- •5. Städtebürgerliche Dichtung (Spätmittelalter).
- •7. „Das Narrenschiff“ von Sebastian Brant
- •8. Die Dunkelmännerbriefe
- •10. «Vadiscus oder die römische Dreifaltigkeit» von Ulrich von Hutten
- •11. Das Tierepos „Reinke Fuchs“—ein Volksbuch
- •12. Till Eulenspiegel—ein Volksbuch
- •13. Das Schildbürgerbuch—ein Volksbuch
- •38. Heidelberger Romantik
- •43. Vormärzdichtung 30er Jahre
- •44.Die Vormärzdichtung 40er Jahre
- •45.“Buch der Lieder“ (1872) von Heine
- •49„Atta Troll“
7. „Das Narrenschiff“ von Sebastian Brant
Sebastian Brant (um 1457—1521) ist als Vertreter der religiös gefärbten Frührenaissance, Verfasser vieler satirisch-moralisierender Schriften und Begründer der sogenannten Narrenliteratur bekannt. In seiner Satire «Das Narrenschiff» (1494), wo über Hundert nach Narragonien (das Land der Narren) reisenden Narren vorgeführt werden, prangert der Dichter menschliche und gesellschaftliche Unzulänglichkeiten an, vor allem Geldgier, Ämterschacher, Trinksucht, Ehebruch, Wucher und anderes mehr. Das Werk wurde zum europäischen Bucherfolg.
Im Gegensatz zur Mehrheit der Humanisten schrieb Brant sein «Narrenschiff» in der Muttersprache. Es ist keine gewählte Gelehrtensprache, sondern Alltagsrede, wie sie damals üblich war. Es fallen Sprichwörter und volkstümliche Redewendungen auf. Volkstümlich ist auch das Metrum dieser in Reimpaaren abgefassten Dichtung. Es ist dies der sogenannte Knittelvers, den im XVIII. Jahrhundert auch Goethe in seinem «Faust» verwenden wird.
Brants dichterisches Vorbild war Freidank, den er übrigens herausgegeben hatte, und die volkstümliche Literatur der voraufgegangenen Periode. Die Narren als Helden gestaltete bereits die stadtbürgerliche Dichtung des ausgehenden Mittelalters. Nach Brants Meinung rühren alle Laster der Gesellschaft daher, daß die Menschen die Interessen der Allgemeinheit nicht berücksichtigten und ihren Eigennutz über das Gemeinwohl stellten. Egoismus und Habgier verunstalteten den Menschen geistig und seelisch. Der Dichter empört sich in komisch-burleskhaften Episoden, die oft derb und zynisch wirken, darüber, daß die bürgerlichen Lebensideale nichts mehr wert sind. Sein Wissen um die Lasterhaftigkeit (безнравственность) und Verdorbenheit der gegenwärtigen Gesellschaft und der Privatmenschen stimmen ihn mitunter pessimistisch, aber im großen und ganzen ist «Das Narrenschiff» voller Freude darüber, daß in Deutschland humanistische Weisheit und Wissenschaft Wurzel gefaßt haben.
8. Die Dunkelmännerbriefe
Die „Dunkelmännerbriefe“ (1515—1517), die im Resultat des berühmten Streites des humanistischen Gelehrten Reuchlin (1455—1522) mit dem zum Christentum übergegangenen, glaubenseifrigen Juden namens Pfefferkorn entstanden waren, sind ein in Latein abgefaßtes Gemeinschaftswerk des deutschen Humanismus, durch das die scholastische Gelehrsamkeit zum Gespött (предмет насмешек) ganz Europas wurde. Zu den Mitverfassern dieses satirischen Meisterwerks zählen Ulrich von Hutten und sein Lehrer Crotus Rubeanus, während die Autorschaft anderer Humanisten unbewiesen bleibt.
Die „Dunkelmännerbriefe“ stellen eine Sammlung von mehr als hundert fingierten Briefen europäischer Theologen an Magister Ortwin Gratius dar, in denen die Geistlichen als vermeintliche Verfasser durch barbarisches, fehlerhaftes Küchenlatein, vermischt mit deutschen Brocken, und Unwissenheit ihre Halbbildung und geistige Borniertheit offenbarten. Ihre Rückständigkeit, Pseudogelehrsamkeit und sittliche Verwilderung wurden nunmehr geradezu sprichwörtlich.
Die «.Dunkelmännerbriefe» besiegelten den Triumph des Humanismus über mittelalterliche Scholastik und die gesamte katholische Ideologie, den Sieg des neuen, diesseitig lichten Geistes über die finsteren lebensfeindlichen Mächte des Alten.
Die Schreibmanier der «Dunkelmännerbriefe» zeichnet sich durch Schärfe und Lebendigkeit, durch den Reichtum an feiner Ironie, bösem Sarkasmus und gelegentlich derbem volkstümlichem Witz aus. Gerade diesen Eigenschaften verdankt diese antiklerikale Satire ihren so großen Erfolg und tiefe Wirkung. Wissarion Belinski gab ihr eine sehr hohe Wertschätzung, er verglich sie mit den Komödien des Aristophanes, den Dialogen des Lukianos und den Voltairschen philosophischen Erzählungen.
9. „Lobrede auf die Torheit“ von Erasmus von Rotterdam
Der große Gelehrte und Parteigänger sehr gemäßigter bürgerlicher Opposition, das Haupt des europäischen Humanismus Erasmus von Rotterdam (1466—1536) war eine recht widersprüchliche Persönlichkeit, die in Zeiten heftigster Auseinandersetzungen im politischen und religiösen Bereich ein beschauliches Leben erstrebte und das christliche Ethos mit dem Geist der Antike zu vereinigen suchte. Unter den zahlreichen Schriften des humanistischen Gelehrten und Schrifstellers ragt seine umfassende, aus zwei Teilen bestehende Satire auf die damaligen Zustände «Lobrede auf die Torheit» (1509) hervor. Indem er zur scheinbaren Widersinnigkeit in der Konzeption und Gedankenführung greift (Die Torheit betritt die Rednerkanzel, lobt sich selbst als Herrscherin der Welt), unterwirft der Verfasser darin alle Bevölkerungsschichten einer vernichtenden Kritik: den römischen Papst, dieser Statthafter Gottes auf Erden, der sich gleichsam ein Raubritter benimmt, den deutschen Kaiser, der an das Wohl seiner Untanen gar nicht denkt, eigennützige weltliche und geistliche Würdenträger, unehrliche Richter, bramarbasierende Landsknechte, Handwerker, Wucherer, Kaufleute, Ärzte u. a. Aufs Korn genommen werden auch dumme Grammatiker, eitle Philosophen und viele andere Berufe und Stellungen. Verspottet werden in dem Werk also menschliche Torheiten wie gesellschaftliche Mißstände. Mit seiner „Lobrede auf die Tornheit“ tritt Erasmus von Rotterdam in die Fußstapfen der Narrenliteriatur, er knüpft an «Das Narrenschiff» von Sebastian Brant an, der ihm als Vorbild diente. Die hervorragende Satire erinnert gleichfalls an die antiken Autoren Lukianos und Plautus. Dieses zutiefst humanistische Werk ist eines der lebendigsten Zeugnisse der lateinisch geschriebenen Literatur. Es ist lebenswahr in jeder Beziehung; die Gestalten, die hier hervortreten, zeichnen sich durch eindringliche Anschaulichkeit und Unverwechselbarkeit aus. Die böse Satire, die sich an vielen Stellen geradezu bis zum Sarkasmus steigert, vereinigt sich darin aufs glücklichste mit Humor und Komik. Das Buch erfreute sich zu Lebzeiten des Verfassers großer Beliebtheit unter den Humanisten, den breiten Massen aber blieb dieses Meisterwerk des europäischen Humanismus lange Zeit unzugänglich, weil es lateinisch abgefaßt war.