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Der_Campus

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stellen? Vertuschung, Klüng elei, patriarchalische Verschwö rung. Und ich werde angeklagt, mein Versprechen zu brechen und die Frauen nicht zu unterstü tzen. Sie haben ja die Parolen im Fernsehen gesehen. Und wenn ich erst mal die Frauen gegen mich aufgebracht habe, brauche ich zur Wiederwahl gar nicht mehr anzutreten. Wissen Sie, was der Pietsch mir dann sagt? Er sagt: -Wir werben um die Stimmen der Frauen, aber du treibst sie uns wieder weg. Warum sollten wir dich unterstü tzen?¬ Und ich kö nnte ihn sogar verstehen.« Er lehnte sich zurü ck und schaute die anderen an, als ob er sagen wollte -Nun, ist noch einer von euch am Leben?¬

»Es hat einfach etwas Widerliches«, schnaufte Matte. »Ein ö f- fentliches Hearing ü ber das Sexualleben eines angesehenen Professors dieser Universitä t.«

Bernie sah Gefahr im Verzug. Politische Argumente konnte man zurü ckschlagen, Argumente des Stils nicht. Wenn Matte mit dem Ekelargument stilistischer Niedrigkeit kam, wurde der Groûe Hä uptling empfindlich. Nichts kü mmerte ihn mehr als das eigene Image. Wenn er fü rchten muûte, als degoutante Figur zu wirken, wü rde er zurü ckscheuen.

»Eine Institution wie die Universitä t muû doch auch ihre Wü rde wahren«, ergä nzte Seidel. »Und Sie sind der Hü ter dieser Wü rde. Sie verkö rpern sie.« Bernie sah, wie die Gestalt des Prä sidenten sich unmerklich straffte. »Stellen Sie sich vor, wie das auf die Stadt wirkt, ich meine jetzt nicht das Rathaus«, fuhr Seidel fort, als der Prä sident unterbrechen wollte, »ich meine die Mäze ne, die Society, die Bankiers, die Kaufmannschaft, die Industrie, mit der wir zusammenarbeiten. Wir kö nnen sie schon jetzt nicht mehr in die Universitä t holen. So angeekelt sind sie von dem verwahrlosten Anblick. Die kennen doch die Universitä t nicht mehr wieder, an der sie studiert haben. Wenn Sie jetzt dieses Hearing ö ffentlich machen, dann bestä tigen wir all die, die immer schon sagen, die Universitä t beschä ftige sich mit nichts anderem als mit Pornographie.«

»Ich kann die Bedenken verstehen.« Bernie zog die ü berrasch-

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ten Blicke der Runde auf sich. »Aber ich glaube, sie sprechen eher dafü r, das Hearing ö ffentlich zu machen, als fü r das Gegenteil.« Die Ü berraschung stieg. »Sehen Sie«, wandte er sich an Seidel,

»wenn

wir

das Hearing hinter verschlossenen Tü ren abhalten,

wird es

die

Reaktion provozieren, die der Prä sident geschildert

hat. Das wird die Kampagne verlä ngern. Das Thema kommt dann nicht mehr zur Ruhe. Immer wieder wird es Zeitungsberichte und Fernsehsendungen, Demonstrationen und Go-Ins geben. Die Feministinnen werden weiter Krach machen. Die Frauenbeauftragte wird keine Ruhe geben. Kurzum, das Thema wird sich nicht mehr beerdigen lassen. Machen wir aber das Hearing ö ffentlich, wird alles auf einmal prä sentiert, und dann ist Schluû. Es ist ein Ventil; wir lassen Dampf ab. Dann ist es vorbei. Bei einem nichtö ffentlichen Hearing aber bewirken wir das Gegenteil von dem, was Sie wollen: weil es die Sache verlä ngert.«

Bernie schielte zum Prä sidenten hinü ber. Sein Gesichtsausdruck enthielt jetzt die Botschaft -Seht Ihr wohl? Wie wollt Ihr aus dieser Falle wieder herauskommen?¬ Die Reihen der Gegner wankten. Ob Bernie jetzt schon das Hauptargument nachschieben sollte?

»Auûerdem«, begann er, »geht es gar nicht mehr anders.« Und er berichtete von dem Deal mit dem JOURNAL. »Wenn das JOURNAL die Zeugen nicht absichert, sagen die nichts.«

Matte war empö rt. »Du lä ût dich auf solche schmutzigen Geschä fte ein?«

Bernie hatte das erwartet. »Das sagst du Ð der Leiter des Rechtsreferats? Da wagen in einem Fall die Zeugen nicht, die Wahrheit zu sagen, und man schü tzt sie, so daû sie es kö nnen, und da sagst du, das sind schmutzige Geschä fte? Das verdreht doch nun wirklich die Maûstä be.«

»Bernie hat recht.« Der Prä sident nahm Witterung auf. Er roch, daû in diesem Argument die Mö glichkeit zur ganz groûen moralischen Geste lag. Man muûte sie nur entfalten. Man muûte sie abrollen wie ein Fahnentuch und sie im Winde flattern lassen. »Das ist doch immer so bei diesen Vergewaltigungsfä llen, daû den

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Frauen nicht geglaubt wird, weil es keine Zeugen gibt. Wie sollte es auch. Und nun haben wir endlich einmal einen Fall, bei dem es Zeugen gibt. Da wollen Sie ihn verstecken? Das kann beispielhaft sein, die Art, wie wir das machen.« Und zu Seidel gewandt: »Sie glauben ja gar nicht, was es da fü r eine Dunkelziffer gibt. Das ist ja gerade das Problem, daû immer alles verborgen wird. Auch in solchen Dingen hat die Universitä t einen Auftrag. Einen Auftrag zur Aufklä rung.« Er kam jetzt immer stä rker in Fahrt. »Damit sind wir eines Tages hier angetreten, um die Universitä t aus dem gesellschaftlichen Abseits herauszuholen und sie mit der sozialen Wirklichkeit zu konfrontieren. Und da reden Sie von Wü rde! Gehen Sie doch in die Garderobe des Audimax, da hä ngen noch die Talare mit dem Muff von tausend Jahren. Da haben Sie Ihre Wü rde! Nein, wir sind die Vorausabteilung fü r gesellschaftliche Selbsterkenntnis. Ja, wir sind immer noch eine Avantgarde! Da stolpert man herum und experimentiert. Man fä llt in den Dreck, wie soll man da Wü rde bewahren? Die Universitä t wird nicht mehr reprä - sentiert von Ordinarien mit Samtbaretts auf dem Kopf. Ihre typische Figur ist der halbrasierte Professor, der seine Studenten duzt. Vielleicht ist er nicht wü rdig, weil er sich die Finger dreckig macht Ð aber er steckt wenigstens mitten in der Gesellschaft.«

Darauf geschah etwas Ungeheuerliches: Matte erhob die Stimme und sagte: »Das ist alles ein Haufen Quatsch.«

Bernie traute seinen Ohren nicht. Wü rde der Himmel zusammenbrechen? Wird sich die Erde auftun und Matte verschlingen? Sein fü rchterlicher Satz lag auf dem Tisch wie ein Haufen Hundekot auf den Altarstufen einer Basilika. Die ganze Gemeinde starrte ihn an und war ratlos. Und auch Gott war ratlos. Bernie blickte sich um. Pit Schmale schnitt ihm eine Grimasse. Da begann Matte seine Papiere zu sammeln. »Ich sehe, Sie sind einfach entschlossen, die Sache ö ffentlich zu machen, egal was wir sagen. Aber dafü r braucht man sich doch nicht besoffen zu reden. Es tut mir leid, Chef, daû ich so deutlich geworden bin. Aber Sie wissen so gut wie ich, daû eine Universitä t sich von der Gesellschaft unterscheiden

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muû, wenn sie auf sie einwirken soll. Gerade, wenn sie sie analysieren soll. Aber gucken Sie sich unsere Universitä t an: Sie unterscheidet sich gar nicht mehr von der Gesellschaft. Sie ist von ihr ü berschwemmt worden, sie ist in ihr untergegangen, und die wenigen Professoren, die noch versuchen, die Dä mme zu flicken, denen wollen Sie in den Rü cken schieûen.«

Der Prä sident war ein politischer Profi, und er hatte sich lä ngst wieder gefangen. »Dr. Matte, lassen Sie mich eines ganz klar machen: Ich schä tze Sie wegen Ihrer Gradlinigkeit.« Er wandte sich an Bernie. »Tatsäc hlich«, sagte er, »ich schä tze ihn wegen seiner Gradlinigkeit. Mit solchen Mitarbeitern kann ein Prä sident nicht untergehen. Er hä lt mich in Form. Ja, jeder Boû braucht Widerspruch von seinen eigenen Mitarbeitern. Sie mü ssen fü r ihn seine Gegner reprä sentieren. Das macht er fü r mich.« Der Prä sident blickte jetzt wieder zufrieden auf den miûmutigen Matte. Gott hatte seinen Gleichmut wiedergefunden, als ihm einfiel, daû er selbst Satan erfunden hatte. »Also, die Sache ist klar? Wir machen das Hearing ö ffentlich. Meine Herren, ich danke Ihnen!«

»Da ist noch was.« Bernie hatte einen Zettel hervorgezogen. »Ich schlage vor, den Bedenken des Leitenden Verwaltungsbeamten und des Leiters des Rechtsreferats etwas entgegenzukommen. Die Presse hat bis jetzt die Persö nlichkeitsrechte der betroffenen Studentin gewahrt, indem sie einen anderen Namen benutzt hat. Ich glaube, wir kö nnen das auch so machen.«

»Und wie wollen Sie das im Hearing machen?« Seidels Brillenglä ser funkelten Bernie an.

»Die Ausschuûmitglieder und die Zeugen erhalten einen Zettel, auf dem der richtige Name, -Barbara Clauditz¬, steht. Und fü r die Befragung werden sie angewiesen, fü r den Namen auf dem Zettel das Pseudonym -Clara C.¬ zu benutzen, der durch die Presse schon bekannt ist.«

Der Prä sident wandte sich an Matte: »Geht das juristisch?«

»Ich denke schon. Das ist ja keine Gerichtsverhandlung. In der Festlegung seines Verfahrens ist der Ausschuû souverä n.«

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»Dann machen wir das so.« Die Herren erhoben sich. »Pit, Sie sagen Pollux Bescheid. Ich will die Presseerklä rung noch mal sehen, bevor er sie rausgibt. Inzwischen kann Castor bei den privaten Stationen mal nachfragen, ob sie Interesse an einer Exklusiv- ü bertragung haben.«

»Wollen Sie das etwa verkaufen?« fragte Matte.

Der Prä sident sah ihn unschuldig an. »Warum nicht? Ich brauche Geld fü r meinen Krokodilsfond.«

»Das kö nnen Sie doch nicht verkaufen Ð nicht, wenn Sie gleichzeitig mit dem ö ffentlichen Interesse hausieren gehen.«

»Na, vielleicht nicht.« Der Prä sident machte die Tü r zum Vorzimmer auf. »Frau Ö sterlin? Verbinden Sie mich mit Pietsch in der Senatskanzlei, und dann rufen Sie die Frauenbeauftragte an.« Als die anderen hinausgegangen waren, legte er Bernie die Hand auf den Arm und machte die Tü r wieder zu. »Haben Sie noch eine Sekunde Zeit, Bernie?«

»Na ja, ich muû mich mit diesem Typ vom JOURNAL in Verbindung setzen, sonst denkt der, ich halt mich nicht an den Deal.«

»Gut, daû Sie den Deal erwä hnen.« Er sah Bernie an, als ob er intim werden wollte. »Ich habe den Justizsenator angerufen, und er hat Sie wä rmstens empfohlen. Ich hab ihm folgendes gesagt...« Er sah sich um, ob die anderen auch wirklich das Bü ro verlassen hatten. »... Damit kein Miûverstä ndnis zwischen uns aufkommen kann, sage ich Ihnen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt, falls er, der Senator, das Problem mit den wilden Institutsgrün dungen juristisch bereinigt, werde ich seine Empfehlung berü cksichtigen. Und ich sage Ihnen noch eins, Bernie: Ich denke, er wird das bereinigen, und das freut mich.« Er drü ckte ihm die Hand; Bernie hatte plö tzlich den Impuls, auf die Knie zu sinken und seinen Kardinalsring zu kü ssen.

»A la bonne heure«, sagte der Prä sident, »und nun bringen Sie Ihren Deal mit dem JOURNAL unter Dach und Fach. Nicht, daû uns da noch etwas passiert.«

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Wie gewö hnlich war fü r den Mittwoch nachmittag fü r 14 Uhr auch die Tagung des Institutsrats des Soziologischen Instituts angesetzt. In Abwesenheit des Seminardirektors leitete sein Stellvertreter die Sitzung, und das war als Leiter der Abteilung fü r Kultursoziologie automatisch Hanno. Aber Hanno wuûte, daû es heute anders als gewö hnlich sein wü rde. Kurz nach Mittag hatte Hirschberg ihn angerufen und ihn gewarnt Ð der Prä sident hatte eine Presseerklä rung gegeben, und morgen wü rde sein Name in allen Zeitungen stehen. Er selbst werde auch einen Artikel schreiben. Er

wü rde

ihn natü rlich verteidigen,

aber jetzt kö nne Hanno es nicht

lä nger

geheimhalten. Er mü sse

seine Familie vorbereiten. Und

vielleicht auch sein Institut. Und dazu war Hanno jetzt entschlossen. Er wollte das auf der Institutsratssitzung tun.

Er schritt den Flur seiner Abteilung entlang durch die Glastü r, ging am Fahrstuhl und der langen Pinwand mit den Ankün digungen der Veranstaltungen vorbei, wandte sich nach links und trat vor dem Drehkreuz im Eingang der Bibliothek nach links in den Raum 443. Um eine groûe Fläc he von mehreren zusammengestellten grauen Tischen herum saûen die Mitglieder des Institutsrats. Gün ter, Frau Siefer, Erzgrä ber, Mauser, Bertram und Kaiser. Veronika als Vertreterin der Assistenten, der Dozentenvertreter fehlte, ebenso zwei Studenten. Auf einem ä uûeren Ring von Stüh - len an der Wand entlang saû die sogenannte Institutsö ffentlichkeit. Das waren in der Regel ein paar versprengte Lehrbeauftragte und Wissenschaftliche Mitarbeiter, die neu eingestellt waren und dachten, der Besuch des Institutsrats sei Pflicht. Daû jemand freiwillig gekommen wä re, war nicht zu erwarten, denn wer sich von einer Sitzung des Institutsrats einen eigenen Unterhaltungswert versprach, muûte sich vor Verzweiflung eigentlich erschieûen. So war es ä uûerst ungewö hnlich, daû Hanno die Stüh le an der Wand voll besetzt fand. Auch seine Mitarbeiter hatten sich vollzä hlig versammelt und blickten ihm erwartungsvoll entgegen. Hanno nickte Frau Eggert zu, die links am Tisch saû, um das Protokoll zu füh ren, und setzte sich an das Kopfende, das immer fü r den Leiter

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der Sitzung freigehalten wurde. Keine Frage Ð der auûerordentlich gute Besuch war darauf zurü ckzufüh ren, daû sie alle eine Diskussion ü ber den Vorwurf der sexuellen Erpressung erwarteten. Hanno hob den Blick und schaute sich um. Er lieû sich Zeit dabei. Er dachte daran, wie er hier als frisch berufener Professor aus Kö ln in seinem ersten Semester angetreten war, um seine hochfliegenden Konzepte zu erlä utern. Wie er sie eingeladen hatte, eigene Forschungsteams aufzubauen, eine Zeitschrift herauszugeben, Geld aufzutreiben und eine Hamburger Soziologische Schule zu grün - den. Wie er gesprüh t und geworben hatte, wie er sich das bleierne Desinteresse anfangs gar nicht erklä ren konnte, bis ihm langsam klar wurde, daû es seine Kollegen ü berforderte. Er dachte daran, wie er dann in die innere Emigration gegangen war und eine eigene Abteilung gegrün det hatte; und wieviel nutzlose Stunden öd er Leere und töd licher Langeweile er bei Sitzungen in diesem Raum verbracht hatte. Aber dann sah er wieder in die vertrauten Gesichter von Frau Eggert und Veronika und Frau Kopp und seiner anderen Mitarbeiter, und als er an die vielen Stunden gemeinsamer Arbeit dachte, fiel es ihm schwer, zu sagen, was er sagen muûte. Wenn sie sich an den Tag erinnerten, an dem er sich so groûartig vor alle Institutsmitglieder gestellt hatte Ð muûten sie ihn dann nicht fü r einen gewaltigen Heuchler halten, wenn er sich jetzt selbst als Verdäc htigter zu erkennen gab? In ihren Augen muûte er wie ein schmieriger Tartuffe wirken, ein aufgeblasenes Windei, ein falscher Fuffziger mit perversen Neigungen. Hanno füh lte den erwartungsvollen Blick von Frau Eggert auf sich ruhen. Irgendwie grä mte es ihn besonders, daû ihre gute Meinung von ihm zusammenbrechen muûte. Es kam ihm so entsetzlich vor, wie wenn ein Elefant eines qualvollen Todes stü rbe.

»Meine Damen und Herren!« begann er. »Schon an der groûen Zahl der Anwesenden kö nnen Sie sehen, daû dies keine gewö hnliche Sitzung des Institutsrats ist. Sie wissen alle, worum es heute gehen wird: den Vorwurf, ein Mitglied unseres Lehrkö rpers habe eine Studentin vergewaltigt.« Er machte eine Pause. »Bevor ich in

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die

Tagesordnung

eintrete, mö chte ich eine Erklä rung abgeben,

die

auûerhalb des

Protokolls bleibt.« Er blickte Frau Eggert an.

»Der Disziplinarausschuû der Universitä t wird

sich am kommen-

den Freitag mit dem Fall beschä ftigen. Man

ist ü berzeugt, den

Schuldigen gefunden zu haben. Er gehö rt unserem Institut an. Sie kö nnen morgen seinen Namen in allen Zeitungen lesen.« Er machte eine Pause. »Es ist mein Name.« Jetzt war es so still wie in einem Grab. Frau Eggert hatte die Augen weit aufgerissen. Veronikas Unterlippe hing schlaff herunter, und alle blickten ihn an, als ob er sich ganz plö tzlich in einen Kä fer verwandelt hä tte. Ihm fielen die tausend Augen des Pfauenschwanzes ein, die ihn im Park der Zitkaus so starr angeblickt hatten. »Ich mö chte nicht in Beteuerungen meiner Unschuld verfallen«, fuhr er fort. »Ich erwarte von Ihnen, daû Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage: also Ð der Vorwurf ist ungerechtfertigt! Ich weiû nicht, wer es war, aber ich war es nicht. Ich mö chte trotzdem vom stellvertretenden Vorsitz des Institutsrats zurü cktreten. Und ich mö chte die Professoren unter den Mitgliedern fragen, ob jemand den Vorsitz ü bernimmt und bereit ist, als ersten Tagesordnungspunkt eine Solidaritä tserklä - rung fü r mich beschlieûen zu lassen.« Hanno blickte in die Runde. Ihm wurde kalt ums Herz. Keine Hand rüh rte sich, kein Blick traf den seinen. Alle blickten nach unten. Die Stille war so schwer wie auf dem Meeresgrund. Es war merkwü rdig, er verachtete sie alle, und doch hä tte er jetzt nichts mehr gebraucht als ihre Solidaritä t. Er muûte den Impuls züg eln zu flehen. Er wollte winseln und betteln: -Bitte, bitte, steht zu mir, verteidigt mich! Helft mir!¬ Er haûte sich fü r diese hün dische Sehnsucht. »Bitte!« Es klang wie ein Jaulen. »Bitte, ist jemand von den Kollegen dazu bereit?« Niemand und nichts rüh rte sich. Er hatte das Gefüh l zu zerfallen. Er stand auf. Der Boden unter seinen Fü ûen füh lte sich wattig an. Er hoffte nur noch, mit Wü rde zur Tü r zu kommen. »Frau Eggert« hö rte er sich sagen, »bitte sagen Sie alle Termine ab.« Er hatte keine Kraft mehr, in sein Bü ro zu gehen. Er trat in den Fahrstuhl und sank nach unten. Wie in Trance glitt er durch die Eingangstü r, da traf

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ihn mit voller Wucht eine Tomate an den Kopf. »Wichser!« schrie es ihm entgegen, »Chauvisau!«, »Machoschwein!« Vor dem Eingang stauten sich die Demonstranten. Er hielt sich beide Hä nde schü tzend vor die Augen und rannte gebü ckt zwischen der Menschenmenge und der Hausfront zum Institutsparkplatz, tauchte unter dem Gerü st durch und rettete sich in seinen Mercedes. In Panik lieû er den Motor an und fuhr quer ü ber den Rasen durch eine Rosenhecke auf den Fahrradweg der Grindelallee und von da auf die Fahrbahn.

Den ganzen Tag ü ber war Hanno in seinem Auto ü ber Land gefahren. Daû alle diese Wiesen und Ä cker und Dö rfer so indifferent dalagen, daû die Leute ihren Geschä ften nachgingen und so gar nichts von seiner Katastrophe wuûten, empfand er als eine monströ se Diskrepanz. Er füh lte sich von allem getrennt. Er schwebte. Er flog durch interstellare Rä ume. In seinem Auto füh lte er sich wie im Inneren eines Raumschiffs, das durch fremde Welten glitt. So muûte es sein, wenn einem der Arzt mitteilte, daû man an Krebs litt. Nach einer Endlosigkeit von Lichtjahren fragte er sich, wo er eigentlich war. Bei der näc hsten Ortschaft sah er bewuût auf das Ortsschild. Er las den grotesken Namen »Kuddelwö rde«, und er hatte keine Ahnung, wo das war. Darauf hatte er in seinem Handschuhfach nach der Karte gesucht, aber Gabrielle muûte sie wohl nach ihrer Fahrt zur Beerdigung mit ins Haus genommen haben. Er hatte sich verfahren. Als er jemanden fragen wollte und in ein blöd e grinsendes Gesicht blickte, wurde er plö tzlich von einem so unerklä rlichen Widerwillen ü berwä ltigt, daû er weiterfuhr, ohne die Antwort abzuwarten. So war es schon dunkel, als er nach Hause kam.

Gabrielle war aufgekratzter Stimmung.

»Ich bin gerade nach Hause gekommen. Stell dir vor, ich hab zufä llig die junge Frau von Zitkau in der Stadt getroffen, und sie

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hat Sarah und mich fü r morgen nach Wulfsfeld eingeladen. Das paût prima, denn am Freitag hat Sarah schulfrei Ð da hol ich sie morgen gleich von der Schule ab, und wir bleiben ü ber Nacht auf Wulfsfeld. Ich freue mich ja so fü r Sarah.«

Hanno hatte sich an die Bar gesetzt, die die Kü che vom Eûzimmer trennte. Von der anderen Seite stellte Gabrielle zwei Glä ser auf die Theke.

»Komm, wir trinken ein Glas Sekt.« Sie ging zum Küh lschrank und holte eine Piccoloflasche Sekt heraus. »Das mü ssen wir begieûen.« Sie schenkte ein und hob ihr Glas. »Skol! Warum trinkst du denn nicht? Ist dir nicht gut? Du siehst schlecht aus. Du bist in letzter Zeit so... so verfallen. Komm, ein Glas Sekt wird dir guttun. Unser Streit hat dich wohl mitgenommen?« Sie lachte Ð wie ü ber eine Schwierigkeit, die Jahrzehnte zurü cklag. Und alles verdankte sie dem toten Zitkau. Mein Gott, jetzt schlug er ihr diese Zitkaus auch schon wieder aus der Hand!

»Gabrielle, es ist etwas Furchtbares passiert.« Sie stellte ihr Glas ab und starrte ihn an. »Ich werde vor dem groûen Disziplinarausschuû der Universitä t der Vergewaltigung einer Studentin bezichtigt. Morgen steht es in allen Zeitungen.«

»Du wirst...« Sie schien nicht zu begreifen. »... der Vergewaltigung?« Sie muûte sich erst darü ber klarwerden, was das war. »Das ist ja furchtbar!« Ihr Gesicht verzerrte sich, und ihre Hand fuhr zum Mund. »Aber warum? Warum?«

Hanno goû sich nun doch ein Glas Sekt ein. »Ich habe keine Ahnung. Ein Miûverstä ndnis.«

»Aber die mü ssen doch einen Grund haben!« Sie schrie jetzt. »Eine Studentin von mir hatte einen schweren Nervenzusam-

menbruch. In der Psychiatrie hat sie dann wirre Beschuldigungen erhoben.«

»Gegen dich?«

»Nein, aber sie wollte bei mir Examen machen, deshalb glaubt man, daû ich es gewesen sein muû. Es ist eine Kampagne.«

»Eine Kampagne?«

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