, Wiwe Neufeld, Abraham Fast, Franz Isaak, Jakob Reimer, Abraham
Krцker, Isaak Wall, Johann Wiens, David Harder, Abraham Tцws, Michael Hamm(1).
Einige von ihnen hatten in PreuЯen eigene Wirtschaften besessen, andere aber
auch nicht. Dazu war ihnen jede Aussicht, solche dort zu erlangen,
abgeschnitten(2).
Diese Auswanderer hatten keine besonderen Anfьhrer und kamen auch nicht in einer
Partie hier an. Die Beschrдnktheit des Raumes und des Landes in PreuЯen war der
Hauptbeweggrund ihrer Auswanderung. Und als sich die Kunde von dem vorteilhaften
Angebot des Landes und der damit verbundenen Mithilfe der russischen Krone sowie
auch die zugesicherte Glaubensfreiheit immer mehr verbreitet und die Hoffnung
erweckte, daЯ ihnen und ihren Nachkommen in RuЯland eine glьckliche Zukunft
blьhen kцnne, da wurde der EntschluЯ fest, dahin auszuwandern. Einer teilte dem
andern diesen EntschluЯ mit, und ьber die notwendige Vorbereitung zur Reise
wurde auf Zusammenkьnften beraten. Die Ortsobrigkeit sowohl als auch die
russischen Konsuln in den Stдdten standen ihnen mit Rat und Hilfe zur Seite und
erleichterten in mancher Hinsicht das mit Mьhen verbundene Unternehmen.
Die 161 Familien(3), die in diesem Jahr auswanderten, traten in verschiedenen
Partien zusammen und machten sich im Vertrauen auf den Lenker aller menschlichen
Schicksale ohne besondere Anfьhrer von Segenswьnschen und Abschiedstrдnen der
Anverwandten und Nachbarn begleitet auf den Weg, auf dem sie von der Grenzstadt
________________
(1) 1855: 20 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 116 Mдnner, 124
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (123 Mдnner) auf 1300 Desj. und 13 landlose Familien
(48 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(2) Vgl. Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 38.
(3) Nach Varadinov a.a.O. Bd. 1, S. 124 f. und Storch a.a.O. Bd. 3, S. 140,
wanderten 1804: 162 Mennonitenfamilien ein.
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Grodno an die freundliche Fьrsorge ihres neuen Landesvaters in Seinen
Anordnungen verspьrten(1). Unter solchen Umstдnden kamen sie alle glьcklich und
wohlbehalten an dem Ort ihrer Niederlassung an. Bei der Verteilung der Dцrfer
aber wдhlten sie sich einen Anfьhrer aus ihrer Mitte, den Ansiedler in der
Kolonie Altona Klaas Wiens, der unter der Oberaufsicht des Vormundschaftskontors
in Jekaterinoslaw das Erforderliche leistete.
Die den Ansiedlern zugewiesene Steppe war mit nomadisierenden Nogaiertartenen
besetzt. Diese hatten damals noch meisten teils nach oben zugespitzte, mit einem
Rauchfang versehene Kibikten(2) als Wohnungen, deren Fachwerk mit von Filzdecken
ьberzogenen Stцcken gebildet war. An einer Seite war ein Loch zum Durchkriechen.
Diese Kibikten waren so leicht, daЯ man sie bei den hдufigen Wanderungen auf die
zweirдdrigen hцlzernen Wagen laden konnte, an welchen auch nicht die geringste
Spur von Eisen war. Und doch boten diese Hьtten Raum fьr eine ganze Familie.
Um den Nachkommen einen Begriff von dem Gemьtszustand ihrer Vorfahren zu machen,
in welchem sie sich bei der Grьndung der Kolonien befunden haben mochten, sei
hier in kurzem der Unterschied zwischen dem alten und neuen Wohnorte
hergestellt. Sie verlieЯen in PreuЯen eine schцne anmutige Gegend; einige hatten
gut eingerichtete Wirtschaften. Dort waren schцne fette Wiesen, mit Bдumen
bepflanzte StraЯen, blьhende Gдrten, welche gerade zur Zeit ihrer Abreise mit
reifen Frьchten prangten. Hier fanden sie [bei] ihrer Ankunft nichts als einen
groЯen, leeren Raum, eine цde Steppe, wo kein Strauch oder Baum zu sehen war und
kein schьtzendes Dach gegen die heiЯen Sonnenstrahlen zu finden war. Eine
unbekannte Menschenrasse war ihre zukьnftige Nachbarschaft, die durch ihr
halbwildes Aussehen bange Sorge einflцЯte(3). Die Vielen Entbehrungen, die
ungewisse Zukunft, - alles war dazu angetan, sie trьbe zu stimmen und ihnen den
Mut zu rauben. Aber hier war keine Zeit zum Grьbeln und Klagen: die Baustellen
wurden ausgemessen und durchs Los verteilt, Hьtten in und oberhalb der Erde
erbaut und zu Wohnungen eingerichtet, mit dem Bau der Hдuser wurde begonnen und
ein BienenfleiЯ an den Tag gelegt, wie ihn die hiesige Gegend wohl noch nie
gesehen hatte.
An mitgebrachtem Vermцgen kann die Dorfsgemeinde etwa 8,500 Rbl. Silber besessen
haben, woran aber nicht jeder einen Anteil hatte. AuЯerdem waren Pferde und
Wagen, einiges Hornvieh und Schafe bei den einzelnen Wirten vorhanden. Kornelius
Tцws und Franz Isaak waren so wohlhabend, daЯ sie die Unterstьtzung der Krone
entbehren konnten.
Im weiteren Verlauf ihrer Geschichte unterscheidet sich die Gemeinde nicht von
den bereits geschilderten(4).
Se. Majestдt der Kaiser Nikolai bestдtigte auf Seiner Reise durch die Krim das
von Kaiser Paul Allergnдdigst verliehene Privilegium, Er gab dem Fьrsorgekomitee
________________
(1) Vgl. hierzu I PSZ Bd. 27 Nr. 20691.
(2) russisch kibitka, aus dem Tьrkischen entlehnt "zerlegbares Zelt der
Nomaden".
(3) Ьber das Nebeneinanderleben von Nogaiern und Mennoniten vgl. Daniel
Schlatter: Bruchstьcke aus einigen Reisen nach dem sьdlichen RuЯland in den
Jahren 1822 bis 1828. Mit besonderer Rьcksicht auf die Nogauen Tataren am
Asowschen Meer. St. Gallen, Bern 1836.
(4) Der Absatz stammt wohl von J. Stach.
Page 105
wieder einen Mann in der Person des Wirklichen Staatsrates von Hahn(1), zum
Vorsitzer, der durch seine mehrmalige Bereisung der Kolonien sich von der
eigentlichen Lage derselben ьberzeugte und nun fortfдhrt mit wahrhaft
vдterlicher Fьrsorge dieselben zum Ziele ihrer Bestimmung fortzuleiten.
Beisitzer Aron Hьbert(3). Kornel. Baerkmann.
Schulz Johann Tцws.
Schullehrer Peter Sawatzkij(4).
9. Tiegenhagen
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 175.
Im Jahre 1804 schritt man, als die Ansiedler sich hier gesammelt hatten, unter
der Leitung des damaligen Oberschulzen Klaas Wiens zur Anlegung der ersten
Kolonien. Im darauffolgenden Jahr geschah die zweite Ansiedlung unter demselben
Anfьhrer. Die Ansiedler von Tiegenhagen stammen wie die anderen ihrer
Glaubensbrьder aus dem Marienburgschen und Tiegenhofschen Kreise in WestpreuЯen
und waren im Chortitzer Bezirk ьber den Winter einquartiert gewesen. Als man das
Los ьber die nach Augenschein gewдhlten passendsten Stellen warf, so fiel auf
diese Kolonie ein Ort am linken Ufer des Molotschnaflusses, zwischen den ein
Jahr frьher angelegten Kolonien Muntau und Schцnau gelegen, ungefдhr 45 Werst
entfernt von der damaligen Kreisstadt Orechow(5) in einer Gegend, die frei von
Bдumen und Gestrдuchen war. Hier befand sich ein russischer Chutor(6), dessen
Besitzer fortzog. Zu beiden Seiten der Kolonie ragen die seit 1832 mit dem
grцЯten FleiЯ angepflanzten Waldanlagen hoch empor. - Der Erdboden ist dem
Flusse zu mit Salpeter gemischt und zum Getreidebau und Heuschlag wenig
geeignet; der ьbrige weitaus grцЯere Teil des Landes ist sandig und gьnstiger
fьr den Getreidebau als fьr Heuschlag.
Dieser Kolonie gab man ohne besondere Veranlassung nach einem in PreuЯen am
FlьЯchen Tiege befindlichen Dorfe nach Uebereinkunft der darin anfдnglich
wohnenden 21 Landwirte in Gemeinschaft mit dem Oberschulzen(7) den Namen
Tiegenhagen.
Achtzehn Ansiedler(8) dieser Kolonie kamen arm hier an; ihr Vermцgen bestand
wohl nur in einem Fuhrwerk, wдhrend das Reisegeld kaum bis zur russischen Grenze
________________
(1) Vgl. S. I.
(2) Reisen in die Kolonien gehцrten zu den Pflichten der Vorsitzenden des
"Fьrsorgekomitees", vgl. I PSZ Bd. 35 Nr. 27312.
(3) Der Name wird auch "Hiebert" geschrieben.
(4) Zu den slavischen Familiennamen bei den Mennoniten vgl. Quiring a.a.O. S.
106 ff. und Schroeder a.a.O. S. 70 ff.
(5) Vgl. S. 89 Anm. 6.
(6) = Wirtschaftshof, vgl. auch S. 124 Anm. 2.
(7) = Klaas Wiens, vgl. S. 88 Anm. 6.
(8) 1855: 21 Wirtschaften, 33 Anwohnerfamilien (insgesamt 159 Mдnner, 131
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1365 Desj. und 11 landlose Familien
(43 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
Page 106
gelangt hatte. Deshalb bekamen sie auЯer einem VorschuЯ von 10.938 R. 50 K.
Banko(1) von dem Augenblick, als sie die Grenze ьberschritten, bis zur ersten
Ernte Zehrungsgelder. Drei Ansiedler, deren mitgebrachtes Vermцgen in 4000 R.
bestand, bedurften dieses Vorschusses nicht und lehnten ihn ab.
Aus diesem Unterschied des Vermцgensstandes eines teils und den seit der
Ansiedlung geschehenen Ereignissen andererseits erklдrt sich auch der
Unterschied im Fortschritt der Landwirtschaft unter den einzelnen Wirten. Dieser
Fortschritt ist durch die auch ьber die anderen Kolonien gekommenen und bereits
geschilderten verschiedenen Landplagen und Naturereignisse bei dem einen mehr,
bei dem andern weniger gehemmt worden, wдhrend er durch Mдnner wie die
Vorgesetzten Kontenius, Staatsrat von Hahn und die aus der eigenen Mitte
erwдhlten, unter welchen besonders Johann Kornies hervorragt, durch die Anlage
der Stadt Berdjansk und durch die an anderen Orten bereits geschilderten Hohen
und Allerhцchsten Besuche gefцrdert worden ist.
Schulz Abraham Friesen.
Beisitzer Martin Willms. - Warkentin.
Daniel Fast, Schullehrer.
Den 29. April 1848.
10. Petershagen(2)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 176.
Diese Kolonie wurde im Jahr 1805 von bereits im Jahr 1804 eingewanderten
Ansiedlern gegrьndet. Den Winter hatten sie in den Chortitzer Kolonien
zugebracht, wo die Bemittelten einige Unbemittelten bei sich aufgenommen hatten,
________________
(1) Nach dem Petersburger Bцrsenkurs betrug der Wert eines Assignatenrubels in
Silber:
1788: 92 3/5 Kop. S. 1804: 79 1/3 Kop. S. 1819: 26 1/3 Kop S.
1789: 91 3/4 Kop. S. 1805: 77 Kop. S. 1820: 26 1/3 Kop S.
1790: 87 Kop. S. 1806: 73 Kop. S. 1821: 25 2/3 Kop S.
1791: 81 1/3 Kop. S. 1807: 67 1/2 Kop. S. 1822: 26 1/4 Kop S.
1792: 79 1/2 Kop. S. 1808: 53 3/4 Kop. S. 1823: 26 2/5 Kop S.
1793: 74 Kop. S. 1809: 44 2/3 Kop. S. 1824: 26 1/2 Kop S.
1794: 71 Kop. S. 1810: 33 1/3 Kop. S. 1825: 26 2/5 Kop S.
1795: 68 1/2 Kop. S. 1811: 25 2/5 Kop. S. 1826: 26 2/3 Kop S.
1796: 70 1/2 Kop. S. 1812: 26 2/5 Kop. S. 1827: 26 5/6 Kop S.
1797: 79 1/2 Kop. S. 1813: 25 1/5 Kop. S. 1828: 26 5/6 Kop S.
1798: 73 Kop. S. 1814: 25 1/5 Kop. S. 1829: 27 3/7 Kop S.
1799: 67 1/2 Kop. S. 1815: 20 2/3 Kop. S. 1830: 26 1/3 Kop S.
1800: 65 1/2 Kop. S. 1816: 25 1/3 Kop. S. 1831: 26 8/9 Kop S.
1801: 66 1/4 Kop. S. 1817: 25 1/6 Kop. S. 1832: 27 1/6 Kop S.
1802: 71 2/5 Kop. S. 1818: 25 1/4 Kop. S. 1833: 27 1/4 Kop S.
1803: 80 Kop. S.
Vgl. hierzu die vom Grafen Speranskij nach offiziellen Daten
zusammengestellte Tabelle ьber Bewegung und den Wert der Assignaten bei
Alfred Schmidt: Das Russische Geldwesen wдhrend der Finanzverwaltung des
Grafen Cancrin von 1823-1844. Petersburg 1875, S. 25 f. - Aus diesen
Kursschwankungen erklдrt sich auch zum Teil die hдufig wiederkehrende Klage
der deutschen Kolonisten, daЯ die russischen Regierungsbeamten ihnen nicht
den vollen Betrag der Unterstьtzungsgelder auszahlten, vgl. z.B. S. 13 Anm.
2.
(2) Russischer Name: Sladkaja (bzw. Solodkaja) Balka.
Page 107
wofьr diese jenen beim Hдuserbau halfen und wiederum hierin bei ihnen
Unterstьtzung fanden. So konnte im Frьhling 1805 mit Erfolg zur Anlegung der
Kolonie und zur Niederlassung geschritten werden.
Die Lage des Landes und das Bestreben der Kolonisten, in der Nдhe eines
Gewдssers anzusiedeln, brachten es mit sich, daЯ man die Kolonie am Auslaufe
eines kleinen Steppenflusses in des TokmakfluЯ, 5 Werst vom Dorfe Tokmak(1)
entfernt, verlegte, wo sie an der einen Seite eine kleine Niederung und an der
andern Seite auf einer Unterlage von rotem Ton ein fruchtbares, aus Schwarzerde
bestehendes Steppenland besitzt. Die Steppe eignet sich vorzьglich zum
Getreidebau, wдhrend die den wohltдtigen Ueberschwemmungen des schmelzenden
Schnees ausgesetzte Niederung mit ihrer bedeutenden Schicht von Dammerde dem
Graswuchse sehr gьnstig ist.
Auf den Wunsch des hiesigen Ansiedlers Abraham Janzen, dem alle anderen
beipflichteten, wurde der Kolonie zum Andenken an einen Ort im frьheren
Vaterlande, wo manche Ansiedler gewohnt hatten, der Name Petershagen gegeben.
Die hiesigen Ansiedler waren grцЯtenteils junge Familien, von welchen 12
bemittelt und 8 unbemittelt waren(2). Sie waren bei Grodno im Jahr 1804 aus den
Bezirken Danzig, Elbing und Marienburg durch russisch Polen ьber die Grenze
gekommen und zur Ueberwinterung in die Chortizer Kolonien gewiesen worden. In
mцglichst kleinen Partien hatten die Einwanderer nach vorhergegangener Beratung
die einsichtsvollsten Mдnner zu Fьhrern bestimmt. Unter den hiesigen Ansiedlern
befand sich ein Mann namens Johann Janzen, Bruder des erwдhnten Abraham
Janzen(3), der als Fьhrer einer Partie mit bedeutendem Vermцgen und einer
zahlreichen Familie auch im Jahr 1804 eingewandert war. An ihn hatten sich auЯer
seinen drei verheirateten Sцhnen wдhrend des in Chortitza zugebrachten Winters
noch 16 Familien aus verschiedenen Partien angeschlossen. Eine weise MaЯregel
der russischen Regierung bei der Einwanderung der Ansiedler hatte darin
bestanden, daЯ jeder Partie nach Ueberschreitung der Grenze den des Landes und
der Sprache unkundigen Leuten von Station zu Station ein des Weges kundiger
Soldat beigegeben wurde, welcher fьr Schutz und Sicherheit und fьr mцglichst
schnelle und billige Herbeischaffung der nцtigen Lebensmittel Sorge zu tragen
hatte(4).
Der Anblick des von den Bewohnern des Kronsdorfes Tokmak zur Viehweide
benutzten, nur mit einigen dьrren Grдsern bedeckten Landes, wo weder Haus, noch
Baum, noch Strauch zu sehen war, mag auf die Ansiedler beim ersten Betreten
desselben im Frьhling 1805 einen traurigen Eindruck gemacht haben. Doch man
hatte keine Zeit, sich wehemьtigen Rьckerinnerungen an das soeben verlassene
Vaterland hinzugeben: die erste Ernte muЯte bestellt und das unentbehrliche
Obdach muЯte bebaut werden. Die acht unbemittelten Familien bekamen auЯer den
tдglichen Zehrungsgeldern vom Betreten der Grenze bis zur ersten Ernte einen
KronvorschuЯ
________________
(1) = GroЯ-Tokmak, vgl. S. 89 Anm. 3.
(2) 1855: 20 Wirtschaften, 44 Anwohnerfamilien (insgesamt 143 Mдnner, 143
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (111 Mдnner) auf 1300 Desj. und 14 landlose Familien
(59 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.
(3) f. oben.
(4) Vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20691.
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von 4541 R. Banko, all ohne Unterschied jedoch ein ansehnliches Geschenk beim
Uebertritt ins Russische Reich von der Behцrde ausgezahlt. Die zwцlf bemittelten
besaЯen im ganzen ein Vermцgen von etwa 15.500 R. Banko.
Die hiesigen Einwanderer hatten eine ansehnliche Zahl deutscher Kьhe und Stiere
aus PreuЯen mitgebracht, welche gleich im ersten Jahr an der ausgebrochenen
Viehseuche bis auf 3 Stьck eingingen. Der Verlust war hart, jedoch da nur diese
eine Ansiedlung von der Krankheit betroffen wurde, so konnte man das Vieh durch
Ankauf aus den anderen Kolonien nach Mцglichkeit ersetzen. Hдrter war de Verlust
im Jahre 1809, wo ьber die Hдlfte des Rindviehes an der Seuche verloren ging. Da
von der Seuche dieses Jahres viele Kolonien mit betroffen wurden, so war dann da
deutsche Rindvieh teuer und trotz der guten Ernten auf dem jungfrдulichen Boden
wurde der Geldmangel bei der Billigkeit aller lдndlichen Produkte sehr fьhlbar.
1823 zerstцrte die kleine, 1827 die grцЯere Gattung von Heuschrecken die Ernte.
1828 fielen wiederum 145 bis 150 Rinder an der Viehseuche. Schwerer jedoch als
alles andere waren die Jahre 1833 bis 1834, wo man infolge des MiЯwachses das
Getreide 300 bis 500 Werst herholen muЯte und das Tscht. Roggen hier am Orte 40,
das Tschetwert Weizen 50 Rbl. Banko zu stehen kam.
Trotzdem bei den hiesigen Einwanderern die Schafzucht im Auslande nur einen
дuЯerst unbedeutenden Wirtschaftszweig gebildet hatte, so waren es doch 20 und
einige Stьck Schafe, welche sie aus PreuЯen mitgenommen hatten und womit sie die
hiesige Schafzucht begrьnden wollten. Ungeachtet der edlen und gemeinnьtzigen,
auf Vermehrung und Veredlung der Schafe gerichteten Absichten des Wirkl.
Staatsrats Kontenius gedieh die Schafzucht nur langsam, und erst in den 20er
Jahren fing bei den Ansiedlern der Wunsch an rege zu werden, sich mit der
Veredlung der Schafe mehr zu befassen. Es wurden zu diesem Behufe aus der
Gemeindeschдferei(1), fьr welche 1807 Merinos angekauft und spдter von der hohen
Krone Zuchtbцcke geschenkweise bewilligt wurden, uns lehnsweise Merinos-
Sprungbцcke abgelassen. Seitdem hat uns die Schafzucht bedeutende Einnahmen
verschafft.
Aber nicht allein diesen, sondern allen Zweigen der Landwirtschaft seine
Aufmerksamkeit schenkend, war der selige Herr Kontenius noch besonders fьr
Baumanpflanzungen gestimmt. Durch Loben der FleiЯigen und Ermahnen der weniger
Tдtigen wurde danach gestrebt, die Kolonie mit Obstgдrten nicht bloЯ zu
verschцnern, sondern auch in ihren Einnahmen zu bereichern. Doch noch wichtiger
ist in dieser Hinsicht die Folge des Allerhцchst ansgesprochenen Wunsches Sr.
Majestдt des hochseligen Kaisers Alexander I. bei dessen Durchreise durch die
hiesigen Kolonien im Jahre 1825, daЯ jeder Wirt Ѕ DeЯjatine mit Waldbдumen
bepflanze(2). Zufolge dieses Allerhцchsten Wunsches wurde vom Fьrsorgekomitee,
dessen damaliger Vorsitzender General der Infanterie Insow(3) war, im Jahre 1832
________________
(1) Es war die Aufgabe der Gemeindeschдfereien, die Ansiedler mit Bцcken zu
versehen. Zum 1. Nov. wurde jдhrlich je ein Bock auf 25 Schafe verteilt.
Nach der Bespringungszeit wurden sie genauestens untersucht, um kranke Tiere
rechtzeitig ausscheiden zu kцnnen, vgl. Koeppen: Ьber einige
Landesverhдltnisse S. 35.
(2) Vgl. auch Fadeev a.a.O S. 405.
(3) Iwan Nikititsch Inzow (1768-1845) war 1818-1845 Vorsitzender des
"Fьrsorgekomitees", vgl. ьber ihn vorlдufig: Russkij Biograficeskij Slovar
s.v. Eine eingehende Beleuchtung seiner Verdienste um die deutschen Kolonien
folgt in einem der nдchsten Bдnde dieser Reihe.
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ein landwirtschaftlicher Verein im Molotschnaer Mennonitenbezirk gebildet und
bestдtigt(1). Durch Einsicht suchte der Verein die Waldanpflanzung mцglichst
rasch zu fцrdern. Die Anpflanzung konnte zum dritten Teil aus Maulbeerbдumen
bestehen, welche den Ansiedlern durch Einfьhrung der Seidenraupenzucht bereits
bedeutende Einnahmen verschaffte. Es waren aber auch die Absichten des Vereins,
mit Unterstьtzung der Kolonialbehцrde die Vierfelderwirtschaft regelmдЯig
einzufьhren, zu welchem Behuf in dieser Kolonie die frьher sehr unzweckmдЯig
angelegten Feldstьcke in grцЯere, die Bearbeitung vereinfachende zusammengezogen
wurden.
Schulz Martens.
Beisitzer: Martens, Fast.
Schullehrer Peter Neufeld.
11. Schцnsee
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 178.
Im Frьhling 1805 unter dem Oberschulzen Klaas Wiens gegrьndet, wurde die Kolonie
erst drei Monate spдter nach der ersten Heuernte abgepflьgt und deren
Wirtschaften durch's Los verteilt. Wegen der spдten Ankunft wurde in diesem Jahr
noch nicht ausgesдt. Die Wohnungen zum Winter wurden provisorisch teils in,
teils ьber der Erde gemacht, zum regelmдЯigen Hдuserbau fьr den kьnftigen
Frьhling aber das von der hohen Krone verliehene Holz herbeigeschafft. Die
Ansiedlung lag bis zum Jahre 1812 am linken Ufer des Flusses Tokmak zwischen den
Kolonien Ladekopp und Petershagen; da aber der Dorfsplan weder abgemessen noch
abgepflьgt worden war, kamen die drei Dцrfer zu nahe aneinander, so daЯ es
hernach fьr vorteilhafter eingesehen wurde, wenn Schцnsee an einen gelegeneren
Ort umgesiedelt wьrde. Dieser Ort liegt 10 Werst oberhalb des Kronsdorfes Tokmak
am Flusse gleichen Namens. Der Plan dieser umgesiedelten Kolonie besteht aus
einem lдnglichen Viereck und grenzt auf zwei Seiten an die Lдndereien, welche
die hohe Krone dem Einsassen der Kolonie Halbstadt Johann Klaassen zur Anlegung
einer Tuchfabrik verliehen hat, im Norden an den FluЯ Tokmak und im Osten an die
Lдndereien der Kolonie Liebenau.
Der Boden ist ziemlich milde, aber mit wenig schwarzer Erde bedeckt nur fьr den
Graswuchs nicht sehr geeignet. Der Plan ist bequem fьr das Austreiben des Viehes
eingerichtet, welches zur Trдnke an den FluЯ Tokmak gefьhrt wird. Die in der
Nдhe der Kolonie befindlichen Berge, welche als Viehweide benutzt werden,
verursachen, daЯ das Ackerland etwas weit von der Kolonie entfernt ist. Das Land
ist bei guter Vorbereitung sowohl fьr den Ackerbau als auch fьr Baumanlagen von
mittelmдЯiger Fruchtbarkeit.
Bei einer vom Gebietsamte veranstalteten Zusammenkunft der ersten Ansiedler in
der Kolonie Altona behufs Beratung ьber die Einteilung und Benennung der
Kolonien schlug Jakob Regier, eingedenk seines Geburtsortes Schцnsee in
WestpreuЯen, vor, die Kolonie ebenso zu nennen, was allgemein befьrwortet wurde.
________________
(1) Die Entstehungsgeschichte des "Landwirtschaftlichen Vereins" bzw. der
"Vereine" in den deutschen Kolonien ist einstweilen noch ungeklдrt. M.E.
hдngt sie aber aufs engste mit der Odessaer Landwirtschaftlichen
Gesellschaft (vgl. S. 93 Anm. 3) zusammen.
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Die ersten Ansiedler waren 19 Familien(1) aus dem Bezirk Marienburg. Das ihnen
bestimmte Land wurde von den Bewohnern Tokmaks zur Viehweide und zu einem ganz
geringen Teil zum Ackerbau benutzt. Die Niederung war mit schцnem Grase
bewachsen, dessen ьppiger Blumenflor den neuen Ankцmmlingen die VerheiЯung eines
guten Fortkommens war. Ihr ganzes Vermцgen bestand mit EinschluЯ aller
mitgebrachten Gegenstдnde in etwa 5000 R. Banko; dazu erhielten sie von der
hohen Krone mit Inbegriff des Bauholzes und der Nahrungsgelder einen VorschuЯ
von 8534 Rub. Banko.
Zu der Wohlfeilheit aller Landesprodukte kamen in den ersten Jahren die hдufigen
Fдlle von Pferdediebstahl, wodurch der Aufschwung der Kolonie sehr gehemmt
wurde. Die Butter galt 7 Kop. das Pfund; anno 1808 10 Kop., spдter stieg der
Preis bis 20 Kop. Banko. 1809 brach die Viehseuche aus und raffte gleich in der
ersten Woche 92 Stьck dahin. Am 19. Juni 1811 zwischen 12 und 1 Uhr vernichtete
ein Hagelschlag die ganze Ernte; im Herbst des gleichen Jahres raffte eine
Seuche fast das ganze Jungvieh hinweg.
Im Jahre 1812 wurde die Kolonie umgesiedelt, wobei ihr von den anderen Kolonien
Hilfe geleistet wurde. Doch siedelten sich auf dem neuen Plan nur 10 der alten
Wirte an; die ьbrigen hatten die Hoffnung auf ein besseres Fortkommen aufgegeben
und ihre Wirtschaften anderen Einwanderern abgegeben.
Am neuen Ansiedlungsorte war sie im wesentlichen den gleichen hindernden und
fцrdernden Einflьssen ausgesetzt, wie die ьbrigen Kolonien.
Nach einer spдrlichen Ernte und anhaltend schцnem Wetter brach am 24. Dezember
1824 ein verheerendes Sturmwetter mit Schneegestцber aus, welches bis zu Ende
Mдrz 1825 anhielt. Da zwang der Futtermangel, die Dдcher abzudecken(2), und doch
fiel manches Stьck Vieh infolge des Hungers. Die abgedeckten Hдuser waren bis
zum Herbst allen schдdlichen Einflьssen der Witterung ausgesetzt. Auch spдter
haben orkanartige Ostwinde das Getreide von den Brachfeldern weggerissen.
Schцnau(3), den 1. Mai 1848. Schulz Johann Gogen.
Beisitzer Gerhard Enns, Jakob Dцrksen.
Jakob Wurms, Schullehrer.
12. Ladekopp
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 179.
Die Grenzen dieser Kolonie sind: im Osten das Kronsdorf GroЯ-Tokmak, im Sьden
die Kolonie Halbstadt, im Westen die Kolonie Petershagen und im Norden der FluЯ
Tokmak. Sie ist 100 Werst von Berdjansk entfernt. Die Landflдche besteht aus
Steppe und Niederung. Erstere ist wenig erhцht; von ein paar SteppenflьЯchen
durchschnitten, erhдlt sie eine wellenfцrmige Gestalt. Ihre Oberflдche ist
fruchtbare schwarze, mit Ton vermischte, auf einer Unterlage von gelbem Ton
________________
(1) 1855: 20 Wirtschaften, 42 Anwohnerfamilien (insgesamt 154 Mдnner, 153
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (123 Mдnner) auf 1300 Desj. und 23 landlose Familien
(85 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(2) Vgl. Fadeev a.a.O. S. 403.
(3) muЯ heiЯen "Schцnsee".
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ruhende Erde, welche zum Ackerbau gut geeignet, als Heuschlag aber nur in
besonders fruchtbaren Jahren zu benutzen ist. Deshalb wird auch der Ackerbau
immer mehr erweitert. Die am TokmakfluЯ gelegene Niederlassung(1) umfaЯt 120
DeЯjatinen. Sie ist mit einer tiefen Schicht fruchtbarer Dammerde bedeckt,
welche nach der jдhrlich im Frьhling stattfindenden Ueberschwemmung einen
ьppigen Graswuchs treibt und zum grцЯten Teil als Heuschlag benutzt wird.
Die Kolonie wurde von 16 Familien(2) im Jahre 1805 gegrьndet und nach einem in
PreuЯen befindlichen Dorf Ladekopp genannt. Die Ansiedler waren in verschiedenen
Partien nach einem Winteraufenthalt in Chortitza hier angelangt. Ihr Land war
unbebaut und fand sich in NutznieЯung bei den Bewohnern Tokmaks. Die ersten
Wohnungen waren Bretterbuden, wozu sie sich das Holz aus der Stadt Alexandrowsk
geholt hatten. Die meisten Ansiedler waren unbemittelt, und nur 6 Familien
konnten sich ihre Hдuser aus eignen Mitteln erbauen. Die ьbrigen erhielten 4975
Rub. 50 K. Banko teils an barem Geld, teils an Holz auf 10 Jahre von der hohen
Krone vorgeschossen. Doch hatten nur die 6 ersteren das Erbauen der Wohnhдuser
vor dem Eintritt des Winters vollenden kцnnen, die anderen bauten sich Erdhьtten
zu Winterwohnungen. Vier der wohlhabendsten Familienvдter nahmen zwei
Feuerstellen fьr sich und ihre Kinder an. Das hergebrachte Vermцgen der
Ansiedler mag ungefдhr 11.000 R. Banko betragen haben. Die vom Kronsgeld
erbauten Hдuser konnten nur klein und einfach eingerichtet werden, weil noch
mancher Rubel zu anderen Unentbehrlichkeiten verwendet werden muЯte. Das
Bestellen der Feldfrьchte ging anfдnglich sehr mьhsam von statten, weil jeder
Wirt nur 2 bis 3 Pferde besaЯ(3). Als der Landbau in grцЯerem MaЯstabe betrieben
werden konnte, fehlte es an Absatz, weshalb man mit dem UeberfluЯ die
hergebrachten deutschen Rinder fьtterte, um dann aus Butter und Kдse einen Erlцs
zu erzielen. Doch wurde das Pfund Butter auch nur mit 10, 12 bis 15 Kop. Banko
bezahlt. Auch wurden Pferde zum Verkauf fett gefьttert: Ein gutes Pferd kostete
aber auch nur 100 Rub. Banko.
Da traten Ereignisse ein, welche das Emporblьhen der Kolonie hemmten. Im August
1809 fielen innerhalb 4 Wochen 200 Stьck meist deutsches Rindvieh an einer
Seuche. Da diese Seuche aber nur einige Kolonien betroffen hatte, so konnte man
das Vieh zu billigen Preisen wieder ankaufen, wozu auch einige Wohltдter den
Armen auf 1 bis 2 Jahre das Geld vorstreckten. Die im Dezember 1812 abermals
ausgebrochene Viehseuche, welche nur 70 Opfer verlangte, konnte wohl weben der
strengen Kдlte nicht stark um sich greifen. In den Jahren 1816 und 1817 begann
der Handel mit Arnautweizen(4) in der Krim und in Odessa(5) was zur Folge hatte,
________________
(1) soll heiЯen "Niederung".
(2) 1855: 20 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 135 Mдnner, 150
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (125 Mдnner) auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien
(50 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.
(3) sechs Pferde jedoch zum Pflьgen erforderlich waren, vgl. S. 118.
(4) = Sommerweizen mit groЯem, hellgelbem etwas durchsichtigem Korn, der bereits
Anfang des 19. Jh. aus RuЯland in die Tьrkei und nach Italien ausgefьhrt
wurde, vgl. Storch a.a.O. Bd. 5, S. 113.
(5) 1819-1845 war Odessa Freihafen, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 593 f.
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daЯ dem Ackerbau durch Dьngen und Brachen eine grцЯere Aufmerksamkeit zugewendet
wurde. Obwohl die teure Fracht die niedrigen Preise noch mehr herabsetzte, so
war doch die erhцhte Einnahme der Ansiedler deutlich an der Verbesserung der
Ackergerдte zu merken. Doch es trat wieder eine Unterbrechung ein im Wachstum
des Wohlstandes. Die Heuschreckenverheerungen der Jahre 1822, 1823 und 1824
hatten besonders Futtermangel zur Folge, welcher im Jahre 1824 noch durch den
furchtbaren anhaltenden Schneesturm erhцht wurde. Die gute Ernte im Jahr 1825
heilte manche geschlagene Wunde. Der Seuche im Jahre 1827 erlagen 180 Stьck
Vieh. Da kam das furchtbare Hungerjahr 1833, und auch 1834 brachte wieder eine
MiЯernte. Nur dem schrecklichen Futtermangel wurde durch den infolge vieler
Regengьsse im Spдtsommer gewachsenen sog. Kurrai(1) abgeholfen.
Dieses Unglьck hatte man jedoch bald verschmerzt, denn es folgten von jetzt an
fruchtbare Zeiten. Der Weizenhandel in Berdjansk hatte begonnen, und es wurde
nicht bloЯ Arnaut, sondern auch Ghirkaweizen(2) verlangt. Dieser oder der rote
Weizen ist besonders im Brachlande weit ergiebiger und lдЯt sich leichter
dreschen. Das Stroh steht zwar als Futter dem des Arnautweizens bedeutend nach,
jedoch gibt er viel Spreu, welche ein sehr nahrhaftes Futter ist und vom Vieh
gern gefressen wird. Die Fracht nach Berdjansk war nun bedeutend billiger. Mit
den jдhrlich steigenden Weizenpreisen stieg auch der Wohlstand der Bewohner. Im
Jahre 1839 fielen 240 Stьck Vieh an der Seuche. Doch die Leute konnten bald
wieder zu Vieh kommen, weil die Seuche nicht in allen Dцrfern gewьtet hatte. Die
Kolonie hat zwei Feuersbrьnste seit ihrer Grьndung erlitten: 1817 brannten durch
Achtlosigkeit eines Dienstboten 2 Hдuser ab und am 1. August 1842 zьndete der
Blitz ein Haus an und tцtete zugleich die Hausfrau; des furchtbaren Regens wegen
konnte das Feuer nicht weiter um sich greifen. Der furchtbare, mehrere Wochen
lang anhaltende Organ von 1847 auf 1848 hat mehrere Hдuser fast mit Schnee
zugedeckt.
Die Einfьhrung der spanischen Schafe durch den Wirklichen Staatsrat von
Kontenius hat der Kolonie groЯen Nutzen gebracht. Durch eintretende Krankheit
der Schafe sind einige mal bedeutende Verluste gewesen. Die Hohen und
Allerhцchsten Besuche in den Mennonitenkolonien sind auch nicht ohne Eindruck
geblieben. Es wurde zur Anpflanzung der Waldanlagen geschritten. Zuerst wurde
das Land mit einem Tiefpfluge rigolt und nach und nach 2/3 mit Wald und 1/3 mit
Maulbeerbдumen, im Ganzen Ѕ Dessjatine auf den Wirt, bepflanzt(4). Die
AuЯengrenze des ganzen Waldes wurde mit einer Hecke von Oelstrauch und der
Anteil eines jeden Wirtes mit einer Maulbeerhecke umgeben. Dieses Wдldchen
________________
(1) = Salsola Kali, vgl. V. Dal: Tolkovyj slovar zivogo velikorusskogo jazyka
(Erklдrendes Lexikon der lebenden groЯrussischen Sprache). Bd. 2, Petersburg
1905, Sp. 568.
(2) = Triticum vulgare (mit kleinem rцtlichen Korn), vgl. ebenda Bd. 1, Sp. 865.
(3) d.h. als nach Mariupol, vgl. S. 89.
(4) Vgl. dazu Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 194: "Nachdem schon von Anfang an
vereinzelte Versuche gemacht waren, kleine Besaamungen anzulegen und
allerhand Holzarten zu pflanzen, nahmen von 1834 regelmдЯige Holzpflanzungen
ihren Anfang. In 39 Colonien setzten die darin lebenden 857 Wirthe jeder Ѕ
Des. zur Waldanlage aus, 1/3 davon sollte mit Maulbeerbдumen, das Ьbrige mit
andern Holzarten bepflanzt werden. Von diesen 428Ѕ Dessj. waren 1842 bereits
163 Dessj. (652 preuЯische Morgen) mit 29 verschiedenen Holzarten bepflanzt.
Im ganzen waren 1843 ьber 2300000 gepflanzte Bдume vorhanden, auЯer den
Privatanlagen des Herrn Kornies."
Page 113
erfreut nicht nur durch seine Schцnheit, sondern bringt auch schon durch die
Seidenzucht(1) bedeutende, sich jдhrlich mehrende Einnahmen. Nebst dem Walde
muЯte jeder Wirt einen Obstgarten von einer Dessj. anlegen. Durch die
Wirksamkeit des landwirtschaftlichen Vereins wurde der Wohlstand und damit
zugleich das Bauwesen, das Handwerk und Gewerbe bedeutend gehoben.
Auch ist ein gerдumiges Schulhaus von den Wirten erbaut worden. An dem grцЯten
SteppenfluЯ, ungefдhr 2 Werst vom Dorfe entfernt, ist ein Brunnen zum Trдnken
des Viehes angelegt. Ueberzeugt von dem Nutzen des Seidenbaus haben die Wirte
noch einen Maulbeergarten, je eine halbe Dessjatine groЯ, angelegt und mit dem
Bepflanzen derselben den Anfang gemacht.
Schulz Heinrich Krцker.
Beisitzer: Christian Schmidt, Jakob Bangmann.
Schullehrer David Klaassen.
Am 30. April 1848.
13. Altona(2)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 183.
Die Anlage der Kolonie und der Hдuserbau wurden 1804 begonnen. Doch es wurden in
dem Jahr wegen der allzu groЯen Entfernung, aus welcher das Bauholz geholt
werden muЯte, nur 6 Hдuser fertig. Die meisten Ansiedler blieben den ersten
Winter in Erdhьtten wohnen.
Das sьdwestliche Ende der Molotschnaer Mennonitenkolonien bildet beinahe ein
Dreieck, welches durch die Molotschna und die in diese mьndende Juschanlee(3)
entsteht. Ungefдhr eine Werst oberhalb dieser Mьndung liegt die Kolonie Altona
in einer von der Molotschna gebildeten Niederung. Da die Eigenart des Flusses
den Ansiedlern unbekannt war, gingen sie nach preuЯischem Muster mit ihrem
schnurgeraden Dorfsplan zu nahe an die Molotschna, so daЯ sie eine unvermutete
Ueberschwemmung im kьnftigen Jahr zwang, die grцЯte Zahl der zum Glьck noch
leeren Baustellen weiter hinaufzurьcken, wodurch die gerade Richtung der Kolonie
in eine gebogene verwandelt wurde.
Den Ansiedlern war es ьberraschend zu sehen, daЯ ein SteppenfluЯ solch
bedeutende Ueberschwemmungen herbeifьhren konnte. Wenn nдmlich in den
Wintermonaten schnelles Tauwetter einfдllt, und die noch gefrorene Erde das
Wasser nicht aufsaugen kann, so werden durch die Gewalt der Strцmung die im
FluЯbette befindlichen Eismassen aufeinander geschoben und reiЯen alles, was
ihnen in den Weg kommt, mit sich fort. Es kommt dann vor, daЯ die Strцmung die
Breite von mehreren hundert Faden erreicht, die ganze Niederung unter Wasser
setzt und jeglichen Verkehr, auch denjenigen der Post, aufhebt. Die Gдrten an
________________
(1) Ьber die Hцhe der Einnahmen vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 193,
"Unterhaltungsblatt" Jg. 2, 1847, S. 2 f. und Jg. 3, 1848, Mдrz, Beilage S.
1-4.
(2) Ursprьnglich "Nr. 9" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(3) = Juschanly.
Page 114
der nordwestlichen Seite sind gegen solche Ueberschwemmungen durch Dдmme
geschьtzt, wдhrend die Keller der niedrig gelegenen Hдuser mit Wasser gefьllt
werden.
Die Hцhen zwischen den Tдlern der Molotschna und der Juschanlee liegen mehrere
hundert FuЯ ьber der Meeresflдche, nach Westen sich abdachend mit einer
fruchtbaren, auf einer roten Tonunterlage ruhenden Schwarzerdeschicht. Die Tдler
enthalten eine bedeutende salpeterhaltige Schicht Dammerde und sind an der
Juschanlee so flach, daЯ sie durch Dдmme bewдssert werden. Die Brunnen(1) in den
Tдlern enthalten meistenteils trinkbares Wasser. Durch das Auffschьtten einiger
Erddдmme sind in beiden Steppenflьssen Teiche entstanden, welche, da das Wasser
wegen der naheliegenden Ansiedlungen nicht abgelassen werden kann, in ungesunde
Sьmpfe ausarten, die Fieber und andere Krankheiten erzeugen.
AuЯer einigen Resten von Schleedorngebьsch sind hier keine Spuren von
Naturwaldungen angetroffen worden. Es gedeihen aber fast alle Gattungen von
Bдumen, nur die in den Niederungen gepflanzten Obstbдume scheinen wegen des im
Boden enthaltenen Salpeters nicht von langer Lebensdauer zu sein.
Bei der Ansiedlung war die Steppe mit den schцnsten Wiesen bedeckt, auf denen
das Gras so ьppig wuchs, daЯ es Getreidefeldern glich und junges Vieh hier
schwer zu finden war, wenn es sich darin verirrte. Dieser Graswuchs verhinderte
das Austrocknen der Erde und verursachte infolge dessen hдufigere Niederschlдge,
wдhrend jetzt, da die Steppe ihres Grasschmuckes lдngst entbehrt, das Land den
Trocknen Winden schutzlos preisgegeben ist, wodurch der Regen oft lange
ausbliebt. Trotzdem fallen die Ernten infolge der Vierfelderwirtschaft und guten
Bearbeitung ergiebiger aus als frьher(2). An Stelle des abgeweideten Grases
wдchst vielfach verschiedenes Unkraut umso ьppiger.
Sobald die Kolonie angesiedelt war, erhielt sie auch den Namen Nr. 9, den sie
bei den angrenzenden russischen und nogaischen Nachbarn bis heute behalten hat.
Nachher haben die Ansiedler auf Aufforderung der Obrigkeit ihr den Namen Altona
gegeben, worauf Wirklicher Staatsrat von Kontenius die Ursache dieser Benennung
zu erfahren wьnschte. Da verwandelten der Gebietsvorsteher Klaas Wiens und
Gebietsbeisitzer Aron Warkentin Altonau in Altona und erklдrten diesen aus einem
plattdeutschen und einem hochdeutschen Wort (alto = allzu und nah) bestehenden
Namen damit, daЯ die Kolonie allzu nah bei den damals noch gefьrchteten Nogaiern
sich befinde. Die Kolonie war die letzte an der sьdwestlichen Seite des ganzen
Bezirkes.
Die ersten aus dem Marienburger Kreise WestpreuЯens stammenden Familien, die
hier mit der Partie des nachherigen Gebietsvorstehers Klaas Wiens im Jahr 1803
in die Chortitzer Kolonien gekommen waren, hatten Furcht an die Molotschna zu
________________
(1) Ьber die Tiefe der Brunnen in diesem Gebiet vgl. Koeppen: Ьber einige
Landesverhдltnisse, Beilage F (S. 62).
(2) Vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 190: "Seit 1838 ist die schon bestehende
Vierfelderwirtschaft regelmдЯig geordnet und festgestellt worden. Von jenen
65 Dessj. [d.h. den von der Krone bewilligten] sind 25 Dessj. eines jeden
Wirths zum Ackerfelde gezogen, wovon jдhrlich drei Theile zum Getreidebau
benutzt, ein Theil brach liegt, und nur etwa 1/6 mit Kartoffel bepflanzt
wird."
Page 115
ziehen, weil die ausgeschickten Kundschafter mit ungьnstigen Berichten
zurьckgekehrt waren(1). Der vorurteilsfreie Wiens jedoch machte sich im Frьhjahr
1804 mit samt seiner Familie auf, um an den von der Krone angewiesenen
Ansiedlungsort an der Molotschna zu ziehen. Seinem Beispiel folgten die ersten
13 Familien, aus welchen diese Kolonie ursprьnglich bestand(2). An Stelle der
jetzigen Kolonie Altona befanden sich frьher die Zeltwohnungen der Nogaier,
deren Spuren man heute noch an einigen aufgeworfenen Erd- und Mistwдllen
erkennen kann.
Die дrmeren Ansiedler Altonas haben von der Krone einen VorschuЯ von 1151 R. 28
K. Banko erhalten. Diesen VorschuЯ bedurften nur drei Familien, wдhrend die
ьbrigen 22 nach und nach hier angesiedelten Familien 20.000 R. banko an barem
Gelde aus der frьheren Heimat mitbrachten.
Vergleicht man den frьheren Zustand dieser Kolonie mit ihrem jetzigen Wohlstand,
zu dem sie sich trotz mancher Fehlernten, Plagen und Schwierigkeiten, wie sie
bei den anderen Kolonien bereits geschildert sind, aufgeschwungen hat, so muЯ
jeder Unbefangene gestehen, daЯ nur eine hцhere geistige Kraft die Triebfeder
dazu sein konnte.
Es gibt Augenblicke im menschlichen Leben, die fьr das Herz zu groЯ sind und uns
ьberwдltigen; kцstliche, groЯe selige Augenblicke, wo der Mund vor tiefer
innerer Bewegung verstummt, wo von selbst die Hдnde sich falten, die Blicke den
Himmel suchen und das Gebet dem ьberstrцmenden Herzen Bedьrfnis ist. Ein solch'
groЯer, seliger Augenblick war im Jahr 1818, als der hochselige Kaiser Alexander
I. auf seiner Reise aus der Krim nach St. Petersburg unsere Kolonie mit seinem
hohen Besuche beehrte und uns deutsche Ansiedler der Kolonie Altona der Liebe
wьrdigte, auf einen Augenblick bei dem damaligen ehrsamen Aeltesten Jakob
Warkentin abzusteigen.
Aber im Jahre 1825 war es kein Augenblick, sondern Stunden, die die Bewohner
dieser Kolonie in groЯe Freude setzten. Denn Se. Majestдt beehrte wieder auf
einer Reise von St. Petersburg in die Krim mit einem Besuche unsere Kolonie und
geruhte in unserer Kolonie Altona in der Mitte seiner deutschen Ansiedler, in
der Behausung der damaligen ehrsamen Aeltesten Jakob Warkentin eine Nacht zur
Ruhe zu bestimmen(3).
In tiefer Ehrfurcht und frommer Rьhrung danken wir Gott fьr diese kцstlichen,
unvergeЯlichen Stunden. Nichts Schцneres und Erhebenderes gibt es auf Erden, als
den frohen Anblick solcher Menschen, denen Gott Macht und Herrschaft, ja das
Wohl von Millionen anvertraut, und die seine gnдdige Hand zugleich mit dem
Lichte der Weisheit, mit der Wдrme ungeschminkter Frцmmigkeit und der Anmut
sanfter Menschenliebe geschmьckt und gekrцnt hat. Einen solchen erhebenden
________________
(1) Wie die vorliegenden Berichte erweisen, legte die russische Regierung im
Schwarzmeergebiet Wert darauf, daЯ die anzuweisenden Lдndereien erst von
Deputierten besichtigt wurden.
(2) 1855: 2 Wirtschaften, 58 Anwohnerfamilien (insgesamt 203 Mдnner, 184
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 22 Wirtschaften (148 Mдnner) auf 1430 Desj. und 20 landlose Familien
(57 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(3) Vgl. hierzu auch Fadeev a.a.O. S. 406.
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Anblick gewдhrten uns jene Stunden und darum beten wir, vereint mit Millionen,
fьr das Glьck und die dauerhafte Wohlfahrt des ganzen Kaiserhauses(1).
Schulz Johann Wiens.
Beisitzer Jakob Esan(2), Jakob Klaassen.
Schullehrer Johann Wiebe.
14. Mьnsterberg(3)
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 185.
Die Kolonie ist im Jahre 1804 gegrьndet worden. Sie liegt am linken Ufer der
Molotschna, 28 Werst von Melitopol entfernt. Der etwas salzige Boden der
Niederung ist den Bдumen und dem Grase nicht besonders zutrдglich: das sandige
Ackerland dagegen bringt bei unablдssigem FleiЯ des Landmanns im Ackern und
Dьngen gutes Getreide hervor.
Den Namen Mьnsterberg hat Oberschulz Klaas Wiens der Kolonie gegeben, weil
einige Dцrfer in PreuЯen ebenso heiЯen.
Von den 21 ursprьnglich hier angesiedelten Familien(4) stammen 5 aus dem
Marienburgischen, 9 aus dem Elbingschen und 7 aus dem Tiegenhofschen Bezirke in
WestpreuЯen. Einige von ihnen sind mit der Partie des in altona wohnhaften Klaas
Wiens, andere mit derjenigen des Gerhard Wiens und wieder andere mit derjenigen
des Hermann Neufeld eingewandert. Die von nogaischen Herdengesitzern bewohnte
kahle Steppe wurde ihnen von einem Hofrat Tscholkow(5) angewiesen.
Schon auf der Reise in der Stadt Grodno erhielten die Einwanderer das erste
Hilfsgeld von der Krone, und zu ihrer Ansiedlung ist ihnen Nahrungs- und
VorschuЯgeld, wie auch Lebensmittel und Bauholz im Gesamtwerte von etwa 12387
Rub. 5 Kop. Banko als VorschuЯ abgelassen worden. An eigenen Mitteln besaЯen die
meisten auЯer den nцtigen Fuhrwerken wohl nichts.
Viehseuchen in den Jahren 1805, 1829, 1833, 1844 und 1845, MiЯernten 1833 und
1834, Heuschrecken besonders 1821 und 1823, sowie andere widrige Ereignisse
________________
(1) Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Kolonisten in RuЯland wдhrend
der ersten Hдlfte des 19. Jh. bedarf dringend einer Klдrung von juristischer
Seite. Hier sei nur darauf hingewiesen, daЯ eine Gleichsetzung von
Kolonisten und russischen Kronsbauern nur bedingt Geltung hat, denn die
deutschen Kolonisten waren gewissermaЯen russische Untertanen auf Widerruf.
Besonders auffдllig tritt das II PSZ Bd. 12 Nr. 9861 (11. Januar 1837)
zutage: "Wird ein Kolonist durch Gemeindespruch aus dem Gemeindeverband
ausgeschlossen und dieses Urteil von der zustдndigen Behцrde bestдtigt, so
ergeht an den Betreffenden die Aufforderung, RuЯland fьr immer zu
verlassen." Ein russischer Untertan konnte jedoch nicht ins Ausland
abgeschoben werden. - Auch das Sachregister zur Zweiten Serie der Russischen
Gesetzessammlung (II PSZ) unterscheidet zwischen "Siedlern, die russisch
Untertanen sind" und "auslдndischen Siedlern", worunter auch die deutschen
Kolonisten verstanden werden.
(2) muЯ heiЯen "Efau".
(3) Ursprьnglich "Nr. 8" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(4) 1855: 22 Wirtschaften, 46 Anwohnerfamilien (insgesamt 159 Mдnner, 156
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 22 Wirtschaften (138 Mдnner) auf 1430 Desj. und 10 landlose Familien
(23 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(5) oder Scholkow, vgl. S. 101; der Name lieЯ sich nicht ermitteln.
Page 117
haben das Emporkommen der Kolonie zu Zeiten sehr gehindert(1); durch das Bemьhen
der Vorgesetzten und der Landesobrigkeit, namentlich des Wirklichen Staatsrats
Kontenius, des Hauptkurators von Insow und Fьrsten Woronzow, des Begrьnders der
fьr die Mennonitenkolonien so hoch bedeutsamen Handelsstadt Berdjansk, ist
durch Kulturfortschritte auf allen Gebieten der Landwirtschaft der Wohlstand
bedeutend gefцrdert worden.
Schulz Johann Dьck(2)
Beisitzer Kornelius Tцws, Joh. Braun.
Schullehrer Peter Isaak.
15. Lichtfelde
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 186.
Aus eigenem Antrieb entschlossen sich im Jahre 1818 wieder eine bedeutende
Anzahl mennonitischer Familien, zu ihren Glaubensgenossen nach SьdruЯland
auszuwandern, weil sie in PreuЯen keine Aussicht mehr hatten, Land fьr ihre
Nachkommen zu erhalten.
Die ursprьnglichen Ansiedler dieser Kolonie sind folgende 20 Wirte(3):
1) Aus dem Marienburgischen: Bernhard Friesen, Jakob Klaassen, David Gцrtzen,
Kornelius Wall.
2) Aus dem Elbingschen: Franz Wiens, Dietrich Dick, Isaak Klaassen, Peter
Rempel, Johann Hildebrand, Heinrich Steingard, Heinrich Martens, Hermann
Klaassen.
3) Aus dem Tiegenhofschen: Kornelius Janzen, Hermann Fast.
4) Aus dem Stuhmschen: Abraham Gцrtzen, Abraham Riediger.
5) Aus dem Mцrrischen: Franz Janzen.
6) Aus dem дlteren Molotschnaer Kolonien: Peter Gцrtzen, Jakob Wiebe und
Heinrich Dick.
Glьcklich an der Molotschna angelangt und von den Verwandten und Bekannten in
deren Wohnungen freundschaftlich aufgenommen, wandten sich nun die auslдndischen
Einwanderer an die hohe Krone(4) mit der Bitte um Land und um Geldvorschьsse zur
Ansiedlung. Das Land wurde bewilligt, die Vorschьsse aber nicht. Da sie aber arm
waren und nur die Vermцgenden etwa 100 bis 200 Rbl. Silber an Geld und Sachen
besitzen mochten, so wandten sie sich um Fьrsprache bei der hohen Krone an den
wohlwollenden, den Kolonisten vorgesetzten Wirklichen Staatsrat Kontenius, durch
welchen sie dann auch 2829 R. 14 K. Silber vorschuЯweise ohne Zinsen erhielten,
________________
(1) Ein in mehrfacher Hinsicht wichtiges Material bietet die "Genaue Berechnung
aus dem Wirtschaftsbuche des Wirts in der Molotschnaer Kolonie Mьnsterberg,
Mennoniten Jakob Neumann ьber seine Aussaaten und Ernten aller
Getreidearbeiten auf einem und demselben Acker von 1806 bis 1846" im
"Unterhaltungsblatt" Jg. 1, 1846, S. 57 f.
(2) Die Familie nennt sich auch Dick.
(3) 1855: 20 Wirtschaften, 38 Anwohnerfamilien (insgesamt 165 Mдnner, 156
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (135 Mдnner) auf 1300 Desj. und 14 landlose Familien
(52 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(4) vermutlich durch Graf Langeron, der als Kriegsgouverneur von Cherson bis Mai
1818 auch die Angelegenheiten der Kolonisten zu fцrdern hatte, vgl.
Skalkovskij a.a.O. Bd. 2, S. 276.
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welches Geld nach 10 Freijahren terminweise zurьckzuzahlen war. Von diesem
VorschuЯ erhielten der Vermцgendste 98 Rbl. 28 Kop., der Unvermцgendste 188 R.
75 K. Die drei aus der Molotschna hinzugekommenen Ansiedler erhielten keinen
VorschuЯ, weil sie keine Familien besaЯen, sondern unverheiratet waren.
Im Frьhling 1819 begann die Ansiedlung. Da sich Ansiedler zu 2 Kolonien gefunden
hatten, so teilten sie sich in zwei Teile, wovon jeder der erhaltenen Vorschrift
zufolge sich einen Schulzen wдhlte. Die Oben genannten Ansiedler wдhlten Abraham
Riediger. Nachdem der Oberrichter aus dem Jekaterinoslawschen Kontor fьr
auslдndische Ansiedler Fadejew(1) behufs Anweisung des Landes hier angelangt
war, wurde auch sogleich in Gemeinschaft des damaligen Oberschulzen Peter Tцws
aus Ladekopp die zu besiedelnde Kronssteppe besichtigt und 2 zehn Werst
auseinanderliegende Landstriche zur Ansiedlung ausersehen. Neun Werst von dem
Vorwerk des Johann Kornies am Juschanlee aufwдrts lag der eine Plan und 25 Werst
von Ohrloff aufwдrts, an der linken Seite des Kuruschan-Flusses, der andere.
Den Ansiedlern beider Teile ward es ьberlassen, unter sich auszumachen, wo ein
jeder Teil ansiedeln solle. Das Los entschied, daЯ die oben genannten Ansiedler
den ersten Landstrich erhielten. Er ist 90 Werst von Berdjansk und 65 Werst von
Orechow entfernt. Im Jahre 1845(2) wurde Berdjansk an der Stelle von Orechow
Kriesstadt.
Das Land dieser Kolonie, 1300 Dessj. groЯ, 65 Dessj. auf den Wirt gerechnet,
bildet fast ein Viereck und hat sьdlich den Juschanlee-FluЯ zur Grenze, wo
gegenьber auf der andern Seite des Flusses noch zu besiedelnde Kronssteppe sich
befindet; die anderen drei Seiten grenzen an von Mennoniten besiedeltes Land.
Den Namen Lichtfelde haben die Ansiedler von einem gleichnamigen Dorfe in ihrem
alten Vaterlande hergeleitet.
Mit der Grьndung machten 18 Familien im Mдrz 1819 den Anfang; im nдchsten
Frьhling kamen die zwei ьbrigen hinzu.
Auf der zur Dorfanlage gewдhlten Stelle wurden 34 Dessj. zu Wirtschaften und
Gartenplдtzen abgemessen, die Wohnplдtze durch Pflugfurchen abgezeichnet und
durchs Los an die Ansiedler verteilt. Fьr die nдchsten Monate baute sich ein
jeder eine Wohnung aus mit Brettern beschlagenen Sparren.
Die Steppe hatte bisher Johann Kornies aus Ohrloff in Pacht gehalten und an
Tataren und andere Leute gegen monatliche Zahlung zur Viehweide weitergegeben.
Da die Tataren(3) in sogenannten Koschen wohnten, so fanden die Ansiedler keine
Wohnungen vor.
Die wenigstens der Ansiedler waren imstande den verwurzelten Urboden der Steppe
allein zu pflьgen. Dazu waren 6 Pferde erforderlich, weshalb immer 2 bis 3
Nachbarn zusammenspannen muЯten.
Nach der Bestellung der geringen Aussaat bauten sich 2 Ansiedler je ein Wohnhaus
und einen Stall, die anderen nur je ein Wohnhaus, manche auch nur je einen
Stall. Erst im anderen Jahr wurden dann die fehlenden Gebдude dazu gebaut.
________________
(1) Fadeev a.a.O. S. 392 berichtet, daЯ er 1819 viel in den Kolonien
umherreiste, um Ansiedlungsplдtze fьr Kolonisten, die jedoch in grцЯerer
Anzahl ausblieben, zu besichtigen.
(2) vielmehr 1842, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 236 und Bd. 3, S. 710.
(3) muЯ heiЯen "Nogaier".
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Erst im Jahre 1824 erbaute die Gemeinde ein Schulhaus; bis dahin war die Schule
bei Wirten in Nebenstuben untergebracht. Das Vorratsmagazin ist 1829 aufgefьhrt
worden.
Das Ackerland, bestehend in 438 Dessjatinen, ist sehr ergiebig. Anfangs schien
der Boden nur einen geringen Ertrag liefern zu wollen, aber seit man infolge der
guten Weizenpreise bei der zweckmдЯigen Bearbeitung keine Mьhe mehr scheut, ist
es anders geworden. Das Ackerland ist in 4 Teile geteilt(1), wovon ein Teil
schwarz gebracht wird und in fruchtbaren Jahren 15fдltige Frucht liefert. Oft
traten Oststьrme ein, denen das Land durch seine Lage besonders ausgesetzt ist.
In den Jahren 1835 und 1838 z.B. wurde manches Getreide gдnzlich ausgeweht und
vieles sehr stark beschдdigt.
Den Heuschlag bilden 94 am Juschanlee befindliche Dessjatinen mit einer drei FuЯ
tiefen Schicht Dammerde. Durch den FluЯ aufgeschьttete Dдmme werden
Ueberschwemmungen herbeigefьhrt, welche den Ertrag der Wiesen wesentlich erhцht
haben. In Jahren von mittelmдЯiger Fruchtbarkeit kann ein Wirt auf 600 Pud Heu
rechnen(2).
Die 755 Dessj. groЯe Weidesteppe erzeugt nur einen weitlдufigen Graswuchs, auf
welchem 270 Stьck Vieh nur notdьrftig ernдhrt werden. Fьr die Schafe wird
Kronsweideland gepachtet.
Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden. Doch ist im Jahre 1834 eine 12
Dessj. groЯe Waldanlage begonnen und 1847 vollendet worden.
MiЯwachs, Heuschrecken, Viehseuchen, Sturmwinde und Schneetreiben sind die
Haupthindernisse beim Emporkommen der Kolonie gewesen. Die Beschreibung dieser
Landplagen, sowie all jener Umstдnde, die den Wohlstand der Kolonie gefцrdert
und begrьndet haben, unterscheidet sich nicht von derjenigen der anderen
Kolonien.
Lichtfelde, der 28. April 1848.
Schulz David Gцrzen.
Beisitzer Johann Wall. Heinrich Dick.
Schullehrer Aron Penner.
16. Neukirch
Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 188.
Im Jahre 1818 meldeten sich laut Zirkularvorschrift des hiesigen Gebietsamtes 20
Familien zur Landannahme(3), wovon einige von 3 Jahren, andere vor 2, einige in
demselben Jahr, zwei aber schon 1804 aus PreuЯen eingewandert waren.
Im Jahre 1802 wurde fьr diese Familien der Ansiedlungsplan abgemessen und auf
Verfьgen des Oberschulzen Peter Tцws die Baustellen abgepflьgt und verlost,
allwo sich denn auch die Ansiedler noch in demselben Frьhjahr teils in
________________
(1) Vgl. S. 114 Anm. 2.
(2) Vgl. ьber den Graswuchs der taurischen Steppen die Mitteilungen von Tetzmann
bei Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 11 ff.
(3) 1855: 20 Wirtschaften, 59 Anwohnerfamilien (insgesamt 201 Mдnner, 204
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (124 Mдnner) auf 1300 Desj. und 4 landlose Familien
(20 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
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Bretterbuden, teils in Erdhьtten niederlieЯen und nach Beendigung der Saatzeit
zum Aufbau der Wohnungen schritten. Zum Herbst 1821 wurden 22 Wohnhдuser fьr 20
Wirte und 2 Handwerkerfamilien fertig. Gegenwдrtig befinden sich 48 planmдЯig
gebaute Hдuser in der Kolonie, wovon 4 aus gebrannten Ziegeln gebaut sind.
AuЯerdem ist ein gerдumiges Schulhaus, eine Fдrberei, die vortreffliche Arbeit
liefert und eine 1848 erbaute Ziegelei vorhanden.
Die Kolonie liegt am rechten Ufer des Juschanlee-Flusses(1) an der ersten
grцЯeren Niederung desselben, zwischen den Kolonien Lichtfelde und Prangenau.
Sie besitzt 540 Dessj. Ackerland, 50 Dessj Heuschlag und 700 Dessj. Weideland,
welches aber nicht zur Ernдhrung von 500 Stьck Vieh hinreichend ist, weshalb
alljдhrlich noch Kronsweideland gepachtet werden muЯ. Der Boden ist hart, hat
wenig schwarze Erde und ruht auf einer Unterlage von gelbem Ton. Die Wiesen
liefern nur bei besonders gьnstiger Witterung eine Heuernte. Eine Ausnahme macht
die Niederung, welche vermittelst eines Dammes alle Frьhjahr bewдssert wird und
einen reichlichen Heuertrag spendet. Das Ackerland ist meistens eben, nur ein
SteppenfluЯ durchschneidet ein Viertel desselben in schrдger Richtung, welcher
aber gewцhnlich trocken ist und nur Schnee und Regenwasser auffдngt. Man erhдlt
durch tьchtige Vorbereitung bei einigermaЯen gьnstiger Witterung befriedigende
Getreideernten. Oft aber trifft es ein, wie es auch dieses Jahr geschehen ist,
daЯ bald nach der Saatzeit ein heftiger Ostwind aufsteigt, der dann die durch
Schwarzbrache gelockerte Ackerkrume samt der Saat forttreibt. Des Winters wird
dieser Wind den Gebдuden gefдhrlich durch Aufhдufen des Schnees und beschдdigt
die Bдume.
Ursprьnglich wollten die Ansiedler dieser Kolonie den in ihrer Heimat
vorkommenden Dorfsnamen Schцnenberg geben, womit aber der Oberschulz Tцws nicht
einverstanden war, weil dieser Name im Chortitzer Bezirk vorkommt. Da schlug der
Schulz Johann Enns den aus PreuЯen bekannten Namen Neukirch vor, welcher auch
einstimmig angenommen wurde.
Die 22(2) Familien dieser Kolonie stammten aus den Gebieten Elbing (6 Familien),
Marienburg, Marienwerder und Danzig. Sie waren in kleinen Partien zu 3 und 4
Familien eingewandert.
Die ihnen zugewiesene Steppe hatte Johann Kornies aus Ohrloff in Pacht und die
Gebrьder Johann und Jakob Klaassen aus Tiegerweide weideten ihr Vieh auf
derselben.
Die unbemittelten Einwanderer bekamen einen KronsvorschuЯ von 7543 R. Banko; das
eigene Vermцgen belief sich auf etwa 4000 R. Banko.
Anfдnglich wurden den Ansiedlern цfters die Zugpferde gestohlen, so daЯ in den
ersten fьnf Jahren 18 Wirte zum grцЯten Teil alle, zum Teil 2 bis 3 der besten
Pferde einbьЯten. Von den anderen ьber den Molotschnaer Mennonitenbezirk
gekommenen Plagen und Unglьcksfдllen ist auch Neukirch nicht verschont
geblieben.
Der erste Umstand zur Fцrderung des Wohlstandes ist die vom Wirklichen Staatsrat
Kontenius eingefьhrte veredelte Zucht spanischer Schafe.
________________
(1) = Juschanly.
(2) Vgl. S. 119 Anm. 3.
Page 121
Ein anderer Vorteil zur Verbesserung der Kolonie ist die hдufige Uebergabe der
Wirtschaften gewesen. Viele arme, schwache, teils auch wenig sparsame und
umsichtige Familienvдter ьbergaben ihren Wirtschaftsanteil wohlhabenden,
tьchtigen, des Landes bereits kundigen, meist in RuЯland groЯ gewordenen
Landwirten, welche nach Krдften vorwдrts strebten. Die von den Wirtschaften
Abgetretenen bedangen sich ein am Dorfe sich anschlieЯendes Plдtzchen, wo sie
sich ein Hдuschen bauten und fьr sich und ihre Familien den Unterhalt mit
geringerer Mьhe verschafften.
Seit dem Jahre 1830 stiegen die Weizenpreise von 4 oder 5 auf 14 bis 18 R. Banko
pro Tschetwert und etwas spдter blьhte die Handelsstadt Berdjansk auf, welche 40
Werst nдher liegt, als der bisherige Absatzort Mariupol, wo ьbrigens den
Betrьgereien der auslдndischen Aufkдufer von der Obrigkeit jetzt auch bald
Schranken gesetzt wurden(1). Dadurch blьhte der Ackerbau auf.
Nachdem man frьher das Anpflanzen von Gдrten fьr unnьtz gehalten und behauptet
hatte, die Bдume wachsen nicht, wurden durch die Tдtigkeit des
Landwirtschaftlichen Vereins in Ohrloff und seines am 13. Mдrz 1848 verstorbenen
unvergeЯlichen Vorsitzers Johann Kornies Obst-, Maulbeeren- und
Gehцlzanpflanzungen gemacht und der Seidenbau, Flachsbau, Handwerk und Gewerbe
wesentlich gefцrdert, wovon die am 21 August 1845 auf dem Vorwerk Juschanlee(2)
stattgefundene Industrieausstellung Zeugnis gab.
Im Jahr 1845 wurde das Schulwesen verbessert; seitdem wird bei weitem
zweckmдЯiger und gleichfцrmiger unterrichtet als frьher(3).
Schulz Heinrich Siemens.
Beisitzer Aron Warkentin, Kornelius Jantzen.
Verfasser Jakob Heidebrecht, Schullehrer.
Neukirch, den 16. April 1848.
________________
(1) Nдheres lieЯ sich hierьber nicht ermitteln.
(2) Juschanlee (= Juschanly), 1811 von Joh. Cornies (vgl. S. 96, Anm. 1) auf
Pachtland gegrьndet, erfuhr 1812 eine starke Gebietserweiterung, als es
Cornies gelang, die zur Anlage von Mennonitenkolonien bestimmten freien
Kronslдndereien in Pacht zu nehmen. Besondere Sorgfalt verwandte Cornies
zunдchst auf seine Schafzucht, fьr die er 1825 Zuchtbцcke bei Petersburg und
1827 in Sachsen kaufte. In den 30er Jahren trug er durch Ankauf guter
Zuchtstiere und Milchkьhe auch wesentlich dazu bei, daЯ sich durch Kreuzung
von auslдndischen und russischem Hornvieh eine veredelte Rinderrasse bei den
Mennoniten, die sog. "Rote Kuh", herausbildete. Seit 1830 war Cornies
bemьht, Juschanlee zu einer Musterwirtschaft fьr die gesamte Umgegend
auszubauen, und als Anerkennung fьr diese seine Verdienste erhielt er 1836
500 Desj. Land vom Zaren geschenkt. Nach Cornies Tode ging Juschanlee in den
Besitz seines Schwiegersohns Philipp Wiebe ьber, vgl. D. Cornies und Johann
Tцws: Beschreibung des Vorwerks Juschanlee (mit einem Plan). In:
"Unterhaltungsblatt" Jg. 7, 1852, S. 33-36, ferner ebenda S. 60 f.
(3) Vgl. hierzu "Unterhaltungsblatt" Jg. 1, 1846, S. 10: "Die Dorfschulen in
ihren Hauptbestandteilen zu heben und den Schulunterricht ьberall gleich
nьtzlich einzufьhren, hat der Verein die 44 Dorfschullehrer in 6 Bezirke
geteilt und aus jedem derselben zwei der fдhigsten Schulmдnner auswдhlen
lassen, mit denen der Verein dahin arbeitet, ein fьr die Landschule,
hauptsдchlich auf kleine Kinder berechnete, zweckmдЯige Schulmethode
einzurichten. Der Schulunterricht ist unter der Leitung des Vereins in den
hiesigen Kolonien seit ein paar Jahren mit dem besten Erfolg gekrцnt worden.
Die Schule haben besucht 2304 Kinder". - AuЯerdem gab es 1845 im
Molotschnaer Mennonitenbezirk eine Leihbibliothek mit 223 Werken in 355
Bдnden, vgl. ebenda S. 10.
Page 122
17. Margenau(1)
Die Kolonie wurde im Jahre 1819 unter Aufsicht des Oberschulzen Peter Tцws bei
persцnlicher Anwesenheit des Oberrichters Fadejew am FlьЯchen Kuruschan(2), etwa
50 Werst von Orechow und 90 Werst von Berdjansk, gegrьndet. Der Name Margenau
ist von einem gleichnamigen Dorf in PreuЯen hergeleitet, welches ebenfalls, wie
das hiesige Margenau, unweit Rьckenau liegt. Die Ansiedler waren aus der
Elbinger Niederung und der zwischen der Weichsel und Nogat gelegenen Gegend der
Gebiete Marienburg und Tiegenhof hergekommen. Sie wurden mit ihren in Lichtfelde
angesiedelten Genossen in den дlteren Molotschnaer Mennonitenkolonien
freundschaftlich aufgenommen und ьber den Winter 1818 auf 1819 im Quartier
behalten.
Die aus vielen Anhцhen und Niederungen bestehende Steppe war vor ihrer Ankunft
verpachtet und wurde von Nogaiern als Viehweide benutzt. Die ist fьr den
Graswuchs nur mittelmдЯig, fьr den Getreidebau ziemlich gut geeignet. Die
Oberflдche ist eine mit gelbem Lehm vermischte Erde, stellenweise auch reiner
Lehm und in den Niederungen mehr oder weniger Schwarzerde.
Die Kolonie wurde von 24 Familien(3) gegrьndet, von denen 16 Familien so arm aus
PreuЯen gekommen waren, daЯ sie auЯer einem Fuhrwerk und einigem Hausgerдt
nichts besaЯen. Sie erhielten einen KronsvorschuЯ von 180 R. 40 K. Silber(4) auf
die Familie. Die ьbrigen 8 Familien waren seit 1803 zu verschiedenen Zeiten
eingewandert und hatten zum Teil schon in anderen Kolonien Wirtschaften
besessen. Sie verfьgten durchschnittlich ьber 120 R. bares Geld, 3 Pferde, einen
Wagen, sowie Haus und Ackergerдt und haben keinen VorschuЯ erhalten.
Die Kolonie Margenau ist den gleichen fцrdernden und hemmenden Einflьssen
ausgesetzt gewesen, wie die anderen Kolonien des Bezirks und ist durch Ackerbau,
Schafzucht, Wald- und Gartenanlagen, sowie Seidenbau zu gutem Wohlstande
gelangt.
Schulz Johann Harms.
Beisitzer Klaas Penner, Heinrich Dirksen.
Schullehrer Kornelius Isaak.
18. Rьckenau(5)
Die Grьndung dieser Kolonie geschah im Jahr 1811 auf Bestimmung des damals in
Jekaterinoslaw bestehenden Kontors unter der Leitung des hiesigen Gebietsamts.
Sie liegt ziemlich in der Mitte des ganzen Mennonitenbezirks und wird in der
Richtung von Ost nach West mehr auf der nцrdlichen Seite von dem SteppenflьЯchen
Kuruguschan(6) durchschnitten, in welchem an der Stelle, wo das Dorf gegrьndet
________________
(1) Russischer Name: Marnawka.
(2) = Kurundzu-Juschanly, vgl. S. 122 Anm. 6.
(3) 1855: 24 Wirtschaften, 68 Anwohnerfamilien (insgesamt 272 Mдnner, 262
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
(4) Vgl. S. 106 Anm. 1.
(5) Ursprьnglich auch Drannyj Numer genannt.
(6) Anfang des 19. Jh. Kurundzu-Jusanly, spдter Kurundu-Juschanly, Kurujuschanly
oder Kuruschan genannt, vgl. Spisok naselennych mest Bd. 41, S. 33, Semenov
a.a.O. Bd. 3, S. 301, Skalkovskij a.a.O.
Page 123
ist, das aus Nordost kommende SteppenflьЯchen Bцmschekrak(1) mьndet. Die
Entfernung von der nцrdlich gelegenen Stadt Orechow betrдgt 54 und diejenige vom
sьdцstlich gelegenen Berdjansk 90 Werst.
Da die Hцfe auf einer flachen Erhцhung alle 20 nebeneinander lдngs des
Kuruguschan erbaut sind, hat man auch die Gдrten zweckmдЯig in der oberen
Niederung dieses Flusses anlegen kцnnen, welcher dieselben mit Ausnahme von
zweien in ungleicher Entfernung von den Hцfen durchschneidet und im Frьhling
bewдssert. Die schwarze Dammerde eignet sich zum Anbau aller Gemьsearten und der
Obstbдume ganz vorzьglich, was die im ьppigsten Wachstum stehenden Gдrten voll
und ganz bestдtigen. Oberhalb des Dorfes, wo die Bodenerhebung ebenso
gleichfцrmig bleibt, ist die 10 Dessj. groЯe, in gleicher Lдnge mit dem Dorf
angelegte Waldplantage, welche in den wenigen Jahren ihres Bestehens prachtvoll
herangediehen ist und das Dorf vor den Sьdostwinden und Schneestьrmen schьtzt.
Die Kolonie gewдhrt mit ihren schцnen Anlagen namentlich von der sьdlichen und
nцrdlichen Anhцhe aus mit dem 1844 neuerbauten Schulhaus einen schцnen und
erhebenden Anblick. Wo vor 37 Jahren sich nur einige Chutorhьtten(2) befanden
und wo eine Anzahl armer Familien durch die Gnadenunterstьtzung des verewigten
Kaisers Alexander I. in einer kьmmerlichen Zeit sich kьmmerlich anbauten, steht
jetzt trotz mancher, das Emporkommen hindernder Ereignisse, eine stolze
Ansiedlung, die von dem FleiЯ und der Wohlhabenheit ihrer Bewohner zeugt. Der
schwarze Erdboden eignet sich vorzьglich zum Ackerbau, und nur die an der
nцrdlichen Seite des Kuruguschan gelegene Steppe unterhalb der Bцmschekrak hat
einen vorwiegend roten, lehmartigen mit Muscheln vermischten, leichten Boden,
dem unter den gьnstigsten Umstдnden hцchstens eine Mittelernte abzugewinnen ist.
In den Niederungen der beiden Flьsse wдchst reichlich gutes Heu. Etwa eine halbe
Werst unterhalb des Dorfes wird das Wasser der Kuruguschan in solchem MaЯe
aufgehalten, daЯ es meist den Sommer ьber zur Viehtrдnke ausreicht. In diesem
Wasser befinden sich Blutegel.
Die Kolonie ist nach einem Dorfe in PreuЯen Rьckenau genannt worden.
Die erste Niederlassung bestand aus 11 Familien, wovon 8 anno 1810 aus dem
Elbingschen Kreise ohne Fьhrer eingewandert sind. Eine Familie, Daniel Schmidt,
ist 1809, um der Militдrpflicht zu entgehen, aus dem damaligen franzцsischen
Departement Zweibrьcken ausgezogen(3), hat diesseits des Rheins gewintert und
hat 1810 vom damaligen russischen Konsul zu Frankfurt am Main, Herrn Betmann(4),
die Reiseerlaubnis nach der Molotschna erhalten. Eine Witwe mit zwei
erwachsenen Sцhnen ist auch in der dortigen Gegend nahe bei der Stadt Primasens
wohnhaft gewesen; von den Sцhnen hatte der eine dort und der andere hier gleich
nach der Ankunft sich verheiratet. Ihr Familienname ist Tracksel. SchlieЯlich
________________
(1) Begim-Tschokrak, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 301.
(2) Vgl. S. 124 Anm. 2.
(3) Es kam hдufig for, daЯ Deutsche vor der franzцsischen Rekrutierung nach
RuЯland flohen, vgl. z.B. S. 1 Anm. 2.
(4) Vgl. auch I PSZ Bd. 31, Nr. 24131, 25. Februar 1810: es wird beschlossen,
den Missionen und Konsulaten im Auslande mitzuteilen, daЯ die russische
Regierung in Zukunft keine Darlehen an Siedler erteilen werde. Wer auf eigne
Kosten sich niederlassen wolle, wьrde den Schutz der Regierung finden.
Page 124
haben sich noch 9 aus PreuЯen eingewanderte Familien zu verschiedenen Zeiten
hier beigesiedelt, so daЯ 1819 das Dorf wie gegenwдrtig aus 20 Wirten
bestand(1).
Die ersten Ansiedler hatten im ersten Winter ihre Quartiere in den дlteren
Mennonitenkolonien an der Moltschna. Da am Ansiedlungsplatze zur Aufnahme der
Ansiedler kein Obdach vorhanden war, so bauten sie sich Erdhьtten. Auf der
nцrdlichen Seite des Kuruguschan hatten GroЯ-Tokmaker Kronsbauern einen
Chutor(2) mit zahlreicher Bevцlkerung und bedeutenden Viehherden, welche fьr die
junge deutsche Ansiedlung verhдngnisvoll werden sollte. Im ersten Jahr wurde
wenig gepflьgt und nur das fьr das wenige Vieh nцtige Heu geerntet, und es ging
alles ruhig ab. Im Frьhjahr 1812 jedoch verhinderten die aus Tokmak hierher
gezogenen Bewohner das Pflьgen, indem sie den Ansiedlern die Pflьge wegnahmen und
erst im Herbst zurьckgaben(3). Beim Grasmдhen ging's nicht besser. Das Aufsetzen
der Dachsparren auf den in den folgenden Jahren gebauten Hдusern wurde ebenfalls
gewaltsam gehindert. Dieses traurige Verhдltnis dauerte 4 Jahre lang, wдhrend
welcher Zeit die Russen sдmtliche Lдndereien bis dicht an die deutschen Hдuser
umpflьgten und benutzten. Die Ursache der spдten Abstellung dieser miЯlichen
Sache von Seiten der hцheren Behцrde war der im Jahre 1812 ausgebrochene Krieg
mit den Franzosen. Es war eine traurige Zeit. Das Brotgetreide wurde den
Vergewaltigten aus den Magazinen der Molotschnaer Kolonien verabreicht. Durch
diesen Umstand auf's дuЯerste bedrьckt, baten sie um Entlassung vom
Ansiedlungsort mit dem Versprechen, ferner keine Ansprьche auf Land zu machen.
Aber Wirklicher Staatsrat Kontenius verweigerte dieses aus weiser Absicht
gдnzlich und befahl dem Gebietsamt, die Unglьcklichen mit allem Nцtigen zu
versehen, aber nicht zuzulassen, daЯ sie sich entfernten. Sie blieben auch sonst
ziemlich unangefochten, wenn sie nur nicht versuchten landwirtschaftlich tдtig
zu sein(4).
Endlich im Sommer 1814 wurde der Graf Dimmensohn(5) vom Herzog von Richelieu(6)
in dieser Sache bevollmдchtigt. Er bewirkte, daЯ die Chutorbewohner nach und
nach den Platz rдumten und die Zurьckgebliebenen ihre цffentlichen
Feindseligkeiten einstellten. Ein vorlдufiger Plan wurde entworfen und im
Frьhjahr 1815 vom Landmesser Kasanow im Beisein des Grafen Dimmensohn und dem
Landrichter aus dem niederen Landgericht abgemessen und durch Furchen
bezeichnet(7).
Die ersten acht Familien waren so arm, daЯ sie nicht das nцtige Reisegeld nach
RuЯland hatten, und bekamen von der Grenze an Nahrungsgelder von der Krone;
ebenso die zwei Familien Schmidt(8) und Tracksel(9). Zu gleichmдЯiger Verteilung
________________
(1) 1855: 20 Wirtschaften, 40 Anwohnerfamilien (insgesamt 160 Mдnner, 155
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1300 Desj. und 13 landlose Familien
(51 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(2) "Chutor, d.i. Vorwerke oder Meierhцfe, wie die dasigen Deutschen sie
nennen". Vgl. P. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 38.
(3) Schuld an diesen Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Russen war wohl
die ungenьgende und miЯverstдndliche Abgrenzung des den Deutschen
eingerдumten Landes.
(4) Nдhere Angaben ьber diesen Streit lieЯen sich nicht ermitteln.
(5) Vermutlich als Inspektor dieses Gebiets.
(6) Vgl. S. 35 Anm. 1.
(7) Eine erneute Vermessung des Landes erfolgte 1818, vgl. I PSZ Bd. 35, Nr. 27401.
(8) Vgl. S. 123.
(9) Vgl. S. 123.
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erhielten sie 4589 R. 96 K. VorschuЯgelder. Die spдter beigesiedelten 9 Familien
hatten eigenes Vermцgen, aber auch nur zur дuЯersten Notdurft; sie haben keine
Nahrungsgelder und keinen VorschuЯ erhalten(1). Durch die Bedrьckungen der
ersten Jahre waren die Ansiedler wirtschaftlich so zurьckgekommen, daЯ sie sich
nur langsam erholten und sich auch nur ьber einen sehr geringen Anteil an den
Einnahmen aus der spдter erblьhten Schafzucht zu erfreuen hatten. Erst mit dem
Aufschwung der Landwirtschaft ist auch diese Kolonie zu ihrem jetzigen Wohlstand
gelangt.
Schulz Jakob Harder.
Beisitzer Johann Lцwen, Jakob Driedger.
Jakob Unger, Schullehrer.
19. Rosenort
Die Kolonie ist im Jahre 1805 am Kurudujuschanlee(2) gegrьndet worden. Sie liegt
in der FluЯniederung auf ebener Flдche. Die DorfstraЯe zieht sich parallel mit
dem Flusse hin, welcher 11 Werst westlich in die Molotschna mьndet. Ein
SteppenfluЯ vereinigt sich nцrdlich vom Dorfe mit dem Kurudujuschanlee und
erweitert die Niederung, welche im Winter bei eintretendem Tauwetter oder auch
im Sommer bei groЯen Regengьssen ьberschwemmt wird, wie auch der HauptfluЯ sich
ьber das angrenzende Land der Gemeindeschдferei ergieЯt. Vier Dдmme fassen das
Wasser bis zu 6 Arschin Tiefe und beim Anschwellen desselben werden die
Heuwiesen in der Niederung auf kurze Zeit in einen Wassersee verwandelt. Am
rechten Ufer des Flusses, nordwestlich vom Dorfe ist eine Sand- und Grandgrube,
die den Bewohnern dieser und aller angrenzenden Kolonien besonders beim
Hдuserbau gute Dienste tut. Von der jetzigen Kreisstadt Neualexandrowka(3) ist
diese Kolonie 40 Werst entfernt, von Berdjansk 100 Werst, von Orechow 52 Werst.
In den ersten Jahren des vierten Jahrzehnts wurde die Gehцlzplantage auf jeder
Seite des Dorfes zu einer halben Dessjatine auf den Wirt angelegt. Gegenwдrtig
sind die Bдume von folgender GrцЯe: Pappeln bis zu 27 Arschin hoch und mit 26
Werschock Umfang, Eschen mit einer Hцhe von 16 Arschin und einem Umfang von 12
Werschock. Der Boden in der Niederung ist zum Graswuchs mittelmдЯig geeignet,
die Aecker bestehen auf den kleinen Bergrьcken aus lehmiger Schwarzerde; wenige
Stellen sind unbrauchbarer Lehmboden.
Der Grьnder dieser Ansiedlung, der hiesige Mennonit Johann Warkentin aus
Blumenort im Elbinger Werder, wo auch ein Rosenort liegt, hat diese Kolonie zur
Erinnerung an den frьheren Wohnort Rosenort genannt.
Die hier angesiedelten 20 Familien(4) sind aus mehreren Orten aus dem Werder,
einer Insel zwischen der Weichsel und Nogat, hierher gekommen. Folgendes
Verzeichnis gibt Auskunft ьber die Herkunft und Vermцgensverhдltnisse der
Ansiedler.
________________
(1) Vgl. S. 123 Anm. 4.
(2) Ьber die Namen dieses Flusses vgl. S. 122 Anm. 6.
(3) = Nowo-Aleksandrowka, vgl. S. 56 Anm. 3.
(4) 1855: 20 Wirtschaften, 40 Anwohnerfamilien (insgesamt 137 Mдnner, 142
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden sind inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (121 Mдnner) auf 1300 Desj. und 8 landlose Familien
(48 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
Page 126
--------------------------------------------------------------------------------
Nr. Namen der Ansiedler Aus welchem Eigenes VorschuЯ Das Jahr der
Kreise Vermцgen Ansiedlung
Rbl. K. Rbl. K.
--------------------------------------------------------------------------------
1. Peter Born Danzig -- -- 521 8 1805
2. Klaas Dick Marienburg 250 -- -- -- 1805
3. Heinrich Wiebe " 1500 -- -- -- 1805
4. Franz Thiessen " -- -- 677 86 1805
5. Gerhard Fast Neuteich 700 -- -- -- 1807
6. Johann Neufeld Marienburg 500 -- -- -- 1807
7. Gerhard Rempel Elbing -- -- 555 61 1805
8. Philipp Warkentin " -- -- 424 99 1805
9. Jakob Janzen " -- -- 538 19 1805
10. David Boschmann Tiegenhof -- -- 513 4 1805
11. Heinrich Hamm Elbing -- -- 591 47 1810
12. Peter Thiessen Tiegenhof 700 -- -- -- 1805
13. Gerhard Zacharias Elbing -- -- 497 2 1805
14. Isaak Enns Marienburg 1500 -- -- -- 1807
15. Klaas Siemens Tiegenhof 1800 -- -- -- 1805
16. Peter Born Marienburg -- -- 538 83 1805
17. Jakob Wiens Schцnsee 200 -- -- -- 1813
18. Johann Klaassen Marienburg 9000 -- -- -- 1805
19. Jakob Berg " 2000 -- -- -- 1805
20. Dirk Wiebe " 5000 -- -- -- 1805
--------------------------------------------------------------------------------
Summa 23150 -- 4858 9
Die Einwanderung geschah in mehreren Partien und ohne besondere Anfьhrer. Die
nomadisierenden Tataren, welche diese Steppe benutzten, muЯten zwar bei der
Ankunft der Deutschen auf Anordnung der Obrigkeit die Gegend rдumen, blieben
aber gefдhrliche Nachbarn(1).
Ein besonders trauriges Ereignis traf diese Kolonie im Jahre 1811 in der Nacht
vom 19. auf den 20. April. Der Ansiedler Jakob Berg, welcher Gebietsbeisitzer
war, fuhr mit dem Sohn des Klaas Wiens Jakob und einem Fremden, namens Dirk
Reimer in Kolonialangelegenheiten, um die Landvermessung zu befцrdern, des
Abends ьber die Steppe. Sie wurden von Tataren ьberfallen und ermordet. Des
anderen Tages fand man ihre Leichen auf der Steppe der Kolonie Tiege. Durch die
geraubten Sachen wurden die Mцrder entdeckt.
In der Kolonie befindet sich eine Ziegelei, welche den Wirten Peter Friesen und
Johann Warkentin gehцrt und den Hдuserbau befцrdert.
Im Jahre 1825 den 22. Oktober wurde die Kolonie des Besuches Sr. Majestдt Kaiser
Alexander I. gewьrdigt und im Jahre 1825(2) des Besuches des GroЯfьrsten
Konstantin Nikolajewitsch. Des Umweges halber ist die Kolonie von anderen hohen
Personen nicht besucht worden.
Der Seidenbau hat sich in wenigen Jahren bedeutend erhцht und gewдhrt den
tдtigen Wirten eine Einnahme von 30 bis 60 Silberrubel. Ebenso ist der Ackerbau
und die Gartenkultur in erfreulichem Aufblьhen begriffen.
Schulz Wiens.
Beisitzer: Fast, Friesen.
Schullehrer Bernhard Fast.
________________
(1) Ьber die Nogaier (nicht Tataren) vgl. S. 89 Anm. 4.
(2) oder 1845? vgl. S. 93.
Page 127
20. Fьrstenau(1)
Im Jahre 1805 aus PreuЯen eingewandert, von Grodno an mit Nahrungsgeldern von
der Krone unterstьtzt und im Chortitzer Bezirk ьber den Winter beherbergt,
grьndeten ein Jahr darauf 12 Familien unter Anleitung des Oberschulzen Klaas
Wiens am linken Ufer des Flusses Tokmak, 3 Werst vom Dorfe Tokmak(2), 35 Werst
von Orechow und 105 Werst von Berdjansk entfernt, diese Kolonie und gaben ihr
zum Andenken an ein Dorf in PreuЯen den Namen Fьrstenau. Bis zum Jahre 1810
kamen noch 9 Familien hinzu, so daЯ die Kolonie mit 21 Familien(3) vollzдhlig
wurde. Ihr eigenes Vermцgen mag insgesamt wohl nicht ьber 2000 Rubel betragen
haben; ihr KronsvorschuЯ betrug 10,234 R. 63 Kop. Banko. Sie kamen aus den
Kreisen Tiegenhof, Marienburg, Elbing und Danzig.
Besondere Vorfдlle aus der Geschichte dieser Kolonie, die in ihrer Entwicklung
mit den anderen Kolonien Schritt gehalten und die gleichen Widerwдrtigkeiten des
Klimas usw. durchzumachen gehabt hat, werden nicht berichtet.
Mit Rьhrung wird des Besuches Seiner Majestдt des Kaisers Alexander I. am 21.
Mai 1818 gedacht(4). Er kam nicht zu uns mit dem Sinne eines Herrschers, sondern
als ein Gast und liebenswьrdiger Vater. Er erzeigte sich so liebreich und gьtig,
wie kein Vater im Stande ist, seinem Kinde liebreicher zu begegnen. Am genannten
Tage zog er Nachmittags mit seinem Gefolge von mehreren Personen hohen Standes
durch unsere Kolonie. Mitten im Dorfe stieg er aus seine Kutsche und ging das
halbe Dorf entlang zu FuЯ. In zwei Bauernhцfen kehrte er ein, sah die armseligen
Bauernhьtten durch und fragte die Leute nach ihrem Wohlergehen. Aus
Ueberraschung, Freude und unnьtzer Furcht blieben sie ihm fast die Antwort
schuldig.
Anno 1845 den 19. August abends reiste Se. Kaiserliche Hoheit der GroЯfьrst
Konstantin Nikolajewitsch ebenfalls durch unsere Kolonie, wodurch auch viel
Freude und Mut in den treuen Untertanenherzen der Ansiedler geweckt wurde.
Schulz Hermann Neufeld.
Beisitzer: Wilhelm Schrцter, Aron Tцws.
21. Blumenort
Die Kolonie wurde 1805 gegrьndet am SteppenfluЯ Kurudujuschan(5), 53 Werst von
Orechow und 100 Werst von Berdjansk entfernt(6). Der Ackerboden dieser Kolonie
ist ziemlich gut, die Weidesteppe zum Teil infolge starker Benutzung sehr
mittelmдЯig. Die Heuschlдge sind durch Schьttung einiger Dдmme im Kurudujuschan
und Juschanlee behufs Ueberschwemmung derselben teilweise verbessert worden. Der
hiesige Steppenboden ist stark mit Lehm vermischt; wenige Stellen enthalten
ungemischten Lehm. Feldsteine zum Aufbauen der Hдuser mьssen in einer Entfernung
von 23 Werst am FlьЯchen Juschanlee geholt werden. Ihren Namen hat der Kolonie
________________
(1) Mitunter russisch auch "Farschnaw" genannt.
(2) GroЯ-Tokmak vgl. S. 89 Anm. 3.
(3) 1855: 21 Wirtschaften, 30 Anwohnerfamilien (insgesamt 147 Mдnner, 143
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (125 Mдnner) auf 1365 Desj. und 14 landlose Familien
(55 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.
(4) Dieser Satz ist wohl von J. Stach geдndert worden.
(5) Vgl. S. 122 Anm. 6.
(6) Vgl. S. 91 Anm. 2.
Page 128
der Ansiedler Johann Warkentin nach dem Ortsnamen seiner Geburt im preuЯischen
Elbingerwerder gegeben. Die ursprьngliche Niederlassung des Dorfes Blumenort
bestand aus 20 Familien(1) mit 42 mдnnlichen und 53 weiblichen Seelen, welche in
kleinen Transporten ohne Anfьhrer ins Land gekommen waren. Klaas Wiens aus
Altona war ihr Leiter bei der Ansiedlung und stand als Oberschulz unter der
Oberaufsicht des Vormundschaftskontors in Jekaterinoslaw.
Das Land war von nogaischen Viehherdenbesitzern besetzt, welche den
Ansiedlungsort wohl rдumten, aber doch Nachbarn blieben und als solche es meist
nur mit ihren Pferden zu tun hatten, indem sie die alten unbrauchbaren zum
Schlachten kauften und die besten stahlen.
Als die Ansiedler an der Grenze RuЯlands in Grodno ankamen, erhielten sie von
der Krone auf die Seele 10 Rbl. Reisegeld und 50 Rbl. fьr jede Familie zu Pferd
und Wagen, nach beendigter Reise 8 Kop. tдgliches Nahrungsgeld auf die Seele, 25
Rbl. zu Ackergerдt, 10 Rbl. zu Vieh und hдuslicher Einrichtung, 15 Rbl. zur
Frьhlingsaussaat, 5 Rbl. zur Herbstaussaat und eine Quantitдt Bauholz im Wert
von etwa 159 Rbl. 34 K.(2). An mitgebrachtem Vermцgen war nicht mehr als im
ganzen 1000 Thaler PreuЯisch vorhanden, woran aber die meisten keinen Anteil
hatten, so daЯ sie ihren jetzigen Wohlstand allein der hohen Krone verdanken.
Folgendes Verzeichnis gibt Auskunft ьber die Herkunft und den Besitz der
Einwanderer:
-------------------------------------------------------------
Nr. Namen der Ansiedler Aus welchem Wieviel VorschuЯ
Bezirk Rbl. K.
-------------------------------------------------------------
1. Heinr. Wiebe Elbing 572 67
2. Jul Ens " 598 90
3. Joh. Warkentin " 939 59
4. Kor. Wцlke Marienburg 572 67
5. Jak. Rogalski Elbing 598 --
6. Jak. Driedger " 598 --
7. Joh. Driedger " 523 65
8. Ger. Wiens Marienw. 398 44
9. P. Wahl Elbing 572 67
10. Hein. Wiens " 523 69
11. P. Brant " 399 36
12. Jak. Bдrg " 399 36
13. Hein. Penner Marienw. 556 87
14. Js. Tцws Elbing 572 67
15. Ger. Grossen Marienb. 572 87
16. P. Zacharias Elbing 602 --
17. Ab. Kornelsen " 502 37Ѕ
18. Joh. Warkentin " 250 --
19. Bern. Friesen Tiegenhof 781 --
20. Hein. Rogalski Elbing 639 5
-------------------------------------------------------------
Summa 11173 59
________________
(1) 1855: 20 Wirtschaften, 48 Anwohnerfamilien (insgesamt 135 Mдnner, 145
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (124 Mдnner) auf 1300 Desj. und 16 landlose Familien
(48 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
(2) d.h. wohl Rbl. Banco, vgl. S. 106 Anm. 1.
Page 129
Die gьnstigen und ungьnstigen Verhдltnisse dieser Kolonie sind im Verlauf ihrer
Geschichte bis 1848 die gleichen gewesen, wie in den anderen Kolonien, ebenso
die hohen und Allerhцchsten Besuche.
Den 11. November 1808 ist der noch lebende Gerhard Grossen abgebrannt und Ende
Februar 1821 ist das Schulhaus ein Raub der Flammen geworden.
Besonders dankbar wird des seligen Kontenius gedacht, der am 30. Mai 1830 im 81
Jahr seines Lebens in Jekaterinoslaw gestorben und auf dem Gottesacker der
deutschen Kolonie Josefstal(1) beerdigt ist. Dort ist ihm auch ein Denkmal
gesetzt worden. Dank ihm und Ruhe seiner Asche.
Blumenort, den 1. Mai 1828(2). Schulz, Reimer,
Beisitzer Dilleskij, Tцws.
Verfasser Schullehrer Heinrich Warkentin(3).
22. Fьrstenwerder
Wenn man auf dem Postwege von Orechow 35 Werst zurьckgelegt hat, so kommt man in
einen russischen Marktflecken, Tokmak(4) genannt, und sьdцstlich vom Postwege
durch einen FluЯ gleichen Namens. Schlдgt man von hier aus die StraЯe ein, die
nach dem Tatarenstдdtchen Abatoschna(5) fьhrt, und legt man auf dieser StraЯe
ьber Hьgel und Tдler durch ьppige Wiesen und Ackerfelder 12 Werst zurьck, so
kommt man auf eine an der Nordwestseite flach ansteigende Hцhe, die sьdцstlich
steil abfдllt und als Rand eines tiefen Tales sich nach beiden Seitenrichtungen
hinschlдngelt, und erblickt von hier aus, besonders wenn man sich auf den links
gelegenen alten Grabhьgel stellt, eine Menge Mennonitendцrfer. Links von dem
allernдchsten Dorf Fьrstenwerder, welches seine Benennung von dem
westpreuЯischen Dorfe Fьrstenwerder im Marienburger Kreise fьhrt, sieht man die
Kolonien Alexanderwohl, Gnadenheim, Friedensdorf, Landskrone, das in diesem Jahr
1848 neu angesiedelte Dorf Hierschau und Waldheim; wieder rechts sieht man die
Kolonien Rьckenau, Tiegerweide, die beiden Gemeindeschдfereien(6), dann
Rosenort, Blumenort, Tiege und Ohrloff; wieder sьdцstlich ьber eine kleine
Erhцhung die Kolonie Margenau, weiter цstlich Gnadenfeld, Konteniusfeld und
Sparrau. Man kann mit bloЯem Auge rechts 19 Werst und links 22 Werst weit die
deutschen Mennonitenansiedlungen mit ihren Gдrten und Ackerfeldern sehen. Kehrt
man sich um nach Westen, so ist es mцglich mit unbewaffneten Augen die
Mennoniten-Handwerkerkolonie Neuhalbstadt und die auf einem hohen Steppenrande
liegende Kirche der Kolonie Molotschna (Prischib) wahrzunehmen.
Von der Anhцhe herabsteigend gelangt man in das Tal, in welchem sich lдngs der
Kolonie Fьrstenwerder der fast immer wasserleere SteppenfluЯ Boheneschekrak(7)
________________
(1) Vgl. S. 9 Anm. 2 und S. 27 Anm. 7.
(2) muЯ heiЯen "1848".
(3) Der ursprьngliche Bericht scheint aber stilistisch geдndert zu sein.
(4) = GroЯ-Tokmak, vgl. S. 89 Anm. 3.
(5) = Obitotschnaja oder Denisowka, am Postwege aus Melitopol nach Mariupol,
gegr. 1800 vom Grafen Orlow-Denisow auf Lдndereien, die er von Paul I.
verliehen erhielt, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 578.
(6) Vgl. s. 108.
(7) = Begim-Tschokrak.
Page 130
schlдngelnd hinzieht, dessen Mьndung in die Kurudujuschan mitten gegen die
Kolonie Rьckenau ausgeht. Dieser Wasserlosigkeit wegen ist es den Einwohnern von
Fьrstenwerder mцglich gewesen, eine schцne Weidenanpflanzung in dem leeren
FluЯbette anzulegen. Fдhrt man weiter durch den FluЯ auf 130 Faden diesseits, so
befindet man sich zwischen den Hausgдrten, die aus verschiedenen Obstbaumarten
bestehen und von der DorfstraЯe aus in der Lдnge 120 und in der Breite 45 Faden
messen, wovon noch ein Raum von 60 Faden Lдnge und 10 bis 12 Faden Breite fьr
Wohn- und Wirtschaftsgebдude und zum Aufschobern des Getreides und Heues abgeht.
Weiter vorwдrts kommt man bei der Dorfschule vorbei auf die gerade, 20 Faden
breite, von gefдrbten Holzzдunen eingefaЯte DorfstraЯe, an deren beiden Seiten
die Hдuser 10 Faden von der Gasse in gerader Linie gebaut sind. Die Grenzen
zwischen den Nachbarn bilden Maulbeerhecken und ein Faden hinter dem Gassenzaun
zieht sich eine Reihe wilder Holzbirnbдume und Pappeln hin. Begibt man sich quer
ьber die StraЯe, so kommt man durch die im Jahre 1837 angelegte Holzanlage
hindurch, in welcher jeder Wirt sein 100 Faden langes und 23Ѕ Faden breites
Quartal hat, wovon ein drittel mit Maulbeerbдumen und zwei drittel mit
verschiedenen Waldbдumen bepflanzt sind.
Von hier hat man einen 3 Werst langen Weg, der zum Kirchdorfe Margenau zwischen
schцnen Ackerfeldern fьhrt, vor sich. Fдhrt man aber von Fьrstenwerder rechts
zum Ende hinaus, so hat man einen 3 Werst langen Weg zwischen Ackerfeldern zu
machen, von dessen beiden Seiten ihm liebliche Bдume aus rotgefдrbten
Holzumzдunungen entgegen lдcheln; fдhrt man links aus dem Dorfe hinaus, so hat
man zur Linken eine fruchtbare, durch weniges Ackerland unterbrochene
Wiesenebene, und zur Rechten etwas hцher gelegenes Ackerland. Von dieser Kolonie
bis ьber die Grenze nach Alexanderwohl versprechen offene Setzgruben, daЯ man
hier einmal in der Zukunft unter schattigen Bдumen wird wandeln kцnnen.
Die Kolonie Fьrstenwerder wurde im Jahre 1821 angesiedelt von Einwanderern aus
den preuЯischen Bezirken Danzig, Marienburg, Stuhm und Marienwerder. Die Leute
waren arm und hatten die weite Reise von 200 deutschen Meilen kьmmerlich genug
im Vertrauen auf die Huld des Kaisers Alexander zurьckgelegt.
Die Kolonie besteht aus 26 in den Jahren 1816 bis 1819 eingewanderten und 4
bereits hier erwachsenen Familien(1) mit 175 mдnnlichen und 176 weiblichen
Seelen. Fьrstenwerder erhielt 19,919 R. Banko KronsvorschuЯ, wovon noch jetzt
8221 R. Banko abzuzahlen sind. Von diesem VorschuЯ erhielten ganz arme Familien
859 R., die etwas mehr bemittelten 280 R. Banko, wдhrend die hier erwachsenen
sich aus eigenen Mitteln ansiedelten. Wiewohl man sich hier kьrzlich niederlieЯ,
wьrde man jetzt kaum an ihren Wirtschaften die damals herrschende Armut
erkennen, trotz der vielen MiЯwachsjahre und Landplagen, die den Fortschritt
sehr gehindert haben.
Wo vor 27 Jahren wьste leere Steppen waren, befindet sich jetzt eine Kolonie mit
30 Wirten, 8 Wohnhдusern von gebrannten Ziegeln, 22 von Luftziegeln, an jedem
________________
(1) 1855: 30 Wirtschaften, 49 Anwohnerfamilien (insgesamt 208 Mдnner, 202
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 30 Wirtschaften (215 Mдnner) auf 1950 Desj. und 4 landlose Familien
(25 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37. - Trotz der Bestimmung von
1810, vgl. PSZ Bd. 31, Nr. 24131, sind Kronsdarlehn auch in der Folgezeit
gewдhrt worden.
Page 131
Wohngebдude ein Viehstall nebst Dreschdiele, 11 Querscheuern, 5 Anwohnergebдude,
1 Dorfschule, 1 Vorratsmagazin mit 169 Tschetwert Wintergetreide und 28
Tschetwert Sommergetreide, eine Anpflanzung von 9988 verschiedenen Obstbдumen,
123 Gehцlz- und 189 Maulbeerbдumen(1). In der Gehцlzplantage befinden sich
20,759 verschiedene Waldbдume und 11,409 Maulbeerbдume, in der Weidenpflanzung
wachsen 3756 Weiden. Der Viehstand ist: an Pferden 254, Hornvieh 330 und Schafen
1825 Stьck. AuЯer allen wirtschaftlichen Einrichtungen ist 1 Dreschmaschine, 3
Hдckselmaschinen und eine Windmьhle vorhanden.
Schulz Johann Reimer.
Beisitzer Johann Jakob Gцrzen.
Schullehrer Johann Siemens.
23. Alexanderwohl
Diese Kolonie wurde 1821 unter der Verwaltung des Oberrichters im Kontor fьr
auslдndische Ansiedler zu Jekaterinoslaw, Herrn Fadejew und der Leitung des
Gebietsvorstehers Gerhard Ens(2) aus Altona gegrьndet. Sie liegt am linken Ufer
des FluЯbettes Behemtschekrak(3), 47 Werst von Orechow und 90 Werst von
Berdjansk entfernt. Der unebene Boden besteht in den Niederungen aus schwarzer
Dammerde und auf den Anhцhen aus mit Lehm vermischter Schwarzerde, ist zum
Ackerbau, zur Viehweide und Baumkultur ziemlich gut geeignet, gibt aber nur
wenig Heu.
Als die hiesige Gemeinde, welche schon ьber 200 Jahre in PreuЯen als
Kirchgemeinde existiert hatte, unter der Leitung ihres Kirchenдltesten Peter
Wedel in RuЯland einwanderte, und an der Sьdseite der Stadt Warschau zu einer
zweitдgigen Rast Quartier aufgeschlagen hatte, fuhr der jetzt in Gott ruhende
Kaiser Alexander I. aus der Stadt, um auf dem Felde eine Abteilung Militдr
manцvrieren zu lassen. Wir aber, von einigen vorbeieilenden Generдlen aufmerksam
gemacht, standen in gespannter Erwartung, als der Kaiser bei uns vorbeikam, die
Kutsche halten lieЯ und uns mit der rechten Hand winkte. Da liefen drei unserer
Kirchenvorsteher hinzu, welche befragt wurden, von wo wir kдmen und wohin wir
wollten. Auf die Antwort, daЯ wir an die Molotschna ins sьdliche RuЯland wandern
wollten, sprach der Kaiser: "Ich wьnsche euch Glьck zu eurer Reise, grьЯet eure
Brьder; ich bin da gewesen." Das geschah am 14. September 1820.
An der Molotschna angekommen, wurden diese GrьЯe von unserem Kirchenдltesten
Peter Wedel in den Bethдusern vor den versammelten Gemeinden aufs pьnktlichste
ausgerichtet. Da nun auch das Kontor zu Jekaterinoslaw von dieser denkwьrdigen
Begebenheit in Kenntnis gesetzt werden muЯte, so verewigte sie der Herr
Oberrichter Fadejew dadurch, daЯ er die Kolonie Alexanderwohl nannte, denn er
sprach: "Der Kaiser Alexander hat euch Wohl gewьnscht."
Im Jahre 1821 wurden hier 22 Familien, 1823 7 Familien und 1824 noch eine
Familie aus dem Landratsamte Schwetz im preuЯischen Regierungsbezirk
________________
(1) Zum Baumbestand des gesamten Molotschnaer Mennonitengebiets vgl. Reiswitz
und Wadzeck a.a.O. S. 382, Rempel a.a.O. S. 8 f.; Haxthausen a.a.O. S.
193 f.; "Unterhaltungsblatt" Jg. 2, 1847, S. 2 ff. und Jg. 3, 1848,
Mдrzbeilage.
(2) Gerhard Ens, 1821-1824 Oberschulz des Molotschnaer Mennonitengebiets, vgl.
Schroeder a.a.O. S. 19.
(3) Begim-Tschokrak.
Page 132
Marienwerder angesiedelt(1). Die unbesiedelte Steppe wurde vor der Ankunft der
Deutschen von Johann Kornies in Pacht gehalten und von Nogaiern zur Viehweide
und von Russen teilweise zum Ackerbau benutzt.
Von den Eingewanderten haben 20 Familien einen KronsvorschuЯ von 4104 R. 28-4/7
K. Silber erhalten; die eigenen mitgebrachten Mittel beliefen sich auf etwa 8570
R. Silber(2).
Das Ansiedlungsjahr 1821 war unfruchtbar und lieferte nur die Aussaat. 1822 war
fruchtbar, aber es kamen die Heuschrecken und richteten 7 Jahre lang groЯen
Schaden an. 1823 und 1824 waren zudem MiЯwachsjahre. Der anhaltende Sturm in den
ersten Monaten des Jahres 1825 verursachte auch dieser Gemeinde groЯen Verlust
an Vieh, weil kein Futter fьr dasselbe vorhanden war. Damals wurde auch hier das
Stroh von den Dдchern gefьttert. 1828 herrschte eine verheerende Viehseuche. Das
schwerste Jahr jedoch war das Hungerjahr 1833. Die veredelte Vieh- und
Schafzucht und die Vierfelderwirtschaft beim Betrieb des Ackerbaues sind durch
die Bemьhungen des Wirklichen Staatsrats Kontenius und des unter der Leitung des
unvergeЯlichen Johann Kornies stehenden landwirtschaftlichen Vereins eingefьhrt
worden und haben die Gemeinde zum Wohlstand gebracht.
Schulz Heinrich Voth.
Beisitzer Heinrich Gцrz, Jakob Schmidt.
Schullehrer Heinrich Buller.
24. Franztal
Im April 1820 kamen 15 Familien aus dem Kreise Schwez bei Kulm in WestpreuЯen
hier an, um unter anderen auch diese Kolonie zu grьnden. Es wurde von der
Obrigkeit und einer zur Ansiedlung gewдhlten Kommission fьr zweckmдЯig erachtet,
jede Kolonie fьr 20 Feuerstellen einzurichten, aber nur 15 davon zu bebauen und
die ьbrigen fьr die Nachkommen leer zu lassen. Bei einer kurz darauf erfolgten
Revision der Plдne find es sich jedoch, daЯ die Kolonien nicht ihr gehцriges
Land bekommen wьrden, weshalb alle Feuerstellen sogleich besetzt und eine
Kolonie auf die anderen verteilt werden muЯten. So kam es, daЯ am 18. Mai
desselben Jahres dieser Kolonie noch 8 aus dem selbigen Kreise eingewanderte
Familien beigefьgt wurden(3).
Die Steppe, welche den Einwanderern von der hohen Krone geschenkt und dem
damaligen Gebietsvorsteher(4) und Pдchter derselben Johann Kornies angewiesen
________________
(1) 1855: 30 Wirtschaften, 37 Anwohnerfamilien (insgesamt 190 Mдnner, 192
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 30 Wirtschaften (159 Mдnner) auf 1950 Desj. und 7 landlose Familien
(26 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) Vgl. S. 106 Anm. 1.
(3) 1855: 24 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 184 Mдnner, 160
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 24 Wirtschaften (129 Mдnner) auf 1560 Desj. und 9 landlose Familien
(45 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(4) Cornies (vgl. S. 96 Anm. 1) ist nicht Gebietsvorsteher, d.h. Oberschulz
gewesen, vgl. Schroeder a.a.O. S. 19.
Page 133
und in ihrem Beisein abgemessen wurde, war ganz leer. Nur einige Nomaden
weideten hier zur Sommerzeit ihre Herden. Um die zu grьndende Kolonie in der
Mitte des Planes zu haben, wдhlten die Ansiedler einen Platz, welcher in der
gleichen Vertiefung liegt, wo die Kolonie GroЯweide sich befindet. Diese
Vertiefung war aber hier nur sehr gering und kaum bemerkbar. Sich in einer
preuЯischen Niederung wдhnend, gruben die Ansiedler sofort ein Loch in die Erde,
um Wasser zu finden. Doch da hatten sie sich sehr getдuscht. Je tiefer sie
gruben, desto hдrter und trockener wurde die Erde, bis sie in einer Tiefe von 8Ѕ
Faden das mьhsame Graben einstellten und nach sechswцchentlichem Aufenthalt ihre
Kolonie an den FluЯ Juschanlee(1) verlegten. Aber auch hier schien es unmцglich,
durch den harten Fels bis auf's Wasser zu gelangen, und dasselbe muЯte aus dem
Flusse herbeigeschafft werden. Da das Dorf zweireihig angelegt war, so empfand
diese Unbequemlichkeit namentlich die obere Reihe und es entstand lauter
Unwille, bis endlich der Oberrichter Fadejew zur Besichtigung der neu angelegten
Kolonie erschien und sie dem FluЯ entlang einreihig anlegen lieЯ.
Im ersten Jahr wurde nur ein Wohnhaus fertig, die anderen nahmen den ersten
Winter in wohnbar eingerichteten Abteilungen in Stдllen oder auch in Erdbuden
vorlieb, bis unter tдtiger Mitwirkung des damaligen Dorfsvorstehers Peter
Ratzlaff der vцllige Ausbau der Hдuser nach Zeit und Umstдnden vollendet wurde.
Die Kolonie ist in der Richtung von Nordost nach Sьdwest angelegt. Der
Juschanlee bildet die Grenze zwischen ihrem und dem Lande der Tataren; bis zur
entgegengesetzten Grenze am Lande des Dorfes Tschernigow(2) betrдgt die
Entfernung 7 Werst. An der nordwestlichen Seite der Kolonie der Gasse entlang
befinden sich die Obstgдrten, welche je eine Dessjatine Flдcheninhalt haben und
bereits mit einer betrдchtlichen Anzahl von edlen Obstbдumen bepflanzt sind. Am
Ende der Obstgдrten erhebt sich die Gehцlzplantage, welche von der Kolonie aus
mit ihren grьnbelaubten Bдumen einen reizenden Anblick gewдhrt. Gegen Abend
grenzt die Kolonie an GroЯweide, gegen Morgen an Pastwa und ist von der
Kreisstadt Berdjansk 60 Werst entlegen. Die vielen alten Grabhьgel (Mohilen)
verleihen dem Lande sozusagen eine warzige Gestalt. Die Oberflдche ist fast
ьberall schwarze Erde, stellenweise etwas salpeterhaltig, mit einer Unterlage
von Kies und Bruchstein, welche ьber einen Faden tief liegt und stellenweise zum
Vorschein kommt. Obwohl die Ertrдglichkeit des Landes derjenigen an der
Molotschna nicht gleichkommt, so gedeihen doch auch hier Bдume, Getreide und
Futterkrдuter. Heftige Stьrme zerstцren oft strichweise die Kornfelder.
Anfдnglich wurde dieser Kolonie der Name Pschuchowka(3) nach dem frьheren
Wohnorte der Ansiedler in PreuЯen gegeben. Da aber dieser Name als ein
polnischer von der Obrigkeit nicht bestдtigt wurde, so brachte Ohm Benjamin
Ratzlaff(4), gegenwдrtig Aeltester der Gemeinde zu Rudnerweide(5), der auch
________________
(1) = Juschanly.
(2) = Tschernigowka, gegr. 1795, vgl. Zurn. Min. Vnutren. Del a.a.O. 1839, Nr.
2. S. 316.
(3) 1540 hatten sich Taufgesinnte aus Groningen auf dem Gut Przechowka bei
Schnetz niedergelassen, vgl. Quiring a.a.O. S. 19 f.
(4) Vgl. S. 139 Anm. 2. - Die geistlichen Vorsteher der Mennoniten wurden mit
"Ohm" angeredet, vgl. Friesen a.a.O. S. 144.
(5) Vgl. S. 138 Anm. 2.
Page 134
einer von den Grьndern dieser Kolonie ist, den ihm aus PreuЯen her bekannten
Namen Franztal in Vorschlag, welchem gleich alle beistimmten.
Die ersten 15 Familien dieser Kolonien bildeten bei ihrer Einwanderung eine
Partie, hatten jedoch keinen Anfьhrer. Von den beigezogenen aber sind einige mit
der groЯen Partie, deren Anfьhrer der nunmehr lдngst verewigte Дlteste Ohm
Franz Gцrz war, einige sind auch in kleinen Partien ohne Anfьhrer in's Land
gekommen.
18 unbemittelte Familien haben auf ihre Bitte einen KronsvorschuЯ von 10,721
Rbl. Banko erhalten. Die ьbrigen hatten eigenes Vermцgen, welches sich insgesamt
auf 15,260 Rbl. Banko belaufen haben mag.
Wegen der spдten Aussaat erntete man im ersten Jahr nur ein wenig Hirse. Die
folgenden zwei Sommer brachten nur 3 bis 4fдltige Ernten bei hohen
Getreidepreisen. 1 Tscht. Roggen kostete 20, Weizen 24 Rub. Banko. In den drei
folgenden Jahren vernichteten die Heuschrecken gesegnete Ernten. Der harte
Winter 1825 und das Jahr 1833 mit seiner Hungersnot und Viehseuche sind noch
frisch im Gedдchtnis der Ansiedler. Infolge des Erdbebens am 11. Januar 1838 um
halb 10 Uhr abends ist das Wasser in den Brunnen um ein Bedeutendes hцher
gestiegen. 1838 ist die Vierfelderwirtschaft und Schwarzbrache eingefьhrt
worden. 1845 gab es kein Heu und an Getreide nur die Aussaat. 1846 und 1847
waren gesegnete Ernten, allein am 17. Juni des letzten Jahres vernichtete ein
Hagelwetter die ganze Ernte. Der Sturm vom 15. Dezember 1847 bis 16. Januar 1848
hat viele Hдuser zum Einstьrzen gebracht, wodurch die betreffenden Familien in
groЯe Not kamen.
Franztal, den 26. April 1848.
Schulz Johann Flemming.
Beisitzer: Heinrich Ediger, Andreas Becker
Schullehrer Kornelius Siemens.
25. Pastwa
Das Land der Molotschnaer Mennoniten bildet an der Ostseite zwei Spitzen, von
denen die sьdlicher gelegene sich am weitesten nach Osten vorstreckt. Ganz am
Ende dieser Spitze wurde im Jahre 1820 die Kolonie Pastwa gegrьndet. Dieser
Name, von dem polnischen Wort fьr Weide abgeleitet, wurde ihr auf den Wunsch
mehrerer der angesehendsten Ansiedler dieser Kolonie, welche in PreuЯen in einem
Dorf gleichen Namens gewohnt hatten, gegeben und soll "gute Weide" bedeuten(1).
Die nдchsten Grenznachbarn von der Sьdseite sind Tartaren und цstlich und
nordцstlich Russen. Die Kolonie liegt in einer kleinen Vertiefung ohne Namen,
unweit des Ursprungs des FlьЯchens Juschanlee, ist von Berdjansk 65 und von
Simferopol 330 Werst entfernt. Das Dorf besteht aus zwei Hдuserreihen und
enthдlt 18 Wirtschaften und 5 Anwohnerstellen(2), letztere schlieЯen sich an
beiden Enden des Dorfes an die Feuerstellen an. Nachdem auf der angewiesenen
Steppe, welche Johann Kornies in Pacht hatte, bereits zur Ansiedlung geschritten
und 4 Wohnhдuser errichtet worden waren, muЯte wegen Mangel an Wasser das Dorf
________________
(1) Pastwa kommt in der Bedeutung "Weide" nur polnisch dialektisch vor.
(2) 1855: 18 Wirtschaften, 32 Anwohnerfamilien (insgesamt 131 Mдnner, 135
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
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um eine Werst verlegt werden, wo es sich denn auch jetzt durch mehrjдhrige reich
gesegnete Ernten und unter der dankenswerten Fьrsorge unserer hochgeschдtzten
Obrigkeit zu einem ziemlichen Wohlstande erhoben hat. Es zeichnet sich nicht
gerade durch hervorragende Gebдude oder durch Anpflanzungen vor anderen Kolonien
aus, doch aber machen die einfachen und regelmдЯig gebauten, von der Gipfeln der
Bдume ьberragten Hдuser, die gut bepflanzten Gдrten und die an der Sьdseite des
Dorfes angepflanzte Schutzwehr, sowie die am Sьdwestende des Dorfes an einem
Bergabhange vor 13 Jahren angelegte Gehцlzplantage einen gьnstigen Eindruck. Die
vorschriftsmдЯig bezдunte StraЯe verteilt sich am Sьdwestende in zwei
Hauptrichtungen, von denen die eine nach GroЯweide und die andere nach Franztal
fьhrt. Am Nordostende fьhrt eine Strecke weit erst ein Weg, welcher sich dann in
der Richtung nach verschiedenen Russen- und Tartarendцrfern verzweigt. Quer
durchs Dorf fьhrt eine MittelstraЯe, an welcher man zuerst das Dorfsmagazin und
dann etwas weiter den Kirchhof antrifft. Der Boden, dessen Oberflдche aus
schwarzer Erde besteht, ist, obwohl an einigen Stellen etwas salpetrig, doch
ziemlich ergiebig, namentlich seit Einfьhrung der Brache. Die Viehweide ist auch
in fruchtbaren Jahren nur sehr mittelmдЯig. Von den ersten 18 Familien, welche
diese Kolonie anbauten, sind gegenwдrtig nur noch 6 auf den Wirtschaften(1). Die
meisten sind gestorben und einige in andere Kolonien ьbersiedelt. Sie sind im
Jahre 1819 aus dem preuЯischen Regierungsbezirk Marienwerder gekommen. Ihr
Anfьhrer war der verstorbene Kirchenдlteste Franz Gцrz. Sieben von ihnen waren
imstande, sich mit ihren eigenen Mitteln anzubauen, die anderen erhielten einen
KronsvorschuЯ von 6005 Rbl. Banko, wovon bereits 4491 Rb. abgezahlt sind. Im
ьbrigen unterscheidet sich die Geschichte dieser Kolonie nicht von derjenigen
ihrer Schwesterkolonien.
Schulz Heinrich Wiebe.
Beisitzer Jakob Lцwen, Jakob ThieЯen.
Schullehrer Andreas Voth.
Pastwa, den 27. April 1848.
26. GroЯweide(2)
Diese Kolonie wurde im Jahre 1820 gegrьndet. Im Maimonat lieЯen sich die
Ansiedler auf dem von der Ortsbehцrde angewiesenen Plan nieder und bauten sich
Bretterbuden. Bis zum Herbst wurden die Viehstдlle fertig, in denen sich die
Familien ihre Wohnungen zum Winter einrichteten. ZweckmдЯige Wohnungen und
Scheunen wurden erst spдter erbaut, und zwar in neuerer Zeit von gebrannten
Ziegeln. Solcher Hдuser sind bereits 6 im Dorf vorhanden, wovon 4 mit
hollдndischen Dachpfannen gedeckt sind. Besonders zeichnen sich die 64 FuЯ lange
und 35 FuЯ breite Dorfschule und das 80 FuЯ lange und 40 FuЯ breite Wohnhaus des
Krдmers Heinrich Janzen aus.
Das Dorf liegt am SteppenflьЯchen Sassikulak(3) in der Richtung von Ost nach
West. 65 Werst von Berdjansk und 350 Werst von Simferopol entfernt. Die Grenzen
________________
(1) Wie die vorliegenden Berichte erweisen, scheinen Wirtschaftsьbergaben doch
viel hдufiger vorgekommen zu sein, als man es bisher in der Literatur
annahm.
(2) Russischer Name: Sasikulak bzw. Sosikukak.
(3) Sosikulak vgl. Spisok naselennych mest Bd. 4, S. 35.
Page 136
sind: im Norden der von der Krim nach Bachmut fьhrende Tschumakenweg(1), im
Osten die Kolonie Franzfeld, im Sьden das Nogaierland des Dorfes Kahatsch(2), wo
der SeitenfluЯ der Molotschna Juschanlee die Grenze bildet, und endlich im
Westen die Kolonie Rudnerweide. Das FlьЯchen Sassikulak entspringt in hiesiger
Steppe und schlдngelt sich bis unterhalb der Kolonie Rudnerweide, wo es in den
JuschanleefluЯ mьndet. Es enthдlt viele Quellen und gibt gutes Trinkwasser,
welches als Viehtrдnke sehr zu statten kommt. Auch sind an demselben bereits
1645 Weidenbдume angepflanzt. Weiter oben, wo die Quellen aufhцren, sind kleine
Heuwiesen, die jдhrlich einen guten Ertrag liefern.
Die Steppe ist ebenes Land mit kleinen Abdachungen. Die Oberschicht ist
fruchtbare Schwarzerde, die Unterlage roter Ton. Die untere Steinlage kommt nur
an дuЯerst wenigen Orten zum Vorschein. Der Wasserstand ist 7 bis 10Ѕ Arschin
tief und steht seit dem Erdbeben anno 1838 um 3 Arschin hцher, als es vorher der
Fall war, doch hat durch das Erdbeben die Beschaffenheit des Wassers gelitten;
in mehreren Brunnen ist es sogar bitter geworden. Die starken Stьrme richten oft
groЯen Schaden auf dem Brachlande an, indem sie die leichte Ackerkrume wegfegen.
Das Getreide gedeiht vorzьglich und gibt in guten Jahren 18 bis 20fдltige
Frucht. An Heu kann auf jeden Wirt durchschnittlich 520 Pud jдhrlich gerechnet
werden. In den Gдrten befinden sich 9395 Standbдume im Wachstum, in der
Gehцlzplantage 26,904, wovon der dritte Teil Maulbeerbдume auf Standorten
sind(3). Pflaumen und Aprikosen erfrieren bei anhaltend strenger Kдlte, was der
unteren kaltgrьndigen Steinlage zugeschrieben wird.
Den Namen des Dorfes haben die Ansiedler von einem Dorfe ihres gewesenen
Vaterlandes hergeleitet. Er bedeutet "groЯe Weide".
Die ursprьnglich hier angesiedelten 22 Familien(4) bestanden aus 28 mдnnlichen
und 36 weiblichen arbeitsfдhigen Seelen; der jetzige Bestand ist in 53 Familien
72 mдnnliche und 67 weibliche arbeitsfдhige Seelen(5). Sie stammten aus dem
Marienwerder, zum geringen Teil auch aus dem Danziger Regierungsbezirk in
WestpreuЯen. Ihr Anfьhrer bei der Einwanderung war der verstorbene
Kirchenдlteste Franz Gцrz, welcher damals mit seiner ganzen Kirchengemeinde aus
PreuЯen auswanderte. Sie kamen 1818, zum grцЯten Teil aber 1819 in RuЯland an.
Vor ihrer Ankunft hatte die Steppe Johann Kornies in Pacht, welcher sie den
nomadisierenden Nogaiern als Weideland abgab. Schwer wurde es, den Nogaiern das
Weiden auf dem Lande der Deutschen abzugewцhnen; es wurde etwas gemindert,
als die Kolonie im Jahre 1835 lдngs der Grenze am JuschanleefluЯ Pflugland
anlegte, dennoch findet man ihr Vieh oft in den Getreidefeldern.
________________
(1) Der Tschumakenweg, der anfдnglich durch die deutschen Kolonien fьhrte, wurde
wohl um 1820 (?) verlegt, um das Einschleppen von Seuchen zu verhindern,
vgl. Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 368.
(2) = Michajlowka?
(3) 1855: 24 Wirtschaften, 29 Anwohnerfamilien (insgesamt 160 Mдnner, 155
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
(4) Vgl. Anm. 3.
(5) Die arbeitsfдhigen Mдnner und Frauen im Alter von 16 (bzw. 14) bis 60 Jahren
waren steuerpflichtig, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19873.
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KronsvorschuЯ erhielten 15 unbemittelte Familien, und im Ganzen 10,244 R. 60 K.
Banko. Sieben Ansiedler waren so bemittelt, daЯ sie recht gute Hдuser aufbauen
und das notwendige Vieh anschaffen konnten. Man schдtzt ihr hergebrachtes
Vermцgen auf 25,000 R. Der weitere Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist
keine von denjenigen der anderen Kolonien abweichenden Zьge auf.
Schulz Abraham Braun,
Beisitzer Wilhelm Ewert, Martin Block.
Schullehrer Peter Isaak.
GroЯweide, den 28. April 1848.
27. Mariental
Unter Mitwirkung des Gebietsvorstehers Peter Tцws und des von den soeben
eingewanderten Ansiedlern erwдhlten Dorfschulzen Jakob Giesebrecht wurde im
Frьhjahr 1820 die Dorfslage ausgesucht, die Wirtschaften abgefurcht und die
Baustellen verlost. Fьrs erste machte man sich Erdhьtten oder Bretterbuden, nach
der Saatzeit aber trafen die meisten Anstalten zur Erbauung der wirtschaftlichen
Gebдude. Die Kolonie liegt am Steppenflusse Tschukrak(1), welcher 1Ѕ Werst
aufwдrts auf dem Nogaierlande seinen Anfang nimmt, und bei dem Vorwerk
Steinbach(2), 9 Werst von hier, in den Juschanlee mьndet. Der Plan des Landes
bildet ein lдngliches Viereck und grenzt im Sьden und Osten an die Lдndereien
der Tartaren(3), im Norden an den Juschanlee. Der ebene Boden hat wenig schwarze
Erde. Die Heuernten fallen gering aus. Das Getreide gedeiht gut.
Bei einer vom Gebietsamte in der Kolonie Ohrloff veranstalteten Versammlung der
neuen Einwanderer, auf welcher die Kolonien eingeteilt, die Ansiedler gruppiert
und einigen Dцrfern Namen gegeben werden sollten, wurde auch endlich die Frage
aufgeworfen, wie die hiesigen Ansiedler ihre Kolonie nennen wollten. Als sich
niemand zum Wort meldete, schlug der Aelteste Franz Gцrz, welcher auch ein
Einwanderer und in Rudnerweide angesiedelt war, [vor], dieselbe nach Ihrer
Majestдt der Kaiserin Mutter Maria(4) Mariental zu nennen. Dieser Vorschlag fand
allgemein Beifall.
Im Ansiedlungsjahr 1820 haben sich in dieser Kolonie 17 und im darauffolgenden
Jahr noch 4 Familien hier niedergelassen, wovon aber eine Familie sich als
Freiwirt ansдssig machte(5). Von diesen 21 Familien stammen 9 aus dem
________________
(1) = Tschokrak.
(2) Klaas Wiens hatte es vom Zaren fьr die Grьndung der ersten Waldplantage in
diesen Kolonien geschenkt erhalten, vgl. Fadeev a.a.O. S. 403.
(3) soll heiЯen "Nogaier".
(4) Marija Fedorowna, 1759-1828 (Sophie Dorothea Auguste Luise Prinzessin von
Wьrttemberg), Gemahlin Pauls I., nimmt in der russischen Kulturgeschichte
als Begrьnderin der nach ihr benannten Erziehungsinstitute fьr die weibliche
Jugend eine hervorragende Stelle ein, vgl. E. Lichaceva: Materialy dlja
istorii zenskogo obrazovanija v Rossii (Materialien zur Geschichte der
weiblichen Ausbildung in RuЯland). Petersburg 1890-1901.
(5) 1855: 20 Wirtschaften, 56 Anwohnerfamilien (insgesamt 190 Mдnner, 186
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (124 Mдnner) auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien
(67 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
Page 138
Marienwerder, die anderen aus dem Elbinger und Marienburger Bezirk. Das gras-
und blumenreiche Land, welches ihnen zugeteilt wurde, hatte Johann Kornies aus
Ohrloff in Pacht; einige Tartaren, die sich auf dieser Steppe befanden, waren
seine Unterpдchter. Die meisten Ansiedler waren ohne Vermцgen und erhielten
11,210 Rubel Banko als VorschuЯ von der Krone. Das mitgebrachte Vermцgen hat
sich auf etwa 8000 R. Banko belaufen. Durch den hдufigen Pferdediebstahl in den
ersten Jahren, wovon nur etwa der fьnfte Teil der Ansiedler ganz verschont
blieb, ist die Kolonie sehr zu Schaden gekommen.
1823 zerstцrten die Heuschrecken eine aussichtsvolle Ernte. Auf die schwache
Ernte 1824 folgte der schreckliche Stьhmwinter, welchem das meiste Vieh zum
Opfer fiel. 1825 richtete ein Hagelwetter die Ernte zu Grunde. Besonders schwer
war das schreckliche Notjahr 1833. Viel Schaden hat je und je der heftige
Ostwind verursacht, welcher z.B. im Jahre 1842 bedeutende Strecken des
bestellten Getreides mitsamt der Ackerkrьme wegstдubte. Das Erdbeben vom 11.
Januar 1838 hat zur Folge gehabt, daЯ mehrere der 35 bis 45 FuЯ tiefen Brunnen
einstьrzten, doch kцnnen seither durch das Steigen des Wasserstandes die Brunnen
um 10 FuЯ flacher gegraben werden(1). Durch das Uebergeben der Wirtschaften
seitens schwacher, verschuldeter, teils auch trдger Wirte an junge, fleiЯige und
bemittelte Familien ist die Kolonie in ihrem Emporkommen wesentlich gefцrdert
worden.
Mariental, d. 21 Apr. 1848.
Peter Schroeder, Schulz.
Beisitzer: Kornelius Friesen, Peter Wieb.
Peter Friesen, Schullehrer.
28. Rudnerweide
Wenn man die auf der nordwestlichen Seite der Kolonie sich allmдhlich erhebende
Anhцhe besteigt, die von der Kolonie durch ein kleines Tal getrennt ist, so kann
man die zwei Hдuserreihen von Rudnerweide bequem ьbersehen. Alle diese Hдuser
sind regelmдЯig angelegt, zweckmдЯig eingerichtet und von einem gefдlligen
Ansehen. Was das AeuЯere dieser Hдuser noch mehr verschцnert, sind die bei
denselben regelmдЯig angelegten Obstgдrten, die an der Gasse mit wilden
Birnbдumen, zwischen Nachbar und Nachbar mit einer Maulbeerhecke und am hinteren
Ende mit einer Hecke von wilden Oelbдumen eingefaЯt sind. Wendet man sich nach
dem nordцstlichen Ende der Kolonie, so erblickt man daselbst ein von weiЯen
Steinen erbautes zweistцckiges Gebдude mit weiЯen hollдndischen Dachpfannen
gedeckt, nebst einer vortrefflich gedeihenden neuangelegten kleinen
Gehцlzplantage. Das Gebдude ist das Bethaus der ganzen Rudnerweider
Kirchgemeinde(2), zu dessen Bau Kaiser Alexander I. 10,000 R. Banko geschenkt
hat. Etwas weiter sьdцstlich befindet sich die Gehцlzplantage der Dorfsgemeinde
mit einem Drittel Maulbeerbдumen, die bereits so viel Laub liefern, daЯ jeder
Wirt jдhrlich ein Pud Seide bauen kann. Diese Plantage enthдlt 16Ѕ Dessj.
________________
(1) Vgl. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse S. 61 f.
(2) Die Rudnerweide Gemeinde gehцrte der friesischen Richtung an, vgl. Friesen
a.a.O. S. 706.
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Flдchenraum. Jeder Wirt besitzt darin ein Quartal von Ѕ Dessjatine. Jedes
Quartal ist mit einer Maulbeerhecke und die ganze Plantage mit einer wilden
Oelhecke umgeben. Von dieser Plantage westlich befindet sich die neulich
angelegte Windschutzwehrhecke, welche auf der Sьdseite der Kolonie von einem
Ende zum anderen reicht und dazu dienen soll, die hinter derselben liegenden
Obstgдrten vor Stьrmen und Schneegestцber zu schьtzen. Am sьdwestlichen Ende der
Kolonie wohnen die landlosen Wirte in ebenfalls regelmдЯig erbauten, von kleinen
Obstgдrten umgebenen Hдusern. Unter den Gebдuden zeichnen sich aus: auЯer dem
Bethaus das massiv erbaute zweistцckige Gebдude einer Essigbrauerei nebst einem
einstцckigen Wohngebдude von weiЯen Steinen und auf der rechten Seite des
Tales, das hier eine sьdliche Richtung nimmt, eine massiv erbaute einstцckige
Bierbrauerei. Alle diese Gebдude sind mit hollдndischen Dachpfannen gedeckt.
Die Kolonie wurde 1820 gegrьndet. Die ersten Wohnungen wurden in einer Abteilung
der neuerbauten Viehstдlle eingerichtet, zugleich aber auch der Bau von Hдusern
vorbereitet. Die Kolonie liegt unweit des Steppenflusses Juschanlee lдngs des
Tales Sassikulak. Im Sьden und Sьdwesten wird sie von der Juschanlee, im Norden
von der TschumakenstraЯe und im Osten von der Kolonie GroЯweide begrenzt. Die
Steppe hat keine Niederungen, der Wasserstand ist 30 bis 50 FuЯ tief. Der
fruchtbare Boden besteht aus Dammerde. Vom Brachen wird er so locker und fein,
daЯ die hдufigen Stьrme ihn furchentief wegreiЯen. Der Untergrund liefert guten
Ton zu Backsteinen und der gemeine Feldstein im Tal Sassikulak wird zu
Fundamenten benutzt.
Die meisten Ansiedler dieser Kolonie stammen aus dem Dorf Rudnerweide in
PreuЯen. Die Benennung jenes Dorfes hatte folgenden Ursprung: Auf der Hцhe, die
die Ostseite des Weichseltales beherrscht, liegt das groЯe Dorf Ruden. Die
Rudner besaЯen von Jahren unsern der Weichsel ihre Viehweiden. Als dann auf
jener Weide ein Dorf angelegt wurde, bekam es den Namen Rudnerweide, welcher
auch auf diese Kolonie ьbertragen wurde.
Ursprьnglich siedelten sich in dieser Kolonie 24 aus dem preuЯischen Amtsbezirke
Stuhm eingewanderte Familien an, im Jahre 1826 kamen jedoch noch neue Familien
aus den Bezirken Marienburg und Marienwerder hinzu(1). Die meisten der ersten
Ansiedler gehцrten zu der Gemeinde des kirchenдltesten Franz Gцrz, der bereits
1835 hier gestorben ist. Er kam in Gemeinschaft des Lehrers Heinrich Balzer als
Anfьhrer einer bedeutenden Partie, von welcher nicht nur diese, sondern mehrere
benachbarte Kolonien bevцlkert worden sind, die man als Tochterkolonien von
Rudnerweide betrachten kann und auch heute noch der Mehrzahl nach zur Gemeinde
des Franz Gцrz, dessen Nachfolger Benjamin Ratzlaff ist, gehцren(2).
Die hiesige Steppe wurde von Tataren als Weide fьr ihre Herden benutzt und
befand sich bei Johann Kornies in Pacht.
________________
(1) 1855: 33 Wirtschaften, 67 Anwohnerfamilien (insgesamt 278 Mдnner, 256
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 33 Wirtschaften (190 Mдnner) auf 2145 Desj. und 25 landlose Familien
(100 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) Benjamin Ratzlaff, geb. 1791, berufen zum Дltesten 1835, war 1856 noch im
Amt, vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 32.
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Da die meisten Ansiedler arm waren, so erhielten sie einen KronsvorschuЯ von
12,524 R. 70 K. Banko. Einige von den ursprьnglich und spдter angesiedelten
Familien hatten genьgend einige(1) Mittel, die sich auf etwa 30,000 R. Banko
beliefen.
Der weitere Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist keine von denjenigen der
anderen Kolonien abseichenden Zьge auf.
Schulz Peter Kliewer.
Beisitzer: Andreas Nachtigal, Gerhard Fast.
Schullehrer Jakob Brauel.
25. April 1848.
29. Pordenau
Die Ansiedlung begann im Jahre 1820, wo anfдnglich meistens nur Stallungen fьr's
Vieh erbaut wurden, in welchen auch die Ansiedler Unterkunft suchten. Nur
einige vermцgendere Leute errichteten sich Wohnhдuser aus Luftziegeln, die
obgleich sie nicht so schцn wie die jetzigen waren, doch das kummervolle Leben
der Ansiedler bedeutend erleichterten. An Auschmьckungen wurde damals der Armut
wegen nicht gedacht; der jetzige Wohlstand hat sich erst nach mehreren Jahren
entwickelt.
Die Kolonie befindet sich an der Sьdseite des FlьЯchens Tschokrak, welches aus
Osten kommend und Steinbach(2) durchschneidend in die Juschanlee mьndet. Im
ьbrigen befinden sich hier keine Niederungen, weshalb der Ertrag an Heu auch
sehr unbedeutend ist. Das Vieh wird im Winter meistenteils mit Stroh genдhrt.
Durch einige Hдckselmaschinen wird das Stroh fьr's Vieh schmackhafter gemacht.
Die Beschaffenheit des Bodens ist folgende: die Oberschicht ist 3 FuЯ tief
fruchtbare schwarze Erde, dann folgt 8 FuЯ tiefer gelber Lehm, weiterhin kommt
Stein, weshalb das 25 bis 35 FuЯ tiefe Wasser nur mit vieler Mьhe erreicht wird.
Steinbrьche befinden sich nur am Flusse Juschanlee, welcher im Norden die Grenze
des Landes bildet; das Sьdende wird von der Nogaiersteppe begrenzt. Waldungen
gibt es hier auЯer den auf den Wunsch des Kaisers Alexander I. angepflanzten
keine(3).
Die Benennung Pordenau sit von einigen Ansiedlern, welche aus einem
gleichnamigen preuЯischen Dorf stammten, auf diese Kolonie ьbertragen worden.
Ursprьnglich siedelten sich hier 14 Familien aus dem Marienburgischen Kreise in
WestpreuЯen an, gleichzeitig gesellten sich zu ihnen noch 2 Familien aus der
Molotschnaer Mennonitenjugend, spдter kamen noch 2 Familien aus dem Wohnorte der
ersteren und 2 Familien aus denjenigen der letzteren hinzu(4). Das Land hatte
damals Johann Kornies in Pacht, welcher es an tatarische Herdenbesitzer
weitergab. Die eigenen aus dem Auslande gebrachten Mittel genьgten den
Ansiedlern lange nicht zur ersten Einrichtung, weshalb ihnen die Kronen einen
________________
(1) muЯ wohl heiЯen: "eigene".
(2) Vgl. S. 137 Anm. 2.
(3) Vgl. S. 108 und S. 112 Anm. 4.
(4) 1855: 20 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 144 Mдnner, 131
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (119 Mдnner) auf 1300 Desj. und 5 landlose Familien
(22 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
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VorschuЯ von 6268 R. 74 K. Banko gewдhrte. Bei einem Gewitter entzьndete der
Blitz ein Haus und der Hausvater verbrannte, wahrscheinlich vom Blitz getroffen,
mit.
Der ьbrige Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist keine von denjenigen der
anderen Kolonien abweichenden Zьge auf.
Schulz Johann Dьck.
Beisitzer: Jakob Epp, Isaak Barg.
Schullehrer Wilhelm Martins.
Pordenau, den 15. April 1868(1).
30. Schardau
Im Spдtherbst des Jahres 1819 kamen die hiesigen Ansiedler aus dem preuЯischen
Regierungsbezirk Marienwerder hier an und winterten in den bereits angesiedelten
Kolonien. Im Maimonat des Jahres 1820 wurde ihnen ihr Land angewiesen, wo sie
auch sofort zur Anlegung der Gebдude schritten. Von der Ankunft bis zur ersten
Ernte muЯten sie ihre Nahrung fьr bares Geld kaufen, wodurch besonders die
unbemittelten wirtschaftlich sehr geschwдcht wurden. Im ersten Sommer wurden nur
Viehstдlle gebaut, und auch dazu mangelte es an dem nцtigen Baumaterial,
namentlich aber an Holz, weshalb sie erst grьndlich die kalten Nachtfrцste des
Herbstes in ihrem Bretterhьtten spьren muЯten, bevor sie die in den Viehstдllen
eingerichteten Wohnungen endlich beziehen konnten. Da sie sich zum Bau
eigenlicher Wohnhдuser erst die Mittel erwerben muЯten, so blieben sie mehrere
Jahre in diesen Stallwohnungen. Erst im Jahre 1824 erbauten drei Wirte, welche
aus PreuЯen etwas Geld mitgebracht hatten, ihre Wohnhдuser. Die letzten
Wohnungen wurden im Jahre 1828 erbaut. Alle Hдuser waren niedrig und von
ungebrannten Ziegeln erbaut.
Die Kolonie Schardau liegt an einer schmalen Vertiefung, Tschukrak(2) genannt,
welche nur ganz unbedeutende Quellen hat, die im Sommer ganz austrocknen. An der
Tschukrak sind 5 Dцrfer nahe aneinander angesiedelt. Sie beginnt ostwдrts von
diesen 5 Dцrfern auf der Nogaiersteppe und zieht sich nach Westen, wo sie bei
dem Vorwerk Steinbach, 6 Werst von hier in den SteppfluЯ Juschanlee mьndet. Am
westlichen Ende dieser Kolonie vereinigt sie sich noch mit einer anderen
schmalen Vertiefung, die von Sьdosten ebenfalls aus der Nogaiersteppe kommt und
gegen die Mitte des Dorfes noch eine unbedeutende sьdцstlich auf dem Lande der
Kolonie Pordenau beginnende Vertiefung aufnimmt, allwo sich auch kleine
Steinklьfte befinden. Die hьgelige Landflдche dieser Kolonie grenzt gegen Osten
und Westen an die naheliegenden Dцrfer, gegen Sьden an die Nogaiersteppe und
gegen Norden an den FluЯ Juschanlee, welcher Quellen birgt und den Sommer durch
gesundes, flieЯendes Wasser fьr die Viehherden bietet.
Schardau liegt von Orechow und Berdjansk je 70 Werst entfernt. Der gelbe
Lehmboden ist nur mit einer 1 bis 2 FuЯ tiefen Schwarzerdeschicht bedeckt,
eigentlich aber gut zum Ackerbau. Im Frьhling wird der Boden gedьngt und im
Sommer 2 bis 3 mal umgepflьgt, worauf er gute Ertrдge liefert. Bisweilen wird
jedoch das lockere Land von den heftigen Stьrmen abgeweht, wodurch groЯer
________________
(1) muЯ heiЯen "1848".
(2) = Tschokrak.
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Schaden entsteht. Heu wird wenig gewonnen; das Vieh muЯ im Winter Stroh fressen,
welches vermittelst der unlдngst aufgekommenen Hдckselmaschinen klein
geschnitten wird. Infolge der Strohfьtterung erhдlt die hiesige Wolle nie ein
schweres Gewicht; die Viehweide ist auch nicht besonders ergiebig. Der dritte
Teil der auch hier reichlich angepflanzten Bдume sind Maulbeeren, die von den
Ansiedlern zum Seidenbau benьtzt werden.
Da die Mehrheit der hiesigen Wirte in WestpreuЯen im Dorfe Schardau gewohnt
haben, so wurden sie einig, die Kolonie ebenso zu nennen. Sie besteht aus 20
Wirten, von welchen 17 im Jahre 1820 und 3 im Jahre 1821 sich hier
niedergelassen haben(1). Die ersteren der Einwanderer haben sich mit anderen
Mitbrьdern zu einer kleinen Gemeinde gesammelt und fьr diese Reise den Aeltesten
Franz Gцrzen zu ihrem Anfьhrer gewдhlt. Die ihnen von General von Insow
angewiesene Kronssteppe, welche Johann Kornies als Pдchter Tataren und Armeniern
zu Weideland weiter verpachtete, war leer und wasserlos, so daЯ die
Neuangekommenen ihren Bedarf an Wasser aus dem 6 Werst entfernten Steinbach
holen muЯten, bis sie sich gemeinschaftlich einen Brunnen gegraben hatten(2). Je
nach der Hцhe der kleinen Summen, die jeder Wirt vom Auslande mitgebracht hatte
und welche sich nur bei einigen auf 300 bis 500 R. Banko belief, wurde jedem ein
KronsvorschuЯ von 400, 500, 700, dem дrmsten 859 R. Banko gegeben. Die ьbrigen
aus dieser Kolonie gemeldeten Ereignisse sind die gleichen, die sich schon in
den Beschreibungen der anderen Kolonien finden.
Schulz Lohrentz.
Beisitzer Kliewer, Wiebe.
Schullehrer Daniel Penner.
31. Alexandertal(3)
Als nach dem franzцsischen Befreiungskriege verschiedene Auswanderungen aus dem
Kцnigreich PreuЯen stattfanden, so sammelten sich auch im Jahre 1819 eine
Anzahl Familien aus den Mennonitengemeinden bei Graudenz und Stuhm unter der
Leitung des Kirchenдltesten Franz Gцrz und des Lehrers Heinrich Balzer zur
Auswanderung nach SьdruЯland. Sie gelangten am 4. Oktober desselben Jahres in
Chortitza an. Da aber an der Molotschna, wo auch schon mehrere mennonitische
Kolonien gegrьndet waren, noch Land fьr neue Ansiedler zu haben war, so wurde im
Jahre 1820 unter Mitwirkung einer besonders eingesetzten Kommission von 6
Mitgliedern und des Gebietsamtes unter Beratung des Obervormundschaftskontors
fьr auslдndische Ansiedler die Besiedlung dieser freien Lдndereien durch neue
Einwanderer betrieben(4).
Sechzehn Familien der oben erwдhnten Einwanderer schlossen sich zur hiesigen
Gemeinde zusammen und wдhlten den Platz zur Niederlassung. Trotzdem es nur 16
________________
(1) 1855: 20 Wirtschaften, 42 Anwohnerfamilien (insgesamt 185 Mдnner, 166
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (141 Mдnner) auf 1300 Desj. und 17 landlose Familien
(71 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) Vgl. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 62.
(3) Russischer Name: Kasim-Schulgan-Tschukrak (Tschokrak), vgl. Klaus a.a.O.
Beilage 2, S. 37.
(4) Leiter der Kommission war Cornies, vgl. S. 96.
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Familien waren, so wurden doch fьr 20 Wirte Baustellen mit je 65 Dessj. Land
verordnet. Die leeren Baustellen wurden durch neue Einwanderer aus PreuЯen in
den Jahren 1821 und 1822 besetzt(1). Da das mitgebrachte Vermцgen der Ansiedler
zum Anbau und zur wirtschaftlichen Einrichtung nicht ausreichte, so gewдhrte die
Krone einen VorschuЯ von 11.320 Rbl. Banko. Das hergebrachte Vermцgen betrug
etwa 5872 Rbl. Banko. Zum ersten Schulzen wurde der jetzt noch lebende Stephan
Kerber gewдhlt. Auf Zuraten des damaligen Gebietsдltesten Peter Tцws, welcher
damals in Ladekop und jetzt in Tiege wohnhaft ist, wurde dieses Dorf zum
Andenken an die glorreiche Regierung des Kaiser Alexander I. Alexandertal
genannt.
In den neuerbauten Stallungen der jungen Ansiedlung wurden die ersten
Winterwohnungen eingerichtet; manche bargen sich auch in Erdhьtten. Es fehlte
fast an allem. Bei vielen trat ein nie empfundenes Heimweh ein. Mancher wдre
gern wieder in seine frьheren Kreise zurьckgekehrt, wenn dieses so leicht hдtte
geschehen kцnnen. Obenerwдhnte Mдnner, Franz Gцrz und Heinrich Balzer, welche
sich in anderen Kolonien niedergelassen hatten, ahnten wohl den Herzenszustand
ihrer Brьder, reisten oft umher, stдrkten und trцsteten die verzagten Gemьter,
und da kein Gotteshaus vorhanden war, wurde in den Wohnungen, wo es sich am
fьglichsten tun lieЯ, Gottesdienst gehalten. Mit Rat und Tat, kein Ungemach
scheuend, waren diese Mдnner die Sдulen der Gemeinde und gingen jedem mit gutem
Beispiel voran. Und es war nцtig. In den Jahren 1822 und 1823 kamen die
Heuschrecken und verheerten in wenigen Stunden die ganze Ernte, die ein Jahr des
Landmanns SchweiЯ und Mьhe gekostet hatte. Das entsetzliche Schneegestцber von
1824 auf 1825 raubte den Leuten auЯer den geringen Vorrдten die Hдlfte des
Viehbestandes.
Auf das schreckliche Notjahr 1833 folgte ein sehr gesegneter und fruchtbarer
Sommer, so daЯ die Not bald vergessen wurde.
In der Richtung von Ost nach West liegt das Dorf Alexandertal am FlьЯchen
Tschukrak mit seinen regelmдЯig gebauten Hдusern und der gerдumigen, geraden
Gasse mit ihren guten Zдunen. In der Mitte des Dorfes an der sьdlichen Seite
steht das Schulhaus und in der Nдhe das Vorratsmagazin. An der sьdlichen Seite
des nur bei Regenzeit mit Wasser versehenen FlьЯchens befindet sich ein ziemlich
guter Steinbruch, welcher die Steine zu den Fundamenten der Hдuser liefert. Eine
halbe Werst westlich vom Dorfe liegt die Waldplantage mit ihren in schцnem
Wachstum stehenden Bдumen. Am Ostende des Dorfes befindet sich die dem Anwohner
Stephan Kerber gehцrende Sдmerei und Baumschule mit verschiedenen Obst- und
Waldbдumen.
Sьdlich grenzt unser Plan an die benachbarte Nogaiersteppe und streicht in
gerader Richtung gegen Norden 7 Werst lang bis an den FluЯ Juschanlee(2),
welcher hier die Grenze bildet. Fruchtbare schwarze Erde bedeckt den Boden, aber
die Anpflanzungen auf den Feuerstellen stehen in gelbem Lehm, was zur Folge hat,
daЯ die Bдume leider kein hohes Alter erreichen. Der sьdliche Teil des Planes
________________
(1) 1855: 21 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 167 Mдnner, 140
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 21 Wirtschaften (114 Mдnner) auf 1365 Desj. und 10 landlose Familien
(44 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) = Juschanly.
Page 144
wird zum Ackerbau und als Heuwiese benьtzt, wдhrend der nцrdliche Teil bis an
den FluЯ Juschanlee, wo sich eine durch einen Damm gebildete Viehtrдnke
befindet, als Viehweide dient.
Wenn man den mьhseligen Anfang dieser Kolonie mit dem blьhenden Zustand der
Gegenwart vergleicht, so muЯ man sich wundern wie in so wenigen Jahren eine
solche Verдnderung hat zustande kommen kцnnen. Die meisten der alten Hдuser sind
durch gerдumige und feste Neubauten ersetzt, und alles deutet auf Wohlstand und
Zufriedenheit. So sieht man auch hier, wie das unermьdliche Walten einer weisen
Obrigkeit auf dem Gebiet der Schafzucht, des Ackerbaues und der Baumkultur unter
Gottes Schutz und Segen die schцnsten Frьchte gezeitigt hat.
Schulz Johann Kliewer.
Beisitzer: Abraham Kasper. Heinr. Funk.
Schullehrer Johann Janzen.
Alexandertal, den 23. April 1848.
32. Gnadenheim
Die Kolonie wurde im Jahre 1821 am linken Ufer des Steppenflusses
Bogцmtschukrak(1), 47 Werst von Orechow und 90 Werst von Berdjansk entfernt,
gegrьndet. Das Land war damals unbewohnt und wurde von den Viehherden der
angrenzenden Russen und Nogaier beweidet. Die ursprьngliche Niederlassung
bestand aus 16 Familien, wurde aber im Jahre 1822 noch durch 4 Familien
verstдrkt. Erst 1844 kamen noch einmal 2 und endlich 1845 und 1846 je eine
Familie hinzu, so daЯ sie jetzt aus 24 Wirten besteht(2). Zehn von den ersten
Ansiedlern waren aus den Bezirken Danzig, Marienwerder und Marienburg mit
verschiedenen anderen partienweise ohne besonderen Fьhrer eingewandert und
erhielten einen VorschuЯ von je 560 bis 854 Rbl. Banko, im Ganzen aber 7620 Rbl.
Banko. Ihre aus dem Auslande hergebrachten Mittel bestanden wesentlich nur aus
je 2 Pferden und Wagen. Die anderen 6 der ersten Familien waren in den дlteren
Molotschnakolonien erwachsen und hatten auЯer 2 Pferden und Wagen nicht mehr als
200 Rbl. Eigentum(3).
Der Boden des Landes besteht meistenteils aus leichter schwarzer Erde,
stellenweise mit Lehm vermischt, und ist zum Grasbau mittelmдЯig, zum Getreide-
und Gartenbau aber gut geeignet.
Den Namen erhielt die Kolonie vom Vorsteher der damaligen Ansiedlungskommission
Johann Kornies, und zwar auf folgende Veranlassung: Da die angrenzende
Dorfsgemeinde Alexanderwohl auf ihrer Herreise vom Kaiser Alexander I. in
Warschau beglьckwьnscht wurde, gab man ihr den Namen Alexanderwohl. Kornies aber
sagte: "Ihr habt euch ebenso gut wie jene der Gnade des Landesvaters zu erfreuen
und sollt deshalb euer Dorf Gnadenheim nennen."
________________
(1) = Begim-Tschokrak.
(2) 1855: 24 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 187 Mдnner, 155
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 24 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1560 Desj. und 7 landlose Familien
(24 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(3) Leider wissen wir nicht, ob diese Umsiedler von ihren Heimatgemeinden aus
unterstьtzt worden sind.
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Im Jahre 1825 wurde ein 30 FuЯ langes und 28 FuЯ breites Schulhaus von
Luftziegeln erbaut. Als aber die Schьlerzahl auf 50 heranwuchs und der Raum sich
als zu eng erwies, so wurde im Jahre 1844 unter Leitung des landwirtschaftlichen
Vereins, der sich die Verbesserung des Schulwesens sehr angelegen sein lieЯ, ein
neues Schulhaus von gebrannten Ziegeln und mit hollдndischen Dachpfannen gedeckt
54 FuЯ lang, 32 FuЯ breit und 10Ѕ FuЯ hoch erbaut. 1829 wurde auf Verlangen der
Behцrde das Vorratsmagazin gebaut und 1836 unter Anleitung des
landwirtschaftlichen Vereins die Garten- und Waldanlagen begonnen. 1828 am 18.
Mдrz brannten die Gebдude der Feuerstelle Nr. 13 ab, 1832 am 8. April das
Wohnhaus der Feuerstelle Nr. 20, 1842 den 28. Mдrz abends spдt, als alle
Einwohner schliefen, in 1Ѕ Stunden bei starkem Winde die Gebдude der
Feuerstellen Nr. 9, Nr. 8 und Nr. 7.
Seuchen, Heuschrecken und MiЯwachs haben auch diese Kolonie mehr oder weniger
stark mitgenommen.
Doch ist unter der weisen Leitung der Obrigkeit und sonstiger tьchtiger Mдnner,
wie Johann Kornies, auch hier so bald wie anderswo Wohlstand und Gedeihen
eingetreten.
Schulz Reimer.
Beisitzer: Schultz, Peters.
Schullehrer Franz Isaak.
Gnadenheim, den 27. April 1848.
33. Tiegerweide
Diese Kolonie wurde im Frьhling 1822 von 24 Landwirten(1) begrьndet, hat aber
seit der Ansiedlung einen Zuwachs von 22 Freiwirten erhalten, die zum Teil
Handwerker, zum Teil Tagelцhner sind. Sie hat 52 Wohnhдuser, worunter 5 massiv
aus gebrannten Ziegeln gebaut, 29 Viehstдlle, 28 Getreidescheunen, darunter 7
Querscheunen, 1 Schulhaus, 1 Vorratsgetreidemagazin, 1 Hirtenhaus, 3 Schmieden,
1 Getreidewindmьhle und 1 Getreidetretmьhle, die mit Pferdekraft getrieben wird.
Die Nordseite der Kolonie stцЯt an den kleinen FluЯ Kuruschan, das westliche
Ende derselben an die TschumakenstraЯe. Sьdlich der Kolonie entlang befindet
sich der im Jahre 1838 angelegte Gehцlzgarten und am цstlichen Ende ist ein Teil
des Ackerlandes. Ihre Entfernung von Berdjansk betrдgt 98 Werst.
Das zu dieser Kolonie gehцrige Land, grцЯtenteils Steppe, liefert eine gute
Viehweide. Ein Teil des ziemlich flach mit Schwarzerde bedeckten Ackerlandes ist
bergig und uneben, es liegt nцrdlich vom Flusse Kuruschan, welcher das ganze
Land in zwei Hдlften schneidet. Der sьdlich vom Flusse gelegene Teil ist eben.
Der FluЯ Kuruschan bildet eine kleine Niederung von 60 Dessj., und am Sьdende
des Dorfes schlдngelt sich der FluЯ Juschanlee vorbei, welcher daselbst die
Grenze ist und ebenfalls eine Niederung bildet, in welcher die Gemeinde 72
Dessj. besitzt. In diesen beiden Niederungen erhдlt jeder Wirt jдhrlich bei
________________
(1) 1855: 24 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 144 Mдnner, 142
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 24 Wirtschaften (126 Mдnner) auf 1560 Desj. und 11 landlose Familien
(47 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
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mittelmдЯiger Ernte etwa 600 Pud Heu; wenn aber in fruchtbaren Jahren auf der
Steppe auch noch Heu gemдht werden kann, so belдuft sich die Heuernte bei jedem
Wirt auf 1200 bis 1800 Pud. Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden.
Vor der Ansiedlung befand sich diese Steppe 5 Jahre lang als Weideland fьr die
Schafe bei den Einsassen der Kolonie Tiege, den Brьdern Johann, Abraham und
Jakob Klassen und Gerhard Wilms in Pacht. Sie hatten auf dieser ihre Schдferei,
Stдlle und Wohnungen erbaut und nannten sie Tiegerweide, welcher Name auch auf
die spдtere Kolonie ьbertragen wurde.
Vierzehn der ursprьnglich hier angesiedelten Familien stammen zumeist aus den
westpreuЯischen Bezirken Danzig und Marienburg. Ihre Namen sind: 1.) Johann
Abrahams, 2.) Klaas Dick, 3.) Anton Harder, 4.) Heinrich Franz, 5.) Bernhard
Matthies, 6.) Johann Harder, 7.) Heinrich Balzer, 8.) Jakob Pцttker, 9.) Klaas
Mдrtens, 10.) Heinrich Gцrz, 11.) Jakob Schцnke, 12.) Peter Janzen, 13.) Johann
Dick, 14.) Diedrich Geddert. Diese 14 Familien erhielten durchschnittlich je 859
R. Banko KronsvorschuЯ; ihre eigenen hergebrachten Mittel betrugen
durchschnittlich 300 Rubel Banko auf die Familie.
Die ьbrigen 10 Familien sind Kinder der frьher eingewanderten Ansiedler. Sie
heiЯen: 1.) Jakob Krцker, 2.) Diedrich Hildebrand, 3.) Jakob Vцlk, 4.) Jakob
Rempel, 5.) Kornelius Vцlk, 6.) Peter Klaassen, 7.) Gerhard Wilms, 8.) Jakob
Klaassen, 9.) Isbrand Thiessen, 10.) Johann Klaassen. Die Familien hatten sich
durch FleiЯ im Handwerk oder Tagelohn so viel erspart, daЯ sie sich mit eigenen
Mitteln anbauen konnten.
Im ьbrigen hat diese Kolonie ihr Loos mit den anderen geteilt und ist im
Wohlstand nicht zurьckgeblieben. Denkwьrdig ist, was ьber den Besuch Sr.
Majestдt des Kaisers Alexander I. am 22. Oktober 1825, "4 Wochen vor seinem
kummervollen Ende" berichtet wird:
Seine Majestдt geruhten bei der Ankunft in Steinbach in der Behausung des
Mennoniten Peter Schmidt einzukehren und daselbst zu Mittag zu speisen. Beim
Aussteigen aus der Kalesche an der Einfahrt des Hofes wurde Se. Majestдt von den
Kirchenдltesten der Mennoniten bewillkommt und empfing von selbigen mit einem
gьtigen Lдcheln ein schriftliches Glьckwunsch- und Bewillkommnungsschreiben
folgenden Inhalts:
"Allergnдdigster Monarch! Die Vorsehung hat uns das Glьck verliehen, Ew.
Kaiserlich Majestдt, unsern Allergnдdigsten Monarchen und Vater abermals in
unserer Mitte zu sehen. Unter Deiner milden Regierung, unter Deinem Schutz und
Beschirmung wohnen wir hier glьcklich und ruhig. Nimm von uns,
Allerdurchlauchtigster Monarch, die ErgieЯung der Gefьhle unserer Dankbarkeit,
Ergebenheit und Liebe an. Nimm die Versicherung unserer herzlichen und
immerwдhrenden Gebete zum Allerhцchsten an. Ja, Gott der Herr krцne Dich, Dein
ganzes Majestдtisches Haus und alle Deine groЯen und wohltдtigen Unternehmungen
mit seinem Segen." Unterschrieben von den geistlichen und weltlichen Aeltesten
der Mennonitengemeinde.
Der Monarch ging in das Zimmer. Einige Minuten nach dem Mittagessen wurden die
Mennonitenдltesten gerufen. Der Kaiser fragte, ob sie mit allem zufrieden seien
und ob sie nicht etwa Klagen hдtten. Und nachdem sie geantwortet, daЯ sie in
jeder Hinsicht glьcklich und zufrieden seien, und daЯ ihnen nur ьbrig bliebe,
Page 147
dem Monarchen fьr alle seine Mildtдtigkeiten und Gnade zu danken, sagte Er: "Ich
bin ebenfalls mit euch fьr euer ruhiges Leben und Arbeitsamkeit zufrieden. Ich
wьnsche aber, daЯ ihr Gehцlzplantagen, besonders aus amerikanischen Akazien,
welche in hiesiger Gegend schnell wachsen, zu einer halben Dessjatine auf den
Wirt anlegen mцchtet(1)."
Darauf entlieЯ er sie, rief den Wirt und die Wirtin, dankte ihnen, beschenkte sie
mildreich und ging hinaus zum Abfahren.
Schulz Heinrich Gьnther.
Beisitzer Johann Barg, Abr. Wiebe.
Schullehrer Reinhard Hiebert, Verfasser.
34. Liebenau
Die Kolonie liegt 35 Werst von Orechow, 100 Werst von Berdjansk, am linken Ufer
des Flusses Tokmak, 12 Werst цstlich vom Dorfe gleichen Namens.
Gedrьckt durch den beschrдnkten Grundbesitz und angezogen durch die den
Mennoniten gegebenen groЯen Vorrechte kam im Jahre 1822 aus dem
Marienwerderschen Regierungsbezirk in WestpreuЯen eine Gesellschaft von 13
mennonitischen Familien unter der Leitung ihres Lehrers Peter Franz; 9 von
diesen, darunter auch ihr Anfьhrer, verbanden sich mit 11 anderen aus derselben
Provinz schon frьher zu verschiedenen Zeiten eingewanderten Familien und legten
im Jahr 1825 den Grund zu dieser Kolonie(2). Den Namen Liebenau gab ihr der
damalige Gebietsvorsteher Gerhard Ens aus dem Grunde, weil zu der Zeit, als er
den Ansiedlern ihre Steppe anwies, dieselbe eine liebliche Aue war. Liebenau
soll also liebliche Au bedeuten, welchen Namen es zur Zeit der Ansiedlung mit
grцЯerem Rechte fьhrte, als jetzt, wo die Steppe nur einen sehr dьrftigen
Graswuchs hervorbringt.
Der Boden ist hier zum grцЯten Teil lehmig, mit einer Schicht Dammerde bedeckt,
doch findet man besonders in der Nдhe des Tokmak auch Kiesboden. Hier gedeihen
alle Getreidearten. Die Bдume bedьrfen zu ihrem Fortkommen sorgfдltiger Pflege,
gedeihen aber vorzьglich. Die Brunnen haben eine Tiefe von 2 bis 2Ѕ Faden und
liefern sehr gutes Wasser.
Was den Ansiedlern in dieser Einцde die Ansiedlung sehr erleichterte, war der
Umstand, daЯ in der Nдhe ihres Ansiedlungsplanes schon frьher mehrere Dцrfer
angelegt waren, deren Bewohner den Unerfahrenen mit Rat und Tat an die Hand
gingen. Dreizehn unbemittelte Familien erhielten einen KronsvorschuЯ von 10,052
R. Banko. Die eigenen Mittel beliefen sich auf ungefдhr 18 bis 24 Tausend R.
Banko.
Liebenau gewдhrt eine schцne, ja man kann wohl sagen eine reizende Ansicht, wenn
man, von der Steppe kommend, in's Tal hinabsieht. Viel tragen die von einigen
Wirten lдngs der StraЯe gepflanzten weiЯen und italienischen Pappeln mit ihrem
himmelan strebenden Laubgezweige dazu bei, am meisten aber wird die Schцnheit
________________
(1) Vgl. hierzu auch Fadeev a.a.O. S. 402 und 405.
(2) 1855: 20 Wirtschaften, 30 Anwohnerfamilien (insgesamt 144 Mдnner, 125
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (122 Mдnner) auf 1300 Desj. und 12 landlose Familien
(62 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.
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dieser Kolonie durch die am rechten Tokmakufer hart an Leibenau liegenden
russischen Bauernhдuser hervorgehoben.
Bald hat nun Liebenau ein Vierteljahrhundert bestanden, und diese Zeit hat
bereits hinlдnglich gezeigt, daЯ trotz der Schцnheit und reizenden Ansicht nie
ein Eden daraus werden wird. Der Herr hat durch Heuschrecken, MiЯwachs und
Viehseuchen den Bewohnern von Liebenau anscheinlich gemacht, daЯ sie nicht fьr
ein irdisches Elysium, sondern fьr ein himmlisches Vaterland bestimmt sind.
Diese Schicksale hat Liebenau mit den anderen Mennonitenkolonien des Bezirks
gemein gehabt und ist im Vergleich mit denselben, was das Fehlen der niedrig
gelegenen Heuwiesen anbelangt, sogar sehr im Nachteil; dafьr aber erfreut sich
diese Kolonie ihres gefunden Trinkwassers, ihrer im TokmakfluЯ befindlichen
Viehtrдnken und ihres vortrefflichen Bauwuchses, was die Mьhe der Anpflanzung
ungemein erleichtert. Liebenau nдhert sich in Verbindung mit seinen
Nachbardцrfern immer mehr der groЯen Bestimmung, ein Muster fьr die umliegenden
Vцlker zu werden.
Schulz Heinrich Unrau.
Beisitzer Schrцder, Hьbert(1).
Schullehrer Isaak Fast.
35. Elisabethtal.
Diese Kolonie wurde im Jahr 1823 unter dem Gebietsvorsteher Gerhard Ens aus
Altona und dem Dorfschulzen Peter Dick gegrьndet. Die Lage des zugeteilten
Landes bildet ein lдngliches 8 Werst langes und 2 Werst breites Viereck. Die
Grenzen sind: im Osten die Kolonie Alexandertal, im Westen das Vorwerk
Steinbach, im Sьden die Nogaiersteppe und im Norden der FluЯ Juschanlee. Dieser
FluЯ enthдlt in den meisten Jahren Wasser, und da die Weidesteppe daran stцЯt,
kann es zur Viehtrдnke benutzt werden. Drei Werst sьdlich vom Juschanlee ist der
fast immer Wasser enthaltende SteppenfluЯ Tschokrak, an dessen rechter Seite
die Kolonie angesiedelt ist. Dieses SteppenflьЯchen bildet eine kleine flache
Niederung, welche von sдmtlichen Ansiedlern zu Gemьsegдrten benutzt wird. In
nicht weiter Entfernung von der Kolonie wird das Land noch einmal von einem
trockenen SteppfluЯ in ostwestlicher Richtung durchschnitten. Der Boden ist fьr
Getreide ergiebig, da aber dort, wo die Gдrten angelegt sind, gelber Lehm
vorherrscht, so wachsen die Bдume nur in den ersten fьnf Jahren und erreichen in
zwanzig Jahren einen Stamm von 6 bis 7 Zoll Durchmesser, worauf sie schnell
absterben. Die dьnne Schwarzerdschicht wird durch's Ackern so locker, daЯ sie
die starken Frьhjahrsstьrme hдufig mitsamt der grьnenden Saat wegfegen, wodurch
schon oft groЯer Schaden entstanden ist. Bausteine sind am Juschanlee in drei
Werst Entfernung in Menge vorhanden.
Die Kolonie ist zum ehrenden Gedдchtnis and die verewigte Kaiserin Elisabeth(2)
Elisabethtal genannt worden.
________________
(1) Die Familie nennt sich auch Hiebert.
(2) Jelizaweka Aleksejewna 1779-1826 (Luise Marie Auguste von Baden Durchlach,
Tochter des Markgrafen Karl Ludwig), Gemahlin Alexanders I., vgl. GroЯfьrst
Nikolaj Michajlowitsch: L'impйratrice E., йpouse d'Alexandre Ier.
Petersburg 1908.
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Ursprьnglich haben sich hier 22 Familien niedergelassen. Da aber das
ьberflьssige Land des Vorwerks Juschanlee dieser Kolonie zugemessen wurde, so
kamen in spдteren Jahren noch drei Wirte hinzu(1). Sдmtliche 25 Ansiedler sind
aus den Bezirken Marienwerder und Marienburg teils schon vor der Ansiedlung der
Kolonie hierher gekommen. Das Land hatte vor der Grьndung Elisabethtals Klaas
Wiens aus Steinbach in Pacht, welcher es gewцhnlich an Nogaier weiter
verpachtete. Das erste Obdach der Ansiedler waren Bretterbuden und Erdhьtten.
Vierzehn Familien erhielten einen KronsvorschuЯ von 10,826 R. Banko. Die ьbrigen
8 Familien behalfen sich mit ihrem eigenen aus dem Auslande mitgebrachten
Vermцgen, welches sich insgesamt auf etwa 14,300 R. Banko Belief.
Ihre ьbrigen Schicksale, sowie die den Wohlstand fцrdernden oder hemmenden
Ereignisse hat diese Kolonie mit den ьbrigen Ansiedlungen des Bezirks gemein.
Schulz Peter Lohrentz.
Beisitzer Klaas Dick, Heinrich Barg.
Schullehrer Heinrich Friesen.
Elisabethtal, d. 22 April 1848.
36. Wernersdorf
Diese Kolonie wurde im Jahre 1824 am linken Ufer des Flusses Tokmak, 35 Werst
von Orechow und 100 Werst von Berdjansk unter Anweisung des Oberschulzen Johann
Klaassen(2) von Ohrloff gegrьndet. Die unbewohnte Steppe wurde damals nur von
einigen Viehherden der angrenzenden Russen beweidet. Die ursprьngliche
Niederlassung bestand aus 20 Familien(3) und bildet eine einfache Reihe von
Hдusern. Sieben der Ansiedlerfamilien sind aus den Kreisen Elbing, Marienburg
und Tiegenhof in WestpreuЯen im Jahre 1819 eingewandert, haben sich in den fьnf
Jahren vor der Ansiedlung zu ihren mitgebrachten 2 Pferden und einem Wagen
einiges Haus- und Ackergerдt verdient und bei der Niederlassung einen
KronsvorschuЯ von 5668 R. Banko erhalten. Zwei Familien stammen aus den hiesigen
und 11 Familien aus dem Chortitzer Mennoniten-Bezirk und haben bei der Siedelung
insgesamt ungefдhr 3900 R. Banko besessen.
Zum Andenken an ein in ihrem frьheren Vaterlande befindliches Dorf gleichen
Namens nannten sie die Kolonie Wernersdorf.
Der Boden besteht aus lockerer, schwarzer, stellenweise mit Lehm vermischter
Erde, ist zum Grasbau mittelmдЯig. zum Getreidebau und zu Baumanlagen gut
________________
(1) 1855: 25 Wirtschaften, 29 Anwohnerfamilien (insgesamt 177 Mдnner, 157
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 25 Wirtschaften (110 Mдnner) auf 1622 Desj. und 12 landlose Familien
(42 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) Johann Klaassen, 1824-1833 Oberschulz des Molotschnaer Mennonitengebiets,
vgl. Schroeder a.a.O. S. 19.
(3) 1855: 30 Wirtschaften, 51 Anwohnerfamilien (insgesamt 237 Mдnner, 232
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 30 Wirtschaften (149 Mдnner) auf 1950 Desj. und 2 landlose Familien
(11 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.
Page 150
geeignet. Der steinigte Untergrund ist an einigen Stellen ein fast
unьberwindliches Hindernis beim Graben der Brunnen(1). Die im Jahre 1837 unter
Anleitung des landwirtschaftlichen Vereins angefangene, noch nicht ganz
vollendete Waldanlage befindet sich in blьhendem Zustande.
Die Kolonie ist seit ihrer Grьndung fьnf mal so stark von der Viehseuche
heimgesucht worden, daЯ sie nicht im Stande war in der Zwischenzeit ihre
Viehherden in guten Stand zu bringen. Zudem sind den Ansiedlern in 24 Jahren 58
Pferde gestohlen worden.
Im Jahre 1825 verheerten die Heuschrecken Felder und Gдrten, in den folgenden
Jahren waren sie weniger schдdlich und verschwanden bis zum Jahre 1829 gдnzlich.
Das Ansiedlungsjahr brachte eine MiЯernte und einen sehr ungestьmen Winter, so
daЯ viel Vieh Hungers starb. Auf das schreckliche Notjahr 1833 folgte 1834 bei
schwacher Aussaat wieder eine schlechte Ernte.
Durch die in anderen Abschnitten geschilderten den Wohlstand fцrdernden
Ereignisse ist auch diese Kolonie trotz allen MiЯgeschicks emporgekommen.
Schulz Bernhard Epp.
Beisitzer Peter Gцrtz, Gerhard Dцrksen.
Wernersdorf, den 29. April 1848.
37. Friedensdorf(2)
Die Kolonie ist unter der damaligen Verwaltung des Herrn Fadejew, Kollegienrat
und Oberrichter des Kontors fьr auslдndische Ansiedler in Jekaterinoslaw und des
Gebietsvorstehers Johann Klaassen zu Ohrloff im Jahre 1824 gegrьndet worden. Sie
liegt am linken Ufer des FluЯbettes Bogemtschukrak(3), 47 Werst von Orechow und
90 Werst von Berdjansk entfernt. Der unebene Boden besteht aus leichter,
schwarzer, stellenweise mit Lehm vermischter Dammerde; eignet sich gut zum
Ackerbau, aber weniger zu Heuland.
Zwei Ansiedler wьnschten, daЯ die Kolonie zum Andenken an die ihnen in PreuЯen
zunдchst gelegene Stadt Friedberg heiЯen mцchte. Der Gebietsvorsteher aber fand
es, da sie ja nicht auf einem Berge liegt, passender, sie Friedensdorf zu
nennen.
Im Jahre 1824 haben sich 16 und im folgenden 14 Familien angesiedelt(4). Von den
30 Ansiedlern waren 20 im Jahre 1823 aus PreuЯen eingewandert, und zwar aus dem
Landratsamte Schwez, 8 Familien, darunter Heinrich Pцtker und David Schmidt, aus
dem Landratsamte Marienburg, 7 Familien, darunter Franz Peters und Kornelius
Fast, aus der Stadt Graudenz 1 Familie, Georg Schulz, aus dem Landratskreis
Friedberg im Regierungsbezirk Frankfurt a.O. 2 Familien: Kornelius Voth und
________________
(1) Vgl. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 62.
(2) Russischer Name: Kriwoj Numer.
(3) = Begim-Tschokrak.
(4) 1855: 30 Wirtschaften, 32 Anwohnerfamilien (insgesamt 178 Mдnner, 163
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 30 Wirtschaften (137 Mдnner) auf 1950 Desj. und 16 landlose Familien
(67 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
Page 151
Peter Voth. Von den ьbrigen Familien waren 3 Familien Nachkommen aus dem
Chortitzer und 2 Familien Nachkommen aus dem hiesigen Mennonitenbezirk.
Die unbesiedelte Steppe gehцrte zum Pachtland des Johann Kornies und wurde von
den benachbarten Russen und Nogaiern zur Viehweide Benutzt.
Siebzehn Familien erhielten zur Ansiedlung von der hohen Krone 3850 R. Silber
VorschuЯ und hatten ungefдhr 980 R. Silber eigenes Vermцgen. Dreizehn Familien
siedelten [sich] aus eigenen Mitteln mit einem mutmaЯlichen Vermцgen von 3000 R.
Silber an.
Das Ansiedlungsjahr war auЯerordentlich unfruchtbar. Obschon die Ansiedler in
denjenigen Kolonien, wo sie vorher gewohnt hatten, auch auf ihrem ihnen
zugeteilten Lande Aussaat bestellt hatten, ernteten sie nichts, und das etwa
noch gewachsene Futter fraЯen die Heuschrecken. Zu dem Futter- und Brotmangel
gesellte sich der harte Sturmwinter, so daЯ vie Vieh verhungerte. Doch versьЯte
ihnen die Beschwerden der Besuch des wohlwollenden Monarchen Alexander I.,
dessen wahrhaft menschenfreundliches Benehmen auf die Ansiedler einen tiefen
Eindruck machte.
Da im folgenden Jahr wegen Armut die Saat nicht gehцrig bestellt werden konnte,
so konnten sie den reichen Erntesegen nicht in vollem MaЯe genieЯen. Bis zum
Jahr 1828 verursachten die Heuschrecken viel Schaden.
Im Jahre 1828 brach die Viehseuche aus. 1830 wurden die Schule und das
Vorratsmagazin gebaut. 1831 verbrannte den Ansiedlern die dem Peter Schmidt in
Steinbach auf Kommission gegebene Wolle, wofьr sie keine Entschдdigung
erhielten.
Besonders schwer war das Jahr 1833. Damals wurden die Pferde in die Gegend der
Krim gegen hohe Bezahlung auf die Weide getrieben, wo jedoch die meisten vor
Hunger und Kдlte umkamen. Das Rindvieh wurde teils geschlachtet, teils in Innere
von RuЯland verkauft. Die Schafe wurden fьr den halben Wert an die benachbarten
Edelleute verдuЯert. Durch den von der Kolonialverwaltung verschafften Kredit
allein wurde es mцglich, daЯ die Kolonisten vor dem Hungertode bewahrt blieben,
obgleich gдnzliche Verarmung und Verlust der Wirtschaften nicht immer verhindert
werden konnte.
Trotz allem ist auch diese Kolonie durch die in anderen Abschnitten
geschilderten den Wohlstand fцrdernden Ereignisse allmдhlich emporgekommen.
Schulz Franz Wiens.
Beisitzer: Peter Buller, Peter Wiens.
Schullehrer Jakob Wieb.
Friedensdorf, den 23. April 1848.
38. Prangenau
Diese Kolonie wurde im Frьhjahr des Jahres 1824 gegrьndet, liegt am rechten Ufer
des Flusses Juschanlee(1) und ist 77 Werst von Berdjansk entfernt. Der Plan,
welcher den Ansiedlern abgemessen wurde, bildet eine lдngliche, nicht
rechtwinklige Flдche, deren weiteste Ausdehnung sich von Sьd nach Nord
erstreckt. Der Boden ist hart, hat wenig schwarze Erde und eine Unterlage von
gelbem Ton. Die Wiesen sind, wenn nicht besonders gьnstige Witterung eintrifft,
________________
(1) = Juschanly
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zur Heuernte unfдhig. Das Ackerland ist meistens eben, nur ein trockener
SteppenfluЯ durchschneidet es in schrдger Richtung. Durch tьchtige Bearbeitung
des Landes erhдlt man bei einigermaЯen gьnstiger Witterung gute Getreideernten.
Auch in den Gдrten ist das Wachstum ein befriedigendes.
Der erste Schulze Gerhard Wall machte den Vorschlag, die Kolonie nach einem
Dorfe in PreuЯen Prangenau zu nennen, was vom Gebietsvorsteher Johann Klaassen
aus Ohrloff genehmigt wurde.
Anfдnglich haben sich in dieser Kolonie 23 Familien niedergelassen, unter
welchen 3 Freiwirte sich befanden(1). Acht dieser Familien stammten aus dem
Marienburgischen, 4 aus dem Tilsitschen Kreise und 11 aus der Chortitzer
Kolonie.
Die Steppe war Johann Kornies in Pacht gegeben und wurde von Tartaren als
Viehweide benьtzt.
Die Ansiedler erhielten einen KronsvorschuЯ von 6515 Rbl. Banko. Ihre eigenen
vom Auslande hergebrachten Mittel betrugen mit EinschluЯ des Viehes und
Ackergerдtes ungefдhr 2155 R. Banko.
Die gьnstigen und ungьnstigen Ereignisse in ihrer Entwicklung bis zum Jahre 1848
hat diese Kolonie mit den anderen gemein.
Schulz Peter Epp.
Beisitzer: Abraham Bьhler, Gerhard Peters.
Der Verfasser dieses Peter Epp.
Prangenau, den 27. April 1848.
39. Sparrau
Wenn man die auf der Nordseite dieser Kolonie sich erhebende Anhцhe besteigt,
die von der Kolonie durch ein kleines Tal getrennt ist, so kann man die zwei
Reihen Wirtschaftsgebдude der Ansiedler ьbersehen. Alle diese Hдuser sind
regelmдЯig angelegt, im Innern zweckmдЯig eingerichtet und von einem gefдlligen
Ansehen. Was dem AeuЯeren noch mehr Gefдlligkeit verleiht, sind die regelmдЯig
angelegten Obstgдrten, welche an der Gasse mit wilden Birnbдumen, zwischen den
Nachbarn mit einer Maulbeerhecke und am hinteren Ende mit einer wilden Oelhecke
eingefaЯt sind. Hinter den Obstgдrten der Sьdseite befindet sich die
Gehцlzplantage der ganzen Dorfsgemeinde mit ihren verschiedenen Arten von
Waldbдumen, darunter ein Drittel Maulbeeren. Diese Plantage enthдlt 17
Dessjatinen Land, wovon auf jeden Wirt Ѕ Dessj. kommt, welche ringsum von einer
Maulbeerhecke, die ganze Plantage mit einer wilden Oelhecke eingefaЯt ist. Auf
beiden Enden der Kolonie wohnen die Beisassen in regelmдЯig erbauten Hдusern.
Die Kolonie wurde im Jahr 1828 unter Anleitung des Oberschulzen Johann Klaassen
gegrьndet. Die Hдuser wurden aus Luftziegeln gebaut; in ihnen wurde fьr den
ersten Winter eine Abteilung fьr das Vieh eingerichtet. Der Ackerbau wurde in
dieser Zeit wegen Mangel an Vieh nur im kleinen betrieben. Ebenso die Schafzucht
________________
(1) 1855: 20 Wirtschaften, 41 Anwohnerfamilien (insgesamt 171 Mдnner, 171
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 20 Wirtschaften (128 Mдnner) auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien
(61 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
Page 153
trotz der hohen Wollpreise (10 bis 30 Rbl. das Pud). Die Hofstellen waren von
Grдben umgeben.
Das Dorf liegt lдngs des Nebentales der Molotschna Kuruschan an dessen sьdlicher
Seite. Das Wasser in den Brunnen liegt 25 bis 40 FuЯ tief. Ackerfelder und
Heuwiesen liegen auf einer Anhцhe und sind ziemlich fruchtbar.
Da die hiesige Steppe ein Dreieck bildet, also einen sparrenдhnlichen Plan hat,
so wurde die Kolonie nach einem bekannten Dorf in PreuЯen Sparrau genannt.
Die ersten 28 Ansiedler dieser Kolonie sind grцЯtenteils aus dem Bezirk Elbing
in WestpreuЯen eingewandert. Zwei Jahre spдter wurden noch 9 Familien aus den
anderen Kolonien dieses Bezirks aufgenommen(1). Das Land gehцrte zu dem Pachtgut
des Johann Kornies, welcher es Tataren und Griechen zur Weide ьberlieЯ. Die
Ansiedler erhielten einen KronsvorschuЯ von 14,092 R. Banko. Nur wenige besaЯen
eigenes Vermцgen im Betrage von etwa 500 R. und bedurften des Vorschusses nicht.
Im Jahre 1832 zeigte sich in einer Herbstnacht gleichsam als Vorbote fьr das
schreckliche Notjahr 1833 ein Nordlicht. Das sah aus, wie eine ungewцhnliche
Feuermasse am nдchtlichen Sternenhimmel, die sich цffnete und in deren Oeffnung
man, dem Anschein nach, tief hineinsehen konnte. Nachdem sich die Oeffnung
wieder geschlossen, endigte die Erscheinung mit dem Fallen einer unzдhlbaren
Menge von Sternen.
Der weitere Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist keine[n] von derjenigen
anderer Kolonien abweichenden Zьge auf.
Schulz Heinrich Ewert.
Beisitzer: Gerhard Dьck(2), Jakob Ott.
Schullehrer Peter Friesen.
Sparrau, den 23. April 1848.
40. Konteniusfeld
Es wird wohl kaum einen Menschen geben, der so sehr aller WiЯbegierde bar ist,
daЯ, wenn ihm Schriften der Vorwelt zu Hдnden kommen, die sich vorzьglich auf
seine Herkunft beziehen, er dieselben nicht mit voller Aufmerksamkeit lesen und
darьber mit tiefer Befriedigung nachdenken wьrde(3). So angenehm also solche
Schriften fьr uns sind, so werden sie es auch fьr unsere Nachkommen sein, wenn
sie von uns, ihren Voreltern, etwas Schriftliches vorfinden. Um unseren
________________
(1) 1855: 40 Wirtschaften, 61 Anwohnerfamilien (insgesamt 295 Mдnner, 264
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 40 Wirtschaften (216 Mдnner) auf 2600 Desj. und 34 landlose Familien
(133 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) Die Familie nennt sich auch Dieck.
(3) Der erste Absatz dieses Berichts ist in engster Anlehnung and die
"Zirkular-Aufforderung zur Abfassung von Gemeindeberichten" des Staatsrats
E. von Hahn (vgl. S. I) geschrieben, die mit folgenden Worten beginnt: "Es
wird wohl kaum einen Menschen geben, der in einem solchen Grade aller
WiЯbegierde entblцЯt sei, daЯ in ihm nicht einmal der Wunsch aufsteige, den
Zeitpunkt, in welchem sein Geburtsort gegrьndet, den Ursprung der Gemeinde,
deren Glied er ist, die Hautpereignisse, welche einen wohltдtigen oder
ungьnstigen EinfluЯ auf die Entwicklung und das Emporkommen dieses Ortes
haben, zu kennen", vgl. Georg Leibbrandt a.a.O. S. 7-9.
Page 154
Nachkommen hierin ein Genьge zu leisten, so ist hier eine kurze geschichtliche
Ьbersicht der Grьndung und des Bestehens unserer Kolonie aufgesetzt.
Im Jahre 1831 wurde der erste Schritt zur Ansiedlung der Kolonie Konteniusfeld
gemacht; am 24. Mдrz wurde die Steppe zugemessen und der passendste Platz zur
Anlegung der Kolonie aufgesucht, darauf die Feuerstellen geordnet und
abgezeichnet, durchs Los verteilt und zur Frьhlingsaussaat geschritten. Im
Sommer wurde dann auch der Hдuserbau in Angriff genommen. Die Kolonie grenzt im
Norden an die Steppe der Kronsbauern des russischen Dorfes Tschernigowka, wo der
kleine SteppenfluЯ Behemtschukrak(1) die eigentliche Grenze bildet. Im Westen
grenzt sie an die beiden Kolonien Waldheim und Gnadenfeld, im Sьden an den
Tschumakenweg, der von Bachmut in die Krim fьhrt. Der flache SteppenfluЯ
Kuruschan zieht sich ziemlich mitten durch den Plan, an dessen sьdlicher Seite
die Kolonie erbaut ist. Auf jeder Seite der Gasse wohnen 15 Wirte(2), jede
Feuerstelle ist 36 Faden breit. Dieser fast immer trockene FluЯ Kuruschan
richtet bei vorkommenden Platzregen hдufig Schaden in den Gemьsegдrten an. In
der Nдhe des Behamtschukrak befindet sich eine Grube von weiЯer Erde, welche von
den umwohnenden Russen und Deutschen zum Stukkaturen der Hдuser benьtzt wird.
Diese Erde ist auch ein vorzьgliches Material zur Bereitung der Luftziegel, aus
welchen alle Wohngebдude in Konteniusfeld aufgefьhrt sind.
Die ganze Steppe ist flach und mit fruchtbarer etwas salpeterhaltiger
Schwarzerde, auf weiЯ und rotlehmiger Unterlage, bedeckt. Das Grundwasser liegt
ziemlich tief, weshalb das Land schnell austrocknet. Im Jahre 1846 hat die
Dorfsgemeinde mit der Gehцlzplantage den Anfang gemacht(3). Am 1. Januar 1848
waren in der Plantage auf Standorten befindlich 2121 Wald- und 1575
Maulbeerbдume.
Der Gebietsдlteste Johann Klaassen gab der Kolonie zum Andenken an den um die
Kolonien so sehr verdienten, verstorbenen Oberrichter des Kontors fьr
auslдndische Ansiedler in Jekaterinoslaw Wirklichen Staatsrats von Kontenius den
Namen Konteniusfeld.
Als Abkцmmlinge von frьheren Einwanderern der Molotschnaer Mennonitenkolonien
bekamen die Ansiedler keinen KronsvorschuЯ, sondern muЯten sich mit dem in
anderen Kolonien seit ihrer Verheiratung durch Taglцhner- und andere Arbeit
erworbenen Vermцgen ansiedeln(4). Die im Jahre 1835 aus Luftziegeln erbaute, 8
Faden lange und 4 Faden breite Schule wird im Winter von 85 Kindern besucht. Im
Jahre 1843 wurden anstatt der frьheren Grдben zum Schutz der Hцfe und Gдrten
________________
(1) = Begim-Tschokrak.
(2) 1855: 30 Wirtschaften, 47 Anwohnerfamilien (insgesamt 229 Mдnner, 219
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 30 Wirtschaften (133 Mдnner) auf 1950 Desj. und 11 landlose Familien
(47 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(3) auf Anraten des Landwirtschaftlichen Vereins, vgl. S. 109.
(4) Cornies berichtete Haxthausen, es wдre bei den Mennoniten Sitte, daЯ jeder,
selbst der Sohn des reichsten Bauern, bei einem andern ein paar Jahre als
Knecht diene, das Knechtsein sei daher bei den Mennoniten kein Stand,
sondern ein Durchgang fьrs Leben. Knechte und Mдgde erhielten einen sehr
hohen Lohn, 30 bis 70 Rbl. Silber. So hдtte selbst ein Armer die
Gelegenheit, sich ein kleines Vermцgen zu sammeln und oft selbst Bauer zu
werden. Vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 185.
Page 155
Zдune errichtet. In diesem Jahr soll ein Getreidevorratsmagazin aus gebrannten
Ziegeln mit hollдndischer Pfannenbedachung gebaut werden.
Die Erderschьtterung am 11. Februar 1838 hat das Wasser in den Brunnen bis zu
der salpeterhaltigen Erdschicht gehoben, wodurch es fьr Menschen ungenieЯbar
geworden und fьr's Vieh in warmen Sommertagen, namentlich fьr die Pferde,
ungesund ist.
Im Jahre 1844 raffte eine Viehseuche fast alles Vieh hinweg, doch sind schon
wieder 292 Stьck Rindvieh vorhanden.
In den Obstgдrten befinden sich:
Obstbдume auf Standorten 6657 Stьck
Wilde Birnbдume 442 "
Maulbeerbдume in Hecken 22923 "
In Baumschulen:
Veredelte Obstbдume 390 Stьck
Unveredelte 5566 "
Gehцlzbдume 2720 "
Maulbeerbдume 14422 "
------------
In Summa: 53120 Stьck
Die Kolonie ist folgender Besuche von Kaiserlichen Regierungsbeamten gewьrdigt
worden:
1831 vom Herrn Oberrichter Fadejew aus Jekaterinslaw.
1837 vom Herrn General von Insow.
1842, 1843 und 1845 von Herrn Wirklichen Staatsrat von Hahn aus Odessa.
Durch die Grьndung der Stadt Berdjansk und den Aufschwung des Getreidehandels
kam auch in dieser Kolonie die Landwirtschaft bedeutend empor.
Schulz Andreas Voth.
Beisitzer Johann Thiessen, Abraham Dьck.
Schullehrer Isaak Penner.
Konteniusfeld, d. 24. April 1848.
41. Gnadenfeld(1)
Um dem furchtbaren Druck eines polnischen Edelmannes zu entgehen, zogen im Jahre
1765 eine Menge Mennonitenfamilien aus der Gegend von Schwez in WestpreuЯen,
welches damals polnisch war, in eine moorige mit Weidengestrдuch bewachsene
Gegend am rechten Netzeufer in der jetzigen Provinz Brandenburg und grьndeten,
von Kцnig Friedrich II. mit vortrefflichen Privilegien beschenkt unter der
Anleitung des Kцnigl. Geheimrats Franz von Brinkenhof(2) die beiden nach ihm
benannten Kolonien Franztal und Brinkenhofswalde und noch eine dritte,
Neudessau genannt. Anfangs zwar auf diesem Sumpfboden mit unbeschreiblichen
Mьhsalen kдmpfend, brachten es die Bewohner durch unermьdlichen FleiЯ, den
________________
(1) Russische Namen: Kantow, Tschetyrech rjadnyj Numer.
(2) soll heiЯen: "Brenkenhoff" und "Brenkenhoffswalde", vgl. Mennonitisches
Lexikon Bd. 1, S. 263.
Page 156
Gottes Segen krцnte, doch endlich zu einigem Wohlstand und einem recht
behaglichen lдndlichen Leben. Sie wьrden ihre gewohnten und liebgewonnenen
Verhдltnisse wohl kaum verlassen haben, wenn nicht der Kцnig Friedrich Wilhelm
III. aus Staatsrьcksichten sich genцtigt gesehen hдtte, so schwer es ihm auch
nach seinen eigenen Worten wurde, das Privilegium teilweise aufzuheben und ihnen
Schutzgeld und die Beschrдnkung aufzuerlegen, daЯ sie keinen weiteren
Grundbesitz erwerben kцnnten(1). Da richteten sich die Augen der Gemeinde nach
dem sьdlichen RuЯland, wo an den Ufern der Molotschna bereits Tausende ihrer
Glaubensbrьder unter dem Szepter des Kaisers Aufnahme, Schutz und Wohltaten
unzдhliger Art gefunden hatten, und die Auswanderung wurde beschlossen. In der
Meinung, der Einwanderung stehe nichts entgegen, verkauften im Jahre 1833 die
meisten ihre Grundstьcke und schickten sich zur Reise an. Nicht gering aber war
der Schrecken, als der Kaiserlich russische Generalkonsul in Danzig auf die an
ihn gerichtete Anfrage den Bescheid erteilte, die Einwanderung sei untersagt(2).
Da wandten sich die geistlichen Vorsteher im Auftrage und Namen der Gemeinde an
Se. Majestдt den Kaiser mit der Bitte, fьr 40 Familien die Erlaubnis zur
Einwanderung Allergnдdigst erteilen zu wollen. Bald lag die Erlaubnis unter den
gesetzlichen Bedingungen in ihren Hдnden(3).
In zwei Kolonnen, die eine unter Anfьhrung des Kirchenдltesten Wilhelm Lange,
die andere von einem Kirchenlehrer gefьhrt, setzte sich der Zug in Bewegung.
Auch auf der Reise ward so viel als mцglich nicht vergessen, daЯ eine
christliche Gemeine reise. Tдglich wurde vor der Abfahrt ein kurzer Morgensegen
und des Sonntags eine Andachtsstunde gehalten. Ohne besonderen Unfall kamen die
Zьge im Anfang des Herbstes an der Molotschna an, und jede Familie suchte ein
passendes Unterkommen fьr den Winter. Dieses kostete aber viel Geld, da die
Nahrungsmittel des vorjдhrigen totalen MiЯwachses wegen ungeheuer hoch im Preise
standen. Herbst und Winter wurden aufgewandt, eine Ansiedlungsstelle
aufzufinden und festzustellen. Man entschloЯ sich endlich, hoch oben auf der
Steppe, da wo die ersten Spuren der Vertiefung des Steppflusses Apanlee
bemerkbar werden, wo sonst aber weder Gestrдuch noch Steinbrьche noch sonst
________________
(1) Vgl. S. 88 Anm. 3.
(2) Bereits am 5. August 1819 war der russische AuЯenminister angewiesen worden,
die Einwanderung auslдndischer Siedler zu unterbinden und die
Auslansvertretungen in diesem Sinne zu verstдndigen, vgl. I PSZ Bd. 36, Nr.
27912 und Bd. 36, Nr. 27954 (25. Oktober 1819). Ein дhnliches Verbot scheint
am 2. Juni 1831 wiederholt worden zu sein, vgl. II PSZ Bd. 7, Nr. 5684.
(3) Die Zuteilung von Land an neueinwandernde auslдndische Siedler war damals
gesetzlich nicht mehr vorgesehen. In Ausnahmefдllen durfte der Vorsitzende
des Fьrsorgekomitees die Ansiedlungserlaubnis erteilen unter der Bedingung,
daЯ keine neue Landzuteilung erforderlich wьrde und die betreffenden
Dorfgemeinden ihre Einwilligung gдben, vgl. II PSZ Bd. 7, Nr. 5684, 18.
Oktober 1832.
Am 10. Januar 1834 erhielt diese Gemeinde die Benachrichtigung, daЯ ihre
Einwanderung unter folgenden Bedingungen gestattet sei: 1. Vorweisung eines
Auswanderungskonsens von der preuЯischen Regierung, 2. Einwanderung von
Familien bestehend aus mindestens 5 Personen, 3. Hinterlegung einer Summe
von 800 Rbl., die am Ansiedlungsort zurьckerstattet werden sollte, vgl.
Mennonitisches Lexikon Bd. 1, S. 263.
Da 1835 die Zahl von 40 Familien nicht mehr erreicht werden konnte, wurden
einige lutherische Familien (Lange, Lenzmann, Klatt) durch die
Bekenntnistaufe aufgenommen, vgl. Friesen a.a.O. S. 80.
Page 157
irgendeine Bodenmerkwьrdigkeit vorhanden ist, eine Kolonie von 40 Wirten(1), 4
Handwerkern und 30 Anwohnerstellen zu grьnden.
Die Ansiedlung geschah im Jahre 1835, mit Ausnahme einiger Baustellen, die 1836,
und dreier Baustellen, die erst im Jahre 1840 besiedelt wurden.
Die Kolonie bildet beinahe ein 2 Werst langes Rechteck, dessen Lдngsseiten nach
Sьden und Norden und dessen Enden nach Ost und West stehen. Von den zwei
Hдuserreihen enthдlt jede 20 Stellen, welchen gegenьber sich dann je 40
Anwohnerstellen befinden.
Zwischen den Wirtschaften und Anwohnerstellen lдuft auf beiden Seiten eine
breite, namentlich im Herbst sehr befahrene StraЯe hin, da der Getreidetransport
nach der 70 Werst entfernten Kreis- und Hafenstadt Berdjansk von vielen
Kolonisten- und Mennonitendцrfern hier durchgefьhrt wird(2).
Die ziemlich groЯen Gдrten der Wirte wьrden zwischen den beiden Reihen der
Wirtschaftsstellen zusammenstoЯen, wenn sie nicht ein von beiden Seiten mit
Waldbдumen eingefaЯter, vier Faden breiter RasenfuЯpfad, der "Kirchensteig"
genannt, von einander trennte. Quer durch die Mitte der Kolonie geht die
sogenannte Mittelgasse, an deren Seiten, gerade gegen und auf dem Kirchensteige
цstlich die Schule steht und westlich die Kirche hinkommen soll. Sie wдre
bereits in vollem Bau begriffen, wenn und nicht manche ganz unerwartete
Hindernisse in den Weg gelegt worden wдren. Die Mittelgasse, die in gerader
Linie nцrdlich nach dem Kirchhofe fьhrt, teilt in Verbindung mit dem
Kirchensteige die Kolonie in ganz gleiche Quartale. Hinter den Anwohnerstellen
lдuft auf beiden Langseiten die Waldplantage hin, - und man darf wohl kьhn
behaupten, daЯ in Bezug auf die Baumanlagen nur sehr wenige Kolonien sich mit
Gnadenfeld werden messen kцnnen.
"Gnadenfeld"! Dieser Name wurde der Siedlung von dem Gemeindevorsteher aus
folgenden Grьnden gegeben. "Feld" nannte man die Kolonie, weil sie nicht in
einem Tal, sondern hoch auf der Steppe, also auf dem Felde liegt. Gnadenfeld
nannte man sie einmal, weil man durch diese Benennung ein Denkmal der
Kaiserlichen Gnade stiften wollte, die trotz damals untersagter Einwanderung
dennoch der Gemeinde die erbetene Erlaubnis so bereitwillig erteilte, und zum
anderen, weil man von dem heiЯen Wunsche beseelt war, dieser neue Wohnort
mцchte in jeder Beziehung fьr die Gemeinde ein Ort werden, an dem sie die
Offenbarung der gцttlichen Gnade in reichem MaЯ erfдhrt. Die Behцrde genehmigte
bereitwillig die Benennung.
Die Kolonie hat sich bis dahin des gцttlichen Segens zu erfreuen gehabt, denn
obgleich wir keine Unterstьtzung von der Krone empfingen und die Mittel mancher
Einwanderer nur gering waren, indem Vieh, Hausgerдt, Wirtschaftssachen u.s.w.
bei der Auswanderung fьr Spottpreise muЯten dahingegeben werden, die Reise aber
und namentlich der erste Winter, sowie dann auch die Ansiedlung selbst
________________
(1) 1855: 40 Wirtschaften, 76 Anwohnerfamilien (insgesamt 310 Mдnner, 271
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 40 Wirtschaften (201 Mдnner) auf 2660 Desj. und 26 landlose Familien
(81 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(2) Vgl. S. 91 Anm. 2.
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bedeutende Kosten verursachten, so muЯ man doch sagen, daЯ sie mit jedem Jahr
lieblicher aufblьht und schцner und wohlhabender sich gestaltet. Wir haben von
dem fruchtbaren und, wenn Gott den Segen nicht vorenthдlt, sehr ergiebigen Boden
meistens gute und einige reichliche Ernten gehabt, weshalb sich auch im Ganzen
der Wohlstand hebt und mehrt. Die Hдuser gewinnen ein immer freundlicheres
Aussehen und die Wirtschaftsgebдude werden vollstдndiger und zweckmдЯiger
eingerichtet. Viele Gдrten sind bereits trotz der jugendlichen Ansiedlung
vollgepflanzt, und selbst mehrere Wirtschaftsanteile in der Waldplantage, welche
vor 2 Jahren begonnen wurde, sind vollstдndig besetzt und mit Hecken umgeben.
Vor Seuchen, Feuersbrьnsten und anderen besonderen Uebeln hat uns Gottes Gnade
bis hierher bewahrt, und so hoffen wir denn auch fernerhin unter dem Schutz und
Schirm unserer teuren Obrigkeit ein ruhiges und stilles Leben zu fьhren in aller
Gottseligkeit und Ehrbarkeit.
Gnadenfeld, d. 30. April 1848.
Schulz Voth.
Beisitzer: Jantzen, Gцrz.
42. Waldheim(1)
Diese Kolonie wurde im Jahre 1836 gegrьndet. Es siedelten in demselben Jahr 8
Wirte, im Jahr 1838 - 12 und 1840 - 20 Wirte an. Das Schulzenamt haben versehen:
Kornelius Wedel 10 Jahre und Christian Schlabbach im zweiten Jahr.
Die Kolonie liegt am FlьЯchen Behemtschukrak(2) und grenzt im Osten an das Land
des Kronsdorfes Tschernigowka, im Sьden an die Kolonie Gnadenfeld, im Westen an
die neugegrьndete Kolonie Hierschau, im Norden an das Kronsland, welches der
Mennonit der Kolonie Schцnsee Heinrich Janzen in Pacht hat. Die Kolonie ist 80
Werst von Berdjansk und 350 Werst von Simferopol entfernt. Der sehr
verschiedenartige, schwarze, grandige, steinichte und gelblehmige Boden ist fьr
den Getreidebau sehr geeignet. Auch gibt es trotz der hohen Lage Heu im
UeberfluЯ.
Die 68 Familien dieser Kolonie(3) sind aus dem Gouvernement Wolhynien gekommen,
und zwar von folgenden Orten: 1.) aus der Kolonie Ostrowa im Lutzkischen
Kreise(4) auf den Gьtern des Edelmanns Michael Bitschkowskij, wohin sie aus dem
Kreise Rokonosch unweit des Stдdtchens Wissotzk von der Grundherrschaft des
Edelmanns Watzlaf Vorainy gekommen waren(5); 2.) aus der Kolonie Wolla auf den
________________
(1) Russischer Name: Polscha.
(2) Begim-Tschokrak.
(3) 1855: 40 Wirtschaften, 91 Anwohnerfamilien (insgesamt 488 Mдnner, 473
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 43 Wirtschaften (205 Mдnner) auf 2840 Desj. und 59 landlose Familien
(296 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
(4) Die Lage der im folgenden genannten Ortschaften lieЯ sich nicht feststellen.
Offenbar sind die Namen verstьmmelt.
(5) Eine grцЯere Umsiedlung von Mennoniten auf Kronsland war bereits 1803
geplant, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20843.
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Gьtern des Edelmanns Ignat Bitschkowskij, wohin sie von der Grundherrschaft des
Grafen Olisarow beim Stдdtchen Rawalowka im Lutzkischen Kreise gekommen waren,
und 3.) aus dem Kreise Nowograd Wolhynsk vom Gute des Fьrsten Ljubomirskij(1).
Ihre zumeist verstorbenen Vдter aber sind in den Jahren 1806 bis 1818 aus der
Provinz Neumark bei Driesen und vom Dorfe Schwez in WestpreuЯen an die genannten
Orte gewandert. Ihr Sachwalter bei der Auswirkung der Erlaubnis zur
Uebersiedlung seitens der hohen Krone und ihr Fьhrer auf der Reise von Wolhynien
in den Molotschnaer Mennonitenbezirk im Jahre 1835 ist Kornelius Wedel gewesen.
Das mit Erlaubnis der hohen Krone durch Vermittlung des Vorsitzers des
landwirtschaftlichen Vereins Johann Kornies und des Molotschnaer
Mennonitengebietsamtes den Ansiedlern zugewiesene Land hatte vorher der genannte
Kornies in Pacht gehabt und war gдnzlich leer. Die zum Teil ganz unbemittelten
Ansiedler haben von der Krone keinerlei Unterstьtzung erhalten; die notwendige
Mithilfe ist ihnen von seiten der alten, schon frьher angesiedelten Wirte zu
teil geworden. Ihr mitgebrachtes Vermцgen kann sich auf 400 Rubel Silber
belaufen haben.
Da die Ansiedler in Wolhynien meistenteils in Waldungen gelebt hatten, gab
Johann Kornies ihrer Kolonie den Namen Waldheim.
Schulz Schlabbach.
Beisitzer: David Kьhn, Johann Fast.
Schullehrer Heinrich Dirks.
43. Landskrone(2)
Am wasserlosen FlьЯchen Behemtschekrak(3), 85 Werst nordwestwдrts von Berdjansk
liegt die Kolonie Landskrone, welche aus 40 Wirtschaften(4) mit je 65 Dess. Land
besteht. Ihre Grьndung fand im Jahre 1839 mit 26 Familien statt, welche zufolge
Aufforderung des Molotschnaer Mennonitengebietsamtes sich aus verschiedenen
Kolonien des Bezirks gemeldet hatten. Da die Niederung, in welcher das Dorf
angelegt werden sollte, von geringem Umfang war, so wurden zwei von West nach
Ost parallel laufende StraЯen in einer Entfernung von 220 Faden abgepflьgt, an
denen die Hдuser beider Reihen so gebaut wurden, daЯ sie mit ihren hinteren
Enden sich zugekehrt standen, wodurch nicht nur die Lage der Gдrten eine viel
bessere wurde, sondern auch die Hдuser sicher zu stehen kamen. Neunzehn Hдuser
an der sьdlichen oder HauptstraЯe wurden gleich im Grьndungsjahr von gebrannten
Ziegeln nach Regel und Plan bebaut. Sieben Familien bauten an der nцrdlichen
StraЯe von weiЯen Ziegeln. Im folgenden Jahr 1840 siedelten wieder 11 Familien,
gleichfalls aus den anderen Kolonien sich sammelnd, hinzu und bauten, mit
________________
(1) = Lubomirski.
(2) Russischer Name: Krasnyj Numer.
(3) = Begim-Tschokrak.
(4) 1855: 40 Wirtschaften, 47 Anwohnerfamilien (insgesamt 285 Mдnner, 269
Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig
Abwesenden inbegriffen).
1857: 49 Wirtschaften (193 Mдnner) auf 2600 Desj. und 3 landlose Familien
(7 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.
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Ausnahme eines einzigen, an der nцrdlichen Seite. Endlich im Jahre 1842 kamen
die letzten drei hinzu. Ein besonders schцnes Aussehen hat diese Kolonie dadurch
bekommen, daЯ alle Ansiedler plan- und regelmдЯig und mit Ausnahme von 7, ihre
Wohngebдude aus gebrannten Ziegeln auffьhrten. Die Russen nennen bis heute noch
diese Kolonie das rote Dorf (krasnyj nomer)(1). Das unebene Land besteht aus
einer 1 FuЯ dicken Schwarzerdschicht auf rotgelber, tonartiger Unterlage. In den
Jahren 1846 und 1847 hat die Kolonie eine 20fache Ernte gehabt bei einem Preis
von 25 R. Banko pro Tscht. Die bedeutenden Schulden sind jetzt nicht nur
bezahlt, sondern es sind auch die Wirtschaften vervollkommnet. Die 55 bis 65 FuЯ
tiefen Brunnen enthalten ein ausgezeichnetes Wasser.
In den ersten Jahren des Bestehens dieser Kolonie richtete das FlьЯchen im
Frьhjahr betrдchtlichen Schaden an, indem es sich in Schlangenwendungen zwischen
den Hдusern fortschlдngelte. Diesem vorzubeugen wurde im Frьhjahr 1844 ein 70
Faden langer und 10 Faden breiter Kanal in der Mitte der Hдuserreihen in
schnurgerader Linie gezogen und das FlьЯchen an Stellen mit Erde verschьttet,
um das Land ebener und zur Anpflanzung der Bдume tauglicher zu machen.
Einen prachtvollen Anblick wird Landskrone etwa in 15 Jahren darbieten, wenn der
Herr fernerhin gedeihliche Zeiten gibt. Die Gдrten zwischen den Hдuserreihen
werden voll gepflanzt und im besten Wachstum sein, wдhrend Riesenpappeln an den
Ufern des Kanals in die Luft ragen werden. Diesem Zeitpunkt dьrfen wir umso mehr
mit freudiger Hoffnung entgegensehen, als die jetzigen Einsassen dieser Kolonie
tatkrдftige und nach Verbesserung sterbende Mдnner sind. Die Zahl der bis jetzt
angepflanzten verschiedenen Obstbдume ist 5500 Stьck.
Vor der Ansiedlung war die Steppe Pachtgut des Einsassen der Kolonie Schцnsee
Heinrich Janzen, der aber nur ein Unterpдchter des Johann Kornies war.
KronsvorschuЯ haben die Ansiedler nicht erhalten. Ihr hergebrachtes Vermцgen mag
sich auf 6000 R. Silber belaufen haben.
Der Ursprung der Benennung dieser Kolonie ist uns nicht bekannt gemacht worden.
Der verstorbene Vorsitzer Johann Kornies teilte uns den Namen ohne besondere
Erklдrung mit.
Schulz: Kornelius Enns.
Beisitzer: Gerhard Peters, Kornelius Penner.
Verfasser Johann Krцker.
Landskrone, den 4. Mai 1848(2).
________________
(1) eigentlich "Rote Nummer", vgl. S. 82 Anm. 4.
(2) Ьber die Mennonitenkolonien an der Molotschna дuЯerte Haxthausen a.a.O. Bd.
2, S. 196: "In ganz RuЯland existiert kein Landstrich, wo im ganzen eine so
gleichmдЯig hohe Kultur des Bodens und der Bevцlkerung herrscht, wie hier.
Sie kцnnen dem Gouvernement als MaЯstab dienen, wie weit man es mit der
Bebauung, besonders aber mit der Bewaldung der Steppe und ganz SьdruЯlands
bringen kцnnte und das ist der wichtigste Punkt fьr RuЯlands Macht und
innere Politik! - Hдtte SьdruЯland durchgehends die Bebauung und Kultur
dieses Landstrichs, so kцnnte Moskau und Petersburg nicht ferner der
Schwerpunkt und der Angelstern des Reiches sein, sondern diese Funktionen
wьrden auf Charkow oder Jekaterinoslaw und Odessa ьbergehen."
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44. Ohrloff(1)
Aus vergilbten Papieren. Die ersten Anfдnge der Kolonie Ohrloff
(Melitopler Kreis)
Abdruck aus: Unser Blatt. Christliche Monatsschrift. Hrsg. im
Auftrage der Allgemeinen Bundeskonferenz der Mennoniten-Gemeinden
der SSSR in Moskau 1925. 1 Jg., 1926, Nr. 11 (August).
In den Jahren 1803 und 1804 wanderten aus WestpreuЯen, Danziger
Regierungsbezirk, Elbinger und Marienburger Kreis, eine Anzahl
ackerbautreibender Mennonitenfamilien aus, die in PreuЯen in sehr beschrдnkter
Lage lebten, um sich an der Molotschna, in Taurien, Sьd-RuЯland, eine neue
Heimat zu grьnden. Sie zogen in kleinen Transports, ohne besondere Anfьhrer.
In Chortitza(2), Gouvernement Jekaterinoslaw, angesiedelt 1789, wurde Winterrast
gehalten und, was mцglich, zur eigenen Ansiedlung vorbereitet.
In Frьhjahre 1805 zogen von diesen Einwanderern 12 Familien auf den fьr sie
bestimmten Plan im Orechowschen Kreise(3), 56 Werst sьdlich von der Kreisstadt
Orechow und 100 Werst von Berdjansk, eine Niederung des KurudujuschanfluЯes(4).
Das zur Bearbeitung abgesteckte Land war etwa 6 Werst lang und 1Ѕ bis 3 Werst
breit. Hier hatte man nicht nur genьgend Heuschlag, auch das ьbrige Land war an
Fьtterkrдutern reich und die Schwarzerde dem Getreidebau sehr gьnstig. Ohne
Gebьsch, von Waldungen keine Spur. Ebenso fehlte es an Steinbrьchen. Doch fand
man am Kurudujuschanflusse Thon, der gute Ziegeln und Dachziegeln lieferte, wie
es auch an dem dazu erforderlichen Sande nicht fehlte.
Wohnungen fand man keine vor, nur allein nomadisierende Nogaier zogen mit ihren
Filzhьtten (Kibitki(5) genannt) von Ort zu Ort, um die mцglichst beste Weide von
ihren Herden abgrasen zu lassen.
Wegen Arbeitermangel wurden den ersten Sommer wenig Wohnungen fertig, so daЯ im
kommenden Winter zwei bis drei Familien in einem Hause beisammen wohnen muЯten.
An Baumitteln dьrfte es nicht gefehlt haben, denn diese ersten 12 Familien
brachten ein Kapital von ca. 29.700 Rbl. mit, zu dem sie noch vorschuЯweise
3.755 Rbl. 75 Kop. von der Regierung erhielten.
1806 trafen weitere 8 Familien ein(6). Jetzt wurden die Grundstьcke durch Grдben
abgegrenzt, sowie Ackerland und Heuschlag eingeschnitten. Auf Wunsch der beiden
Wirte Gerhard und Claas Reimer erhielt die Kolonie mit Zustimmung der anderen
________________
(1) Prof. Unruh-Karlsruhe hatte die Liebenswьrdigkeit, uns diesen bei J. Stach
fehlenden Bericht zur Verfьgung zu stellen, wofьr ihm auch an dieser Stelle
gedankt sei. Ьber den Bericht selbst vgl. das Vorwort.
(2) Gemeint ist das Gebiet Chortitza, vgl. S. 1-26.
(3) Vgl. S. 89 Anm. 6.
(4) Vgl. S. 122 Anm. 6.
(5) Vgl. S. 104 Anm. 2.
(6) 1857: 21 Wirtschaften (129 Mдnner) auf 1365 Desj. und 23 landlose Familien
(61 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.
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Ansiedler den Namen Ohrloff, wie auch das preuЯische Heimatdorf geheiЯen hatte,
ausgezeichnet dort vor anderen durch eine schцne Anlage und gute Einrichtungen.
Anfдnglich waren die Nogaier den neuen Ankцmmlingen in ihren wirtschaftlichen
Bestrebungen sehr hinderlich; sie stцrten nicht nur bei der Arbeit auf dem
Felde, sondern raubten auch die wenigen Pferde, welche man so schon nur hatte;
aber auch sonst verschwand aus den Herden, was die Banditen ergattern konnten.
Die meisten Diebstдhle fielen gewцhnlich in die Saatzeit.
Am 1. Mai 1808 schlug ein Hagelschauer das Wintergetreide vollstдndig in den
Grund; das Sommergetreide wurde zwar auch rein abgeschlagen, wuchs jedoch noch
nach, lieferte aber nur eine geringe Ernte. An der Sturmseite blieb bei dieser
Gelegenheit auch keine Fensterscheibe ganz.
1810 und 1829 groЯes Viehsterben: zwei drittel der Herde fiel. 1822, im
September, lieЯen sich groЯe Heuschreckenschwдrme nieder, und 1823 verzehrte die
junge Brut beinahe alles, was grьn war, doch wurden nicht alle Felder davon
betroffen. Im kommenden 1824 Jahre waren ihrer schon weniger, doch MiЯwachs dazu
machten den Ernteertrag sehr schmal(1). In den folgenden zwei Jahren setzte die
Heuschreckenplage wieder ein, doch nicht ganz so verheerend wie anfangs. - 1827
waren sie jedoch so hдufig, daЯ sie fast alles verzehrten, worauf sie in den
folgenden Jahren allmдhlich verschwanden. Der grцЯte Teil der Ansiedler sah
damals noch in den Heuschrecken eine von Gott gesandte Plage, der man nicht
widerstehen dьrfe, weshalb auch im Kampfe gegen dieselbe keine rechte Einigkeit
erzielt werden konnte.
1833 MiЯwachs: heftige Oststьrme peitschten die sehr trockene Erde in die Luft;
an eine Ernte war nicht zu denken, das notwendige Getreide und Futter muЯte n
entfernten Gegenden teuer angekauft und mit Mьhe herbeigeschafft werden.
1838 am 11. Januar 9Ѕ Uhr abends gesellte sich zu alle dem noch eine
Erderschьtterung, jedoch ohne Nachteile fьr die Kolonie.
Den allmдhlichen Aufschwung der Kolonie Ohrloff begьnstigte die Umgestaltung der
Kolonialverwaltung im allgemeinen. Aus dem Vormundschaftskomptoir in
Jekaterinoslaw wurde ein Fьrsorgekomitee in Odessa, dessen Vorsitzender, der
Staatsrat Eug. v. Hahn, ein eifriger und einsichtsvoller Fцrderer des
Kolonialwohles wurde. Aber auch schon vor ihm war der Staatsrat S. v. Contenius
als Leiter des Vormundschaftskomptoirs in demselben Sinne sehr rege und mit
gutem Erfolge tдtig gewesen. Ihm lag ganz besonders die Veredelung der
Schafzucht am Herzen, und das in einer Zeit, wo wenig Getreidebau mцglich und
der Absatz des Getreides dazu noch ganz unmцglich war. -
Contenius war es auch, welcher den Anfang mit der Anpflanzung von Obstgдrten und
Maulbeerplantagen in den Kolonien machte, den Seidenbau einfьhrte und den
allgemeinen Wohlstand der Kolonie auf solche Weise bedeutend hob. Dazu kam der
allgemein bekannte Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Vereins, Johann Cornies,
Ohrloff, der die Sache an Ort und Stelle leitete, und solches mit solch einer
Energie und Umsicht, die einzig dasteht in der Geschichte unseres Volkes.
________________
(1) Vgl. S. 91 Anm. 4.
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Die regelmдЯige Schwarzbrache tat dann noch das Beste - und es besserten sich
auch die Ernten von Jahr zu Jahr, immer mehr Land kam unter den Pflug. So gings
mit schnellen Schritten vorwдrts, wozu auch der Umstand viel beitrug, daЯ die
Bewohner von alten Vorurteilen lieЯen und in der Wirtschaftsfьhrung neue Bahnen
einschlugen. So entstanden auch die neuerbauten, akkuraten und dauerhaften
Hдuser, auch einige Speicher wurden erbaut, dazu die meistenteils schцn
bepflanzten Grundstьcke - die heranwachsenden Gдrten und der an der sьdцstlichen
Seite grьnende Wald - alles das bietet dem Auge ein prachtvolles Bild, wenn man
von der im Sьd-Osten gelegenen hцheren Steppe auf die Kolonie niederschaut(1).