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Gemeindeberichte der Schwarzmeerdeutschen 1848.doc
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I. Das Chortitzaer Mennonitengebiet(1)

1. KurzgefaЯte geschichtliche Ьbersicht der Grьndung und des

Bestehens der Kolonien des chortizzer Mennonitenbezirkes

Eine 1848 im Auftrage des Chortitzaer Gebietsamtes von

Heinrich Heese(2) geschriebene Zusammenfassung. Abdruck

aus: Unterhaltungsblatt fьr deutsche Ansiedler im sьdlichen

RuЯland. 6. Jg. 1851, Nr. 8-10.

Vorerinnerung

Diese Gemeinde is so arm an genauen Urkunden ьber ihre Ansiedlung in RuЯland,

daЯ sie schon Mьhe hat den Inhalt ihres Verfahrens und ihrer Ereignisse

zusammenhдngend zum Andenken fьr die Nachkommenschaft, schriftlich darzustellen;

sogar von allem amtlichen Briefwechsel wдhrend der Verwaltung der Herren

Direktoren hier an Ort und Stelle(3), des Majors v. Essen(4), des Barons v.

________________

(1) Zur Geschichte der Mennoniten in RuЯland vgl. u.a.A. Ehrt: Das Mennonitentum

in RuЯland von seiner Einwanderung bis zur Gegenwart. Langensalza 1932; G.

Pisarevskij: Iz istorii inostrannoj kolonizacii v Rossii v XVIII v. (Aus der

Geschichte der auslдndischen Kolonisation in RuЯland im 18. Jh.). Moskau

1909; S.D. Bondar: Sekta mennonitov v Rossii(Die Sekte der Mennoniten in

RuЯland). Petersburg 1916; P.M. Friesen: Die Alt-Evangelische Mennonitische

Brьderschaft in RuЯland (1789-1910) im Rahmen der mennonitischen

Gesamtgeschichte. Halbstadt/Taurien 1911; ferner: D. Epp: Die Chortitzaer

Mennoniten. Versuch einer Darstellung des Entwicklungsganges derselben.

Odessa 1889.

(2) Auf der Flucht vor der franzцsischen Rekrutierung kam Heinrich Heese (geb.

1787 in PreuЯen) ins Schwarzmeergebiet und schloЯ sich erst hier dem

Mennonitentum an. Als Gebietsschreiber und Lehrer wirkte er 1818-1829

zunдchst in Chortitza, unterrichtete dann an der Ohrloffer Vereinsschule und

war 1841-1846 Lehrer des Russischen an der Chortitzaer Zentralschule (gegr.

1841), an deren Aufbau er regen Anteil nahm. 1848 zog er nach Einlage, wo er

bis zu seinem 1868 erfolgten Tode als Privatschullehrer tдtig war. Heeses

Verdienste um das mennonitische Schulwesen sind groЯ. AuЯer dieser im

Auftrage des Chortitzaer Gebietsamts verfaЯten "Ьbersicht" schrieb er die

"Kurze Geschichte unserer Mennoniten-Brьder", die nur in Auszьgen

verцffentlicht ist. Vgl. Mennonitisches Lexikon. Hrsg. Hege und Neff. Bd. 2,

Frankfurt a.M. 1937, S. 269 f.; P.M. Friesen a.a.O. S. 91 (mit Auszьgen aus

Heeses "Geschichte" S. 94).

(3) Der "Direktor und Kurator" bzw. "Befehlshaber" der auslдndischen Kolonien

in SьdruЯland war bis 1800 den Gouvernementsbehцrden direkt unterstellt. Er

ьbte gemeinsam mit den Kirchenдltesten die niedere Gerichtsbarkeit in den

Kolonien und fьhrte mit Hilfe der Deputierten bzw. Schulzen die Anordnungen

der Regierung durch (vgl. Epp a.a.O. S. 114, 116, 121, 130, 137,139). - Wir

vermissen hier die Nennung des ersten "Direktors und Kurators ьber die

Mennonitenkolonien", Georg von Trappe (vgl. S. 3), der auf Wunsch der

Mennoniten (vgl. § 17 ihrer Privilegeingabe bei Epp a.a.O. S. 31) ernannt

worden war, jedoch mit der Fortfьhrung seiner Werbetдtigkeit im Auslande

beschдftigt, die цrtliche Leistung des Siedlungswerkes nicht ьbernehmen

konnte.

(4) Es ist wohl kaum anzunehmen, daЯ D. von Essen Italiener war, wie Epp a.a.O.

S. 116 behauptet, obgleich nichts Nдheres uns ьber ihn bekannt ist.

Page 2

Brakkel und des Herrn Brigonzi(1), bis auf die Begrьndung des

Vormundschafts-Komptoirs der neurussischen auslдndischen Ansiedler in

Jekaterinoslaw i.J. 1800(2), ist das Archiv unsers Bezirksamtes ganz leer;

mithin kцnnen nur einzig die Zurьckerinnerung an die mьndlichen Ьberlieferungen

von glaubwьrdigen, schon verewigten Mдnnern, und ihre einfachen Notizen

(Aufzeichnungen) als Leitfaden zur nachstehenden geschichtlichen Beschreibung

dienen.

Aus dem Grunde, daЯ unsere Gemeinde nur eine einzige(3) kirchliche und

bьrgerliche Verfassung, nur ein gemeinschaftliches ursprьngliches Vaterland hat,

kann ihr Ursprung und Zustand auch am fьglichsten nur in einer einzigen

zusammenhдngenden Darstellung vorgetragen werden. Der deutlichern FaЯlichkeit

wegen fьr unsere Nachkommenschaft, und das Wohlgefallen, nicht weniger auch den

Nuzzen unserer Kinder berьcksichtigend, ist es auch noch unumgдnglich nцthig

eine kleine Ausschweifung mit Erzдhlung unserer frьhern Abstammung und Erzдhlung

der merkwьrdigsten Thatsachen aus der Geschichte unserer Urvдter, dem Inhalte

dieses Werkchens vorangehen zu lassen, welche ihn nicht ermьdend, sondern

vielmehr noch unterhaltender machen soll.

Unsere Urgemeinde hatte die Niederlande, namentlich die Provinzen Vlammland und

Friesland zu ihrem Vaterlande, woher sich auch die Benennung vlдmische und

friesische Mennoniten ableitet(4), die bis jetzt noch, sowohl in PreuЯen als

auch hier, in ihren Andachtsьbungen getrennt bestehen, jedoch nach Umstдnden mit

Zeugnissen von den Kirchenдltesten versehen, zu einander ьbertreten kцnnen. Zur

Zeit der Reformation in Deutschland trat ein katholischer Priester Namens Menno

Simon auf die Seite der taufgesinnten Brьder, und ordnete sie unter ein festeres

Band ihrer bisher bestandenen Gemeinschaft, nach welchem sich denn auch unsere

Benennung "Mennoniten" ableitet. Fortwдhrend wurden unsere Vorfahren ьberall

hart verfolgt, das bewog sie zum Theil ihre Zuflucht in die Bundesstдdte zu

nehmen, wo die bьrgerlichen Rechte ihnen mehr Schuz verliehen, so auch nach

________________

(1) Brigonzi, der seit 1797 "Direktor der neurussischen Kolonien" war (vgl. S. 1

Anm. 3), wurde 1800 zum Gehilfen des Oberrichters am "Vormundschafts"=

("Fьrsorge"- oder "Tutel"-) Kontor, der цrtlichen Verwaltungsbehцrde fьr die

Kolonien in SьdruЯland, ernannt, vgl. Polnoe Sobranie Zakonov (Vollstдndige

Gesetzessammlung), Erste Serie (weiterhin I PSZ) Bd. 26, Nr. 19372, S. 127.

(2) Die Schaffung des "Vormundschaftskontors" (vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19372, 6.

April 1800) war von Contaenius (vgl. S. 9 Anm. 2) angeregt worden. - Bereits

in der Amtszeit D. von Essens hatten die Deputierten Hцppner und Bartsch

(vgl. S. 4 Anm. 2 und S. 19 Anm. 1) alle ihnen anvertrauten Dokumente im

"Amt zu Chortitz" niederlegen mьssen, vgl. Epp a.a.O. S. 116.

(3) d.h. gemeinsame.

(4) Das trifft nicht zu, die Bezeichnung "Flдminger" und "Friesen" geht vielmehr

auf eine Gemeindespaltung zurьck, die sich 1566 unter den hollдndischen

Mennoniten vollzog. Erst in WestpreuЯen kam es zwischen diesen Gemeinden zu

einer Annдherung durch die seit 1772 gemeinschaftlich abgehaltenen Дltesten-

und Lehrerversammlungen. Doch bestanden bei der Auswanderung nach RuЯland

noch so starke Gegensдtze, daЯ sich diese Gemeinden getrennt ansiedelten,

obgleich auf Bitten G. von Trappes (vgl. S. 3) Amsterdam 1788 eine Einigung

angeraten hatte (vgl. den Brief der Amsterdamer bei Friesen a.a.O. S. 54 f.)

Die Flдminger waren strenger hinsichtlich der Erhaltung ihrer kirchlichen

Sitten und Gebrдuche und wurden daher auch in RuЯland die "Feinen", d.h. die

"Genauen" genannt im Gegensatz zu den "Groben", den weniger strengen, vgl.

Mennonitisches Lexikon Bd. 2, S. 8; Friesen a.a.O. S. 46.

Page 3

Danzig, von wo den auch unsere ersten Ansiedler vor 60 Jahren ausgewandert sind.

Bei Danzig machten sich unsere Voreltern verdient mit Austroknung der Sьmpfe

durch Kanдle- und SchleuЯenbau, worin sie die Geschiklichkeit aus den

Niederlanden mitgebracht hatten, schon nach wenigen Jahren waren sie lдngs der

Weichsel bis Warschau zu mit dieser Arbeit beschдftigt, auch lдngs der Pregel

und der Memel im damaligen Herzogthum PreuЯen. Dieser Umstand zog sie in groЯer

Anzahl aus den Niederlanden nach Polen hin, dessen Regierung sie nicht nur in

ihrer Glaubensьbung duldete, sondern ihnen auch ganze Bezirke solcher Sьmpfe

lдngs obigem Flusse zum Erbeigenthum verlieh, die sie nach und nach urbar und zu

fruchtbaren Grundstьkken umschufen.

Sie machten sich fette Viehweiden durch Einfьhrung des hollдndischen Klees, sie

schafften sich hollдndische Kьhe auf diese fetten Trifte an, die ihnen mehr als

das Doppelte des Ertrags, gegen die einheimlichen Kьhe einbrachten, ihre

reinliche hollдndische Kдse und Butter fanden stets Abgang, mit einem Worte, sie

wurden reiche Landwirte, und ihr Beispiel verbreitete Segen auch unter ihren

einheimischen Nachbarn, die es ihnen jedoch nie gleich thun konnten. Ihre Hдuser

zeichneten sich ьberall aus, nicht durch einen Anstrich, sondern durch

Sauberkeit und Bequemlichkeit, ihre Felder durch Getreide- und Graswuchs, und

ihr Vieh durch hьbschen Wuchs und Farbe.

In solchem ausgezeichneten Zustande fanden die Russen in dem siebenjдhrigen

Kriege in den drei Werdern bei Danzig, Marienburg und Elbing die

Landwirtschaften unserer Vorvдter an, die den Feldherren, hochverdienten

Mдnnern, wie Grafen Rumanzow(1) u.a. auffielen und bewogen, sich ьber alle

Gegenstдnde genau zu erkundigen, und dieser Zufall gab die erste Veranlassung

zur nachherigen Auswanderung der Mennoniten nach RuЯland, denn als die hohe

Regierung beschloЯ Auslдnder zu der Ansiedlung in den sьdrussischen Steppen zu

berufen, brachte seine Erlaucht der Graf Rumanzow auch die Mennoniten in

Vorschlag(2), und zwar mit so rьhmlichem ZeugniЯ, daЯ die hochselige Kaiserin

Katharina II. nicht Anstand nahm, ihren bevollmдchtigten Beamten fьr das

Geschдft der Einladung von Auslдndern, Major von Trapp(3), mit noch einem

________________

(1) Graf Peter Rumjancow-Zadunajskij (1725-1796), seit 1774 russischer

Feldmarschall, zeichnete sich in den Schlachten von GroЯ-Jдgersdorf und

Kunersdorf aus. Als Generalgouverneur von KleinruЯland nahm er regen Anteil

an der Hebung der Landwirtschaft und erteilte 1770 hutterischen Brьdern, die

in der russischen Gesetzgebung als Mennoniten bezeichnet werden, die

Erlaubnis, sich auf seinem Gut Wischenki, Gouv. Tschernigow, anzusiedeln.

Diese grьndeten 1801, nach dem Tode Rumjancows, auf Kronsland, 12 Werst von

Wischenki entfernt, die Kolonie Raditschew, vgl. A. Klaus: Nasi kolinii.

Opyty i materialy po istorii i statistike inostrannoj kolonizacci v Rossii

(Unsere Kolonien. Versuche und Materialien zur Geschichte und Statistik der

auslдndischen Kolonisation in RuЯland). Lief. 1, Petersburg 1869, S. 24-55

(die deutsche Ьbersetzung von T. Tцws, Odessa 1887, ist nicht vollstдndig).-

Auch Graf Zachar Tschernyschew, der wдhrend der 7 jдhrigen Krieges die

deutsche Landwirtschaft kennen und schдtzen gelernt hatte, versuchte spдter

Herrnhuter fьr die Gьter seines Bruders zu gewinnen. Vgl. Herwig Hafa: Die

Brьdergemeine Sarepta. Ein Beitrag zur Geschichte des Wolgadeutschtums.

Breslau 1936, S. 19 ff.

(2) Ьbereinstimmend hiermit auch Ap. Skal'kovskij: Chronologiceskoe obozrenie

istorii Novorossijskogo kraja 1730-1825 (Chronologische Ьbersicht der

Geschichte des Neurussischen Gebiets). Teil 1, Odessa 1836, S. 183.

(3) Ьber die Tдtigkeit des Kollegienassessors Georg von Trappe in Danzig und

Umgebung im Auftrage des Generalgouverneurs von NeuruЯland, Fьrst Potemkin,

vgl. Pisarevskij a.a.O. S. 262-338, und Paul Karge: Die Auswanderung west-

und ostpreuЯischer Mennoniten nach SьdruЯland (nach Chortitza und der

Molotschna) 1787-1820. In: Elbinger Jahrbuch, H. 3, Elbing 1923, S. 65-98.

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besonderen Auftrage an die Mennoniten in Danzig Allergnдdigst zu versehen. Es

war im August 1786 als obiger Beamte in Danzig eintraf, und auch bald nach

seiner Ankunft dem Kirchenдltesten der Mennonitengemeinde, Peter Epp(1), seinen

Antrag in Hinsicht der Mennoniten mittheilte, welcher ihn mit Wдrme und zur

schnellen Ausfьhrung befцrderte. Schon in Oktober deselben Jahres reisten zwei

Bevollmдchtigte von den Mennoniten, Jakob Hцppner und Johann Bartsch(2), nach

RuЯland ab, um in den Steppen von SьdruЯland ein bequemes Stьk Land zur

Ansiedlung aufzusuchen, und die Allergnдdigste Zusicherung unserer

Glaubensfreiheit, nebst anderen vorgeschlagenen Begьnstigungen auszumitteln,

wozu ihnen die Kosten von der Regierung verabfolgt wurden, und schon im November

1787 kehrten sie mit glьklicher Erreichung ihres Zwekkes nach Danzig zurьk. Sie

hatten sich zur Ansiedlung die Gegend bei Bereslaw(3), unweit Cherson, gewдhlt,

wo der Weg nach der Krim vorbeifьhrt, und wo sich die zwei Flьsse, Dnepr und

Konskaja, vereinigen, in denen die zwei an Gras- und Gehцlzwuchs reichen Inseln

Tawan und Karro(4) theils zu ihrem Gebiete gehцren sollten, wofьr sie aber bei

ihrer Einwanderung, auf den ausdrьcklichen Willen seiner Durchlaucht des Fьrsten

Potemkin(5), der damaligen Kriegsbewegungen halber, den Bezirk von Chortiz

annehmen muЯten, und somit war nun die Vorbereitung zur Auswanderung getroffen.

Auswanderung

Die ganze Zahl der Auswanderer, welche den Stamm unserer chortizzer Gemeinde

ausmachten, und aus den Werdern (Niederungen) von Danzig, Elbing und Marienburg

- unter ihnen an 30 Familien aus den Niederungen des Pregelflusses bei Gumbinnen

________________

(1) Peter Epp (1725-1789) war 1779-1789 Дltester der flдmischen

Mennonitengemeinde zu Danzig. Nдheres ьber ihn bei H.G. Mannhardt: Die

Danziger Mennonitengemeinde, ihre Entstehung und ihre Geschichte von

1569-1919. Danzig 1919, S. 122 und 127 ff.; Mennonitisches Lexikon Bd. 1

s.v.

(2) Jakokb Hцppner aus Bohnsack und Johann Bartsch aus der Neugarter Gemeinde,

vgl. I. Quiring: Die Mundart von Chortitz in SьdruЯland. Mьnchen 1928, S. 9;

Mennonitisches Lexikon Bd. 1, S. 128, Bd. 2, S. 346. Vgl. auch den von

Bartsch aus Dubrowna geschriebenen Brief bei Epp, a.a.O., S. 17 f., S. 24

und S. 37.

(3) = Berislaw bei der ehemals tьrkischen Festung Kyzykermen, die einen wichtigen

Stьtzpunkt der Russen in Kampfe gegen die Krim darstellte.

(4) = Kairo.

(5) 1774 zum Generalgouverneur von NeuruЯland ernannt, entfaltete Fьrst Gregor

Potemkin (1739-91) ein Gьnstling Katharinas II., hier eine auЯerordentlich

rege und mannigfaltige Tдtigkeit zur Besiedlung und ErschlieЯung dieses

wirtschaftlich brachliegenden Gebiets. Er berief auslдndische Kolonisten,

leitete die Ьbersiedlung russischer Bauern in die Wege, grьndete Stдdte,

z.B. Cherson 1778, Jekaterinoslaw 1778 u.a., legte StraЯen an, schuf

Fabriken, sorgte fьr die Anlage von Wдldern und Weinbergen. Durch den

Ausbruch des Krieges mit der Tьrkei (1787) wurde er an der Ausfьhrung eines

groЯen Teils seiner Plдne gehindert. Doch war die Erwerbung der Krim (1783)

sein Verdienst. Ьber seine Kolonisationsbestrebungen vgl. Th. Adamczyk:

Fьrst G.A. Potemkin. Untersuchungen zu seiner Lebensgeschichte. Emsdetten

1936, S. 28-49.

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- im Kцnigreich PreuЯen gebьrtig waren, bestand aus 228 Familien(1), lauter arme

Leuten, die ein besseres Loos fьr sich suchten, und schon im Mдrz 1788 aus ihrer

Heimath abreisten. Mehre zur Achse, 2 bis 3 Familien auf einer Fuhre, unter

Leitung ihrer Bevollmдchtigten Hцppner und Bartsch, die meisten zu Wasser ьber

Riga bis Dubrowna in WeiЯruЯland, wo sie denselben Sommer Glьklich ankamen, und

wo sie sich des Krieges wegen mit den Tьrken, bis zum kommenden Frьhlinge

aufhalten muЯten, unter guter Verpflegung von Seiten des Obristlieutenants Herrn

v. Stael(2). Erst im August 1789 langten sie am Ort ihrer Ansiedlung, in

Chortiz, an, die meisten nun schon auf eigenen Fuhren, welche sich eine Menge

Familien vom ErsparniЯ der Unterstьzzungsgelder bei Dubrowna angeschafft

hatten(3), die Ьbrigen aber den Dnepr herunter von Mohilew bis Jekatherinoslaw

auf Barken und von hier auf Russenfuhren. Nun waren die Mьhseligkeiten der Reise

vorьber, aber mit dem MiЯmuthe bei dem Anblik der sie umgebenden hohen Berge,

die sie fьr unbebaubar hielten, nahm nun zugleich auch die Noth ihren Anfang; -

auf die Bevollmдchtigten fielen die Beschuldigungen.

Lage, Beschaffenheit und Vortheil des Landes

Der chortizzer Bezirk zieht sich seiner ganzen Lдnge nach gegen Osten lдngs

demrechten Ufer des Dneprflusses hin, dem Gute des Herrn Mark(4), dem Kronsdorfe

Wosnesensk(5), der Kreisstadt Alexandrowsk(6) und der unserer Gemeinde

zugehцrigen Kolonie Schцnwiese gegenьber; sein Flдchenraum bildet mit seiner

Grдnze vom Ufer im Sьden bis zu demselben im Norden einen Halbzirkel, schlieЯt

an die Gьter der Herren Miklaschewski(7), Strukow, Lukaschewitsch und

________________

(1) Die gleiche Familienzahl gibt auch Contaenius in seinem Bericht, vgl. S. 8,

und I PSZ Bd. 26, Nr. 19372, 6. April 1800, S. 116; der Kameralhof jedoch,

der die Unterstьtzungsgelder auszuzahlen hatte, behauptete, daЯ 1789 und

1790 226 Mennonitenfamilien eingewandert wдren, vgl. Zapiski Odesskogo

Obscestva Istorii i Drevnostej (Schriften der Odessaer Gesellschaft fьr

Geschichte und Altertьmer). Bd. 2, Odessa 1848, S. 662 f.

(2) In der gedruckten Aufforderung zur Auswanderung "Einnцtigung der Mennonite

in das Kaisertum RuЯland", die Georg von Trappe verbreiten lieЯ, heiЯt es

ьber den Baron von Stael: "Dieser vortreffliche Mann, von gutem deutschen

Biedersinn und gutem Herzen, ist (wie auch eure Abgeordneten recht gut

wissen) ein guter Mennonitenfreund und Gцnner, und kennt euch noch vom

siebenjдhrigen Kriege her. Ich gebe auch mein Wort, daЯ er, der edle,

kenntnisvolle Mann, der sehr wohl weiЯ, wie gut die Mennoniten in RuЯland

fortkommen werden, in vorkommenden Fдllen, wo es darauf ankommt, fьr euch

sorgen und euch nьtzlich zu werden, sich eben so wenig als ich bedenken

wird, dem durchlauchtigen General-Gouverneur zu eurem Besten die Wahrheit zu

sagen und zu schreiben". vgl. Epp a.a.O. D. 45 f.

(3) Ьber die Hцhe der von der russischen Regierung gezahlten Verpflegungsgelder

vgl. S. 8.

(4) = Marki, vgl. I PSZ Bd. 35, S. 425 oder Mari, vgl. Eduard Doering: Aus den

Memoiren meines Vaters Friedrich Doering, eines nach RuЯland gesiedelten

Sachsen. Dresden 1903, S. 218 u.a.

(5) Woznesenskoje auf dem linken Dnepr-Ufer, vgl. P. Semenov:

Geograficesko-statisticeskij slovar' Rossijskoj Imperii

(Geographisch-statistisches Lexikon des Russischen Imperiums). Bd. 1,

Petersburg 1863, S. 506.

(6) Alexandrowsk, 1770 als Festung gegrьndet, wurde 1775 Kreisstadt des

damaligen Asowschen, seit 1806 Jekaterinoslawschen Gouvernements, vgl.

Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 60.

(7) Vgl. S. 6 Anm. 2 und S. 19 Anm. 1. Im 19. Jh. gab es auf den Gьtern von

Miklaschewskij und Strukow im Kreise Jekaterinoslaw groЯe Schдfereien. Vgl.

Semenov a.a.O. Bd. 2, S. 177.

Page 6

Latschinow, und liegt im Gouvernemente und Kreise Jekaterinoslaw(1), an 70

Werste von dieser Stadt entfernt; nur allein das der Kolonie Schцnwiese

angehцrige Grundstьck liegt im alexandrowskischen Kreise, von den Lдndern der

Bьrger desselben Kreisstдdtchens, der Gutsbesizzer, und im Westen vom Dnepr

umgrenzt.

Die Lage dieser ganzen Zirkelflдche ist durchweg, sowohl das ursprьnglich zur

Ansiedlung bestimmte, wie auch das von Herrn Miklaschewski, i.J. 1802

angekaufte, aus 12,000 Dessдtinen bestehende Stьk(2), bergig, von jдhen tiefen

Schluchten und Thдlern ьberall durchschnitten, welche die Landwirtschaft

ungemein erschweren; und obgleich die Дkker auf den Anhцhen sich noch so

ziemlich in nassen Jahren ausbeuten lassen, so bleiben sie doch stets gegen

jene auf den ebenen Steppen, die durchgдngig an 4-6 Werschok Dammerde haben, und

wo das Thau- und Regenwasser nicht ablaufen kann, zurьk; weit Kдrglicher aber

ergeben sich die auf denselben gelegenen Heuschlдge und Trifte. Die fьnf

Hauptthдler unseres Gebiets, in welche alle Nebenthдler und Schluchten

ausmьnden, und deren Bдche in manchen Frьhlingen oder nach starken Platzregen,

eine nicht geringe Masse Wasser in den Dnepr ergieЯen, im Sommer aber ganz

austroknen, haben auf der Zirkelflдche von Norden nach Sьden aufgezдhlt,

folgende Benennungen: 1) untere Chortiza, 2) mittlere Chortiza, 3) obere

Chortiza, 4) Tomakowka und 5) Heidutschina(3) (Schlangenthal); von den 14

Kolonien Einlage, Insel-Chortiz und Schцnwiese ьber dem Dnepr. Alle

Bergschluchten lдngs dem Dneprufer und besonders der grцЯte Theil der, ein

eigenes Kolonial-Grundstьk ausmachenden Insel, waren mit Waldungen dьfter

besezt. Da gab es prдchtige Hochstдmme von Eichen, Pappeln, Ulmen, Weiden, wilde

Birn- und Apfelbдumen, mitunter auch Linden und Ahorn, auЯerordentlich viele

Gestrдuche von Schlehhekken und Hagedorn, Hollunder u.a.m., und die ьberall

wuchernden Schlingpflanzen, worunter auch viel Hopfen, machten die Wдlder fast

unzugдnglich; auch wilde Weinreben wachsen bis heute noch auf obiger Insel(4).

Diese Urwдlder sind alle, auЯer noch hin und wieder einigen alten Stдmmen,

dahin, die heutigen hьbschen Wдldchen, die eine Grundflдche von ьberhaupt 819

DeЯдtinen einnehmen, sind alle nur ein junger Anflug seit 25 Jahren, wo Ordnung

und Aufsicht eintrat(5), zu dieser Schцnheit emporgewachsen, der alte Wald erlag

endlich den дuЯersten Bedьrfnissen und Willkьhr der Ansiedler. Der DneprfluЯ

liefert zwar einen Vortheil im Fischfange, aber nur einen so kдrglichen, daЯ er

den angrenzenden 4 Dorfgemeinden von Einlage, Rosenthal, Insel-Chortiz und

Schцnwiese einen jдhrlichen Pachtertrag zusammen von nicht mehr als 45 R.S.(6)

abwirft. Bei der Kolonie Rosengart hat man erst kьrzlich ein Kalksteinlager

________________

(1) Nach den Plдnen von Potemkin sollte das 1786 an der Stelle unbedeutender

Siedlungen errichtete Jekaterinoslaw Mittelpunkt des gesamten

Schwarzmeergebiets werden, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 2, S. 176.

(2) Nach I PSZ Bd. 28, Nr. 21909, war das von Miklaschewskij, dem ehemaligen

Zivilgouverneur von NeuruЯland, fьr 24000 Rbl. gekaufte Grundstьck 11755

Desj. groЯ; 150 Familien sollten ursprьnglich hier angesiedelt werden.

(3) = ukrainisch Hajdutschyna.

(4) vgl. unten S. 11.

(5) durch die Wirksamkeit von Isaac Tцws (vgl. S. 16), der 1823-1826 Oberschulz

des Chortitzaer Gebiets war, vgl. Epp a.a.O. S. 119.

(6) d.h. Rubel Silber, vgl. S. 106 Anm. 1.

Page 7

entdekt, aus welchem bereits ein Bruch fьr 2 Kalkцfen begonnen hat. So ist der

Naturzustand unserer Steppe beschaffen, die mit dem Grundstьkke von Schцnwiese

auf dem jenseitigen Ufer des Dnepr, zusammen einen aus Sandflдchen lдngs dem

Dneprflusse und aus nur meistens thonhaltigen Erdfдllen lдngs den Bergschluchten

bestehendes Land enthдlt, auf welcher vor unserer Ansiedlung nur etliche

Familien Kronsbauern, auf dem Plazze der Kolonie Chortiz gesessen und noch

sieben bewohnbare Hьtten zurьckgelassen hatten.

Schicksale unserer Auswanderer und Verfьgungen ьber sie

zu ihrer Ansiedlung

Ein gewisser Major von Essen(2), ein alter, guter aber schwacher Mann, hatte

schon auf der Reise bei Krementschug die Leitung ьber unsere Auswanderer

ьberkommen, richtete aber wenig zum besten fьr sie aus, unerachtet er einige

Jahre sein Amt in Chortiz persцnlich verwaltete. Die Deputirten Hцppner und

Bartsch waren die Seele aller seiner Handlungen, die bei gьnstigern Umstдnden

und bessern Mitteln auch wol sicher besser ausgefallen wдren; Hцppner war

entschlossen und Bartsch nachdenkend. Indessen kam der Herbst herbei und fand

unsere Vдter noch mьssig unter ihren Zelten liegen. Das Bauholz war

ausgeblieben, die Unterstьzzungsgelder auch, der Vorrath war aufgegangen, und

Krankheiten, am meisten die rothe Ruhr, rafften bei dem Mangel aller дrztlichen

Hilfe, viele Opfer dahin, der MiЯmuth war groЯ, und der Wahn, als seien die

mдchtigen Berge der Landwirtschaft ein unьberwindliches HinderniЯ, prдgte sich

so fest ein, daЯ er einige Jahre lang das Emporkommen hartnдkkig hemmte. In

dieser herangerьkten spдten Jahreszeit nun traf die Behцrde die mцglichsten

Mittel, die Gemeinde vor dem Untergange zu retten. Sie wurde in Winterquartire

verlegt, und selbst aus den Kronsmagazinen genдhrt. AuЯer den wenigen Familien,

die in den zurьckgebliebenen Chaten(3) zu Chortiz Plaz fanden, wurden die

Ьbrigen theils in der Festung bei Alexandrowsk(4), wo sie an dem Kommandanten,

Herrn v. Schwarz(5), einen theilnehmenden Beschьzzer fanden, teils in dem

Kronsdorfe Wolochski(6), nahe bei Jekatherinoslaw untergebracht, mit dem

________________

(1) Die Angaben ьber das von der Regierung verliehene Land schwanken innerhalb

dieses Berichts (vgl. S. 10). Auch A. von Harthausen: Studien ьber die

inneren Zustдnde, das Volksleben und insbesondere die lдndlichen

Einrichtungen RuЯlands. Teil 2, Hannover 1847, gibt verschiedene Landmengen

an, ohne es zu bemerken, nдmlich 32663 Desj. (S. 177), 32648 Desj. (S. 175,

so auch Beitrдge zur Kenntnis der Mennoniten-Gemeinden in Europa und

America, statistischen, historischen und religiцsen Inhalts. Hrsg. von

Reiswitz und Wadzeck. Berlin 1821, S. 382) und 32684 9/40 Desj. Letztere

Zahl wird gestьtzt durch den recht zuverlдssigen Klaus a.a.O. Beilage 2, S.

32. E. von Hahn im: Unterhaltungsblatt fьr die deutschen Ansiedler im

sьdlichen RuЯland. Jg. 2, 1847, S. 17 bringt die Zahl von 33682 Desj.

(einschlieЯlich des Schдfereilandes).

(2) Major D. von Essen war "Direktor" Der Ansiedlung, vgl. S. 1.

(3) russisch ukrainisch chata "Bauernhaus, Hьtte".

(4) vgl. S. 5 Anm. 6.

(5) vgl. S. 19 Anm. 1.

(6) = Wolostoje, 20 Werst von Jekaterinoslaw entfernt, am Dnepr gelegen, vgl.

Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 532.

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Frьhlinge 1790 wurden sie sдmmtlich auf ihren Ansiedlungsplaz zurьkberufen, und

mit der Ansiedlung zu Werke geschritten mit sehr jдmmerlichem Erfolge.

Verabfolgte Unterstьzzung von der Krone

Laut der den Deputirten, Hцppner und Bartsch, Allergnдdigst bewilligten

Bedingungen(1), waren von der Regierung folgende Unterstьzzungen verabfolgt, an

baarem Gelde: 1) zur Errichtung der Wirtschaften zu 500 Rub. auf jede Familie;

2) an Nahrungsgeld von der Ankunft auf der Grenze bis zur Beendingung der Reise,

auf die Seele ьber 15 Jahre tдglich zu 25 Kop., darunter zu 12 Kop.; 3) Von der

Ankunft auf Ort und Stelle bis zur nдchsten Ernte auf die Seele zu 10 Kop.; 4)

die Verabfolgung von 120 Stьk 4fadige Balken auf jede Familie, und das Nцthige

Bauholz zu 2 Mьhlen ьberhaupt und 6 Mьhlsteine; 5) verschiedene Sorten Getreide

zur Aussaat, mit Wiedererstattung; 6) Fuhren von der Grenze bis zum

Ansiedlungsorte, und 7) zu 65 DeЯдtinen tauglichen Landes auf jede Familie. Das

waren die Allerhцchst den Deputirten genehmigten Bedingungen(2). Auf

Veranlassung einer von Seiten der Expedizion der Reichsdomдnen und Vormundschaft

der Auslдnder, durch den Hofrath Herrn v. Contenius, i.J. 1799 gemachten

Revision(3), erwies es sich aber, daЯ die Rentkammer eine Baare Unterstьzzung,

an die erste Auswanderung von 288 Familien(4) 237,001 Rub. 60 Kop., und an die

zweite, von welcher nachstehend die Rede sein wird, von 118 Familien 121,235

________________

(1) Vgl. den ins Russische ьbersetzen Vertragsentwurf der Deputierten vom 22.

April 1787 mit den Resolutionen von Potemkin bei Pisarevskij a.a.O. S.

229-304, ferner den "Extract" bei Epp a.a.O. S. 24-32 und I PSZ Bd. 26, Nr.

19372. - Die Auszahlung der den Ansiedlern versprochenen Unterstьtzung

erfolgte jedoch in Raten, weil der Tьrkenkrieg RuЯland finanziell geschwдcht

hatte und Potemkin, der sich besonders fьr eine Besiedlung des

Schwarzmeergebiets einsetzte, 1791 starb, vgl. Pisarevskij a.a.O. S. 336.

Aus diesen Grьnden hatten die Mennoniten bis zum 31. Mдrz 1792 nur 117387

Rbl. 68ѕ Kop. erhalten, vgl. Zapiski Odesskogo Obscestva Istorii i

Drevnostej, Bd. 2, S. 662 f. Ьber Rubel Banco Assignaten vgl. 106 Anm. 1.

(2) Ursprьnglich hatten die Mennoniten u.a. um 25 Kop. "Nahrungsgeld" sowohl fьr

Erwachsene wie Kinder und um die Auszahlung der 500 Rbl. zu je 100 Rbl.

monatlich, gerechnet von ihrer Ankunft in Riga, gebeten, vgl. Pisarevskij

a.a.O. S. 299-304.

(3) Mit der Verwaltung der Kolonien in NeuruЯland waren zunдchst die zu den

Kameralhцfen (Kazennye palaty, hier Rentkammern genannt) gehцrenden

Direktoren der Hauswirtschaft (Цkonomiedirektoren) betraut. Nachdem das Amt

der Цkonomiedirektoren am 31 Dezember 1796 beseitigt worden war, erhielt die

1797 neugegrьndete Expedition der Staatwirtschaft, der Vormundschaft ьber

die Auslдnder und des lдndlichen Hauswesens u.a. die Oberaufsicht ьbertragen

(vgl. I PSZ Bd. 24, Nr. 18021). Zur Ьberprьfung der wirtschaftlichen Lage

der deutschen Kolonisten entsandte sie Samuel Kontaenius (vgl. S. 9 Anm. 2)

nach NeuruЯland und 1802 Karl Hablitzl ins Wolgagebiet. Contaenius' Bericht

vom 6. April 1800 (vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19372) enthдlt wichtige Angaben

ьber die Entstehungsgeschichte der Kolonien und wohl ьberlegte Vorschlдge

zur Beseitigung der MiЯstдnde.

Zur Entwicklungsgeschichte der "Expedition" vgl. V. Vesnjakov: Ekspedicija

Gosudarstvennogo Chozjajstva. In: Russkaja Starina (Das russische Altertum).

Petersburg 1901, Oktober, S. 195-205, November, S. 403-422.

(4) soll wohl heiЯen: "228 Familien".

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Rub. 33 Kop., ьberhaupt 358,236 Rub. 99 Kop. Ass. abgelassen hatte(1). Ьberdies

wurden durch Vermittlung des bei dem im folgenden Jahre 1800 zu Jekaterinoslaw

errichteten Vormundschafts-Komptoir ьber die neurussischen auslдndischen

Ansiedler, angestellten Oberrichters v. Contenius(2), aus Rьksicht der groЯen

Armuth der Ansiedler und unregelmдЯiger Unterstьzzung zum Aufbau ihrer Hдuser zu

verschiedenen Zeiten an die damaligen Дltesten (Hцppner und Bartsch hatten schon

fallen mьssen) bedeutende Summen zum Nuzzen der Gemeinde verabfolgt, wobei es

wieder ohne Nachlдssigkeit und MiЯbrauch nicht abging, zur anschaffung von

Getreide zur Aussaat und Nahrung, einer Branntweinbrennerei, Akkergerдthe,

Flachs, Webestьhle und Spinnrдder, Zuchtvieh, zur Versiedlung von 66 Familien,

i.J. 1803 auf das von Herrn Miklaschewski zugekaufte Land(3), in die 2 Kolonien

Burwalde und Nieder-Chortiz, ьberhaupt 42,686 R. 88Ѕ K. B. Ass., ьber welche

keine Rechnung ins Archiv der Gemeindeverwaltung niedergelegt wurde, daЯ jedoch

nicht nach den bestimmten jдhrlichen Zielen, sondern unter Allergnдdister

Nachsicht mit steter Berьksichtigung des Wohlstandes, vom Jahre 1805 an, den

Rest erst im Jahre 1847 richtig abgezahlt hat; die Zurьckzahlung der Reisegelder

war indeЯ der Gemeinde, auf unterthдnigste Bitte, erlassen worden(4).

An eigenen, aus PreuЯen mitgebrachten Mitteln, besaЯen unsere Eltern

durchschnittlich nichts, selbst ihre Sachen in den Kisten waren ihnen auf dem

Wasser, theils etwas, theils ganz verdorben.

________________

(1) In seinem Bericht gibt Contaenius an, daЯ die ersten 228 (sic!) Familien

238203 Rbl. 93 Kop. und die weiteren 118 Familien 142771 Rbl. 18 Kop.

erhielten, doch wurden ihnen die Reiseunkosten in Hцhe von 1202 Rbl. 27 Kop.

bzw. 21535 Rbl. 85 Kop. erlassen, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19372, S. 121. -

Die Personenzahl dieser 346 Familien wird mit 1696 angegeben, vgl. Ctenija

Obscestva Istorii i Drevnostej Rossijskich (Vorlesungen der Gesellschaft fьr

Russische Geschichte und Altertьmer) Bd. 231, Moskau 1909, Vermischtes S.

41.

(2) Samuel Contaenius, geb. 1750 in Westfalen, gest. 1830 in Jekaterinoslaw,

beigesetzt in der Kolonie Josefstal, trat 1785 in den Russischen

Staatsdienst. Als Rat des Geographischen Departements wurde er 1799 mit der

Revision die deutschen Kolonien in NeuruЯland betraut (vgl. S. 8) und 1800

zum Kollegienrat und Oberrichter des auf seinen Vorschlag hin gegrьndeten

Fьrsorgekontors in Jekaterinoslaw ernannt, dem er bis 1818 vorstand. Seinem

weitsichtigen und unermьdlichen Wirken verdanken die deutschen Kolonien des

Schwarzmeergebiets ihren spдteren Wohlstand. Eine Wьrdigung seiner

Verdienste um die Hebung der landwirtschaftlichen Kultur in RuЯland wird in

einem der nдchsten Bдnde dieser Reihe erfolgen. Vgl. ьber ihn Conrad Keller:

Die deutschen Kolonien in SьdruЯland. Bd. 1, Odessa 1905, S. 49-51; A.M.

Fadeev: Vospominanija (Erinnerungen). In: Russkij Archiv (RuЯisches Archiv),

Moskau 1891, S. 321 f.; Mennonitisches Lexikon Bd. 1, Frankfurt a.M. 1913

s.v.

(3) vgl. S. 6 Anm. 2.

(4) Der Beginn der Rьckzahlung des zunдchst auf 10 Jahre gewдhrten Darlehns (vgl.

I PSZ Bd. 26, Nr. 19372) wurde am 6. September 1800 fьr die im Chortitzaer

Gebiet lebenden Mennoniten auf weitere 5 Jahre hinausgeschoben (vgl. I PSZ

Bd. 26, Nr. 19546) und am 9. September 1805 (vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21909)

der Vorschlag angenommen, daЯ eine jede Familie des Chortitzaer Gebiets nach

Ablauf der Freijahre 25 Rbl. (10 Rbl. 42Ѕ Kop. als Landsteuer, 14 Rbl. 57Ѕ

Kop. als Schuldentilgung) zu zahlen hat. Die Gesamtschuld wird mit 387019

Rbl. angegeben und die fьr den Landkauf bei Miklaschewskij verausgabte Summe

24000 Rbl. erlassen, weil jene Mennoniten sonst auf selbstgekauftem Lande

eine Sonderstellung einnehmen wьrden.

Page 10

Ansiedlung im Jahre 1790

Auf dem ursprьnglich bestimmten Bezirke von Chortiz, bestehend aus 42,235

DeЯдtinen(1), lieЯen sich obige 228 Familien(2) in 8 nachbenannten Kolonien

nieder, aber vom Hдuserbau konnte da noch keine Rede sein, es mangelte an den

Mitteln dazu. Erdhьtten waren ihre Wohnungen. Das zu verschiedener Zeit in

kleinen Theilen verabfolgte Geld, zu 34 Rub. auf die Familie, auch noch

weniger(3), wurde aufgezehrt, auch dazu von dem in geringer Gьte bestehenden

Holze viele Balken, zu demselben Zwekke, verkauft, und der angesteke Wahn, das

Land tauge nichts, es mьsse ein besseres aufgesucht werden, hemmte fast alle

Thдtigkeit. Erst 4 Jahre darauf begann der Hдuserbau, freilich noch unregelmдЯig

und ohne Betriebsamkeit. Die Gesellung der Familien in Dorfgemeinden, und die

Auswahl der Ansiedlungsplдzze, ging mit freiwilliger Ьbereinkunft von statten.

Die entstandenen Kolonien kцnnen am fьglichsten in folgender Ordnung aufgezдhlt

werden:

1) Chortiz, im Gipfel des Tales "obere Chortizza", davon auch ihre Benennung

abstammt, ziemlich regelmдЯig angelegt, hat in ihrer, von hohen Bergen umringten

Lage, ein recht angenehmes Aussehen. Die Ausrottung des finsteren Eichwaldes

durch die ersten Ansiedler, von welchem auf der Spizze des Thales noch ein

kleiner Ьberrest mit einem jungen Anfluge steht, ist spдter von ihnen und ihrer

Kindern durch Anpflanzung von Baumgдrten rьhmlichst entschдdigt worden(4). Auf

die Verteilung des Landes in Grundstьkke wurde damals noch nicht gedacht; ein

Jeder Pflьgte und erntete Heu wo er wollte, aber immer nur ganz in der Nдhe der

Kolonie; erst einige Jahre spдter wurde der Bezirk in Dorf- und Nachbargrдnzen

vermessen(5). Ursprьngliche Ansiedler an der Zahl 34(6).

2) Rosenthal(7), Wohnort des Deputirten Bartsch, in demselben Thale "untere

Chortizza", wo sich dasselbe angenehm erweitert, und durch seinen Ausgang gegen

den Dnepr in 2 Armen eine mit einer kleinen Gruppe junger Eichen besezte,

durchweg aus einem sandigen Boden bestehende, nur spдrlichen Graswuchs

hervorbringende Insel, "der Schweinskopf" genannt, bildet. Ihre Benennung bekam

sie von dem daneben liegenden Thale, in welchem spдter, auf Verordnung des Herrn

v. Contenius, die Gemeindeplantage angelegt wurde(8), wo viele milde Rosen

wuchsen. Ihr aussehen wird sehr verringert durch ihre verstreute Anlage,

ungeachtet ihrer im Durchschnitt recht schцnen Hцfe, weil das Dorf in einer Ekke

des Grundstьks liegt, ist der Anbau ihrer Felder sehr erschwert. Die Anpflanzung

kommt im Thale, der Salpetererde wegen, nur sehr mьhsam fort, wogegen die Gдrten

auf den hцheren Plдzzen recht hьbsch aussehen. An besonderen Eigenschaften

________________

(1) Vgl. S. 7 Anm. 1.

(2) Vgl. S. 9 Anm. 1.

(3) Vgl. S. 8 Anm. 1.

(4) Die Aufforstung des Landes wurde den deutschen Siedlern von der russischen

Regierung bereits am 7. Juli 1803 (vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20841) zur Pflicht

gemacht und in der Folgezeit von der Kolonialbehцrde aufs strengste

ьberwacht.

(5) Eine gleichmдЯige Aufteilung des Landes auf die einzelnen Wirtschaften muЯ

erstmalig um 1805 stattgefunden haben oder wenigstens beabsichtigt worden

sein, als die Art dir Schuldentilgung geregelt wurde. Vgl. S. 9 Anm. 4.

(6) d.h. Ansiedlerfamilien = Wirtschaftshцfe. Vgl. S. 18 Anm. 2.

(7) Russischer Name: Kancerovka.

(8) gegr. 1801. vgl. S. 23.

Page 11

besitzt sie auch auf denjenigen Stellen lдngs den sьdlichen Ufer des Thales, wo

frьher Urwдlder waren, jezt einen recht hьbschen jungen Anwuchs, auch hat sie

einen kleinen Fischfang auf dem Dnepr, der ihr in der Pacht 6 Rub. Silb.

Jдhrlich einbringt. Die Zahl ihrer ersten Wirte war 20.

3) Insel-Chortiz(1), Wohnort des Deputirten Hцppner(2), der sogleich diese Insel

gleichen Namens, die einen Flдchenraum von 7 Werst Lдnge und 3 Werst Breite

enthдlt, mit noch 11 Familien bezog, auf welcher damals 2 Chaten fьr die Hьter

des Waldes, und des vom Fьrsten Potemkin angelegten Gartens, standen(3). Die

Kolonie liegt hart am Ufer des linken Dneprarmes, mit dem jдhen Rande der hohen

Steppe gleich einer Burg im Rьkken. Vor Ьberschwemmung bei auЯerordentlich hohem

Wasserstande des Dnepr nicht hinlдnglich geschьzt, in ihrem Aussehen aber, durch

die niedlichen Baum- und Gemьsegдrten, recht angenehm. Die ganze Insel enthдlt

einen sandigen Boden, dessen Saatfelder in nassen Jahren zwar einen so

ziemlichen Gewinn einbringen, in dьrren und heiЯen Sommern aber die Arbeit, Mьhe

und Kosten nicht lohnen. Auch das Gras auf den Triften steht sehr dьnn, aber

recht gedeihlich fьrs Vieh, mit dem schцnen Trдnkwasser im Dneprflusse.

Besondere Vortheile hat die Gemeinde noch an dem jungen Wдldchen und Fischfange,

der jedoch nur ein Nebengeschдft ausmacht und nicht mehr als 12 Rub. Silb.

jдhrlich an Pacht eintrдgt. Der GroЯe auf der untern Spizze der Insel

befindliche Wald ist kein Eigenthum dieser Kolonie, sondern gehцrt der ganzen

Chortizzer Gemeinde an, die auch einen Hьter darin unterhдlt, nur die Grasplдzze

im ganzen Walde benuzt diese Gemeinde ausschlieЯlich zu Heuschlдgen. Erste Zahl

der Ansiedler 12.

4) Einlage(4), seiner Lage wegen, an einer Krьmmung des Dnepr, nach einem Dorfe

gleichen Namens, in дhnlicher Lage, an der Nogat in PreuЯen also genannt, fand

bei ihrer Niederlassung eine einzige Bauernhьtte, unweit der Ьberfahrt von

Kitschkas, wo eine TschumakkenstraЯe(5) aus Polen nach dem Don durchfьhrte. Auch

fand sie Ufer und Seitenthal, mit den Schцnsten Eichen, wilden Birn- und

Apfelbдumen dьster besezt, denen aber ein gleiches Schicksal der Ausrottung

widerfuhr, und welche gegenwдrtig durch die Pflege des jungen Zuwachses und

Anpflanzung von Baumgдrten ersezt werden. Auch hier ist der Fischfang nur eine

Nebensache mit einem jдhrlichen Einkommen aus der Pacht von 18 Rub. Silb. Diese

Kolonie liegt ebenfalls auf dem дuЯersten Ende ihres Grundstьkkes, welches

seinen besten Boden auf dem Hintertheile und einen sandigen auf dem Vordertheile

um das Dorf herum hat, der jedoch, besonders im Frьhlinge, wo das Gras Frьhe

hervorkommt und bei hinlдnglicher Feuchtigkeit stark wuchert, so ziemlich

weidet, bei eintretender Hizze aber verschwindet. Das Dorf ist an 2 Werst lang

und seine Lage, der Krьmmung des Thales und der Felsengruppen wegen, ganz

________________

(1) auch Kamp genannt. Vgl. die Beschreibung dieser Insel und ihrer

strategischen Bedeutung be D.I. Evarnickij: Ostrov Chortica na reke Dnepre

(Die Insel Chortitza am Dnepr-FluЯ). In: Kievskaja Starina (Das Kiewer

Altertum).

(2) Vgl. S. 19 Anm. 1.

(3) Vgl. S. 6.

(4) Russischer Name: Kitschkas.

(5) Der "Tschumakenweg", die alte SalzfahrerstraЯe, verlief von Kitschkas auf

dem linken Dnepr-Ufer bis Kachowka und dann sьdцstlich nach Perekop. Noch im

19. Jh. kommt dieser StraЯe eine groЯe Bedeutung zu, vgl. V.P.

Semenov-Tjan-Sanskij: Rossija. Bd. 14, Petersburg 1910, S. 436 und S. 136

Anm. 1.

Page 12

unregelmдЯig, ьbrigens steht es durchaus nicht zurьk an schцnen Hдusern und am

Wohlstande, und ein Freund der Natur wird bei der Durchreise den Wechsel der

durchschnittlich hьbschen Hдuser mit Baumgдrten, hohen mit jungen Eichen

bedekten Felsen recht ьberrascht und anziehend finden. Erste Ansiedler 41.

5) Kronsweide, eine von den Ansiedlern freiwillig angenommene, aus der Natur

abgeleitete Benennung, ursprьnglich am Ufer des Dneprs auf einer Felsenflдche

angebaut, wo weder Baum noch Kьchengewдchs gedieh; wo ihre Aussicht unfreiwillig

an die Wьste von Arabien erinnerte, weЯhalb sie auch, aber erst im Jahre 1833,

und aus Mangel an einem bequemern Ansiedlungsplazze, in eine tiefe, schmale

Schlucht, einen Arm des Thales Heidutschina(1) versezt, und nur 6 Wirte auf

ihren alten Stellen an einer kleinen, tiefen, von ihnen bepflanzten Schlucht,

zurьckgelassen wurden. Dieses Dorf scheint nun wie von der Erde verschwunden zu

sein, das Thдlchen macht sich dem Auge schon ganz in seiner Nдhe kaum bemerkbar,

seinen innern Schaz verbirgt es so lange, bis man erst vom Rande hinunter auf

die Gruppe der recht ordentlich eingerichteten Hдuser, die auf den Abhдngen

prangenden Obstgдrtchen und die hin und wieder verschont gebliebenen,

dьsterbelaubten wilden Birnbдume hinabblikt. Ein Dichter wьrde hier groЯen Stoff

zur Begeisterung finden, die Bewohner aber finden ihre stellenweise sehr jдhe,

gekrьmmte, der steten Ausbesserung bedьrftige DorfstraЯe zum Einfahren der

Feldfrьchte sehr beschwerlich, dennoch stehen sie an Erwerbsamtkeit nicht zurьk,

und waren stets ein den Vorgesezten gehorsames Vцlkchen, der Friesischen Partei

angehцrig(2). Stammeinwohner 35.

6) Neuenburg(3), ihr Name aus PreuЯen abstammend, liegt im Gipfel des Thales

Heidutschina, ist auch erst in ihrer Nдhe dem Auge anschaulich und gerade an der

groЯen, in ihrer Mitte durchfьhrenden StraЯe nach der kitschkasser

Ueberfahrt(4), am unansehnlichsten, jedoch am Wohlstande und auch an Anpflanzung

nicht zurьckstehend. Ihr Grundstьk ist eins von den ebensten und vorzьglichsten.

Uransiedler 16.

7) Neuendorf(5), ihr Name gleichfalls aus PreuЯen ьbertragen, liegt im Gipfel

des Thales Tomakowka, lдngs seinen Krьmmungen, die ihr Aussehen sehr verringern,

welches sie bei einer regelmдЯigen Anlage, mit ihren recht guten Hдusern und

Baumgдrten, haben wьrde. Auch sie liegt am Rande ihres Grundstьkkes, das von

recht guter Eigenschaft und in seiner flachen Abdachung gegen das Dorf hin recht

bequem und ergiebig ist. Ursprьngliche Wirte 38.

8) Schцnhorst(6), ihr Name ebenfalls aus dem Werder in PreuЯen, auch an der

Tomokowka unter Neuendorf, unregelmдЯig an dem Rande ihres, dem neuendorfer an

Eigenschaft und Bequemlichkeit ganz дhnlichen Grundstьkkes, angebaut. Erste

Ansiedler an der Zahl 32.

So war den unsere Stammgemeinde in obige 8 Kolonieen, und aus ьberhaupt 228

Familien, durch die mehrbenannten 2 Deputirten, unter der Aufsicht des Majors v.

Essen, angesiedelt, und in ein gemeinschaftliches Band zur Befцrderung ihrer

Wohlfahrt in natьrlicher und sittlicher Hinsicht verknьpft, denn auch ein

Lehrerpersonal war schon ausgewдhlt, welches die Andachtsьbungen unterhielt, und

________________

(1) = ukrainisch Hajdutschyna.

(2) Vgl. S. 2 Anm. 4.

(3) Russischer Name: Malaschewka.

(4) Vgl. S. 11 Anm. 5.

(5) Russischer Name: Schirokoje,

(6) Russischer Name: Wodjanaja.

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ein Kirchenдltester wurde ihr 1795 eingesegnet, durch einen von PreuЯen zu

diesem Zwekke angereisten Oberhirten(1). Herr v. Essen wurde bald nach der

Ansiedlung durch einen gewissen Baron v. Brakkel im Amte ersezt, welcher durch

seine Festigkeit schon mehr Achtung den Ansiedlern einflцЯte(2), und ihren

Hдuserbau etwas strenger befцrderte(3).

Zusiedlung im Jahre 1797

In den Jahren 1793-1796 reisten immer noch neue Transporte Mennoniten aus

PreuЯen an, ьberhaupt 118 Familien, welche grцЯtentheils in den chortizzer

Kolonieen, der Ueberrest aber, wegen Mangel an Raum in den wenigen Hдusern, im

Stдdtchen Alexandrowsk einquartiert wurden. Diese neuen Ankцmmlinge werden die

zweite Auswanderung genannt. Da einige von diesen Leuten etwas eigenes Geld auch

Vieh deutscher Rasse mitgebracht hatten, und zu Zeiten(4) Unterstьzzungsgeld

erhielten, so flцЯten sie schon ein kleines Leben den erstarrten Gliedern der

Stammgemeinde ein, die nun zugleich auch noch so glьklich war, 160 Rubel baar

auf jede Familie an rьkstдndigem VorschuЯgelde zu erhalten, welche der Aufbauung

sehr zu statten kamen, wovon sie zugleich auch milde Beitrдge zur Erbauung des

ersten hцlzernen Bethauses, zur bequemeren Abhaltung des Gottesdienstes,

einsammelten. Erst i.J. 1797 unter der Leitung des Herrn Brigonzi, fand die

Ansiedlung der lezten Auswanderer von 118 Familien statt, von denen sich 86 in

den alten chortizzer Kolonieen anbauten, die ьbrigen 32 aber folgende 2 neue

Kolonieen begrьndeten.

1) Schцnwiese, ihr Name aus PreuЯen hergeleitet, von dem Kreisstдdtchen

Alexandrowsk nur durch das, sich in den Dnepr ergieЯende FlьЯchen Mokraja

getrennt, mit 17 Familien, die schon eine vollstдndige Gemeinde mit ihrem

Kirchenдltesten Heinrich Janzen ausmachten, der auch sogleich die Gemeinde von

________________

(1) 1790 wдhlte die Chortitzaer Gemeinde Berend Penner zu ihrem Дltesten, der

brieflich seine Bestдtigung aus PreuЯen erhielt. Die nach dessen Tode

ausgebrochenen Zwistigkeiten wurden durch den 1794 nach Chortitza gekommenen

Дltesten Cornelius Regier aus Heubuden (gest. in Chortitza 1794) und den

Prediger Cornelius Warkentin beigelegt, Johann Wiebe zum Дltesten und David

Epp zu dessen Gehilfen eingesetzt. Eine Vereinigung der flдmischen und

friesischen Gemeinde gelang jedoch nicht. Vgl. Friesen a.a.O. S. 74 ff. und

Joh. van der Smissen: Zur Geschichte der ersten Gemeindebildung in den

Mennoniten-Colonien Sьd-RuЯlands. In: Mennonitische Blдtter zur Belehrung

und christlichen Erbauung zunдchst fьr Mennoniten. Jg. 3, Danzig 1856, S.

18-21, 34-37, 49-51.

(2) Sehr bezeichnend fьr die Machtbefugnis, die den "Direktoren" eingerдumt war,

ist, daЯ die "Vereinigungsschrift, so in unserer Flдmischen

Mennoniten-Gemeine zu Chortitz geschlossen" (Juni 1794), durch welche innere

Streitigkeiten unter den Mennoniten beseitigt wurden, die Unterschriften von

Corn. Regier, Cornelius Warkentin (vgl. S. 3 Anm. 1) und von Baron Joh. von

Brackel trдgt. Der Direktor war also gleichzeitig der rechtliche Vertreter

der Ansiedler, vgl. hierzu auch epp a.a.O. S. 91-93. - Fьr die Rechtslage

der deutschen Siedler in RuЯland ist es auch bezeichnend, daЯ die

"Instruktion fьr die innere Ordnung und Verwaltung der Kolonien in

NeuruЯland" (vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19873) vom 16 Mai 1801 den

Gebietsvorstehern (Oberschulzen) vorschreibt, darьber zu achten, daЯ ohne

Wissen der Behцrden von den Kolonisten keine schriftlichen Verpflichtungen

eingegangen werden (§ 21). Der von den deutschen Siedlern gegen Brackel

erhobene Vorwurf der Veruntreuung von Unterstьtzungsgeldern durch

Einbehaltung von 5 Kop. Vom Rubel bestand wohl zu Unrecht, vgl. S. 106 Anm.

1.

(3) trotzdem hatten noch 38 Familien 1799 keine Hдuser, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr.

19372.

(4) d.h. rechtzeitig.

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Kronsweide in sein Kirchspiel zog(1). Sie besaЯen ein kleines eigenes Vermцgen,

durchschnittlich von 350 Rub. auf die Familie. Ihr Grundstьck enthдlt 1401

DeЯдtin(2), macht einen schmalen Streifen aus, dessen dritter Theil auf der

andern Seite des FlьЯchens Mokraja liegt, und daher sein Anbau sehr erschwert

ist. Dagegen sind ihre Kьchengдrten lдngs des FlьЯchens, sehr ergiebig, deren

Frьchte ihnen die Stadtbewohner mit gutem Vortheile abkaufen, und der Heuschlag

ungefдhr das Drittel des ganzen Grundstьkkes, besteht aus einer sehr hьbschen

an dem Dneprflusse liegenden Niederung mit Baumgruppen von Eichen, Pappeln und

Weiden besezt. Diese Gemeinde hat sich bis jezt recht schцn aufgebaut, und nun

die Errichtung eines gerдumigen Bethauses begonnen.

2) Kronsgarten(3), ein auf die Schцnheit der Natur hindeutender Name, von den

ьbrigen 15 Familien angebaut im nowomoskowskischen Kreise, am FlьЯchen

Kilschin(4), das in den Dnepr mьndet, an 12 Werst von ihrer Kreisstadt

Nowomoskowsk, und an 15 Werst von der Gouvernementsstadt Jekatherinslaw

entfernt, der friesischen Gemeinde angehцrend, war schon frьher recht hьbsch,

ganz der Schцnheit ihres Namens entsprechend, angebaut, aber zu niedrig, bei

hohem Wasserstande der Uberschwemmung ausgesezt, weЯhalb sie gegenwдrtig auf

eine hцhere Stelle, dauerhaft aus gebrannten Ziegeln, umgebaut ist, sowohl

Wohnhдuser, als auch Bet- und Schulhaus. Sie besizt ein fruchtbares Grundstьk

mit einem Wдldchen, und einem kleinen Fischfange auf dem Kolschin, der jдhrlich

8 Rub. Silber an Pacht eintrдgt. Diese Gemeinde wurde erst im Jahr 1843 der

Verwaltung des chortizzer Gebietsamtes ьbertragen.

Begrьndung neuer Kolonieen durch Versezzung alter Ansiedler,

unter dem Oberschulzen Peter Siemens(5), auf neue Plдzze, von

1803-1812

In dieser Zeit muЯten auch die beiden Deputirten, Hцppner und Bartsch,

abtreten(6). Mдnner, die an Verstand und Betriebsamkeit weit hervorragten, und

erst nach einer langen Zeit durch einen recht thдtigen Mann der Gemeinde ersezt

wurden. Unwissenheit und Neid waren einzig schuld an ihrem Unglьk, und da sie in

ihrem Leben nicht gerechtfertigt worden sind, so ist die Geschichte verpflichtet

solches nach ihrem Tode zu thun, zu kenntniЯ fьr die Nachkommenschaft. Weiter

fiel nichts Bemerkenswerthes vor, Nachlдssigkeiten ьberall dauerten noch immer

fort, nur mit Versezzung von 66 Familien aus den alten Kolonieen, auf das durch

die Krone im Jahr 1802, von Herrn Miklaschewski angekaufte Land(7), zuerst in

nachstehende 2, und dann in 3 Kolonieen, wurde wieder eine kleine Verдnderung im

schlummernden Gange der Geschдfte zu Tage befцrdert.

________________

(1) Es ist dies der erste kirchliche ZusammenschluЯ der "Friesen" im

Schwarzmeergebiet.

(2) Die gleiche Landmenge gibt auch Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32 fьr das Jahr

1854.

(3) vgl. den ausfьhrlichen Bericht S. 27 f.

(4) = Kiltschen.

(5) In den Listen der Oberschulzen des Chortitzaer Gebiets bei Epp a.a.O. S.

19 f. fehlt Peter Siemens. Bis 1823 soll aber ein Johann Siemens 18 Jahre

Oberschulz gewesen sein, was voraussetzt, daЯ er alle drei Jahre neu gewдhlt

und von der Kolonialbehцrde bestдtigt worden ist. Ьber die

Selbstverwaltungsorgane der deutschen Kolonisten im Schwarzmeergebiet vgl.

I PSZ Bd. 26, Nr. 19873 (16. Mai 1901).

(6) Vgl. S. 19 Anm. 1.

(7) Vgl. S. 6. Anm. 2.

Page 15

1) Burwalde(1), ein Name mit verstьmmelter Vorsilbe durch die platte Sprache,

sollte nach einem Dorfe in PreuЯen Bдrwalde heiЯen(2), im Jahr 1803 in der

Mьndung des Thales Chortizza, mit 27 aus den alten Kolonieen gezogenen Familien,

die an Unterstьzzung von der Krone ьberhaupt 1040 Rubel Banko und 10

Freijahre(3) zugelegt erhielten, angelegt, besizt in den schmalen Schluchten

einen schцnen, jungen Anwuchs von Waldbдumen an Stelle des alten Urgehцlzes,

aber ein Grundstьk von sehr gebirgiger Lage. Die Ansicht der Kolonie ist wegen

der Verengung und Krьmmung des Thales nach dem MaЯe ihrer gut ausgebauten Hцfe

und Baumgдrten, nicht so angenehm, hat aber fleiЯige, wohlhabende Wirte.

2) Niederchortiz, der Name von dem Thale niedere Chortizza, in dessen Mьndung es

liegt, abgeleitet, wurde ebenfalls im Jahre 1803 mit 39 Wirten, aus den alten

Ansiedlern, mit ьberhaupt 1000 Rubel Banko Unterztьzzung, und einer Zulage von

10 Freijahren(4), begrьndet. Die weite Verflachung des Thales giebt dieser

Kolonie eine recht schцne Ansicht, unerachtet sie an guten Hцfen den andern

Kolonieen nachsteht. In den Letzten Jahren jedoch hat sie sich ziemlich gehoben,

wie im Aussehen, so auch in der Betriebsamkeit, auch hat sie schon niedliche

Baumgдrtchen. Der Boden ihres Grundstьks ist nach dem Dnepr zu auf einer groЯen

Flдche sandig, und in trokkenen Sommern schlecht ergiebig, so wie ьberhaupt das

ganze Grundstьk seiner schiefen Lage wegen, wo das Wasser ablдuft, nicht am

fruchtbarsten ist.

3) Schцneberg(5), oben auf dem Ufer des Thales niedere Chortizza angebaut, woher

also ihr Name kommt. Im Jahr 1816 wurden 14 Wirte aus der Kolonie Niederchortiz,

die noch immer nicht aufkommen wollten, gezogen, und mit denselbigen, unter

Mithilfe an Fuhren und Arbeit, diese Kolonie angelegt, die im Verlauf der Zeit

bis jetzt recht ordentlich gediehen ist. Ihr Wert an Hдusern und Gдrten steht

gegen die meisten Kolonien nichts zurьk. Ihr Grundstьk ist ziemlich fruchtbar,

und wird fleiЯig angebaut.

4) Kronsthal(6), welcher Name von den alten 2 Kolonien Kronsweide und Rosenthal,

aus denen ihre ersten 12 Wirte abstammten, zusammengesetzt ist. Die Kolonie

wurde im Jahr 1809 in dem Thale mittlere Chortizza, nur mit

Privatunterstьzzungen von 51 Rub. Banko auf jede Familie und Fuhren(7),

angelegt, und hat jezt mit ihren gut angebauten Hдusern und Gдrten, und mit

ihrer geraden StraЯe durch den Haupttheil derselben, fast das beste Ansehen,

auch ihr Grundstьk ist eins der besten, und wird gut bearbeitet.

5) Neuosterwik(8), von dem Dorfe Osterwik in der danziger Niederung also

genannt, wurde im Jahre 1812 angelegt mit 20 aus den alten(9) Kolonieen

gezogenen Wirten, im Gipfel des Thales mittlere Chortizza, mit einer baaren

________________

(1) Russischer Name: Baburka.

(2) sprachlich lдЯt sich diese Umwandlung des namens nicht erklдren.

(3) am 9. September 1805, vgl. I PSZ, Bd. 28 Nr. 21909.

(4) vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21909 (9, September 1805).

(5) Russischer Name: Smoljanaja.

(6) Russischer Name: Dolinsk.

(7) wohl im "Reihendienst", vgl. auch S. 24 Anm 2.

(8) Russischer Name: Pawlowka.

(9) d.h. aus den zuerst gegrьndeten 8 Kolonien des chortitzaer Gebiets. In der

zweiten Hдlfte des 19. Jhs. pflegte man sдmtliche Kolonien des Chortitzaer

Gebiets im Gegensatz zu den Molotschnaern als die "alten" zu bezeichnen.

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Unterstьtzung von 50 Rub. B. privatim auf die Familie. Sie steht in ihrem

Aussehen, der Krьmmungen des Thales wegen, gegen Kronsthal zurьk, hat jedoch

auch gute Hдuser und Gдrten, und baut fleiЯig ihre Felder an.

Grьndung 3 neuer Kolonieen auf dem zulezt noch ьberflьssigen

Lande 1824.

So standen von 1812-1824, auf dem Lande des chortizzer Bezirkes,

jekatherinoslawschen Kreises (Schцnwiese im Alexandrowschen Kreise nicht

mitgezдhlt(1)), ьberhaupt 13 Kolonieen mit 314 Wirtschaften, vollstдndig da, mit

einer NuznieЯung von 100 DeЯдtinen auf jede Wirtschaft. Nun aber trat im Jahr

1823, mit dem neuen Oberschulzen Isaak Tцws, einem in seinen Handlungen ernsten

Manne, ein neuer Abschnitt der Verwaltung ьber die Gemeinde ein, die dem

geschдftlichen Leben einen Aufschwung gab. Dieser veranstaltete eine neue

Vermessung des Bezirkes, und besiedelte 1824 das ьberflьssige Land, nachdem er

vorher 2943 Des. fьr die Gemeindeschдferei, zur Unterhaltung der Stammherde,

abgetheilt hatte, mit 114 Familien, den hoffnungsvollsten Mдnnern aus der Zahl

der Kleinhдusler(2); 65 derselben wurden nach dem MaЯe des ьberflьssigen Landes

den alten Kolonieen zugesiedelt und 49 bildeten folgende 3 neue Kolonieen:

1) Rosengart(3), mit diesem Namen zielte der Oberschulz auf die Schцnheit, die

aus der Anlage dieser jungen Gemeinde werden sollte, im Thale mittlere

Chortizza, oberhalb Burwalde, angelegt ohne Unterstьzzung, weil diese jungen

Ansiedler von Kronsschulden frei waren, mit 22 Wirtschaften, nicht mit

ьberspannten, sondern nur einzig das Wohl der Ansiedler bezwekkenden

Bedingungen, wodurch aus den ursprьnglich kleinen Hдuschen, durch fleiЯige

Ausbeute des Landes mit der Zeit stattliche Hцfe und ansehnliche Baumgдrten

entstanden sind. Die Eigenschaft des Landes ist nur mittelmдЯig, der tiefen

Schluchten wegen, die es durchkreuzen, in denen sich lдngs dem Dneprufer auch

etwas junges Gehцlz befindet. Bei dieser Kolonie hat der vorerwдhnte

Kalksteinbruch begonnen, der weiterhin gewiЯ einen ziemlichen Ertrag abwerfen

wird.

2) Blumengart(4), so genannt von den Blumen, mit welchen der Ansiedlungsplaz

bedekt war, liegt im Thal niedere Chortizza, zwischen Schцneberg und

Nieder-Chortiz, mit 14, durch FleiЯ zu einem ziemlichen Grad des Wohlstandes

sich erhobenen Wirtschaften, auf einer Steppe von nur mittlern Eigenschaften,

der Berge wegen.

3) Neuhorst(5), ein zusammengesezter Name von Neuendorf und Schцnhorst, aus

welchen beiden Kolonieen ihre 13 Wirte abstammen, liegt oberhalb Neuendorf, im

Gipfel desselben Thales Tomakowka, besizt ein bequemes Stьk Land, und ist durch

fleiЯigen Anbau zu recht ansehnlichen Hцfen, Gдrten und Vermцgen gekommen.

________________

(1) Auch Kronsgarten nicht mitgerechnet, das erst 1843 dem Chortitzaer

Gebietsamt unterstellt wurde, vgl. S. 14.

(2) Bis zum Jahre 1824 war es im Chortitzaer Gebiet nur zu

Wirtschaftsverlegungen gekommen. Erstmalig erhalten nun wirtschaftslose

Familien Land, ein Umstand, der in der Literatur unbeachtet geblieben ist.

(3) Russischer Name: Nowoslobodka oder Popowka.

(4) Russischer Name: Kapustjanka.

(5) Russischer Name: Ternowataja.

Page 17

HauptverzeichniЯ sдmmtlicher Kolonieen und Wirtschaften

Nachdem nun, laut obiger einzelnen Beschreibung, alle unter der Verwaltung des

chortizzer Bezirksamtes stehenden Lдndereien zu 65 DeЯдtinen, auf jede Familie

besiedelt worden sind, mit Ausnahme einer Vergьnstigung der Behцrde fьr die 2

Kolonieen Burwalde und Schцnwiese, wegen unbequemer, den Anbau erschwerender

Lage ihrer Grundstьkke, erstere mit einer Zulage von 325 DeЯдtinen ьberzдhligen

Landes, und leztere Schцnwiese, mit Versezzung von 4 Familien nach der

Molotschna(1), besteht gegenwдrtig die Gesammtzahl aus folgenden Kolonieen mit

ihren Wirtschaften:

Im jekatherinoslawschen Kreise:

1) Chortiz mit 39 Wirtschaften

2) Rosenthal " 35 "

3) Rosengart " 22 "

4) Burwalde " 27 "

5) Blumengart " 15 "

6) Nieder-Chortiz " 29 "

7) Insel-Chortiz " 18 "

8) Einlage " 36 "

9) Kronsweide " 26 "

10) Neuenburg " 18 "

11) Neuendorf " 45 "

12) Neuhorst " 13 "

13) Schцnhorst " 36 "

14) Kronsthal " 18 "

15) Neuosterwik " 30 "

16) Schцneberg " 18 "

In alexandrowschen Kreise:

17) Schцnwiese " 14 "

Im nowomoskowskischen Kreise:

18) Kronsgarten " 15 "

__________________

ьberhaupt mit 460 Wirtschaften(2).

Neben den 460 Landwirten befinden sich noch 673 wirtschaftslose Familien

(Kleinhдusler)(3), zusammen mit einer Vцlkerschaft von 7217 Seelen(4).

________________

(1) Vgl. S. 88 ff.

(2) Tabelle s. S. 18

(3) Vgl. S. 26.

(4) Vgl. S. 25 Anm. 1.

Page 18

Aller Anfang ist schwer. - Die Wahrheit dieses Spruches hat sich ganz vorzьglich

bei der Ansiedlung unserer Stammgemeinde bewahrt, und die ursprьngliche Ursache

aller hartnдkkigen Hindernisse des Werkes war Unwissenheit.

Ihre Armuth kann im Grunde nur als Nebensache gelten. Den Beweis hiervon gaben

einige Familienvдter, die sogleich friedlich und fleiЯig das Werk angriffen,

schon in Hдusern wohnten und nahrhafte Kost ihrer eigenen Erzeugnisse genossen,

als die unzufriedene Masse in ihren Erdhьtten noch hдmisch um ihre Schьsseln mit

Suppe von halbvermodertem Magazinmehle saЯen.

Aus der Unwissenheit gingen hervor MiЯmuth, MiЯtrauen, MiЯbrauch und

Erschlaffung, welchem Uebel die beiden Deputirten Hцppner und Bartsch, die

________________

Anm. 2 zu S. 17.

(2) Die Aufrechnung ergibt nur 454 Wirtschaften: bei den Zahlen fьr Kronsweide,

Schцneberg, Blumengart scheinen im "Unterhaltungsblatt" Druckfehler

vorzuliegen. AufschluЯ ьber die Wirtschaftsverlegungen und -grьndungen gibt

folgende Tabelle.

---------------------------------------------------------------------------

1790 1803 1809 1812 1816 1824 1848 1855 1857

---------------------------------------------------------------------------

Chortitza 34| 39 39 39

Rosental 20| 35 35 35

Insel Chortitza 12| 18 18 18

Einlage 41| 228 314 248 236 216 216 36 36 36

Kronsweide 35| +86 -66 -12 -20 +65 26 34 34

Neuenburg 16| | | | | | 18 18 18

Neuendorf 38| | | | | | 45 45 45

Schцnhorst 32| | | | | | 36 35 35

1793-96 wandern | | | | | |

118 Fam. ein |--------| | | | |

Schцnwiese 17| | | | | 14 14 21

Kronsgarten 15| | | | | 15 15 16

Burwalde 27| | | | 27 27 27

N. Chortitza 39| | | -14 | 29 29 29

Kronstal 12 | | | 18 18 19

Neuosterwik 20 | | 30 30 29

Schцneberg 14 | 18 18 18

1824 erhalten 114 | |

landlose Fam. |------------------------------------|

Wirtschaften | |

Rosengart 22| 22 22 27

Blumengart 14| 15 14 14

Neuhorst 13| 13 13 13

---------------------------------------------------------------------------

228 314 314 314 314 314 460 454 460 473

---------------------------------------------------------------------------

vgl. obige Berichte, Klaus a.a.O. Beilage 2 S. 31 f. und Beilage 7,

Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 30. Zwischen 1824-1855 (1848?) sind 21

Hцfe aus den alten Kolonien in die spдter gegrьndeten verlegt und bis 1839

119 Familien umgesiedelt worden. Nach 1855 kommen Wirtschaftsteilungen vor,

um die Zahl der landlosen Familien zu vermindern.

Page 19

fдhigsten Mдnner ihrer Zeit, in ihrer Gegenwirkung endlich unterliegen

muЯten(1). Leute aus dem Dienst- und Arbeitsstande, mit der fixen Idee,

Bequemlichkeit und Wolfahrt, дhnlich ihren frьhern Brotherren, in RuЯland zu

finden, muЯten sich natьrlich bei dem Anblikke der unangebauten hohen Berge in

ihrer ьberspannten Erwartung sehr getдuscht finden. Zu dieser Unzufriedenheit

ьber die bergige Lage des Landes gesellte sich bald noch eine ungewцhnliche

Sterblichkeit, Mangel an Nahrung und Kleidung, welche zusammen das Uebel zu

solchem Grade steigerten, daЯ es gleich der Auszehrung, nur durch die Lдnge der

Zeit geheilt werden konnte, worьber etlich und dreiЯig Jahre verliefen.

Schдdliche Ereignisse

Zu einem vцlligen MiЯwachse im ganzen Bezirke kann eigentlich nur das Jahr 1833

gezдhlt werden, aber auch die Jahre 1823, 24, 42, und 45 gaben nur sehr

kдrgliche Ernten an Getreide und Heu, so daЯ groЯe Summen zur Anschaffung dieser

Bedьrfnisse auswandern muЯten. Die MiЯernten in den ersten Jahren, wo die

geringe, immer allzuspдte Saat auf dem Halme entweder von der Hizze ausbrannte,

oder von den hдufigen Zieselmдusen aufgezehrt wurde, kцnnen hier gar nicht in

Anschlag kommen.

Das hдufige Viehsterben in den ersten 15 Jahren, wollen wir auch

durchschnittlich richtiger der Nachlдssigkeit, wodurch das Vieh wenig und

verdorbenes Futter bekam, zuschreiben; spдter jedoch, als schon bessere Sorgfalt

stattfand, bьЯte die Gemeinde mehre Male den grцЯten Theil des Hornviehbestandes

durch Seuchen ein, vorzьglich in den Jahren 1804, 9, 10, 12, 13, 28, 33 und 1845

die Kolonie Kronsweide allein ьber 2/3 des Bestandes. Diese Krankheiten brachten

fast immer lдngs der Tschumakkenstrasse(2), ohne Zweifel von dem fremden Viehe

angesteckt, aus, und verbreiteten sich spдter ьber den ganzen Bezirk.

Durch Ueberschwemmungen bei hohem Wasserstand des Dnepr litten i. J. 1820 nur 3

Kolonieen: Insel-Chortiz, Rosenthal und der niedere Theil von Einlage, 1829 und

41 Rosenthal allein, am meisten durch Verwьstung ihrer niedern Gдrten, 1845

aber, wo der Dnepr hцher stieg, denn seit Menschengedenken, wurden die 4

________________

(1) Die Unzufriedenheit mit den von der Regierung eingerдumten Lдndereien hatte

solche AusmaЯe angenommen, daЯ man den Deputierten, die sich anzubauen

versuchten, Unterschlagungen von Gemeinschaftsgeldern vorwarf und sie

merkwьrdigerweise bei Schwarz, dem Kommandanten von Aleksandrowsk,

verklagte. Eine gemeinsam mit dem Vizegouverneur durchgefьhrte Untersuchung

erwies ihre Unschuld (vgl. Epp a.a.O. S. 79). Bartsch, der such aufs Bitten

legte, wurde wiederum in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen und

verbrachte seinen Lebensabend in dumpfer Schwermut. Die gegen Hцppner

Contaenius vorgelegte Klage hatte aber zur Folge, daЯ der Senat Hцppners

Vermцgen zur Deckung seiner Kronsschulden versteigern und ihn ins Gefдngnis

werfen lieЯ (vgl. I PSZ Bd. 26, S. 121 f.). 1801 begnadigt, schloЯ sich

Hцppner der friesischen Gemeinde an und fand seinen Unterhalt bei

Miklaschewskij (vgl. S. 6 Anm. 2). Die gegen Hцppner erhobenen

Anschuldigungen lassen sich wohl damit erklдren, daЯ ihm von der Regierung

Sonderrechte und -darlehen eingerдumt worden waren (u.a. auch 20 Desj. Land

zusдtzlich auf der Insel Tawan, die er wohl spдter auf der Insel Chortitza

erhielt), vgl. die Privilegurkunde bei Epp a.a.O. S. 50 f. Die sich daraus

ergebende bessere wirtschaftliche Lage Hцppners wird den AnlaЯ zu den

Verdдchtigungen gegen ihn geboten haben.

(2) Die russische, aufs Turkotatarische zurьckgehende Bezeichnung cumak fьr

"Salzfahrer" wird hдufig volksetymologisch mit russisch cuma "Pest"

verknьpft, vgl. auch S. 136 Anm. 1.

Page 20

Kolonieen Einlage, Rosenthal, Insel-Chortiz auch Nieder-Chortiz hart beschдdigt.

Das Thal worin Einlage liegt, wurde durch den RiЯ des Dammes ganz ьberstrцmt und

20 Hдuser zerstцrt mit einem Schaden von 8.922 R. 14 Kop. Obige Hдuser sind aber

schon wieder, theils durch baare Unterstьzzung, theils aus einer Sammlung

freiwilliger Beitrдge, auf sichere Plдzze, in besserem Zustande als frьher,

ersezt und der Damm weit hцher aufgefьhrt worden. Die

Gemeindebranntweinbrennerei(1), die frьher in Einlage stand, wurde an ihren

Gebдuden und Einrichtung so beschдdigt, daЯ sich ihr Schade auf 2,409 R. 43 Kop.

belief. Rosenthal erlitt einen Schaden von 2,491 R. 38 Kop., aber nur 4 Wirte

konnten, in Ermangelung des Raumes, ihre Hцfe auf sichere Plдzze umsezzen. Den

grцЯten Theil der Heuschlдge in der Niederung hat der Strom mit einer Sandflдche

bedekt, die gegenwдrtig schon theils von angeschwemmten Pappel- und Weidensamen,

die hohen Stellen aber mit angepflanztem Weidengestrдuch ganz bewachsen ist, und

welche die Gemeinde gegen die frьher erwдhnte, zur Trift dienende Insel, der

Schweinskopf gennant, mit einem 1,120 Faden langen Graben einhegt, und mit Hilfe

aller Dorfgemeinden, auf dem untern Ende des Thales einen Damm aufgefьhrt hat

zur Verhьtung einer fernern Ueberstrцmung. Auf Insel-Chortiz wurde der Schade an

den Hдusern, deren mehre fast bis an die Dдcher im Wasser standen, aber doch,

weil sie der Strom nicht traf, stehen blieben, ьberhaupt auf 430 R. 59 Kop.

taxirt; einen grцЯern Schaden aber hat diese Gemeinde durch Versandung des

grцЯten und besten Theiles ihrer Heuschlдge im groЯen Walde erlitten. Die Hдuser

muЯten alle wegen Mangel an Raum auf ihren Stellen stehen bleiben, die StraЯe

dagegen ist lдngs dem Ufer stark erhцht worden. Nieder-Chortiz stand auch

meistentheils unter Wasser, und hat einen Schaden von 1221 R. 67 Kop., wollte

aber, der groЯen Mьhe und Kosten wegen, nicht umsiedeln, sondern sich lieber

durch einen Erdwall fьr die Zukunft schьzzen.

Der Schaden durch die lezte Ueberschwemmung 1845 belдuft sich demnach auf 15,476

R. 21 Kop. Silber.

Durch Zeitweise, mitunter auch verheerende Hagelschlдge, auch durch

Feuersbrьnste hat die Gemeinde mehre bedeutende Beschдdigungen erlitten. Im

Jahre 1811 brannten in Einlage auf einmal 3, in Schцneberg 1823, ohne das

Schulhaus, 6 Hцfe ab. Die Folgen von leztern Unglьksfдllen sind, da die

erlittenen Verluste mit 2/3 aus der Brandkasse(2) entschдdigt werden, um so eher

vorьbergehend, da ьberhaupt eine so eng verbundene aus fleiЯigen, gehorsamen

Gliedern bestehende Gemeinde, in Friedenszeiten sich von jedem Schlage immer

bald wieder erholt, unter Mithilfe selbst der Natur, die ja in ihrer Ordnung,

auf Sterblichkeit und MiЯwachs, wieder um so grцЯere Fruchtbarkeit folgen lдЯt.

An Naturbegebenheiten hat die Gemeinde 2 leichte, ganz unschдdliche

Erderschьtterungen erlebt, die eine schon im Jahre 1799, und die lezte am 11.

Januar 1838, 9 Uhr abends, einige Minuten lang, in der Richtung von Westen nach

Osten, mit einer Wirkung, die Menschen und Vieh in Schrekken sezte, und die

Wasserquellen merklich stдrker ergoЯ.

________________

(1) Den Mennoniten war durch die ihnen von Paul I, am 6. September 1800

verliehene Privilegurkunde ausdrьcklch gestattet worden, Branntwein fьr den

Eigenbedarf und Ausschank innerhalb der ihnen eingerдumten Gebiete zum

brennen, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19546, § 4.

(2) Vgl. S. 24 f.

Page 21

Gьnstige Verhдltnisse

Unsere Gemeinde befand sich, wie aus dem vorhergehenden zu ersehen, in einer

sehr verhдngnisvollen Lage, besonders bis 1793, die ihr den Untergang drohte, da

kamen einige neue Transporte Mennoniten, zusammen 118 Familien, mit einem

kleinen eigenen Vermцgen, aus PreuЯen an, die brachten durch Anschaffung ihrer

Bedьrfnisse und Hдuserbau schon etwas mehr Geld in Umlauf, und wo Geld ist, da

ist auch Muth. Der Hдuserbau begann nun allgemein, der Feldbau vermehrte sich,

und schon aЯ man sein eigenes Brot, da kamen wieder neue, und zwar stattlichere

Auswanderer aus PreuЯen, die zuerst in unseren Kolonieen Quartir nahmen, und

sich dann an der Molotschna ansiedelten(1). Im Jahre 1803 wanderten 179, das

Jahr darauf 146 Familien aus PreuЯen ein(2), die brauchten Stuben, Stдlle, Brot

und Futter, und bezahlten baar. Dieser glьkliche Zufall gab eine Kraft in das

wirtschaftliche Leben, die nicht mehr dahin sank. Nicht nur bei der Anwesenheit

dieser wohlhabenden Gдste kam immer frisches Geld in Umlauf, sondern auch bei

ihrer Ansiedlung zogen noch viele unserer Ansiedler durch den Hдuserbau gute

Verdienste von ihnen, und in eben dem MaЯe stieg durch den Verkehr die

Sittlichkeit. In so verbessertem Zustande, an Hдusern, Vieh und Gerдthen, stand

unsere Gemeinde, auch hatte sie schon eigene Kornmьhlen, als zulezt noch die

spanische Schafzucht aufkam(3), die das Werk vollendete, und aus der

Ertrдglichkeit eine Wohlhabenheit machte(4). Dieser so beglьkkende Zweig nahm

seinen Anfang im Jahr 1803, mit 30, durch Vermittlung des Herrn Oberrichters des

Vormundschafts-Comptoirs, Herrn v. Contenius, von der Krone geschenkten

Stammthieren, 15 Bцkken und 15 Mьttern, und aus der Paarung dieser Bцkke mit

russischen Schafen, und dem spдteren Zukauf von Sprungbцkken von Herrn Stieglitz

in Zarskoje-Selo(5) und aus Sachsen(6), ging endlich eine Herde hervor, die fьr

________________

(1) Vgl. S. 88 f.

(2) Der russische Innenminister gab fьr 1804 162 Familien an, vgl. N. Varadinov:

Istorija Ministerstva Vnutrennich Del (Geschichte die Innenministeriums).

Bd. 1, Petersburg 1858, S. 125; RuЯland unter Alexander dem Ersten. Eine

historische Zeitschrift. Hrsg. von Heinrich Storch. Bd. 3, Petersburg 1804,

S. 140. (Weiterhin als Storch zitiert.)

(3) Contaenius hatte in seinem Bericht ьber den Zustand der Kolonien des

Chortitzaer Gebiets darauf hingewiesen, daЯ sich das dortige trockne Klima

ungьnstig auf den Getreidebau auswirke und nur die Schafzucht mit einigem

Erfolg betrieben werden kцnne, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19372, S. 117 (6.

April 1800).

(4) vgl. S. 23 Anm. 4. - In der Folgezeit nahm die Schafzucht hier eine so

unerwartet gьnstige Entwicklung, daЯ man im Innenministerium den

eingesandten Berichten darьber nicht Glauben schenken wollte und 1827 zwei

Beamte zu ihrer Ьberprьfung an Ort und Stelle entsandte, vgl. Fadeev a.a.O.

S. 414.

(5) Ludwig Stieglitz, geb. 1778 in Arolsen, gest. 1843 in Petersburg, einer der

grцЯten Wirtschaftsfьhrer des damaligen RuЯlands, unterhielt u. a. eine

berьhmte Merino-Schдferei. Das eine seiner Gьter (rd. 100000 Desj.) bestand

sich gleichfalls im Gouvernement Jekaterinoslaw, vgl. Russkij Biograficeskij

Slovar (Russisches Biographisches Lexikon), Petersburg, s. v., und Das

Ausland. Ein Tagblatt fьr Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der

Vцlker mit besonderer Rьcksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Jg. 19, Stuttgart 1846, S. 284.

(6) Alle grцЯeren Schafzьchter SьdruЯlands (Rouvier, Vassale, Mьller, Vietzsch

u. a.) pflegten Anfang des 19. Jhs. ihre Zuchttiere und Schafmeister aus

Sachsen zu beziehen. Aus der Schдferei des Baron von Mьller kaufte die

Russische Regierung 1808 4000 Stьck zu einem Preise von 40 bis 60 Rbl. fьr

das Schaf, um sie in den Auslдnderkolonien und Kronssiedlungen NeuruЯlands

verteilen zu lassen. Die Auswahl der Tiere besorgte der bekannte, aus

Stuttgart gebьrtige Naturforscher Friedrich Baron von Bieberstein, der auch

die Oberaufsicht ьber die Seidenzucht in SьdruЯland inne hatte und den

Weinbau tatkrдftig fцrderte (vgl. ьber ihn Russkij Biograficeskij Slovar s.

v.). Vgl. auch Skal'kovskij a.a.O. Teil 2, Odessa 1838, S. 132 f.; Doering

a.a.O.

Page 22

eine Goldgrube der Gemeinde in jenen Jahren gelten konnte, wo die Дkker, wegen

Niedrigkeit der Getreidepreise, ihren Anbau noch nicht belohnten. Zwar hatte

die Schafzucht auch flaue Jahre, aber immer stieg sie wieder von ihrem Falle

glьcklich empor. So brachte auch der Umstand, daЯ die umligenden Gutsbesizzer

noch lange Anstand nahmen, sich mit diesem Zweige zu befassen, der Gemeinde

einen nicht unbedeutenden Vortheil. Erst mit dem Jahre 1822 und spдter, als die

Preise hoch standen, machten dieselben Ankдufe von ganzen Herden spanischer

Schafe, in unseren Kolonieen, fьr bedeutende Summen. Dieser Erwerbzweig geht nun

zwar dem Anscheine nach seinem Verfalle entgegen, dagegen haben die hцheren

Preise des Getreides in den lezteren Jahren seinen Fall ersezt, und auch der

Umstand, daЯ die Gutsbesizzer angefangen haben jдhrlich ansehnliche Bestellungen

an Pflьgen und Wagen bei uns zu machen(1), auch junge Leute in die Lehre geben,

und besonders, daЯ die Gewohnheit auf deutschen Wagen zu fahren allgemein

geworden ist, bringt der Gemeinde einen ansehnlichen Vortheil, und wird ihr

denselben auch noch lange sichern.

Gemeindegьter

Se. Excellenz, der selige Herr v. Contenius, stiftete aus unsern

gemeinschaftlichen Einkьnften, eine besondere Gemeindesumme; er hatte damit eine

schnellere und gesicherte Befцrderung von Musteranlagen im Auge, wie Seidenbau,

Weinbau, Anpflanzung etc., und obschon er, des bestдndigen Widerstrebens und

MiЯbrauchs halben, damit nicht zum erwьnschten Ziel kam, so hat er doch zu Allem

was da ist, den Grund gelegt, und die Gemeindeschдferei sogar zu einem gewissen

Grad der Vollkommenheit gebracht.

Die Kronsьberfahrt von Kitschkas (alte Russen deuten diesen Namen von der engen

Einpressung des Dnepr in seine felsigen Ufer oberhalb der Ьberfahrt auf

Kazzensprung(2)) bestand schon bei der Ankunft unserer ersten Ansiedler, aber

nur in einem sehr unsicheren Zustande. Den gewissen Vortheil von dieser Anstalt

erkennend und zugleich auch die eigene Bequemlichkeit bezwekkend, erbauten sich

unsere Deutschen aus dem Gewinne vom Branntweinverkauf(3) schon in den ersten

Jahren ordentliche Fдhren, auf denen sich Jedermann gerne ьbersezzen lieЯ(4). Im

________________

(1) Leider stehen mir aus dieser frьhen Zeit keine statistischen Angaben ьber

diese Einnahmequelle zur verfьgung.

(2) Nach M. Vasmer: Untersuchungen ьber die дltesten Wohnsitze der Slaven. Bd.

1, Leipzig 1923, S. 67, beruht der Ortsname Kitschkas auf turkotatarisch

Kьtsьk As "Klein Osseten". Die volksetymologische Deutung als "Katzensprung"

geht aus von ukrainisch kit "Kater" und skakaty "springen".

(3) Vgl. S. 58 Anm. 4.

(4) Ьber diese deutschen Fдhren berichtet Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 171" "Wir

kamen... an den Dnjepr, und wurden auf einer deutschen Fдhre gesetzt,

sondern fuhr gemдchlich der Lдnge nach hinein. Warum die in Handhabungen

aller Dinge so praktischen Russen bei jener absurden Sitte bleiben, begreife

ich nicht."

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Jahr 1845 wurde durch Se. Excellenz, den stellvertretenden Hauptfьrsorger, Herrn

v. Hahn(1), unserer Gemeinde das Recht der Privat-Ueberfahrt, nach der laut Ukas

des dirigirenden Senats, unterm 26. Mai 1823 bestimmten Taxe, ausgewirkt, und

bereits im Jahre 1847 warf unsere Ьberfahrt eine Pachtsumme von 1235 Rub. B.

Aff. ab, wovon die Gemeinde von Einlage den dritten Theil zur Entschдdigung der

Viehtrift bekommt.

Die Branntweinbrennerei wurde auf Veranlassung der Ьberschwemmung i. J. 1845 auf

eine andere Stelle dauerhafter von gebrannten Ziegeln umgebaut, und bringt an

Pacht jдhrlich 770 Rub. abwarf, um aber einen Wetteifer in die Erzeugung von

besserer Beschaffenheit dieses Getrдnkes zu sezzen, hat das Bezirksamt diesen

Erwerb den Ansiedlern freigegeben, und zwar mit gutem Erfolge, so daЯ

gegenwдrtig vier Bierbrauereien im Gange sind, die fьr ihre Freiheit bis 700

Rub. jдhrlich einzahlen.

Das tiefe Thal neben der Kolonie Rosenthal, worin der sel. Herr v. Contenius,

i. J. 1801, die Gemeindepflanschule anlegen lieЯ, hatte sich schon frьher Fьrst

Potemkin zu einem Baumgarten ausersehen, mit meistens nur Kirschbдumen

bepflanzen, einem Graben umziehen und neben dem Garten auf einer sehr hohen

Platte, wo man eine malerische Aussicht ьber das Thal Chortiz und den Dnepr hat,

das Fundament zu einem Schlosse legen lassen. Herr v. Contenius verschaffte

einen Gдrtner, lieЯ junge Obstbдume und Weinreben aus der Krim kommen,

verschrieb Sдmereien, lieЯ aus den Schulen Obst- und Maulbeerbдume unentgeldlich

an die Ansiedler vertheilen, lieЯ es an Belohnungen und Ermahnungen an Ort und

Stelle nicht fehlen, aber Erschlaffung und Vorurtheile hemmten jahrelang sein

Streben, erst im Alter hatte er das Vergnьgen, ein allgemeines regeres Leben

erwachen, und ein besseres Gedeihen seiner Werke hervorgehen zu sehen(1).

Gegenwдrtig, wo die Ansiedler schon eigene Schulen von Obst- und Maulbeerbдumen

ziehen, werden in dieser Hauptpflanzung, auf Anordnung der Behцrde, meistens nur

Pflanzschulen von Wald- und Maulbeerbдumen betrieben, und zwar mit dem besten

Erfolge.

Die Gemeindeschдferei nahm 1803 mit oben erwдhnten 30 von der Krone geschenkten

Stammthieren ihren Anfang(2). Bei der letzten Landvermessung(3) wurden ihr von

dem ьberflьssigen Lande 2943 Dessдtinen zugetheilt und auf demselben ordentliche

Stallungen wie auch Wohngebдude fьr die Schдfer aufgefьhrt. Durch Ankдufe von

Zuchtbцkken, und Verkдufe von brakkirten Schafen, ist die Herde zu einem solchen

Grade der Ausgeglichenheit gekommen, daЯ die Wolle immer noch, auch in den

lezten miЯlichen Jahren, leicht ihre Kдufer fand. Ihre Zahl besteht gegenwдrtig

aus 5033 Kцpfen(4) und die Schдferei gab im vorigen Jahr einen Ertrag von 10,704

________________

(1) Vgl. hierzu auch Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 359: "In dem Dorfe Rosenthal

wird zwar, mit gemeinschaftlichen Kosten und Arbeiten, von den Ansiedlern

(auf hцhern ausdrьcklichen Befehl) ein Garten unterhalten, aus dem sich

jeder mit jungen Stдmmen und Propfreisern versorgen kцnnte; allein aus

Nachlдssigkeit oder Mangel an Zeit wird diese Gelegenheit wenig benutzt."

(2) Vgl. S. 21.

(3) Vgl. S. 16.

(4) 1846 wurden im Chortitzaer Gebiet 5335 Schafe, Hammel und Lдmmer fьr 9336

Rbl. 25 Kop. verkauft und fьr 22053 Rbl 97Ѕ Kop. Wolle gewonnen, vgl.

"Unterhaltungsblatt", Jg. 2, 1847, Nr. 3.

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R. 39 Kop. B.(1). Diese Anlagen haben demnach im verwichenen 1847sten Jahre,

eine Gesamteinnahme von 18,510 Rub. B. abgeworfen; aus der die Gemeindebauten,

Gдrtner und Arbeiter, Schдfer und Aufseher, auch die Kanzlei des Bezirksamtes

unterhalten werden.

Brand - und Waisenamt

Die Unverlezbarkeit dieser 2 Versicherungsanstalten garantirt die ganze

Brьderschaft, die Statuten derselben sind aus PreuЯen hergebracht worden. Jede

Derselben wird von zwei Aeltesten lebenslдnglich verwaltet, als eine

Gewissenssache, wenn kein widriger Zufall dazwischen tritt. Ihre Belohnung ist

Befreiung von Reihendiensten(2) und 1 Prozent baar bei Eintragung neuer

Kapitalien.

Brandkasse. Ihr Kapital besteht nicht aus einer Baarschaft, sondern aus einem

Register der Hubenzahl-Akzien. Eine Hube preuЯisch ist gleich einem FlдchenmaЯ

von ungefдhr 15 DeЯдtinen Landes. Eine sogenannte Brandhube ist gleich 200 R.B.

baar. Dem Theilnehmer der Brandgesellschaft wird demnach sein abgebranntes Haus

fьr 1 Hube mit 200, fьr 2 Huben mit 400 R. entschдdigt u.f.f., jedoch daЯ

solcher Ersaz nur 2/3 des Verlustes betrage, und daЯ der Eigenthьmer 1/3

einbьЯe, darum nimmt das Brandamt die Gebдude vorher in die Taxe, damit sie

nicht zu hoch in der Hubenzahl registrirt werden. AuЯerdem wird auch noch das

verbrannte Vieh und die Wirtschaftsgerдthe besonders baar entschдdigt, 1 Pferd

mit 31Ѕ R., 1 Kuh mit 24 R., 1 Wagen mit 60 R., 1 Pflug mit 35 R. u.s.w., so daЯ

der Verunglьkte sogleich wieder fortarbeiten kann, wenn gleich in geringerm

Stande. Landwirt und Kleinhдusler machen hier keinen Unterschied. Die chortizzer

mit den molotschner Mennoniten machen diese Schadenversicherungsgesellschaft

aus, mit einem Kapitale von 27,409 Brandhuben (im Belaufe von 5,481,800 Rub.

B.), wenn sich demnach die Taxe fьr einen Brandschaden auf 1000 Rub. belдuft, so

kommt ein Divident von 3-2/3 Kop. auf die Hube heraus, d.h. jeder Teilnehmer der

Gesellschaft zahlt eine Entschдdigung fьr den Verunglьkten von 3-2/3 Kop. fьr 1

Hube, fьr 2 Huben 7-1/3 Kop. u.s.w., was gar nicht drьkkend ist, inderselben Art

wird auch das verbrannte Getreide und Futter nach MaЯ und Gewicht in Natura

entschдdigt(3).

Waisenkasse. Diese Anstalt verfьgt gegenwдrtig ьber ein Kapital von 213,060 R.

50 K. B., welches meistens unter den Ansiedlern auf Borg aussteht, und von Jahr

zu Jahr nach dem MaЯe des Zuwachses der Seelenzahl und des Reichtums, an der

Summe zunimmt. Es hat seine Quelle in den Versteigerungen der Nachlassenschaften

verstorbener Eltern und Anverwandten, welche unmьndige Erben hinterlassen. Der

Meistbietende muЯ sogleich 1 Prozent Schreibgebьhr bezahlen, und wenn es ihm an

Baarschaft mangelt, 2 Bьrgen ьber richtige Bezahlung seiner Schuld vorstellen,

ohne die ihm das erstandene Gut nicht zugeschrieben wird. Die Schuldner mьssen

________________

(1) Ьber das Wirtschaftsleben im Chortitzaer Gebiet vgl. auch Klaus a.a.O.

Beilage 7; Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 177 f.; "Unterhaltungsblatt" Jg. 2,

1847, S. 17 f. und Jg. 4, 1849, Beilage Mai, S. 3-4.

(2) d.h. von den gemeinsamen цffentlichen Arbeiten, vgl. auch S. 191 Anm. 6.

(3) Die mennonitische Feuerversicherung fand auch in die ьbrigen Kolonien

Eingang.

Page 25

nebst 6 Prozent Zinsen den 10. Theil ihrer Schuld jдhrlich abzahlen, und von

dieser Einnahme erhalten volljдhrige Erben ihre Kapitale mit Zinsen. Auch

bestдtigen die Waisenдltesten die Vormьnder, mit der Verpflichtung ьber die

Erziehung der Unmьndigen und Verpflegung der Witwen, auf Rechnung der

Waisensumme, zu wachen.

SchluЯ

Nach obiger kurzgefaЯter Beschreibung stellt unsere Gemeinde gegenwдrtig das

treue Bild eines erwachsenen Mannes dar. Sie hat alle Altersstufen durchlebt,

die Kindheit, in der sie sich vom Staate, wie von einer Mutter sorglos ernдhren

lieЯ; das Knabenalter, wo sie schon nach Krдften zu ihrer Erhaltung beitragen

muЯte, und den Jьnglingsstand, wo sie an die Pflicht gegen sich selbst und gegen

den Staat gewцhnt wurde. Nun steht sie in voller Kraft da, zu schaffen was vor

Gott recht ist, in ErkenntniЯ der ihr vom Staate verliehenen Gunst, zum

цffentlichen Muster fьr Jedermann und zur Wohlfahrt fьr ihre Nachkommenschaft.

Aus gдnzlicher Armuth ist sie unter dem sichtbaren Beistande Gottes, mit

langsamen aber sichern Schritten zum Wohlstande empor gestiegen. Die erlebten

Verhдngnisse haben sie erfahren und bewдhrt gemacht; aus der jugendlichen Unart,

ist sie unter nachsichtiger kirchlicher und gesezlicher Leitung in den Stand der

Sittlichkeit gekommen. Diese glьklichen Ereignisse sind zusammen eine sichere

Gewдhrleistung ihres fernern guten Rufes, in welchem sie unter vдterlicher

Pflege vonseiten der Ortsbehцrde, in Folge der Zeit von Stufe zu Stufe steigen

wird. Der Mennonit hat nicht den Charakter der Schnelligkeit, er ist aber

berechnend, fдhig und ausdauernd, religiцs nach den Sitten seiner Vдter, still,

nьchtern und vertrдglich, er besitzt ьberhaupt die Eigenschaft, durch eine

sorgfдltige Leitung seines Vorgesezten, glьklich zum Ziele zu kommen. Seine

Erwerbsamkeit treibt ihn an, aus Mangel, an hinlдnglichem eigenen Lande, die

Steppe der angrenzenden Gutsbesizzer gegen Bezahlung fьr sich anzubauen,

weitumher Ankдufe von Feldfrьchten auf Handel zu machen, und durch auswдrtige

Bestellungen an Holz- und Schmiedearbeit seinen Gewinn zu suchen, wenn aber

einst die Gutsbesizzer ihr Land selbst ganz benuzzen werden, dann wird unsere

Gemeinde, ihrer starken Vermehrung wegen(1), in ein bedrдngtes VerhдltniЯ

kommen.

________________

(1) Das Chortitzaer Gebiet umfaЯte:

1802: 1681 Personen, vgl. Storch a.a.O. Bd. 6, Petersburg 1805, Tabelle 5.

1810: 1972 " , vgl. Severnaja Pocta (Die Post des Nordens) 1810, Nr.

23 und 25, nach Bondar a.a.O. S. 32 f.

1813: 2446 " , vgl. Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 381.

1819: 2888 " , ebenda.

1825: 3760 " , vgl. Rempel a.a.O. S. 2.

1834: 4680 " , vgl. Klaus a.a.O. Beilage 7.

1841: 6029 " , 445 landbesitzende, 363 landlose, 250

Handwerkerfamilien, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 7.

1846: 7100 " , darunter 3267 arbeitsfдhige im Alter von 16-60 (1960

Ackerbauer, 694 Handwerker und Gewerbetreibende, 613

Tagelцhner), vgl. E. v. Hahn im "Unterhaltungsblatt"

Jg. 2, 1847, S. 17.

Ьber die Bevцlkerungsbewegung im Chorititzaer Gebiet lassen sich aus diesen

Angaben nur bedingt Schlьsse ziehen, da das statistische Material ьber die

Zu- und Abwanderung einstweilen noch fehlt, vgl. dazu Haxthausen a.a.O. Bd.

2, S. 176.

Page 26

Die Kleinhдusler, die jezt auЯer unserm Gebiete, ringsum ihr Brot bauen, werden

dann zu gemeinen Taglцhnern herabsinken, und ganz aus dem Gleichgewicht gegen

den Landwirt kommen. In den Jahren 1836-1839 versezte das Gebietsamt auf

Bewilligung der Behцrde 115 junge Familien in 4 Kolonieen auf ein wьstes Stьk

Kronsland bei Mariupol(1); diese Ausscheidung ist aber schon wieder aufs

Dreifache an der Zahl ersezt worden, und eine neue Ausscheidung wьrde, wenn auch

noch Land da wдre, bei den jezzigen hochgestellten Bedingungen, und fern von den

Anverwandten, schwer zu bewerkstelligen sein. Doch der Mensch denkt und Gott

lenkt; sezzen wir uns demnach ьber die unnьzze Sorge fьr unsere Zukunft weg,

gehen wir im Vertrauen auf Gott, in Fьrbitte fьr den Thron, in Gehorsam gegen

die Obrigkeit, in Liebe gegen den Nдchsten, getreu auf dem Pfade unserer Pflicht

fort, so wird die Vorsehung auch ferner ьber uns walten und der Segen mit uns

sein.

Oberschulz Bartsch(2),

Beisizzeer Dyk.

" Siemens.

Heinrich Heese(3).

Kolonie Chortiz, d. 21. Juli 1848.

__________

Bemerkung. Das Chortizzer Bezirksamt hat sich veranlaЯt gefunden zur Abfassung

dieses Aufsazzes, die Fдhigkeit eines schon alten, verdienten Mannes, frьhern

Gebietsschreibers, Mennonit der Kolonie Einlage, Heinrich Heese, der sich zum

besten der Gemeinde schon in seinen jungen Jahren durch Rьksprache mit den

ersten Einwanderer und ihren Deputirten, durch Abschreibung der Notizen der

leztern, und eigene Erfahrung wдhrend seiner Dienstzeit von der Genauigkeit der

Umstдnde ьberzeugt hat, in Anspruch zu nehmen, und von ihm die Geschichte der

Kolonieen des chortizzer Mennonitenbezirkes in einer zusammenhдngenden

Darstellung anfertigen zu lassen.

Oberschulz Bartsch

Gebietsschreiber Nerau.

No. 1691, d. 21. Juli 1848

________________

(1) d.i. Bergtal, Schцnfeld, Schцntal, Heubuden.

(2) Jakob Bartsch-Rosental, Sohn des Deputirten Bartsch, war 1832-38 und 1841-52

Oberschulz des Chortitzaer Gebiets, vgl. das Verzeichnis der Oberschulzen

bei Epp a.a.O. S. 119 f.

(3) Vgl. S. 1 Anm. 2. Heinrich Heese hat auch ein Gedicht "Aufruf an meine

Brьder" im "Unterhaltungsblatt" Jg. 10, 1855, S. 33 f. verцffentlicht.

Page 27

2. Die Kolonie Kronsgarten(1)

Bericht der Gemeinde Kronsgarten an das "Fьrsorgekomitee"

vom 6. Mai 1848. Abdruck der im Sammelbesitz Georg

Leibbrandt befindlichen Abschrift des J. Stach aus dem

ehemaligen Archiv des "Fьrsorgekomitees".

Die in dieser Kolonie ursprьnglich angesiedelten 15 Familien langten in einer

gemeinschaftlichen Partie mit den Ansiedlern der Kolonie Schцnwiese im Jahre

1794(2) ohne Anfьhrer aus dem Regierungsbezirk Marienwerder hier an. Sie fanden

neben ihrem Ansiedlungsplatze zwei nicht unbedeutende der hohen Krone zugehцrige

Gebдude, in welchen sдmtlichen 15 Familien bis zur Erbauung eigener Hдuser

Obdach eingerдumt wurde. Die Hдuser wurden im Jahr 1797 angelegt; die Krone

hatte dazu jeder Familie 120 Stьck Bauholz verliehen(3).

Die Kolonie wurde in der Niederung Kilschin(4) in ziemlich gerader Richtung

zwischen der Gouvernementsstadt Jekaterinoslaw(5) und der Kreisstadt

Nowomoskowsk von ersterer 15 und von letzterer 12 Werst entfernt, hart am

FlьЯchen Kiltschin, das in sьdцstlicher Richtung die Lдndereien dieser Kolonie

durchflieЯend, sich in den SamarafluЯ ergieЯt, da wo in frьherer Zeit eine

Kronsgartenanlage bestanden(6), wovon damals aber nur noch verkrьppelte

Kirschbдume zeugten, angelegt. Diese Spuren einer Gartenanlage veranlaЯte[n] die

Ansiedler dieser Kolonie, sie mit dem Namen Kronsgarten zu belegen.

Der Boden auf der Hцhe, wo sich das Acker- und Weideland befindet, ist bis 2 FuЯ

tief mit schwarzer Erde bedeckt und enthдlt eine Unterlage von gelblichem Lehm.

Er ist fьr alle Getreidearten und Obstkulturen gut geeignet.

Die Niederung, welche цstlich von dem SamarafluЯ begrenzt wird und eine

Naturwaldung von 578 wilden Birnbдumen, 2837 Rьstern, 15447 Eichen und 688

Pappeln enthдlt, hat sandigen Boden und bietet an freien Stellen ergiebige

Heuschlдge.

Da aber diese Lдndereien nicht mehr als 780 Dess. enthielten, so war nur Land

fьr 12 Familien vorhanden, 65 Dess. auf die Familie gerechnet. Die fehlenden 195

Dess. wurden deshalb neben den Lдndereien der Kolonie Rybalsk(7) auf der

________________

(1) Vgl. auch S. 14.

(2) Als Grьndungsjahr der Kolonie wird stets nur 1797 gegeben, so auch I PSZ Bd.

26, Nr. 19372.

(3) gemдЯ § 9 des Allerhцchst bestдtigten Vertragentwurfs, vgl. Pisarevskij

a.a.O. S. 301.

(4) = Kiltschen.

(5) Jekaterinoslaw wurde erst 1802 zur Gouvernementsstadt erhoben, vgl. Semenov

a.a.O. Bd. 2, S. 176.

(6) soll heiЯen "bestanden hat", vgl. auch S. 6.

(7) Rybalsk und Josefstal, gegrьndet von 90 lutherischen Familien, die sich den

Mennoniten bei der Auswanderung angeschlossen hatten, erhielten am 2. Juni

1792 nur die Hдlfte der den Mennoniten zugebilligten Landmenge von der

russischen Regierung bewilligt. Ihr ьberschьssiges Land hatten sie auf

Vorschlag von Contaenius u.a. an Kronsgarten (561 Desj. 270 Sashen

abzutreten, vgl. Zapiski Odesskogo Obscestva Istorii i Drevnostej Bd. 2, S.

662 f.: I PSZ Bd. 26, Nr. 19372 (6. April 1800) und unten S. 196 ff. und S.

199 f.

Page 28

entgegengesetzten Seite des Samaraflusses zugeteilt, und zwar so, daЯ das

nцrdliche Ende von dem erwдhnten FluЯ begrenzt wird. Dieses Stьck Land ist

ungefдhr 8 Werst sьdцstlich von der Kolonie Kronsgarten entfernt und seiner

groЯen Entfernung und hohen bergigen Lage wegen zur Bewirtschaftung ungeeignet,

weЯhalb man im Jahre 1846 daselbst eine gemeinschaftliche Schдferei(1) angelegt

hat.

Da die Einwanderer unbemittelte Leute waren und sie auf der 14wцchentlichen

Herreise ihre Gelder ziemlich verzehrt hatten, so bestanden ihre hergebrachten

Mittel sozusagen nur in Fuhrwerken. Sie erhielten aber von der hohen Krone 500

Rub. banko auf die Familie und Reisezehrgeld 75 Rub. banko auf jede Seele,

auЯerdem zu einer gemeinschaftlichen Windmьhle 800 Rub. banko(2).

Die Kolonie hatte bei ihrer niederen Lage durch die Ьberschwemmungen des

Dnjeprflusses in jedem Frьhjahr mehr oder weniger zu leiden. Im Jahre 1820

namentlich standen fast alle Gebдude unter Wasser und wurden zum Teil stark

beschдdigt; auch gingen alle Gartengewдchse verloren. Im Jahr 1845 war die

Ьberschwemmung noch bedeutender, viele Ackerfelder wurden unter Wasser gesetzt,

die Gartenfrьchte gingen alle verloren, die Obstbдume verdorrten noch im

gleichen Jahr oder spдter, so daЯ der Schade an Feldfrьchten, Bдumen,

Umzдunungen und Gebдuden sich auf 2115 Rub. 25 Kop. Silber belief. Da

entschlossen sich die Ansiedler mit Genehmigung der hohen Obrigkeit in den

Jahren 1847 und 1848 ihre ohnehin schon mehrenteils baufдlligen Gebдude eine

Werst цstlich an einen hцheren, den Ьberschwemmungen nicht ausgesetzten Platz zu

verlegen.

Bereits haben sich am neuen Ort im verflossenen Jahr 1847 neun Wirte angesiedelt

und mit Ausnahme eines von Holz aufgefьhrten Hauses alle Wohnungen von

gebrannten Ziegeln 55 FuЯ lang und 32 FuЯ breit gebaut. Die ьbrigen 6 Wirte sind

in voller Tдtigkeit, ein gleiches zu bewerkstelligen. Das 1835 von gebrannten

Ziegeln unter einem Dach erbaute Bet- und Schulhaus soll auch noch in diesem

Jahr auf den neuen Bauplatz ьbertragen werden.

Durch die im Jahr 1809 der hiesigen Gemeinde von der hohen Krone geschenkten 2

spanischen Zuchtbцcke und 8 Zuchtmьtter ist die veredelte Schafzucht eingefьhrt

worden, welche im Verein mit dem im letzten Jahrzehnt zu hohem Preise

gestiegenen hier angebauten Weizen den Wohlstand der Gemeinde begrьndet hat. Die

Gemeinde Kronsgarten wurde erst im Jahr 1843 unter Verwaltung des Chortizer

Gebietsamtes gestellt.

Kronsgarten, den 6. Mai 1848. Dorfschulz Pleneris.

Beisitzer Klaassen. Klaassen.

Dorfschullehrer Johann Wieler.

________________

(1) d.h. wohl Gemeindeschдferei.

(2) vgl. S. 8 Punkt 4. - In ihrem Privilegentwurf hatten sich die Mennoniten

auch Eichenholz fьr zwei Mьhlen mit Zubehцr erbeten, was ihnen zugestanden

wurde, vgl. Epp a.a.O. S. 28.

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