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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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08.06.2015
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»Gut.« Sie hörten durch die Stille das Rattern eines Wagens. Gleich darauf sahen sie ein Pferd herangaloppieren. Es war unruhig, bäumte sich vor den Schatten und wirkte geisterhaft mit seinen wilden Augen und den offenen Nüstern im fahlen Licht. Der Fahrer riß an den Zügeln. Das Pferd stieg auf. Schaum flog von seinem Maul. Sie mußten seitlich auf die Ruinen ausweichen, um es vorbeizulassen. Elisabeth sprang rasch die Trümmer hinauf, gerade weit genug, daß das Pferd sie nicht streifte; einen Augenblick sah es aus, als wollte sie sich auf das schnaubende Tier schwingen und mit ihm davongaloppieren, dann stand sie allein vor der leeren Weite des zerstörten Himmels. »Du sahst aus, als wolltest du aufspringen und wegreiten«, sagte Graeber.

»Wenn man das könnte! Aber wohin? Es ist überall Krieg.» »Das ist wahr. Überall. Sogar in den Ländern des ewigen

Friedens — in der Südsee und in Indien. Wir könnten nirgendwohin entfliehen.« Sie kamen zur Kaserne. »Warte hier, Elisabeth. Ich hole den Schnaps. Es dauert nicht lange.« Graeber ging über den Kasernenhof, die hallenden Stufen hinauf zur Stube achtundvierzig. Der Raum bebte vom Schnarchen der halben Belegschaft. Über dem Tisch brannte ein abgeschirmtes Licht. Die Kartenspieler waren noch auf. Reuter saß neben ihnen und las.

»Wo ist Böttcher?« fragte Graeber.

Reuter klappte sein Buch zu. »Er läßt dir sagen, daß er nichts gefunden hat. Das Fahrrad hat er gegen eine Mauer gefahren und zerbrochen. Die alte Geschichte — Unglück zieht Unglück an. Morgen muß er wieder zu Fuß los. Dafür sitzt er heute abend in der Kneipe und tröstet sich. Was ist mit dir passiert? Du siehst

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käsig aus um die Kiemen.»

»Nichts. Ich gehe gleich wieder. Will nur was holen.« Graeber fühlte in seinem Tornister herum. Er hatte aus Rußland eine Flasche Genever und eine Flasche Wodka mitgebracht. Dazu hatte er noch den Armagnac von Binding.

»Nimm den Genever oder den Armagnac«, sagte Reuter. »Der Wodka ist nicht mehr da.»

»Wieso?»

»Wir haben ihn getrunken. Du hättest ihn freiwillig stiften können.WerausRußlandkommt,sollsichnichtwieeinKapitalist benehmen. Er soll seinen Kameraden auch etwas gönnen! Es war guter Wodka.« Graeber holte die beiden Flaschen, die noch da waren, hervor. Er steckte den Armagnac in die Tasche und gab Reuter den Genever. »Du hast recht. Hier, nimm das als Medizin für deine Gicht. Und sei auch du kein Kapitalist. Gib den andern was ab.»

»Merci!« Reuter humpelte zu seinem Spind und nahm einen Korkenzieherheraus.»Ichnehmean,daßdudieprimitivsteForm der Verführung vorhast«, sagte er. »Die mit Hilfe berauschender Getränke. Meistens vergißt man dabei, vorher die Korken der Flaschen zu ziehen. An abgeschlagenen Flaschenhälsen aber zerschneidet man sich in der Aufregung leicht die Schnauze. Hier, sei ein Mann mit Voraussicht!»

»Geh zum Teufel! Die Flasche ist offen.« Reuter öffnete den Genever. »Wie kommst du zu holländischem Schnaps in Rußland?»

»Ich habe ihn gekauft. Sonst noch Fragen?« Reuter grinste.

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»Keine. Zieh ab mit deinem Armagnac, du primitiver Casanova, und schäme dich nicht. Du hast mildernde Um stände. Mangel an Zeit. Der Urlaub ist kurz, der Krieg lang.« Feldmann setzte sich in seinem Bett auf. »Hast du ein Präservativ nötig, Graeber? In meiner Brieftasche sind welche. Ich brauche sie nicht. Wer schläft, kriegt keine Syphilis.»

»Das ist noch nicht so sicher«, erklärte Reuter. »Es soll auch da eine Art unbefleckter Empfängnis geben. Aber Graeber ist ein Naturbursche. Ein Zucht-Arier mit zwölf reinblütigen Vorfahren. Da sind Präservativs ein Verbrechen gegen das Vaterland.« Graeber öffnete den Armagnac, nahm einen Schluck und steckte ihn wieder in die Tasche. »Ihr seid verdammte Romantiker«, sagte er. »Warum kümmert ihr euch nicht um euch selbst?« Reuter winkte ab. »Geh in Frieden, mein Sohn! Vergiß das Exerzierreglement und versuche, ein Mensch zu sein! Es ist einfacher, zu sterben als zu leben — besonders für euch — die Heldenjugend und Blüte der Nation!« Graeber steckte noch ein Päckchen Zigaretten und ein Wasserglas in seine Tasche. Als er ging, sah er, daß am Tisch der Kartenspieler Rummel immer noch am Gewinnen war. Ein Haufen Geld lag vor ihm. Sein Gesicht war unbewegt; aber er schwitzte jetzt in hellen Tropfen.

Die Treppen der Kaserne waren leer; es war nach dem Zapfenstreich. Die Gänge warfen das Echo seiner Schritte hinter Graeber her. Er ging über den weiten Platz. Elisabeth war nicht mehr am Tor. Sie ist weggegangen, dachte er. Er hatte es fast erwartet. Wozu sollte sie auch auf ihn warten?

»Die Dame steht drüben«, sagte der Posten. »Wie kommt ein Kaffer wie du eigentlich zu so einem Mädchen? Das ist doch

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etwas für Offiziere.« Graeber sah Elisabeth jetzt. Sie lehnte an der Mauer. Er klopfte dem Posten auf die Schulter. »Es ist eine neue Bestimmung, mein Sohn. Man kriegt das jetzt statt eines Ordens, wenn man vier Jahre an der Front war. Alles Generalstöchter. Melde dich bald raus, du Mondkalb. Weißt du nicht, daß du auf Posten nicht reden darfst?« Er ging zu Elisabeth hinüber. »Selber Mondkalb«, sagte der Posten ziemlich lahm hinter ihm her.

Sie fanden eine Bank auf einer Anhöhe hinter der Kaserne. Sie stand zwischen Kastanien, und man konnte von dort die ganze Stadt überblicken. Nirgendwo brannte Licht. Nur der Fluß blinkte im Mond.

Graeber öffnete die Flasche und goß das Wasserglas halbvoll. Der Armagnac schimmerte darin wie flüssiger Bernstein. Er hielt es Elisabeth hin. »Trink das aus«, sagte er.

Sie nahm einen Schluck und gab das Glas zurück.

»Trink es aus«, sagte er. »Es ist ein Abend dafür. Trink es auf irgend etwas, auf unser verfluchtes Leben, oder darauf, daß wir noch am Leben sind — aber trink es. Wir brauchen es nach der toten Stadt. Wir brauchen es anscheinend heute überhaupt.« — »Gut. Auf alles zusammen.« Er füllte das Glas wieder und trank selbst. Er fühlte die Wärme sofort. Er spürte auch, wie leer er war. Er hatte das nicht gewußt. Es war eine Leere ohne Schmerz.

Er goß das Glas noch einmal halbvoll und trank ungefähr die Hälfte. Dann stellte er es zwischen sie. Elisabeth hockte auf der Bank, die Beine hochgezogen, die Arme um die Knie. Das junge Laub der Kastanien über ihnen schimmerte fast weiß

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im Mond — als habe sich ein Schwarm früher Schmetterlinge hineinverflogen.

»Wie schwarz das ist«, sagte sie und deutete auf die Stadt. »Wie ein ausgebranntes Kohlenbergwerk.»

»Sieh nicht hin. Dreh dich um. Da ist es anders.« Die Bank stand gerade auf der Kuppe der Anhöhe, und der Hügel senkte sich nach der anderen Seite langsam hinab — zu Feldern, mondbeschienenenWegen,Pappelalleen,einemDorfkirchturm, und dann zu Wald und zu den blauen Bergen am Horizont. »Da ist aller Frieden der Welt«, sagte Graeber. »Einfach, was?»

»Einfach, wenn man das kann — sich umdrehen und nicht mehr an das andere denken.»

»Das lernt man bald.» »Hast du es gelernt?»

»Natürlich«, sagte Graeber. »Sonst wäre ich nicht mehr am Leben.»

»Ich wollte, ich könnte es auch.»

»Du kannst es längst. Unser Leben paßt schon darauf auf. Es holt sich seine Reserven, wo es kann. Und in Gefahr kennt es keine Schwäche und keine Sentimentalität.« Er schob ihr das Glas hin.

»Gehört das auch dazu?« fragte sie.

»Ja«, sagte er. »Heute abend bestimmt.« Sie trank, und er sah sie an. »Laß uns einmal eine Zeitlang nicht mehr vom Krieg reden«, sagte er.

Elisabeth lehnte sich zurück. »Laß uns von gar nichts reden.» »Gut.« Sie saßen und schwiegen. Es war sehr still, und

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langsam belebte sich die Stille mit den friedlichen Lauten der Nacht, die nicht störten, sondern sie nur tiefer machten — dem leisen Wind, der wie ein Atemholen der Wälder war, einem Eulenschrei, dem Rascheln im Grase und dem endlosen Spiel von Wolken und Licht. Die Stille gewann die Gewalt, sie hob sich und umgab sie und drang in sie ein, mit jedem Atemzuge mehr, und der Atem selbst wurde zur Stille, er löschte und löschte und wurde weicher und länger und war kein Feind mehr, sondern ein ferner, gütiger Schlaf. —

Elisabeth bewegte sich. Graeber fuhr auf und blickte sich um. »Was sagst du dazu? Ich bin eingeschlafen.»

»Ich auch.« Sie öffnete die Augen. Das zerstreute Licht fing sich in ihnen und machte sie sehr durchsichtig. »Ich habe lange nicht so geschlafen«, sagte sie erstaunt. »Immer nur mit Licht und Angst vor der Dunkelheit und dem Aufwachen mit einem Ruck und dem Schreck — nicht so wie jetzt —« Graeber saß still. Er fragte sie nichts. Neugier starb in Zeiten, in denen so viel geschah. Er wunderte sich nur vage, daß er selber so ruhig dasaß, behangen mit klarem Schlaf wie ein Felsen unter Wasser mit wehenden Algen. Er fühlte sich zum erstenmal entspannt, seit er aus Rußland abgefahren war. Eine sanfte Gelassenheit war in ihn eingedrungen wie eine Flut, die sich über Nacht gehoben hatte und trockene, versengte Gebiete plötzlich spiegelnd wieder mit einem Ganzen zu vereinigen schien.

Sie gingen zur Stadt hinunter. Die Straße nahm sie wieder auf, der kalte Geruch alter Brände umwehte sie aufs neue, und die abgeblendeten, schwarzen Fenster begleiteten sie wie eine Pro Zession von Katafalken. Elisabeth fröstelte. »Früher waren die

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HäuserundStraßenvollerLicht,undesschienselbstverständlich. Manwaresgewöhnt.Heuteweißmanerst,waseswar—«Graeber blickte nach oben. Der Himmel war klar und ohne Wolken. Es war eine gute Nacht für Flieger. Ihm war sie deshalb schon zu hell. »Es ist fast überall so in Europa«, sagte er. »Nur die Schweiz soll nachts noch voller Licht sein. Man brennt es da, damit die Flieger sehen, daß es neutrales Land ist. Jemand, der mit seiner Staffel in Frankreich und Italien war, hat es mir erzählt. Er sagte, es wäre wie eine Insel von Licht — von Licht und Frieden, denn eines bedeute das andere. Dahinter und ringsum kämen düster, wie unter endlosen Leichentüchern, Deutschland, Frankreich, Italien, der Balkan, Österreich und alle die andern Länder, die im Krieg sind.»

»Man hat uns das Licht gegeben, und es hat uns zu Menschen gemacht. Wir aber haben es gemordet und sind wieder Höhlenbewohner geworden«, sagte Elisabeth heftig. Hat es uns zu Menschen gemacht, dachte Graeber. Er fand das übertrieben. Aber Elisabeth schien zu Übertreibungen zu neigen. Doch vielleicht hatte sie recht. Tiere hatten kein Licht. Kein Licht und kein Feuer. Und keine Bomben. Sie standen in der Marienstraße. Graeber sah plötzlich, daß Elisabeth weinte. »Sieh mich nicht an«, sagte sie. »Ich hätte nicht trinken sollen. Ich kann es nicht. Ich bin nicht traurig. Es ist nur alles auf einmal so lose.»

»Laß es lose sein, wie es will, und kümmere dich nicht darum. Ich bin es auch. Es gehört dazu.»

»Wozu?»

»Zu dem, worüber wir vorhin gesprochen haben. Zum

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Umdrehen nach der anderen Seite. Morgen abend werden wir nichtindenStraßenherumlaufen.Ichwerdemitdirirgendwohin gehen, wo so viel Licht ist, wie es in dieser Stadt nur aufzutreiben ist. Ich werde mich danach erkundigen.»

»Warum? Du kannst fröhlichere Gesellschaft finden als mich.»

»Ich brauche keine fröhliche Gesellschaft.» »Was denn?»

»Keine fröhliche Gesellschaft. Ich könnte sie nicht ertragen. Und die andere ebensowenig — die mit dem Mitleid. Davon kriege ich tagsüber genug. Falsches und echtes. Du solltest das doch auch kennen.« Elisabeth weinte nicht mehr. »Ja«, sagte sie. »Ich kenne das auch.»

»Bei uns ist es anders. Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Das ist schon viel. Und morgen abend werden wir in das hellste Lokal der Stadt gehen und essen und Wein trinken und einen Abend lang dieses ganze verdammte Dasein vergessen!« Sie sah ihn an. »Gehört das dazu?»

»Ja. Das gehört auch dazu. Zieh das hellste Kleid an, das du hast.»

»Gut. Komm um acht.« Er spürte plötzlich ihr Haar an seinem Gesicht und dann ihre Lippen. Es war wie ein rascher Wind, und sie war in der Tür verschwunden, ehe er es richtig wußte. Er fühlte nach der Flasche in seiner Tasche. Sie war leer. Er stellte sie vor das nächste Haus. Wieder ein Tag vorbei, dachte er. Gut, daß Reuter und Feldmann mich hier nicht so sehen! Was die wieder sagen würden!

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12»Also, Kameraden, meinetwegen, ich gebe es zu«, sagte Böttcher. »Ich habe mit der Wirtin geschlafen. Was sollte ich anders machen? Irgend etwas mußte

ich doch tun! Wozu habe ich denn Urlaub? Ich will doch nicht wie ein Kalb an die Front zurück.« Er saß neben dem Bett Feldmanns, einen Kochgeschirrdeckel mit Kaffee in der Hand, die Füße in einem Eimer kalten Wassers. Er hatte sich Blasen an den Füßen gelaufen, seit er das Fahrrad kaputtgefahren hatte. »Und du?« fragte er Graeber. »Was hast du heute gemacht? Warst du vormittags unterwegs?»

»Nein.»

»Nein?»

»Er hat gepennt«, erklärte Feldmann. »Bis heute mittag. Kein Radau konnte ihn wachkriegen. Er hat zum erstenmal gezeigt, daß er Verstand hat.« Böttcher zog die Füße aus dem Wasser und betrachtete die Sohlen. Sie waren mit großen weißen Blasen bedeckt. »Seht euch das an! Ich bin doch ein großer, kräftiger Kerl — aber Füße habe ich, empfindlich wie ein Säugling. Mein ganzes Leben lang war das so. Sie werden nicht hart. Ich habe schon alles versucht. Und damit muß ich nun wieder los.»

»Warum? Du kannst dir doch jetzt Zeit lassen«, sagte Feldmann. »Du hast ja die Wirtin.»

»Ach, Mensch, die Wirtin! Das hat doch nichts damit zu tun. Und außerdem war sie eine schwere Enttäuschung.»

»Das erste Mal ist es immer eine Enttäuschung, wenn man aus dem Felde kommt. Jeder weiß das.»

»Das meine ich nicht, Kamerad. Es klappte schon; aber es

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war nicht das Richtige.»

»Du kannst nicht alles auf einen Schlag verlangen«, sagte Feldmann. »Die Frau muß sich auch erst gewöhnen.»

»Du verstehst mich immer noch nicht. Sie war ganz gut, aber das Seelische klappte nicht. Hör zu! Also, wir sind im Bett, die Sache ist im Gange, und auf einmal vergesse ich mich in der Hitze des Gefechtes und sage Alma zu ihr. Sie heißt aber Luise. Alma heißt meine Frau, verstehst du...?»

»Ich verstehe.»

»Es war eine Katastrophe, Kamerad.»

»Das schadet dir gar nichts«, sagte einer der Kartenspieler plötzlich scharf vom Tisch her zu Böttcher. »Das ist die gerechte Strafe für deinen Ehebruch, du Sau! Ich hoffe, sie hat dich mit Pauken und Trompeten rausgeschmissen!»

»Ehebruch?« Böttcher ließ seine Füße los. »Wer redet denn hier von Ehebruch?»

»Du! Die ganze Zeit! Oder bist du noch ein Idiot dazu?« Der Kartenspieler war ein kleiner Mann mit einem Eierkopf. Er starrte Böttcher gehässig an.

Böttcher war aufs höchste entrüstet. »Hat man so einen Blödsinn schon einmal gehört?« fragte er und sah sich um. »Der einzige, der hier von Ehebruch redet, bist du! So ein Quatsch! Ehebruch wäre es, du Kaffer, wenn meine Frau da wäre, und wenn ich dann mit einer anderen schliefe! Aber sie ist nicht da, das ist ja gerade die Sache! Wie kann das dann Ehebruch sein? Wenn sie da wäre, würde ich doch nicht mit der Wirtin schlafen!»

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