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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich ging auf Helen zu. Als ich ihre Schulter ber"uhrte, f"uhlte ich, wie sie bebte. ›Warum bist du gekommen?‹ fragte sie noch einmal.

›Ich habe es vergessen.‹ erwiderte ich. ›Ich bin hungrig, Helen. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen.‹

Neben ihr auf einem kleinen, bemalten italienischen Tisch stand in einem silbernen Rahmen die Fotografie eines Mannes, den ich nicht kannte, ›brauchen wir das noch?‹ fragte ich.

›Nein‹, sagte sie "uberrascht. Sie nahm die Fotografie und schob sie in die Schublade des Tisches.«

Schwarz sah mich an und l"achelte.»Sie warf sie nicht fort«, sagte er.»Sie zerriss sie nicht. Sie legte sie in die Schublade. Sie konnte sie so wieder hervorholen und aufstellen, wann sie wollte. Ich weiss nicht warum, aber diese Geste von Raison d’^etre entz"uckte mich. F"unf Jahre fr"uher h"atte ich sie nicht verstanden und eine Szene gemacht. Jetzt zerbrach sie eine Situation, die pomp"os zu werden drohte. Wir ertragen grosse Worte in der Politik, aber noch nicht im Gef"uhl. Leider noch nicht. Umgekehrt w"are es besser. Helens franz"osische Geste zeigte nicht weniger Liebe; nur weibliche Vorsicht. Ich hatte sie einmal entt"auscht; wozu sollte sie mir sofort wieder trauen? Ich dagegen hatte nicht umsonst in Frankreich gelebt; ich fragte sie nichts. Was hatte ich auch zu fragen? Und woher h"atte ich ein Recht dazu gehabt? Ich lachte. Sie stutzte. Dann begann sich ihr Gesicht zu erhellen, und sie lachte auch. ›Hast du dich eigentlich von mir scheiden lassen?‹ fragte ich.

Sie sch"uttelte den Kopf. ›Nein. Aber nicht deinetwegen. Ich habe es nicht getan, um meine Familie zu "argern.‹«

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»Ich schlief nur wenige Stunden in dieser Nacht«, sagte Schwarz.»Ich war sehr m"ude, aber ich wachte oft auf. Die Nacht dr"angte von aussen gegen den kleinen Raum, in dem wir lagen. Ich glaubte Ger"ausche zu h"oren, und in sekundenlangen Halbtr"aumen war ich auf der Flucht und schreckte hoch.

Helen wachte nur einmal auf. ›Kannst du nicht schlafen?‹ fragte sie durch das Dunkel.

›Nein. Ich habe es auch nicht erwartete Sie machte Licht. Die Schatten sprangen aus dem Fenster. ›Man kann nicht alles verlangen‹, sagte ich. ›"Uber meine Tr"aume habe ich keine Kontrolle. Ist noch Wein da?‹

›Genug. Darin ist meine Familie zuverl"assig. Seit wann trinkst du Wein?‹

›Seit ich in Frankreich bin.‹

›Gut‹, sagte sie. ›Verstehst du schon etwas davon?‹

›Nicht viel. Haupts"achlich von Rotwein. Billigem.‹

Helen stand auf und ging in die K"uche. Sie kam mit zwei Flaschen und einem Korkenzieher zur"uck. ›Unser glorreicher F"uhrer hat das alte Weingesetz modifiziert‹, sagte sie. ›Fr"uher durfte bei Naturweinen kein Zucker zugef"ugt werden. Jetzt darf sogar die G"arung unterbrochen werden.‹

Sie sah mein verst"andnisloses Gesicht. ›Das macht saure Weine in schlechten Jahrg"angen s"usser‹, erkl"arte sie und lachte. ›Ein Schwindel der Herrenrasse, um den Export zu erh"ohen und Devisen hereinzubekommen.‹

Sie gab mir die Flaschen und den Korkenzieher. Ich "offnete eine Flasche Mosel. Helen brachte zwei d"unne Gl"aser. ›Woher bist du so braun?‹ fragte ich.

›Ich war im M"arz in den Bergen. Skilaufen.‹

›Nackt?‹

›Nein. Aber man kann nackt in der Sonne liegen.‹

›Seit wann l"aufst du Ski?‹

›Jemand hat es mir beigebracht‹, erwiderte sie und sah mich herausfordernd an.

›Gut. Es soll sehr gesund sein.‹

Ich f"ullte ein Glas und gab es ihr. Der Wein roch herber und aromatischer als die burgundischen Weine. Ich hatte keinen mehr getrunken, seit ich Deutschland verlassen hatte.

›Willst du nicht auch wissen, wer es mir beigebracht hat?‹ fragte Helen.

›Nein.‹

Sie sah mich "uberrascht an. Fr"uher h"atte ich wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch danach gefragt. Jetzt war nichts belangloser. Die schwerelose Unwirklichkeit des Abends war wieder da. ›Du hast dich ge"andert‹, sagte sie.

›Heute abend hast du mir zweimal gesagt, ich h"atte mich nicht ge"andert.‹ erwiderte ich. ›Das eine ist ebensowenig wichtig wie das andere.‹

Sie hielt ihr Glas, ohne zu trinken. ›Vielleicht m"ochte ich, dass du dich nicht ge"andert h"attest.‹

Ich trank. ›Um mich leichter zu zerschlagen?‹

›Habe ich dich fr"uher zerschlagen?‹

›Ich weiss es nicht. Ich glaube nicht. Es ist sehr lange her. Wenn ich daran zur"uckdenke, wie ich damals war, w"usste ich nicht, warum um alles in der Welt du es nicht versucht haben solltest.‹

›Man versucht es immer; weisst du das nicht?‹

›Nein‹, sagte ich. ›Aber ich bin jetzt gewarnt. Der Wein ist gut. Wahrscheinlich ist bei ihm die Fermentation nicht unterbrochen worden.‹

›Wie bei dir?‹

›Helen‹, sagte ich. ›Du bist nicht nur sehr aufregend – du bist auch komisch, und das ist eine ausserordentlich seltene und reizvolle Kombination.‹

›Sei nicht so sicher‹, erwiderte sie "argerlich und setzte sich auf das Bett, den Wein immer noch in der Hand.

›Ich bin nicht sicher. Aber "ausserste Unsicherheit kann, wenn sie nicht zum Tode f"uhrt, zu einer Sicherheit fuhren, die nicht zu ersch"uttern ist‹, sagte ich lachend. ›Das sind grosse Worte, aber sie sind nur die einfache Erfahrung eines Kugel-Daseins.‹

›Was ist ein Kugel-Dasein?‹

›Meines. Eines, das nirgendwo bleiben kann; das sich nie ansiedeln darf; immer im Rollen bleiben muss. Das Dasein des Emigranten. Das Dasein des indischen Bettelm"onches. Das Dasein des modernen Menschen. Es gibt "ubrigens mehr Emigranten, als man glaubt. Auch solche, die sich nie vom Fleck ger"uhrt haben.‹

›Das klingt sehr gut‹, sagte Helen. ›Besser als b"urgerliche Stagnation.‹

Ich nickte. ›Man kann es auch mit anderen Worten beschreiben; dann klingt es nicht so gut. Aber unsere Vorstellungskraft ist gottlob nicht sehr gross. Sonst w"urde es auch viel weniger Kriegsfreiwillige geben.‹

›Alles ist besser als Stagnation.‹ sagte Helen und trank ihr Glas aus.

Ich betrachtete sie, w"ahrend sie trank. Wie jung sie ist, dachte ich, wie jung, unerfahren, trotzig liebenswert, gef"ahrlich und t"oricht. Sie weiss nichts. Nicht einmal, dass b"urgerliche Stagnation ein moralischer Zustand ist; kein geographischer.

›M"ochtest du in sie zur"uck?‹ fragte sie.

›Ich glaube nicht, dass ich es k"onnte. Mein Vaterland hat mich wider meinen Willen zum Weltb"urger gemacht. Nun muss ich es bleiben. Zur"uck kann man nie.‹

›Auch nicht zu einem Menschen?‹

›Auch nicht zu einem Menschen‹, sagte ich. ›Selbst die Erde f"uhrt ein Kugel-Dasein, ist ein Emigrant der Sonne. Man kann nie zur"uck. Oder man zerkracht.‹

›Gott sei Dank.‹ Helen hielt mir ihr Glas hin. ›Wolltest du nie zur"uck?‹

›Immer‹, erwiderte ich. ›Ich folge nie meinen Theorien. Das gibt ihnen doppelten Reiz.‹

Helen lachte. ›Das alles ist nicht wahr!‹

›Nat"urlich nicht. Es ist ein bisschen Spinngewebe, um anderes zu verdecken.‹

›Was?‹

›Etwas ohne Worte.‹

›Etwas, das es nur nachts gibt?‹

Ich antwortete nicht. Ich sass ruhig im Bett. Der Wind der Zeit hatte aufgeh"ort zu wehen. Er sauste mir nicht mehr in den Ohren. Es war, als ob ich aus einem Flugzeug in einen Ballon gekommen w"are. Ich schwebte und flog noch; aber der L"arm der Motoren war verstummt.

›Wie heisst du jetzt?‹ fragte Helen.

›Josef Schwarz.‹ Sie gr"ubelte einen Augenblick.

›Heisse ich dann jetzt auch Schwarz?‹

Ich musste l"acheln. ›Nein, Helen. Es ist nur irgendein Name. Der Mann, von dem ich ihn habe, hatte ihn auch schon geerbt. Ein ferner, toter Josef Schwarz lebt wie der ewige Jude in mir bereits in der dritten Generation weiter. Ein fremder, toter Geistesahne.‹

›Du kennst ihn nicht?‹

›Nein.‹

›F"uhlst du dich anders, seit du einen anderen Namen hast?‹

›Ja‹, sagte ich. ›Weil ein St"uck Papier dazugeh"ort. Ein Pass.‹

›Auch wenn er falsch ist?‹

Ich lachte. Es war eine Frage aus einer anderen Welt. Wie falsch und wie echt ein Pass war, lag an dem Polizisten, der ihn kontrollierte. ›Man k"onnte dar"uber eine philosophische Parabel erfinden‹, sagte ich. ›Sie m"usste damit beginnen, zu untersuchen, was ein Name ist. Ein Zufall oder eine Identifikation.‹

›Ein Name ist ein Name‹, erwiderte Helen pl"otzlich st"orrisch. ›Ich habe meinen verteidigt. Es war deiner. Jetzt kommst du und hast irgendwo einen anderen gefunden.‹

›Er ist mir geschenkt worden‹, sagte ich. ›Es war das kostbarste Geschenk der Welt f"ur mich. Ich trage ihn mit Freude. Er bedeutet G"ute f"ur mich. Menschlichkeit. Wenn ich verzweifeln sollte, irgendwann, wird er mich daran erinnern, dass G"ute nicht tot ist. Woran erinnert dich deiner? An ein Geschlecht preussischer Krieger und J"ager mit dem Weltbild von F"uchsen, W"olfen und Pfauen.‹

›Ich habe nicht vom Namen meiner Familie gesprochen‹, erwiderte Helen und liess einen Pantoffel auf ihren Zehen balancieren. ›Ich trage auch noch deinen. Den fr"uheren, Herr Schwarz.‹

Ich "offnete die zweite Flasche Wein. ›Man hat mir erz"ahlt, dass es in Indonesien Sitte sei, ab und zu die Namen zu wechseln. Wenn jemand seiner Pers"onlichkeit m"ude wird, wechselt er sie, ergreift einen neuen Namen und beginnt ein neues Dasein. Eine gute Idee!‹

›Hast du ein neues Dasein angefangen?‹

›Heute‹, sagte ich.

Sie liess den Pantoffel auf den Boden gleiten. ›Nimmt man nichts in ein neues Dasein mit?‹

›Ein Echo‹, sagte ich.

›Keine Erinnerung?‹

›Das ist ein Echo. Erinnerung, die nicht mehr schmerzt und besch"amt.‹

›Als s"ahe man einen Film?‹ fragte Helen.

Ich blickte sie an. Sie sah aus, als w"urde sie mir im n"achsten Augenblick ihr Glas an den Kopf werfen. Ich nahm es ihr aus der Hand und goss den Wein aus der zweiten Flasche ein. ›Was ist das f"ur einer?‹

›Schloss Reinhartshausener. Ein grosser Rheinwein. Voll ausgereift. Nicht unterbrochen in der G"arung. Gleichgeblieben in seinem Charakter. Nicht zu einem Pf"alzer umgedeutet.‹

›Kein Emigrant also?‹ sagte ich.

›Kein Cham"aleon, das seine Farbe wechselt. Nicht jemand, der sich seiner Verantwortung entzieht.‹

›Mein Gott, Helen!‹ sagte ich. ›H"ore ich die Fl"ugel b"urgerlicher Wohlanst"andigkeit rauschen? Wolltest du nicht ihrer Stagnation entgehen?‹

›Du machst mich Dinge sagen, die ich nicht meine‹, erwiderte sie zornig. ›Wovon reden wir hier? Und wozu? In der ersten Nacht! Warum k"ussen wir uns nicht oder hassen uns?‹

›Wir k"ussen und hassen uns.‹

›Das sind Worte! Woher hast du all die vielen Worte? Ist es richtig, dass wir hier so sitzen und so reden?‹

›Ich weiss nicht, was richtig ist.‹

›Woher hast du dann all die Worte? Hast du dr"uben so viel geredet und so viel Gesellschaft gehabt?‹

›Nein‹, sagte ich. ›So wenig. Deshalb kommen die Worte jetzt herausgest"urzt wie "Apfel aus einem Korb. Ich bin ebenso "uberrascht wie du.‹

›Ist das wahr?‹

›Ja, Helen‹, sagte ich. ›Es ist wahr. Siehst du denn nicht, was es heisst?‹

›Kannst du es nicht einfacher sagen?‹

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