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§ 25. Semantisch-grammatische Funktionen des Artikels

Von einigen Seiten aus nimmt der Artikel an der Präzisierung des substantivischen Begriffsgehaltes teil. Wie in § 15 angedeutet wurde, hilft der Gebrauch des Artikels (eigentlich die Artikellosigkeit), die semantisch-grammatischen Klassen des Substantivs auszusondern — vor allem bei der Gegenüberstellung der zählbaren und unzählbaren Substantivarten. Diese Frage scheint uns aber schon genügend erörtert zu sein, so daß jetzt zwei andere semantisch-grammatische Leistungen des Artikels zu Sprache kommen werden.

Erstens bringt der Artikel, sowohl der bestimmte als auch der unbestimmte, einen Hinweis darauf, ob der im Substantiv enthaltene Begriff als ein individualisierter oder generalisierter gedacht ist. Diese Frage wurde schon oben berührt, wobei die Unzulänglichkeit des Artikels zur genauen Bezeichnung solcher Unterschiede betont wurde. Es ist noch hinzuzufügen, daß auch die Nullform des Artikels eine generalisierende Bedeutung haben kann:

Stadt, das war die Höhle mit ihren Schlupfwinkeln, ihren gewundenen Gängen. (Seghers)

Ohne Artikel stehen also zuweiln die Substantive, wenn sie in ganz allgemeiner Bedeutung verwendet werden, um den betreffenden Begriff in seiner Ganzheit zu charakterisieren:

Phonetik heißt die Lehre von den Sprachlauten. Held ist, wer einer guten, freiheitlichen Sache als Kämpfer vorbildlich aufs beste dient. (Becher) Kauf im kategorischen Sinn unterstellt nämlich Gold oder Silber schon als verwandelte Gestalt der Ware, oder als Produkt des Verkaufs. (Marx) Ware wird verkauft, nicht um Ware zu kaufen, sondern um Warenform durch Geldform zu ersetzen. (Marx)

Aber in derselben generalisierenden Funktion kann auch bei dem Wort Phonetik die Form mit dem bestimmten Artikel und bei dem Wort Held (einem Gattungsnamen) die Form mit dem unbestimmten Artikel auftreten. Es klingt auch ganz korrekt, wenn man sagt:

Die Phonetik heißt die Lehre von den Sprachlauten; Ein Held ist, wer einer guten freiheitlichen Sache als Kämpfer vorbildlich aufs beste dient.

Solche Formen sind sogar viel häufiger als die artikellosen. Vgl. Die Ware ist zunächst ein äußerer Gegenstand... (Marx)

Also ist keine Form des Artikels (weder die bestimmte noch die unbestimmte noch die Nullform) als alleinige «generalisierende» Artikelform anzusehen.

Anderseits ist aber die artikellose Form keineswegs an die generalisierende Funktion gebunden. Im Gegenteil fehlt der Artikel sehr oft gerade bei solchen Substantiven, die als individualisierte auftreten (Eigennamen und verschiedene Substantive in der Anrede). Wie wir schon früher gesehen haben, gehören zum eigentlichen Bereiche der Artikellosigkeit solche Substantivarten, die überhaupt keinen Gegensatz der Individualisierung zur Generalisierung kennen (Stoffnamen, zum Teil Abstrakta — vgl. § 15).

Der Artikel fehlt oft auch dann, wenn das Substantiv eher eine Eigenschaft als einen Dingbegriff bezeichnet. Gewöhnlich hat diese Verschiebung im Bedeutungsgehalt des Substantivs den Gebrauch in spezifischen syntaktischen oder phraseologischen Konstruktionen zur Vorbedingung, aber es ist auch eine gewisse semantische Veranlagung des Substantivs selbst erforderlich. Vgl. den artikellosen Gebrauch der Prädikativa mit der Semantik des Berufs oder der Beschäftigung (z. B. Ich bin Student) oder die artikellose Form Ohr in der Wendung Ich bin ganz Ohr.

Eine Art Parallele zu der Gegenüberstellung individualisierend-generalisierend bei Substantiven bildet die Gegenüberstellung von «einmaligen» und «mehrmaligen» (zuweilen sogar andauernden) Prozessen beim Verb. Ein und dieselbe Verbalform in formell ein und demselben Elementarsatz (s. § 47) kann je nach dem Kontext und der Situation diese beiden Bedeutungen ausdrücken: Einmalig: Er sah sie erstaunt an, als sie an diesem Tage ganz unerwartet ausrief...— mehrmalig: Er sah sie erstaunt an, wenn sie von ihrer Vergangenheit sprach. Dieser Unterschied gehört eigentlich zu dem System der verbalen Aktionalität, aber im Deutschen findet er keinen formalen grammatischen Ausdruck. Übrigens bedeutet im ersten der beiden Beispiele die Einmaligkeit auch Diesmaligkeit («...als diesmal...»), was der Semantik der Bestimmtheit ganz nahe steht.

Zweitens präzisiert der Artikel den Begriffsgehalt des Substantivs vom Standpunkt seiner Bestimmtheit oder Unbestimmtheit aus. Hier sind die Rollen der Artikel besser verteilt {der drückt die Bestimmtheit, ein die Unbestimmtheit aus). Die Gegenüberstellung von Bestimmtheit und Unbestimmtheit vollzieht sich vor allem auf dem Gebiete der individualisierten Formen. (Der Plural als eine konkrete, begrenzte Mehrheit erscheint hier auch als individualisiert.) Am klarsten tritt der Unterschied zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit bei der ersten Nennung und bei Wiederholung eines schon genannten Wortes zutage:

Ein schwerfälliger Stier und ein flüchtiger Hirsch weideten auf einer Wiese zusammen. «Hirsch», sagte der Stier. (Lessing)

Aber ein Substantiv kann bestimmt sein, auch ohne irgendwelche Wiederholung des Wortes. Es genügt, daß die Situation oder der Kontext diesen Begriff bestimmt machen, d. h. dem Sprechenden und dem Hörenden ihn nicht als einen beliebigen Gegenstand einer Gattung erscheinen lassen, sondern als einen besonderen Gegenstand, der mit anderen derselben Gattung nicht zu verwechseln ist. Das geschieht, wenn nur ein Gegenstand der betreffenden Art überhaupt in dem gegebenen Zusammenhang existiert und somit kein anderer gemeint sein kann (deswegen die Sonne und nicht eine Sonne: sie kann mit keinem anderen Gegenstand verwechselt werden), oder wenn das Substantiv von Attributen begleitet ist, die den von ihm bezeichneten Gegenstand von allen gleichartigen unterscheiden. So stehen oft in den Eingangssätzen der erzählenden Werke fast lauter Substantive mit bestimmten Artikeln, obgleich alle Gegenstände dem Leser zum ersten Male genannt werden:

Über dem Dache des Rathauses, das zugleich die Wohnung des städtischen Bürgermeisters bildete, kreuzten die ersten Schwalben in der Frühjahrssonne. (Storm)

Dem Dache steht hier, weil das Rathaus nur ein Dach haben kann, des Rathauses, weil dieses Wort vom Relativsatz genügend hervorgeho­ben ist usw. Wenn sich der Sprechende und der Hörende in ungleicher Lage befinden (für den Sprechenden erscheint der betreffende Gegenstand als bekannt, für den Hörenden als unbekannt), so richtet sich gewöhnlich die Wahl des Artikels nach dem Hörenden, d. h. Un­bestimmtheit hat hier ein Vorrecht. Man sagt z. B. Ich habe heute einen Brief bekommen, obgleich der Brief dem Sprechenden schon voll­kommen bekannt ist. Das, was im Satz als unbestimmt erscheint, ist oft (aber nicht immer) auch das Neue, was der Satz dem Hörenden (zum Teil auch dem Sprechenden selbst) bringt. Doch sind diese Erscheinungen nicht aneinander gebunden.

Das, was vom Standpunkt eines vereinzelt betrachteten Satzes als neu erscheint, kann ja im Redeganzen vom Standpunkt sowohl des Sprechenden als auch des Hörenden durchaus bestimmt sein. Z. B. bezeichnet in dem Satz Ei, es ist Paul! das Prädikativ Paul zweifellos das Neue, obgleich die Person, die hier unter dem Namen Paul gemeint ist, zweifellos den Gesprächspartnern bekannt ist.

Obgleich die Gegenüberstellung von Bestimmtheit und Un­bestimmtheit durch den Gebrauch des Artikels viel konsequenter zum Ausdruck gelangt als die Gegenüberstellung Individualisierung — Generalisierung, entsteht doch auch hier kein einheitliches System, das dieselbe Folgerichtigkeit und dieselbe notwendige Verbindung von Inhalt und Form aufweisen könnte, die zur Bildung einer Kategorie ausreichen würde. Zu viele andere Funktionen haben der bestimmte und unbestimmte Artikel, besonders der erstere, als daß sie die Form einer besonderen grammatischen Kategorie bilden könnten. Und auf irgendeine andere Form kann ja diese Kategorie keinen Anspruch erheben.

Um dies zu veranschaulichen, bringen wir hier einige Fälle von Komplikationen und Widersprüchen des Artikels, die vor allem eben semantisch bedingt sind.

Das Substantiv Vater ist im gewöhnlichen Sprachgebrauch immer bestimmt — in jeder Familie gibt es einen Vater und für die Mitglieder der Familie oder bei der Schilderung des Lebens einer Familie erscheint er als bestimmt von vornherein. Es steht auch dieses Wort in der Regel mit dem bestimmten Artikel. So lautet z. B. der erste Satz einer Erzählung:

Die Post am frühen Morgen hatte dem Vater einen Brief gebracht. (Fallada)

Aber im Familiengebrauch, gerade aus den eben erwähnten Gründen, wird dieses Wort als eine Art Analogie zu den Eigennamen empfunden (Vater und Mutter, Großvater und Großmutter stehen in einer Reihe mit den Eigennamen der Kinder — Karl, Marie usw.), so daß die Tendenz entsteht, es artikellos zu gebrauchen.

In derselben Erzählung von Fallada, der das letzte Beispiel entnommen war, liest man auch folgendes:

So lange war es her, daß die Mutter es nicht einmal mehr wußte. Vater schlief darüber ein, so viel hatten die beiden noch miteinander zu flüstern.

Sehr interessant ist in diesen Sätzen die Nachbarschaft der Formen Vater (ohne Artikel) und die Mutter (mit dem Artikel), obwohl beide Substantive sich in gleicher semantischer Lage befinden, d. h. beide gleich individualisiert und bestimmt sind.

Es gibt aber auch solche Fälle, in welchen das Wort Vater, obgleich es semantisch auch individualisiert und bestimmt ist, weder mit dem bestimmten Artikel noch artikellos erscheint, sondern den un­bestimmten Artikel bei sich hat. Es ist die Konstruktion Ich habe einen Vater (als Antwort auf die Frage Hast du Verwandte?), in welcher der gesamte Kontext das Substantiv Vater unumstößlich als individuali­siert und bestimmt bezeichnet, aber der unbestimmte Artikel die einzig mögliche Form ist. (Die Fügung Ich habe den Vater ergibt einen anderen Sinn, und die Fügung Ich habe Vater ist überhaupt sprachwidrig.)

Die Ursache dieser Konstruktion, die einen Satztypus mit der Semantik des äußeren Zustands bildet, ist schwer festzustellen. Vielleicht liegt hier Anpassung an den Hörer vor, für den der Vater des Sprechenden unbestimmt ist: wenn wir die Situation beibehalten, die wir als Ausgangspunkt für die Bildung des betreffenden Satzes bezeichneten, so erfährt der Hörende erst jetzt überhaupt, daß der Vater des Sprechenden lebt. In einer anderen Situation, z. B, im Selbstgespräch, wo der Sprechende seine Lage, seine Stellung in der Welt usw. überblickt, könnte sich die Form einen in der ähnlichen Fügung Ich habe einen Bruder bis zu einem gewissen Grade dem Zahlwort nähern, da hier an und für sich auch mehrere Brüder möglich wären. Von größerer Wichtigkeit scheint aber die Tatsache zu sein, daß bei dem Verb haben das artikellose Objekt gewöhnlich ein Abstraktum oder ein Stoffname ist, überhaupt ein Wort, das oft nicht zu den zählbaren Substantiven gehört, wobei diese Fügungen phraseologische Einheiten bilden Ich habe Geld; Ich habe Zeit; Ich habe Lust; Ich habe Mühe; Ich habe Pech; Ich habe Fieber; Ich habe Angst usw. Semantisch bezeichnen solche Fügungen eigentlich nicht den Besitz, sondern irgendeinen Zustand des Subjekts (vgl. § 49). Das Wort Vater ist von entgegengesetzter grammatischer Natur: ein typischer Gattungsname mit gewissen Neigungen zum Eigennamen, so daß es sich dieser Fügungsart nicht anpassen konnte. Der artikellose Gebrauch des Wortes Vater würde bei dem Verb haben aus der Reihe fallen, dem ganzen System, das gewissermaßen einen besonderen logisch-grammatischen Satztypus bildet, widersprechen. Anderseits bedeutet die Fügung des Verbs haben mit einem Objekt, das mit dem bestimmten Artikel versehen ist, oft auch nicht das possessive Verhältnis als solches, sondern eher ein Ergreifen, Fassen des Objekts: Endlich habe ich den Mann! (Wir sehen von den Fällen ab, in welchen der bestimmte Artikel beim Objekt des Verbs haben erscheint, weil das Objekt von irgendwelchen Attributen oder Relativsätzen bestimmt wird: Ich habe das Geld, das du mir geschickt hast.) Mit einer solchen Bedeutung ist die Fügung Ich habe den Vater (im Sinne (Ich habe ihn endlich gefunden)) durchaus möglich, aber es ist eben eine andere Bedeutung, als die in der Fügung Ich habe einen Vater enthaltene. Auch in anderen Sätzen mit dem Verb haben, die den äußeren Zustand des Subjekts bezeichnen, steht beim Akkusativobjekt gewöhnlich der unbestimmte Artikel. Z. B. Ich hatte eine Begegnung.

Wir verweilten so lange bei der Analyse des Artikelgebrauchs bei dem Worte Vater, um zu zeigen, wie verwickelt die Wahl des Artikels sein kann und wie mannigfach die Faktoren sind, die diese Wahl bewirken, selbst wenn man den Boden der Semantik nicht verläßt.

Eine gewisse Rolle können dabei aber nichtsemantische Faktoren spielen. So scheint es vorwiegend das rhythmische Moment zu sein, das die verschiedene Wahl der Artikel in zwei semantisch sehr ähnlichen Sätzen bestimmt, die Heyse in seiner Grammatik bringt: Von dem Guten erwartet man Gutes Von einem Guten läßt sich nur Gutes erwarten (245, 299). Einen interessanten Fall des Schwankens zwischen dem bestimmten Artikel und der Artikellosigkeit bei den Appositionen in Überschriften findet man in der Grammatik von W. Jung: Das Reflexivpronomen (das rückbezügliche Fürwort) Das Demonstrativpronomen (hinweisendes Fürwort).