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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Vor vier Wochen hatte ich noch einen Brief von Helen gehabt. Sie musste also noch da sein. ›Danke‹, sagte ich.

›Was ist da zu danken?‹ fragte die Frau bitter. ›Danken Sie lieber Gott, dass Ihre Eltern Ihnen ein Vaterland gegeben haben, das Sie lieben k"onnen, auch wenn es ungl"ucklich ist und in seinem Ungl"uck noch Ungl"ucklichere einsperrt und f"ur Raubtiere zur Verf"ugung h"alt, um sie t"oten zu k"onnen – dieselben Raubtiere, die Ihr Land ungl"ucklich gemacht haben! Und nun machen Sie weiter Licht‹, f"ugte sie hinzu. ›Es w"are besser, wenn in manchen K"opfen mehr Licht gemacht w"urde!‹

›War schon eine deutsche Kommission hier?‹

›Weshalb wollen Sie denn das wissen?‹

›Ich habe geh"ort, dass man darauf wartet.‹

›Macht es Ihnen Spass, das zu wissen?‹

›Nein. Ich muss jemand warnen.‹

›Wen?‹ sagte die Frau und richtete sich auf.

›Helen Baumann‹, erwiderte ich.

Die Frau sah mich an. ›Wovor?‹ fragte sie dann.

›Kennen Sie sie?‹

›Warum?‹

Wieder war da die Mauer des Misstrauens, die ich erst sp"ater verstand. ›Ich bin ihr Mann‹, sagte ich.

›K"onnen Sie das beweisen?‹

›Nein. Ich habe andere Papiere als sie. Aber vielleicht gen"ugt es, wenn ich Ihnen sage, dass ich kein Franzose bin.‹ Ich holte den Pass des toten Schwarz hervor. ›Ein Nazipass‹, sagte die Frau. ›Das habe ich mir gedacht. Wozu machen Sie das?‹

Ich verlor die Geduld. ›Um meine Frau wiederzusehen. Sie ist hier. Sie hat es mir selbst geschrieben.‹

›Haben Sie den Brief?‹

›Nein. Ich habe ihn vernichtet, als ich floh. Wozu die Geheimnistuerei hier?‹

›Das m"ochte ich auch wissen‹, sagte die Frau. ›Aber von Ihnen.‹

Der Arzt kam zur"uck. ›Sind Sie hier n"otig?‹ fragte er die Frau.

›Nein.‹

›Dann kommen Sie mit. Sind Sie fertig?‹ fragte er mich.

›Noch nicht. Ich komme morgen noch einmal.‹

Ich ging zur"uck zur Kantine. Die rothaarige Frau stand mit zwei anderen an einem Tisch und verkaufte ihnen Unterzeug. Ich wartete und f"uhlte wieder, dass mein Gl"uck auslief; ich musste fort, wenn ich noch aus dem Lager herauswollte. Die Wachen w"urden abgel"ost werden, und einer neuen h"atte ich alles noch einmal erkl"aren m"ussen. Helen sah ich nicht. Die Frau vermied meinen Blick. Sie zog die Verhandlungen in die L"ange. Dann kamen noch einige dazu, und ich sah einen Offizier vor dem Fenster vorbeigehen. Ich verliess die Kantine.

Die alten Wachen waren noch am Ausgang. Sie erinnerten sich und liessen mich passieren. Ich ging und hatte dasselbe Gef"uhl wie in Le Vernet: dass sie mir nachkommen w"urden, um mich zu fangen. Der Schweiss brach mir aus.

Ein alter Lastwagen kam die Strasse herauf. Ich konnte nirgendwohin ausweichen und ging am Rande der Strasse weiter, den Blick auf dem Boden. Der Wagen passierte mich und hielt dicht hinter mir. Ich widerstand der Versuchung zu laufen. Der Wagen konnte rasch drehen, und dann hatte ich keine Chance. Ich h"orte rasche Tritte hinter mir. Jemand rief: ›He, Monteur!‹

Ich drehte mich um. Ein "alterer Mann in Uniform kam heran. ›Verstehen Sie was von Motoren?‹

›Nein. Ich bin Elektriker.‹

›Vielleicht ist es auch die elektrische Z"undung. Schauen Sie doch mal unsern Motor nach.‹

›Ja, sehen Sie einmal nach‹, sagte der zweite Fahrer. Ich blickte auf. Es war Helen. Sie stand hinter dem Soldaten und starrte mich an und hielt den Finger auf den Mund. Sie trug Hosen und einen Sweater und war sehr d"unn.

›Sehen Sie einmal nach‹, wiederholte sie und liess mich an sich vorbeigehen. ›Vorsicht!‹ murmelte sie. ›Tu so, als verst"andest du etwas! Nichts ist kaputt.‹

Der Soldat schlenderte hinter uns her. ›Wo kommst du her?‹ fl"usterte sie. Ich "offnete die knarrende Motorhaube. ›Geflohen. Wie kann ich dich treffen?‹

Sie beugte sich mit mir "uber den Motor. ›Ich kaufe f"ur die Kantine ein. "Ubermorgen. Sei im Dorf! Im ersten Caf'e links. Um neun Uhr morgens.‹

›Und vorher?‹

›Dauert’s lange?‹ fragte der Soldat.

Helen holte ein Paket Zigaretten aus ihrer Hosentasche und hielt es ihm hin. ›Nur ein paar Minuten. Nichts Wichtiges.‹

Der Soldat z"undete seine Zigarette an und setzte sich an den Strassenrand. ›Wo?‹ fragte ich Helen, "uber den Motor gebeugt. ›Im Wald? An der Umz"aunung? Ich war gestern da. Heute abend?‹

Sie z"ogerte einen Augenblick. ›Gut. Heute abend. Ich kann nicht vor zehn Uhr.‹

›Warum nicht?‹

›Dann sind die andern weg. Also um zehn. Und sonst "ubermorgen fr"uh. Sei vorsichtig.‹

›Wie sind die Gendarmen hier?‹

Der Soldat kam heran. ›Nicht so schlimm‹, sagte Helen auf franz"osisch. ›Sofort fertig.‹

›Es ist ein alter Wagen‹, erkl"arte ich.

Der Soldat lachte. ›Die neuen haben die Boches. Und die Minister. Fertig?‹

›Fertig‹, sagte Helen.

›Gut, dass wir Sie getroffen haben‹, erkl"arte der Soldat. ›Ich verstehe von Autos nur, dass sie Benzin brauchen.‹

Er kletterte auf den Wagen. Helen folgte ihm. Sie schaltete ein. Wahrscheinlich hatte sie nur die Z"undung abgestellt gehabt. Der Motor lief. ›Danke‹, sagte sie und lehnte sich aus dem Sitz zu mir herunter. Ihre Lippen formten unh"orbare Worte. ›Sie sind ein erstklassiger Fachmann‹, sagte sie dann und fuhr an.

Ich stand ein paar Sekunden in dem blauen "Olrauch. Ich empfand fast nichts, so wie man raschen Wechsel von grosser Hitze und K"alte als dasselbe empfindet. Dann, langsam, w"ahrend ich mechanisch weiterging, begann ich zu denken, und mit dem Denken kam die Unruhe und die Erinnerung an das, was ich geh"ort hatte, und die leise, zitternde, bohrende Qual des Zweifels.

Ich lag im Walde und wartete. Die Klagemauer, wie Helen die Frauen nannte, die still und blind in den Abend sahen, lichtete sich. Bald waren die meisten fort, zur"uckgehuscht. Es wurde dunkel. Ich starrte auf die Pfeiler der Einz"aunung. Sie wurden zu Schatten, und dann erschien zwischen ihnen ein neuer dunkler Schatten. ›Wo bist du?‹ fl"usterte Helen.

›Hier!‹

Ich tastete mich zu ihr hin"uber. ›Kannst du heraus?‹ fragte ich.

›Sp"ater. Wenn alle weg sind. Warte.‹

Ich schlich zur"uck in das Geh"olz, gerade weit genug, um nicht gesehen zu werden, wenn jemand eine Taschenlampe auf den Wald richten w"urde. Ich lag auf dem Boden und roch den starken Geruch des toten Laubes. Ein schwacher Wind kam auf, und um mich raschelte es, als kr"ochen tausend Spione auf mich zu. Meine Augen gew"ohnten sich mehr und mehr an die Dunkelheit, und ich sah jetzt Helens Schatten und dar"uber ungewiss ihr bleiches Gesicht, dessen Z"uge ich nicht erkennen konnte. Sie hing wie eine schwarze Pflanze mit einer weissen Bl"ute im Stacheldraht, und dann wieder schien sie eine dunkle namenlose Figur aus dunklen Zeiten zu sein, und gerade dass ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte, machte es zu allen Gesichtern aller Leidenden der Welt. Ein St"uck weiter weg erkannte ich eine zweite Frau, die ebenso wie Helen stand, und dann eine dritte und eine vierte weiter weg – sie standen wie ein Fries von Karyatiden, die einen Himmel von Trauer und Hoffnung trugen.

Es war fast unertr"aglich, und ich blickte fort. Als ich wieder hinsah, waren die anderen drei lautlos verschwunden, und ich sah, dass Helen sich b"uckte und am Stacheldraht zerrte. ›Halt ihn auseinander‹, sagte sie. Ich trat auf den unteren Draht und hob die n"achsten an.

›Warte‹, fl"usterte Helen.

›Wo sind die anderen?‹ fragte ich.

›Zur"uck. Eine ist eine Nazi. Ich konnte deshalb nicht fr"uher durch. Sie h"atte mich verraten. Die, die weinte.‹

Helen zog ihre Bluse und ihren Rock aus und reichte sie mir durch den Draht. ›Sie d"urfen keine Risse bekommen‹, sagte sie. ›Ich habe keine anderen mehr.‹

Es war wie bei armen Familien, bei denen es weniger wichtig ist, dass Kinder sich die Knie zerschlagen, als dass sie die Str"umpfe zerreissen, da die Wunden heilen, aber man Str"umpfe neu kaufen muss.

Ich f"uhlte die Kleider in meinen H"anden. Helen beugte sich nieder und kroch vorsichtig durch den Draht. Sie erhielt einen Riss an der Schulter. Wie eine sehr d"unne, schwarze Schlange stieg das Blut aus der Haut. Sie erhob sich. ›K"onnen wir fliehen?‹ fragte ich.

›Wohin?‹

Ich wusste keine Antwort. Wohin? ›Nach Spanien‹, sagte ich. ›Nach Portugal. Nach Afrika.‹

›Komm‹, sagte Helen. ›Komm und lass uns nicht dar"uber sprechen. Niemand kann von hier fliehen ohne Papiere. Deshalb passen sie ja nicht einmal genau auf‹

Sie ging mir voran in den Wald. Sie war fast nackt und geheimnisvoll und sehr sch"on. Es war nur eine Ahnung von Helen, meiner Frau aus den letzten Monaten, "ubriggeblieben; gerade genug, um sie s"uss und schmerzlich zu erkennen unter dem Hauch der Vergangenheit, in dem die Haut sich fr"ostelnd und voll Erwartung zusammenzog. Daf"ur aber war jemand da, fast ohne Namen noch, herabgestiegen aus dem Karyatidenfries, umgeben von neun Monaten einer Fremde, die mehr war als zwanzig Jahre in einem normalen Dasein.«

14

Der Besitzer der Kneipe, in der wir vorher gewesen waren, kam zu uns heran.»Sie ist ausgezeichnet, die Dicke«, erkl"arte er w"urdig.»Franz"osin. Ein raffinierter Satan, sehr zu empfehlen, meine Herren! Unsere Frauen sind feurig, aber zu schnell.«Er schnalzte.

»Ich verabschiede mich jetzt. Nichts besser, als sich das Blut von einer Franz"osin reinigen zu lassen. Sie verstehen das Leben. Man braucht bei ihnen auch weniger zu l"ugen als bei unseren Frauen. Gute Heimkehr, meine Herren! Nehmen Sie nicht Lolita oder Juana. Beide sind nichts wert, und Lolita stiehlt gern dann, wenn man nicht aufpassen kann.«

Er ging. Als er die T"ur "offnete, sprang der Morgen herein, und man h"orte den L"arm der Fr"uhe.»Wir m"ussen wohl auch gehen«, sagte ich.

»Ich bin bald fertig mit meiner Erz"ahlung«, erwiderte Schwarz,»und wir haben noch etwas Wein.«

Er bestellte Wein und Kaffee f"ur die drei Frauen, um Ruhe zu haben.

»Es war eine Nacht, in der wir wenig sprachen«, fuhr er fort.»Ich hatte meine Jacke ausgebreitet, und als es k"uhler wurde, deckten wir uns mit Helens Rock und Bluse und meinem Sweater zu. Helen schlief ein und wachte wieder auf; einmal hatte ich, im Halbschlaf, das Gef"uhl, dass sie weinte, und dann war sie wieder von einer ungest"umen Z"artlichkeit und voll von Liebkosungen, die ich von ihr nicht kannte. Ich fragte sie nichts und erz"ahlte ihr auch nichts, was ich im Lager geh"ort hatte. Ich liebte sie sehr und war doch in einer unerkl"arlichen, k"uhlen Weise entfernt von ihr. In die Z"artlichkeit mischte sich eine Trauer, die die Z"artlichkeit noch verst"arkte; es war, als l"agen wir dicht am Jenseits angeschmiegt, viel zu weit, um je noch zur"uckzukommen oder je irgendwo anzukommen, nur noch Flug, Beieinandersein und Verzweiflung, das war es, Verzweiflung, lautlose, jenseitige Verzweiflung, in die unsere gl"ucklichen Tr"anen tropften, ungeweinte Schattentr"anen eines Wissens, das das Vergehen kennt, aber keine Ankunft und keine R"uckkehr mehr.

›K"onnen wir nicht fliehen?‹ fragte ich noch einmal, bevor Helen wieder zur"uck durch den Stacheldraht schl"upfte.

Sie antwortete nicht, bevor sie auf der anderen Seite war. ›Ich kann nicht‹, fl"usterte sie dann. ›Ich kann nicht. Andere w"urden daf"ur bestraft. Komm wieder! Komm morgen abend wieder. Kannst du morgen abend wiederkommen?‹

›Wenn ich nicht vorher erwischt werde.‹

Sie starrte mich an. ›Was ist aus unserm Leben geworden?‹ fragte sie dann. ›Was haben wir getan, dass so etwas aus unserm Leben geworden ist?‹

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