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Der_Campus

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schichte, als ob sie ein Haufen Knochen wä re.« Plö tzlich lachte er laut auf. »Was sie ja auch ist.«

Martin lachte jetzt pflichtschuldig mit.

»Also, Martin, mein Junge, meine Nase sagt mir, daû wir bald eine Bildungsdebatte kriegen. Die Schulen sind schlecht, die Uni ist ein Misthaufen, die Standards sind im Eimer, und die Nobelpreise bleiben aus. Und was tut da ein Zeitungsmann mit Instinkt? Er verstä rkt die bildungspolitische Redaktion. Und da kommst du ins Spiel.« Jetzt duzte er ihn also doch wieder. Ob das System hatte? Martin nahm sich vor, darauf in Zukunft zu achten. »Ich brauche einen Mann fü r die Uni Ð hier vor Ort, in Hamburg. Du bist dafü r die ideale Besetzung.«

Martin wunderte sich. »Wieso ich?«

»Na, denk doch mal nach. Du bist ä lteres Semester, kennst dich also aus.« Er begann jetzt die Vorteile an den Fingern aufzuzä hlen. »Du hast noch kein Examen und kannst also wie ein richtiger Student auftreten. Andererseits willst du kein Examen mehr machen, also brauchst du auch nicht mehr zu bü ffeln, sondern kannst recherchieren. Und weil du kein Examen mehr machst, bist du auch nicht mehr unter Ð Druck, sondern unabhä ngig, distanziert, kritisch; und auûerdem bist du aus Kamen.« Martin muûte grinsen.

Und was war mit diesen Riezler-Tagebü chern?

»Also, ich mö chte, daû du weiterhin so tust, als studiertest du auf dein Examen zu. Wie ein Undercover-Agent, ein verdeckter Ermittler. Aber in Wirklichkeit recherchierst du. Und dein erstes Zielobjekt sind die Riezler-Tagebü cher. Ich habe da ein Gerü cht gehö rt, daû der Schä fer sie hat. Kennst du den?«

»Den Historiker Schä fer? Ja sicher, den kennt jeder.«

»Mach dich an ihn ran. Und sieh zu, was du rauskriegst. Oder was du sonst herausfindest in diesem Labyrinth. Jede Sensation ist willkommen, um diesen Laden auf Trab zu bringen.«

Martin stand auf. Er hatte das Gefüh l, daû die Unterredung zu Ende war. Aber war er auch angestellt? Er wandte sich zum Gehen, als Bü lhoffs Stimme ihn anhielt.

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»Bring morgen gleich deine Papiere. Ich sag unten im Bü ro Bescheid. Und laû beim Rausgehen gleich deinen Presseausweis ausdrucken.« Er wüh lte in seinen Hosentaschen. »Hier sind erst einmal ein paar Taxischeine. Brauchst du einen Vorschuû?«

Martin schü ttelte den Kopf. »Danke, es reicht noch.« Bü lhoff streckte die Hand aus: »Willkommen im Team, Kumpel aus Kamen.«

»Glü ckauf«, grinste Martin, »der Steiger kommt.«

»Mach Sachen«, grinste Bü lhoff. »Und, Martin? Bring uns was Gutes.«

Eine Viertelstunde spä ter verlieû Martin leichtfü ûig wie ein Ballettä nzer das Pressehaus und winkte ein Taxi herbei. Als er sich in den Fond zurü cklehnte, betrachtete er zä rtlich den Kunststoffpresseausweis in verschweiûter Plastikfolie. Links oben war sein Foto eingeprä gt, und in der Mitte war der Name Martin Sommer eingestanzt. Und quer ü ber den Ausweis stand in Versalien DAS JOURNAL.

8

Nach seinem Luxuslunch gestern vertilgte Bernie die Tagesration der ü blichen Ä rgernisse in der Universitä t mit der Nonchalance eines spanischen Grande. Bernie der Ü berlegene. So machte es ihm auch nichts aus, als er eine Weile auf Alice Hopfenmü ller im Historischen Seminar warten muûte, weil die Bibliotheksaufsicht, die sie ablö sen sollte, zu spä t kam. Und es machte ihm auch nichts aus, daû die Schranke vor seinem Parkplatz nicht aufging, weil irgendein Idiot seinen Schlü ssel im Schloû abgebrochen hatte. Nahmen sie eben ein Taxi!

»Taxi!«

Sie hatten Glü ck. Normalerweise war im Gewüh l des Campus selten ein Taxi zu sehen.

»Eppendorfer Kliniken bitte«, sagte Bernie, als sie eingestiegen

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waren. Die ganze Expedition war sowieso Unsinn und verschwendete Zeit. Er war deshalb eisern entschlossen, sich zurü ckzulehnen, um zu entspannen, als sie im Stoûverkehr steckenblieben. Der Fahrer, ein schnauzbä rtiger Tü rke, drehte sich nach ihnen um und fragte:

»Sie schnell in Krankenhaus? Soll ich umdrehen und anderen Weg fahren?«

»Nein danke, wir haben Zeit«, sagte Bernie, und der Fahrer drehte sich um und begann, die Bild-Zeitung zu lesen.

»O wei, das kann dauern. Hams denn angerufen in der Klinik?«

»Ja, die erwarten uns. Mü ssen sie eben warten.«

»Ja, aber da hams der womö glich a Spritzn geben, daû sie verhandlungsfä hig ist, und da kommen wir nicht. Ah wei, ich find dö s ja so was von aufregend, ich war noch nie in so einer Narrenanstalt gwesn, Sie schon?«

Bernie bekam einen leichten Schock. Narrenanstalt! So einen Ausdruck fü r die Psychiatrie hatte er noch nie gehö rt. Alicens Bayrisch gab dem Wahnsinn noch einen zusä tzlichen Touch ins Surrealistische. Plö tzlich erlebte er wieder den optischen Quantensprung, bei dem er sich ruckartig von sich entfernte und mit Befremden in merkwü rdigen Situationen wiederfand. Was tat er nur, mit einem Tü rken und einer burschikosen Bayerin in einem Taxi unterwegs zur Psychiatrie, um eine durchgedrehte Studentin zu interviewen? War das sein Beruf? Warum machte er solche Sachen? Er muûte unvermittelt lachen. Alice und Bernie im Wunderland!

»Nein«, sagte er, »ich war auch noch nicht in der Psychiatrie.« »Aber sie ham mir noch nicht derklä rt, warum S' grad mich mit-

genommen hamm.«

»Na, weil ein Zeuge bei dem Gespräc h dabeisein muû, und weil es besser ist, daû das eine Frau ist.«

»Na, da schau her, da hat aber einer fei groûe Angst vor der Fraunbeauftragten, wie?«

Bernie lachte. Jeder hatte groûe Angst vor der Frauenbeauftrag-

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ten, einschlieûlich der

Frauenbeauftragten.

Er ü berlegte. Konnte

er Frau Hopfenmü ller

in alle Hintergrün de

einweihen? Nachdem

er den Antrag von der Wagner noch ein weiteres Mal gelesen hatte, war ihm klargeworden, daû er ihn zumindestens dem Ausschuû vorlegen und dort behandeln lassen muûte. Daraufhin hatte er Schmale angerufen. Aber der war bereits informiert. »Mach, was die Wagner will, Bernie!« hatte er ihm geraten. Er hatte etwas belegt geklungen, und nach einigem Hin und Her hatte ihm Bernie die Hintergrün de aus der Nase gezogen. Vertrauen gegen Vertrauen, dachte Bernie plö tzlich, als er Alicens Knabenblick auf seinem Gesicht füh lte, sie hatte ihm darauf die Hand gegeben, also kann ich ihr auch weiter vertrauen. Der Taxifahrer warf plö tzlich die Zeitung beiseite und nutzte eine Lü cke im Verkehr zu einem lä ngeren Spurt ü ber mehrere Ampeln.

»Also, Sie haben hier ein Beispiel fü r den Hamburger Filz«, begann Bernie der Vielerfahrene. »Der mäc htigste Mann in der Universitä t ist nicht der Prä sident, sondern ein Wissenschaftlicher Angestellter namens Kurtz. Heribert Kurtz, genannt -Sahib¬. In Wirklichkeit ist er ein capo di tutti capi.«

»Ein was?«

»Ein Pate der Mafia. Er leitet seit hundert Jahren eine ehrenwerte Gesellschaft, die sich -Verein fü r Internationale Verstä ndigung¬ nennt. Neben den Sprachkursen organisiert diese Gesellschaft auch luxuriö se internationale Treffen in sü dlichen Stä dten mit hohem Freizeitwert, und da werden dann alle wichtigen Leute der Bü rgerschaft und des Senats von den Jets von Kurtz' Reisebü ro hingeschafft und dü rfen auf Staatskosten einige Wochen in Grandhotels Ferien machen. Zum Ausgleich sorgen sie immer wieder dafü r, daû die Stadt den Verein fü r Internationale Verstä n- digung mit gigantischen Summen subventioniert, die im Kulturetat als -Auslä nderfö rderung¬ versteckt werden.«

»Viel zuwenig Auslä nderfö rderung«, bellte plö tzlich der Taxifahrer und drehte sich um, »ich gehe zur Behö rde, weil Stand mit Kebab aufmachen. Du kein Gewerbeschein, sagt Behö rde. War-

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um? Befristete Aufenthaltsberechtigung. Na und, sag ich. Befristeter Kebabstand. Scheiûbehö rde!« schloû er und klatschte mit der flachen Hand auf den leeren Beifahrersitz mit der Bild-Zeitung.

Bernie war durch diesen Ausbruch etwas aus dem Tritt geraten und muûte sich wieder sammeln. »Also, dieser Kurtz hat alle entscheidenden Leute korrumpiert und kann sie deshalb alle erpressen. Aus irgendeinem finsteren Grunde beschlieût er, der Frauenbeauftragten zu helfen, ruft den Fraktionsvorsitzenden Pietsch von der SPD an und bittet ihn um einen Gefallen. Der wiederum ruft unseren Prä sidenten an und bittet ihn seinerseits um einen Gefallen, und der Prä sident sagt seinem Persö nlichen Referenten Schmale, er soll dem Professor Weskamp den Befehl geben, der Frauenbeauftragten doch den Gefallen zu tun und diese Verrü ckte nach dem Namen ihres sexuellen Belä stigers zu fragen, damit die Feministinnen endlich einen Macho steinigen kö nnen.«

»Und der kleine Professor Weskamp ruft die noch kleinere Hopfenmü ller Alice an und gibt ihr den Befehl, bei der Befragung das Protokoll zu füh ren«, beendete Alice die Geschichte.

»So ist es«, lachte Bernie. »Unsere Erzä hlung hat die Gegenwart erreicht, und der Knoten schü rzt sich.«

»Ich bin Historikerin, da erreicht die Erzä hlung nie die Gegenwart.«

Alice wurde fast gegen Bernie geschleudert, als das Taxi jetzt in die Einfahrt zum Komplex der Eppendorfer Kliniken einbog und an der Pfö rtnerloge hielt. Bernie schraubte das Fenster hinunter.

»Zur Psychiatrie?« schrie er zum Pfö rtner hinü ber.

Der kam eigens aus seinem Hä uschen gehumpelt, beugte sich nieder, um im Auto nach den Fahrgä sten zu sehen, und wedelte dann mit dem Arm.

»Immer nur links halten, dann sehen Sie schon. Es steht ein Schild dran.«

Alice erging sich in schauerlichen Visionen.

»Ich schwö r's Ihnen, so wie der g'schaut hat, hat der mich fü r eine ghalten, die jetzt eingliefert werden soll.«

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An der Klinikrampe zahlte Bernie das Taxi, half Alice beim Aussteigen und meldete sich dann am Empfang.

»Ich sag' Dr. Erdmann Bescheid. Warten Sie dort im Warteraum.«

Die junge Frau hinter der Glaswand zeigte mit ihrem Bleistift auf eine angelehnte Tü r schrä g gegenü ber und griff nach dem Telefon. Das Wartezimmer war leer. Gott sei Dank war die regulä re Besuchszeit vorü ber. Sie lieûen sich zu beiden Seiten eines Ecktisches mit zerfledderten Zeitschriften nieder. Erst jetzt ging Bernie auf, daû der Verkehrsstau sie davor bewahrt hatte, mit einer Truppe von Psychotikern auf den Arzt zu warten. Beklommen lieû er seinen Blick ü ber die hä ûlichen roten Sessel an der Wand schweifen.

»Ihr, die hier eintretet, laût alle Hoffnung fahren!« murmelteer. »Dantes Ü berschrift ü ber der Hö lle«, setzte er erklä rend fü r Alice hinzu, die von einer Zeitschrift aufblickte. Wahrscheinlich hatte sie ein Gemü t so robust wie ein Pferd, dachte Bernie. Er haûte Kliniken. Die sterile Funktionalitä t lieû die Temperatur seines IchGefüh ls auf den Gefrierpunkt sinken. Hier war er ein Nichts, ein Staubkorn unterm Mikroskop von Dr. Mabuse. Ein Fall vielleicht, aber hö chstens zur Konservierung in Formaldehyd. Kliniken waren so eingerichtet, daû sich nur Ä rzte darin wohl füh lten. Ja, genau das war es! Neben dem furchtbaren Geruch war es die heitere Geschä ftigkeit der Ä rzte, die ihn so demoralisierte. Von auûen kamen merkwü rdig gurgelnde Gerä usche. Ob sie hier die Irren vorbeifüh rten? Liefen die vielleicht frei herum? Wann kam denn endlich dieser Dr. Erdmann? Bernie füh lte einen schlechten Geschmack im Mund. Er muûte daran denken, wie sein Vater gestorben war Ð Darmkrebs. Er war einfach verhungert in der Klinik von Wandsbek. Achtundvierzig Jahre als Bahnwä rter gearbeitet, und fün f Jahre in russischer Gefangenschaft, und dann in Wandsbek verhungert! Seine Mutter war wie versteinert, aber den betreuenden Arzt hatte offenbar nur interessiert, wo Bernie studierte. Er muûte sich ablenken.

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»Haben Sie schon eine Wohnung in Hamburg gefunden?« Alice wachte aus ihrer Zeitschriftenversunkenheit auf.

»Jo, da hab ich fei Glü ck g'habt. Also der Schä fer, der ist ja so a netter Mensch! Der kennt da so a Schauspielerin vom Ernst- Deutsch-Theater, deren Mann ist grad ausgezogen und will sich scheiden lassen. Na, und nun kann die Frau die Wohnung nicht mehr halten. Direkt in der Isestraûe ist sie gelegen, mit einem Blick nach hinten auf den Isekanal. Das ist ja so was von chic!«

»Da haben Sie wirklich Glü ck gehabt«, bestä tigte Bernie.

»An der Isestraûe gehen sonst die Wohnungen alle unter der Hand weg.«

»Na, und was glauben's, was los ist, wie ich dahin komm, um die Wohnung zu besichtigen? Da steht die Feuerwehr vorm Haus und diese Schauspielerin steht oben auf dem Fensterbrett und will sich aus dem fün ften Stock stü rzen, weil ihr das Leben nichts mehr bietet, wo der Mann weg ist. Und im Zimmer hinter dem Fenster auf so einer kleinen Stehleiter steht ihr fün fjä hriger Sohn und schreit -Mami!¬ War das a Hetz, kann ich Ihnen sagen! Und oben auf der Leiter von der Feuerwehr redet der Feuerwehrmann auf die Frau ein, sie soll sich das ü berlegen mit dem Springen.«

»Mein Gott, und ist sie gesprungen?«

»Na, sie macht das jeden Tag, hat mir der Vermieter erzä hlt. Er glaubt, sie ü bt fü rs Theater. Auf jeden Fall muû sie ausziehen, weil der Mann die Miete nicht mehr zahlt, und sie spielt nur Statisterie und verdient nix, und so hab ich eben die Wohnung. Erst hab ich noch dran gedacht, ob ich mit ihr teil, trotzdem daû dieser Bub vielleicht Krach macht, aber als ich dann ihren Auftritt gesehen habe, hab ich mir gesagt: Nix ist, statt daû ich eine Habilitation ü ber die Sozialpolitik der deutschnationalen Volkspartei schreibe, sitze ich nachts und hö r mir die Geschichten einer Verrü ckten an.«

Alicens Redefluû wurde von einem Mann im weiûen Arztkittel unterbrochen, der eine hö lzerne Schreibunterlage mit einem eingeklemmten Aufnahmebogen in der Hand hielt. Das muûte Dr. Erdmann sein. Er blickte Bernie fischig an. Mit medizinischer Ar-

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roganz ü bersah er Bernies ausgestreckte Hand und wandte sich an Frau Hopfenmü ller.

»Wie heiût der Patient?« fragte er kalt. »Eine Patientin!« verbesserte sie. »Aha, eine Patientin. Wie heiût sie?«

»Barbara... wie hieû sie noch?« Alice machte eine hilflose Geste in Richtung Bernie. »Sie fragen besser... also Professor Weskamp sagt Ihnen am besten... er hat doch mit Ihnen telefoniert?«

»Aha, er hat telefoniert.«

Bernie sah erstaunt, daû sich Dr. Erdmann eine Notiz auf seinem Aufnahmebogen machte.

»Ja, ich habe mit Ihrer Sekretä rin gesprochen«, ü bernahm Bernie jetzt das Kommando. »Leider sind wir im Stau steckengeblieben.«

Dr. Erdmann blickte auf seine Uhr.

»Es ist jetzt genau 16.58 Uhr«, sagte er vorwurfsvoll. O Gott, ein Pedant! dachte Bernie. »Ja, ich weiû«, entschuldigte er sich. »Aber es wird sich doch hoffentlich noch machen lassen, daû wir...« Er lieû den Satz in der Luft baumeln.

Dr. Erdmann klopfte mit dem Kugelschreiber auf die Schreibunterlage.

»Wir mü ssen hier ganz genau sein, pein-lich genau! Sonst funktioniert hier nichts! Da hä ngt viel von ab.« Er warf Bernie wieder einen fischigen Blick zu. »Wollen Sie sich kün ftig danach richten?«

»Ja sicher, aber...«

»Dann also der Name, bitte?« »Clauditz.«

Erdmann schrieb den Namen auf. »Vorname?«

»Barbara.«

Wieder der fischige Blick.

»Seit wann glauben Sie, daû Sie eine Frau sind?«

»Was?« Bernie hatte das Gefüh l, plö tzlich mit dem Fahrstuhl

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nach unten zu fahren. Alice hielt sich die Hand vor den Mund und gab gurgelnde Gerä usche von sich. Der Fahrstuhl kam langsam zum Stehen.

»Ich bin kein Patient. Ich mö chte bei Ihnen eine Patientin besuchen, ihr Name ist Barbara Clauditz. Wir haben uns in Ihrem Bü ro fü r vier Uhr angemeldet. Nun sind wir leider etwas zu spä t gekommen.«

Bernie hatte laut und energisch gesprochen. Da ging die Tü r auf, und eine freundlich blickende junge Frau im weiûen Kittel trat zu ihnen, legte ihre schmale Hand auf Dr. Erdmanns Arm und sagte in ruhigem Ton:

»Komm, geh, Doktor. Ich ü bernehme die Aufnahme. Im Fernsehen gibt es einen Chaplin-Film.«

Mit professionellem Schwung klemmte Dr. Erdmann seine Schreibunterlage unter den Arm, nickte, »Danke, Frau Kollegin«, drehte sich noch mal zu Bernie um. »Aber näc hstes Mal sind Sie bitte pünk tlich!« und ging gemessenen Schritts hinaus.

Die junge Ä rztin läc helte und streckte ihre schmale Hand aus. »Guten Tag, Professor Weskamp.«

Bernie mochte nicht glauben, was er gerade erlebt hatte. »Sie sind Dr. Erdmann?« sagte er konsterniert.

Die Ä rztin lachte. »Ja. Hat unser Doktor Sie in Verwirrung gestü rzt? Er hä lt sich fü r einen Psychiater und schleicht sich immer zur Pforte, um die Aufnahme zu machen. Da glauben ihm die Leute noch. Chronisch schizophren, aber harmlos.«

»Mein Gott! Ich war kurz davor, mich selbst fü r einen Patienten zu halten.«

»Da sind Sie schon geheilt«, erwiderte Frau Dr. Erdmann und gab Alice die Hand. Bernie stellte sie vor.

»Wir wollen uns vielleicht kurz setzen, um den Ablauf des Gespräc hs zu klä ren.« Als sie sich niedergelassen hatten, fuhr sie fort: »Ich habe doch richtig verstanden, sie untersuchen auf Antrag der Frauenbeauftragten Professor Wagner einen Fall von sexueller Nö tigung, und Sie mö chten Frau Clauditz nach dem Vorfall befra-

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gen?« Bernie nickte. »Ich kann also davon ausgehen, daû polizeiliche Ermittlungen noch nicht eingeleitet sind, denn dann brauchen wir eine richterliche Genehmigung.«

Bernie konnte sie beruhigen.

»Ja, bevor wir Nä heres wissen, wollen wir die Sache nur auf der disziplinarrechtlichen Ebene behandeln. Jedenfalls wün scht das der Prä sident«, füg te er hinzu. Nach dem gerade erlebten Absturz brauchte er etwas zusä tzliche Respektabilitä t.

»Gut.« Dr. Erdmann blickte auf die Uhr. »Wir gehen jetzt gleich in das Besuchszimmer.« Sie wendete sich an Alice. »Werden Sie Notizen ü ber das Gespräc h machen?«

Alice sah Bernie an, und der ü bernahm die Antwort.

»Wir brauchen ein Protokoll fü r den Disziplinarausschuû.«

»Dann machen Sie Ihre Notizen vielleicht besser unauffä llig. Wir wollen ja nicht den Eindruck eines Polizeiverhö rs erwecken. Ich selbst werde nicht anwesend sein, bin aber in der Nä he, falls Sie mich brauchen. Sie mü ssen keine Angst haben, da passiert nichts. Es ist nur Vorschrift. Wenn ich wiederkomme und die Unterredung beende, dann diskutieren Sie bitte nicht mit mir, daû Sie noch ein paar Fragen stellen mö chten.«

»Das klingt ja spannend.« Bernies Beklemmung stieg wieder.

»Ist es aber nicht. Wie alle Vorschriften sind auch

die nur fü r

alle Eventualitä ten gedacht.«

 

»Machen Sie das mit allen Patienten so?«

 

»Nein, aber bei den Suizidgefä hrdeten. Barbara ist

hochgradig

suizidgefä hrdet. Deshalb steht sie jetzt unter Sedativa. Ach ja, und noch etwas: Beim Hinausgehen lassen Sie bitte keine Kugelschreiber oder spitzen Gegenstä nde liegen.«

»Sie hat versucht, Selbstmord zu begehen?« mischte sich Alice jetzt ein.

»Noch nicht, aber wenn sie es versucht, ist es vielleicht zu spä t. Die Neigung zum Suizid kann man durch Tests ermitteln wie Blutzucker. Wuûten Sie, daû Ungarn und Sachsen in weit ü berdurchschnittlichem Maûe zu Selbstmord neigen?«

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