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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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08.06.2015
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zusammensitzen und quatschen. Bis jetzt sind wir noch nie dazu gekommen. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.« Er nahm Graebers Militärsachen auf und blickte auf den Rock mit den Orden. »Du mußt mir dann auch mal erzählen, wie du die alle gekriegt hast. Du mußt doch ziemlich was dafür geleistet haben!« Graeber blickte auf. Bindings Gesicht hatte plötzlich denselben Ausdruck wie an dem Tage, als der SS-Mann Heini im Suff von seinen Leistungen im SD geschwätzt hatte. »Da ist nichts zu erzählen«, sagte er. »Man kriegt das einfach so mit der Zeit.« Frau Lieser starrte Graebers Zivil einen Augenblick an; dann erkannte sie ihn. »Sie? Fräulein Kruse ist nicht zu Hause, das wissen Sie doch.»

»Ja, das weiß ich, Frau Lieser.»

»Nun, und?« Sie sah ihn feindselig an. Auf ihrer braunen Bluse prangte eine Nadel mit einem Hakenkreuz. In der rechten Hand hielt sie einen Staublappen wie ein Wurfgeschoß. »Ich möchte ein Paket für Fräulein Kruse abgeben. Würden Sie es in ihr Zimmer legen?« Frau Lieser sah unentschlossen drein. Dann nahm sie die Tüte mit Zucker, die er ihr hinhielt. »Ich habe hier noch ein zweites Päckchen«, sagte Graeber. »Fräulein Kruse hat mir erzählt, wie vorbildlich Sie Ihre Zeit für das allgemeine Wohl opfern. Dieses hier ist ein Pfund Zucker, mit dem ich nichts anzufangen weiß. Da Sie ein Kind haben, das Zucker brauchen kann, wollte ich Sie fragen, ob Sie ihn haben wollen.« Frau Liesers Gesicht wurde offiziell. »Wir brauchen keine Hamsterware. Wir sind stolz darauf, mit dem auszukommen, was der Führer uns zubilligt.»

»Ihr Kind auch?»

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»Mein Kind auch!»

»Das ist die echte Gesinnung«, sagte Graeber und starrte die braune Bluse an. »Wenn jeder in der Heimat so denken würde, wäre den Soldaten draußen manchmal leichter zumute. Dies hier ist aber keine Hamsterware. Es ist Zucker aus dem Paket, das der Führer den Frontsoldaten gibt, die auf Urlaub kommen, damit sie es ihren Angehörigen mitbringen. Meine Angehörigen sind vermißt; Sie können es deshalb ruhig nehmen.« Frau Liesers Gesicht verlor etwas von seiner Strenge. »Sie kommen von der Front?»

»Natürlich. Woher sonst?» »Aus Rußland?»

»Ja.»

»Mein Mann steht auch in Rußland.« Graeber heuchelte ein Interesse, das er nicht empfand. »Wo steht er?»

»Bei der Heeresgruppe Mitte.» »Gottlob, da ist es im Augenblick ruhig.»

»Ruhig? Da ist es nicht ruhig! Die Heeresgruppe Mitte steht in vollem Kampf. Mein Mann ist in der vordersten Linie.« Vorderste Linie,dachteGraeber.AlsobesdanocheinevordersteLiniegäbe! Einen Augenblick war er versucht, Frau Lieser zu erklären, wie es wirklich aussah jenseits des Phrasenwalls von Ehre, Führer und Vaterland; aber er verwarf es sofort. »Hoffentlich kommt er bald auf Urlaub«, sagte er. »Er kommt auf Urlaub, wenn er fällig dafür ist. Wir verlangen keinerlei Vorteile. Wir nicht!»

»Das habe ich auch nicht getan«, erklärte Graeber trocken. »Im Gegenteil. Ich habe meinen letzten vor zwei Jahren gehabt.»

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»Waren Sie die ganze Zeit draußen?»

»Von Anfang an. Wenn ich nicht verwundet war.« Graeber sah die unerschütterliche Parteikämpferin an. Wozu stehe ich hier und rechtfertige mich vor diesem Weibe? dachte er. Ich sollte sie einfach abschießen.

Das Kind der Liesers kam aus dem Zimmer, in dem der Schreibtisch stand. Es war ein dünnes Mädchen mit glanzlosem Haar, das Graeber anstarrte und in der Nase bohrte.

»Weshalb tragen Sie dann auf einmal Zivil?« fragte Frau Lieser.

»Meine Uniform wird gereinigt.»

»Ach so! Ich dachte schon...« Graeber erfuhr nicht, was sie dachte. Er sah plötzlich, daß sie mit gelben Zähnen lächelte, und er erschrak fast davor. »Also gut«, sagte sie. »Danke. Ich werde den Zucker für mein Kind verbrauchen.« Sie nahm die beiden Pakete, und Graeber bemerkte, wie sie sie gegeneinander in den Händen wog. Er wußte, daß sie das für Elisabeth sofort öffnen würde, sobald er gegangen war, und das wollte er gerade. Sie würde zu ihrer Überraschung das zweite Pfund Zucker darin finden und sonst nichts. »Das ist recht, Frau Lieser. Auf Wiedersehen.»

»Heil Hitler!« Die Frau sah ihn scharf an. »Heil Hitler«, sagte Graeber.

Er trat aus dem Hause. Neben der Tür zur Straße lehnte der Hauswart an der Mauer. Er war ein kleiner Mann mit einer SA-Hose, Stiefeln und einem runden Bauch unter einer Hühnerbrust. Graeber blieb stehen. Auch diese Vogelscheuche

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war auf einmal gefährlich geworden. »Schönes Wetter, heute«, sagte er, holte ein Päckchen Zigaretten hervor, nahm eine und hielt dem Mann das Paket hin.

Der Hauswart grunzte etwas und zog eine Zigarette heraus. »Entlassen?« fragte er mit einem schiefen Blick auf Graebers Anzug.

Graeber schüttelte den Kopf. Er überlegte, ob er ein paar Worte über Elisabeth reden solle; aber er tat es nicht. Es war besser, den Hauswart auf nichts aufmerksam zu machen. »In einer Woche geht’s wieder ab«, sagte er. »Zum vierten Male.« Der Hauswart nickte träge. Er nahm die Zigarette aus dem Munde, besah sie und spuckte ein paar Krümel Tabak aus.

»Schmeckt sie nicht?« fragte Graeber.

»Das schon. Aber ich bin eigentlich Zigarrenraucher.» »Zigarren sind auch verdammt knapp, was?»

»Das kann man wohl flüstern.»

»Ich habe einen Bekannten, der noch ein paar gute Kisten hat. Werde bei der nächsten Gelegenheit mal einen Griff reintun und ein paar mitbringen. Gute Zigarren.»

»Importen?»

»Wahrscheinlich. Ich verstehe nichts davon. Zigarren mit Bauchbinden.»

»Bauchbinden bedeuten noch nichts. Jedes Buchenlaub kann eine Bauchbinde haben.»

»Der Mann ist Kreisleiter. Er raucht gutes Kraut.» »Kreisleiter?»

»Ja. Alfons Binding. Mein bester Freund.»

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»Binding ist Ihr Freund?»

»Ein alter Schulfreund sogar. Ich komme gerade von ihm her. Er und Sturmbannführer Riese von der SS. Wir sind alte Kameraden. Zu Riese gehe ich jetzt gerade rüber.« Der Hauswart sah Graeber an. Graeber verstand den Blick; der Hauswart begriff nicht, warum Sanitätsrat Kruse im KZ war wenn Binding und Riese so alte Freunde waren. »Es sind da ein paar Irrtümer aufgeklärt worden«, sagte er gleichmütig. »Kommt alles in Ordnung in der nächsten Zeit. Ein paar Leute werden sich noch wundern. Man soll niemals zu hastig sein, was?»

»Nie«, erklärte der Hauswart mit Überzeugung. Graeber sah auf seine Uhr. »Ich muß los. Werde die Zigarren nicht vergessen.« Er ging weiter. Das war ein ganz guter Anfang in Korruption, dachte er. Aber bald packte ihn die Unruhe wieder. Vielleicht war das, was er gemacht hatte, gerade falsch gewesen. Es schien ihm plötzlich kindisch. Vielleicht hätte er gar nichts tun sollen. Er blieb stehen und starrte an sich hinunter. Diese verdammten Zivilbrocken! Ihm war, als wären sie an allem schuld. Er hatte dem Militär mit seinem Zwang entgehen und sich frei fühlen wollen — dafür aber war er sofort in eine Welt von Angst und Unsicherheit geraten.

Er überlegte, was er sonst noch tun könnte. Elisabeth war nicht vor dem Abend zu erreichen. Er verfluchte die Hast, mit der er die Papiere beantragt hatte. Schutz, dachte er, gestern morgen habe ich mich noch wichtig damit gemacht, daß die Heirat ein Schutz für sie sei — heute ist sie bereits eine Gefahr. »Was sollen die Fastnachtsscherze?« schrie eine grobe Stimme ihn an.

Er blickte auf. Ein kleiner Major stand vor ihm. »Haben Sie

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keine Ahnung vom Ernst der Zeit, Sie Flegel?« Graeber starrte ihn einen Moment verständnislos an. Dann begriff er. Er hatte den Major militärisch gegrüßt, ohne daran zu denken, daß er Zivil trug. Der Alte hatte das als Verhöhnung auf gefaßt. »Ein Irrtum«, sagte er. »Es war gut gemeint.»

»Was? Sie erdreisten sich auch noch, dumme Witze zu machen? Warum sind Sie nicht Soldat?« Graeber sah den Alten genauer an. Es war derselbe, der ihn schon einmal angeschnauzt hatte — an dem Abend, als er mit Elisabeth vor ihrem Hause gestanden hatte.

»Ein Drückeberger wie Sie sollte sich in die Erde hinein schämen, anstatt solche Albernheiten aufzuführen«, bellte der Major. »Ach, regen Sie sich nicht auf«, sagte Graeber ärgerlich. »Und gehen Sie zurück in Ihre Mottenkiste.« Die Augen des Alten bekamen einen fast irren Ausdruck. Er verschluckte sich und wurde krebsrot. »Ich lasse Sie verhaften«, keuchte er.

»Das können Sie nicht, das wissen Sie selbst. Und nun lassen Sie mich in Ruhe, ich habe andere Sorgen.»

»Das ist doch...« Der Major wollte aufs neue lostoben, aber plötzlichtratereinenSchrittnäherundbegann,mitweitgeöffneten, haarigen Nasenlöchern zu schnüffeln. Sein Gesicht verzog sich. »Ah, jetzt verstehe ich«, erklärte er angewidert. »Deshalb sind Sie nicht in Uniform! Das dritte Geschlecht! Pfui Teufel! Ein Weibsbild! Parfümiert! Eine männliche Hure!« Er spuckte aus, wischte sich über die weiße Schnurrbartbürste, warf Graeber noch einen Blick voll abgründigen Ekels zu und ging davon. Es war das Badesalz gewesen. Graeber roch an seiner Hand. Er roch es jetzt auch. Eine Hure, dachte er. Aber bin ich weit davon?

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Was ein bißchen Angst um einen andern aus einem machen kann! Frau Lieser, der Hauswart — und wozu sonst wäre ich noch bereit! Ich bin verdammt rasch von meiner Tugendhöhe heruntergepurzelt!

Er stand schräg gegenüber vom Hause der Gestapo. Im Torweg ging ein junger SS-Mann auf und ab und gähnte. Ein paar SS-Offiziere kamen heraus und lachten. Dann schlich ein älterer Mann heran, der zögerte, zu den Fenstern hinaufschaute, stehenblieb und einen Zettel aus der Tasche zog. Er las ihn, sah sich um, blickte zum Himmel und ging dann langsam auf den Posten zu. Der SS-Mann studierte die Vorladung gleichgültig und ließ ihn ein.

Graeber starrte zu den Fenstern hinauf. Er spürte die Angst wieder, stickiger, schwerer und klebriger als vorher. Er kannte viele Ängste, scharfe und dunkle, atemlose und lähmende, und auch die letzte, große, die der Kreatur vor dem Tode — aber dieses war eine andere, es war eine kriechende, würgende Angst, unbestimmt und drohend, eine Angst, die zu beschmutzen schien, schleimig und zersetzend, die nicht zu fassen war, und der man sich nicht stellen konnte, eine Angst der Ohnmacht und des zerfressenden Zweifels, es war die korrumpierende Angst um den andern, um die schuldlose Geisel, den rechtlos Verfolgsten, die Angst vor der Willkür, der Macht und der automatischen Unmenschlichkeit — es war die schwarze Angst der Zeit Er wartete vor der Fabrik, lange bevor Schluß war. Es dauerte eine Zeitlang, bis Elisabeth kam. Er befürchtete schon, man hätte sie in der Fabrik verhaftet, da erblickte er sie endlich. Sie stutzte, als sie ihn in Zivil sah, und lachte. »Wie jung du bist!« sagte sie.

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»Ich fühle mich nicht jung. Ich fühle mich hundert Jahre alt.» »Warum? Was ist passiert? Mußt du vorzeitig zurück?» »Nein. Das ist alles in Ordnung.»

»Fühlst du dich hundert Jahre alt, weil du Zivil trägst?» »Ich weiß es nicht. Aber es scheint, daß ich mit diesem

verdammten Anzug alle Sorgen angezogen habe, die es gibt. Was hast du getan wegen deiner Papiere?»

»Alles«, erwiderte Elisabeth strahlend. »Ich habe sogar die Mittagspause noch ausgenutzt. Alles ist beantragt.»

»Alles«, sagte Graeber. »Dann ist nichts mehr zu machen.» »Was soll denn noch zu machen sein?»

»Nichts. Ich habe nur plötzlich Angst gekriegt. Vielleicht ist es falsch, was wir tun. Vielleicht kann es dir schaden.»

»Mir?Wie?«Graeberzögerte.»Ichhabegehört,daßmanchmal bei der Gestapo Erkundigungen eingezogen werden. Vielleicht sollte man deshalb lieber alles ruhen lassen.« Elisabeth blieb stehen. »Was hast du sonst noch gehört?»

»Nichts. Ich habe nur auf einmal Angst gekriegt.»

»Du meinst, ich könne verhaftet werden, weil wir heiraten wollen?»

»Das nicht.»

»Was sonst? Meinst du, man könne herausbekommen, daß mein Vater im KZ ist?»

»Das auch nicht«, unterbrach Graeber. »Das weiß man sicher. Ich meine, daß es vielleicht besser wäre, niemand auf dich aufmerksam zu machen. Die Gestapo ist unberechenbar.

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Irgendeiner dort kann idiotische Ideen bekommen. Du weißt, wie so etwas geht. Von Recht ist da keine Spur.« Elisabeth schwieg einen Augenblick. »Und was sollen wir tun?« fragte sie dann.

»Ich habe es den ganzen Tag überlegt. Aber ich glaube, es ist nichts mehr zu tun. Wenn wir die Anzeige jetzt zurücknähmen, würde man vielleicht nur noch mehr aufmerksam werden.« Sie nickte und sah ihn sonderbar an. »Man kann es trotzdem versuchen.»

»Es ist zu spät, Elisabeth. Wir müssen es jetzt riskieren und abwarten.« Sie gingen weiter. Die Fabrik lag an einem kleinen Platz und war gut sichtbar. Graeber betrachtete sie genau. »Seid ihr hier noch nie bombardiert worden?»

»Noch nicht.»

»Das Gebäude liegt ziemlich offen da. Es ist leicht als Fabrik zu erkennen.»

»Wir haben große Keller.» »Sind sie sicher?»

»Ichglaube,einigermaßen.«Graeberblickteauf.Elisabethging neben ihm her und sah ihn nicht an. »Versteh mich um Gottes willen richtig«, sagte er. »Ich habe keine Angst meinetwegen. Ich habe nur Angst um dich.»

»Um mich brauchst du keine Angst zu haben.» »Hast du keine?»

»Ich habe schon alle Ängste gehabt, die es gibt. Ich habe keinen Platz mehr für neue Angst.»

»Ich schon«, sagte Graeber. »Wenn man jemand liebt, gibt es viele neue Ängste, von denen man vorher nichts gewußt hat.«

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Elisabeth wandte sich ihm zu. Sie lächelte plötzlich. Er sah sie an und nickte. »Ich habe nicht vergessen, was ich vorgestern noch geredet habe«, sagte er. »Muß man eigentlich immer erst Angst haben, um zu wissen, daß man jemand liebt?»

»Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, es hilft.»

»Dieser verdammte Anzug! Morgen ziehe ich ihn wieder aus. Und ich dachte, Zivilisten hätten ein beneidenswertes Leben.« Elisabeth lachte. »Kommt es nur durch den Anzug?»

»Nein«,sagteerbefreit.»Eskommtdavon,weilichwiederlebe. Ich lebe wieder und will leben. Und damit kommt anscheinend auch die Angst. Es war scheußlich, den ganzen Tag. Jetzt ist es weniger, seit ich dich sehe. Dabei hat sich doch nichts geändert. Sonderbar, wie wenig Grund Angst braucht.»

»Liebe auch«, sagte Elisabeth. »Gottlob!« Graeber sah sie an. Sie ging frei und unbekümmert neben ihm her. Sie hat sich verändert, dachte er. Sie verändert sich jeden Tag. Früher hatte sie Angst und ich nicht; jetzt ist es umgekehrt. Sie kamen am Hitlerplatz vorbei. Hinter der Kirche stand ein mächtiges Abendrot. »Wo brennt es denn jetzt noch?« fragte Elisabeth.

»Nirgendwo. Es ist nur das Abendrot.»

»Abendrot! Damit rechnet man gar nicht mehr, wie?» »Nein.« Sie gingen weiter. Das Abendrot wurde stärker und

tiefer. Es lag auf ihren Gesichtern und Händen. Graeber blickte dieLeutean,dieihnenentgegenkamen.Ersahsieplötzlichanders als früher. Jeder war ein Mensch und hatte ein Schicksal. Es ist leicht, zu verurteilen und tapfer zu sein, wenn man nichts hat, dachte er. Wenn man aber etwas hatte, änderte sich die Welt. Es

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