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Der_Campus

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gen. Als sie die Kreuzung ü berquert hatten, ü berholte ihn hupend der BMW, und beim Vorbeirasen sah Hanno flü chtig, wie der Fahrer mit der Intensitä t eines Tobsü chtigen Gesten der Miûachtung in seine Richtung schleuderte und den Mund zum stummen Schrei aufsperrte, als wü rde er von innen zerrissen.

Und wenn er heute gar nicht in die Universitä t ginge? Er kö nnte einfach Frau Eggert anrufen, er füh le sich nicht wohl, und sie solle Frau Dr. Tauber bitten, die Berufungskommission zu leiten. Schlieûlich war es nur eine Vorbesprechung. Hanno fuhr jetzt an den bunten Glasfassaden der City Nord vorbei, in denen sich wie auf einer kalifornischen Postkarte der Himmel spiegelte, und bog dann in die Straûe durch den Stadtpark ein. Die Kommissionssitzung fand in seinem Bü ro statt. Da war es wahrscheinlich, daû die Bauarbeiter wieder hinter seinem Fenster auftauchten. Was muûte Veronika denken, wenn sie dann zu johlen begannen: »Machs noch mal, Prof!« O Gott, was fü r einen Eindruck muûten seine Kollegen kriegen, wenn sie gar durch die offenen Fenster Bemerkungen machten: »Bumst euer Prof immer so gut nach Dienstschluû? Gibts heute Gruppensex?« Hanno lenkte seinen Mercedes auf den Parkstreifen, der die Straûe durch den ganzen Stadtpark begleitete, und hielt an. Er muûte einen noch undeutlich aufkeimenden Gedanken fokussieren. Er wü rde zu Frau Eggert gehen und sagen, er habe seinen Bü roschlü ssel verloren. Sie mü ûte dann einen neuen beantragen Ð das war mit aufwendigen Verlustanzeigen, Ausfü llen von Formblä ttern und einem Riesenpapierkrieg verbunden Ð, und mit all diesen Tä tigkeiten wü rde signalisiert: Der Typ, den die Bauarbeiter in seinem Bü ro gesehen hatten, das konnte, nein, das muûte jemand anders gewesen sein. Im Soziologischen Institut kam es hä ufig vor, daû sich Dozenten darü ber beschwerten, Unbefugte hä tten ihre Rä ume betreten. Schon allein die unbeaufsichtigten Putzkolonnen aus Ghana, die nach Dienstschluû das Gebä ude ü bernahmen, entfalteten in den Rä umen des Instituts ein reges näc htliches Stammesleben, und Frau Eggert

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hatte morgens schon manchen Asylantrag vergessen auf dem Kopiergerä t gefunden.

Ein Jogger war plö tzlich neben seinem Auto aufgetaucht und lief direkt neben Hannos Mercedes auf der Stelle. Er beugte sich, immer weiterlaufend, hinunter, klopfte an die Seitenscheibe und vollfüh rte eine unverstä ndliche Geste, indem er wiederholt seine Hand herumdrehte. Hanno kurbelte die Scheibe herunter.

»Stellen Sie doch den Motor ab, Sie verpesten ja die ganze Umwelt!« schrie ihn der Jogger erbost an.

Hanno drehte schuldbewuût den Zün dschlü ssel herum, und der Jogger trabte mit weit ausholenden Schritten weiter im zufriedenen Gefüh l, seinen moralischen Energieü berschuû zur Vollbringung eines Werkes im Dienste der Biosphä re recycelt zu haben. Biosphä re! Das Wort fraû sich in Hannos Hirn fest und produzierte augenblicklich Metastasen von rhythmischen Alliterationen. Babsi und die Biosphä re... Babsi und die Bauarbeiter... die brün stige Babsi und die bö sen Barbaren... Er durfte sich nicht gehenlassen, er war Hanno Hackmann, Professor fü r Kultursoziologie, und kein kleiner Krimineller, der um die Polizei einen Bogen macht. Wie immer wü rde er seinen Mercedes parken und erhobenen Hauptes das Institut betreten. Die Idee mit dem Schlü ssel war tö richt. Wahrscheinlich wü rden die Bauarbeiter ihn gar nicht erkennen und hatten die ganze Sache lä ngst vergessen. Er lieû den Motor an und lenkte den Wagen zurü ck in den Fluû der Autokolonne. Natü rlich wü rden sie ihn nicht wiedererkennen! Schlieûlich hatten sie ihn ohne Hose gesehen. Bei dem Gedanken verkrampfte sich Hannos Gesicht. Mein Gott, welch ein Bild sie geboten haben muûten! Kein Wunder, daû die Bauarbeiter in diesen rabelaisischen Frohsinn ausgebrochen waren. Grotesk muûten sie gewirkt haben mitten auf dem Schreibtisch, der Teufel muûte ihn geritten haben. Babsi und Beelzebub. Halt, keine neuen Zwangsideen! Ob sich in diesen Gedankenverbindungen die feministischen Thesen ü ber die Hexen doch bestä tigten? Die Hexen und

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der Teufelsritt, Inkubus und Sukkubus, vielleicht sollte er sich diese Sachen mal nä her ansehen. Malleus maleficorum, der Hexenhammer. Sicher bestand ein Zusammenhang zwischen sozia-

ler Entwurzelung, unfester

Identitä t und

der

Angst vor dä moni-

scher Besessenheit. Porö se

Ich-Grenzen.

Sie

sollten im Kollo-

quium mal darü ber reden. Die Vorstellung, das Thema wissenschaftlich zu traktieren, beruhigte Hanno. Delumeau hatte ü ber die groûen kollektiven Paniken geschrieben Ð Hexenwahn und Judenverfolgung. Hanno muûte an den leeren Bornplatz vor dem Institut denken, wo die Synagoge gestanden hatte, als er langsam die Hochallee hinunterfuhr. Die Fassaden der präc htigen Kaufmannsvillen aus der Belle Epoque glitten an ihm vorbei. Hier hatte das jü dische Groûbü rgertum gewohnt, etwas abseits vom Grindelviertel mit den kleinbü rgerlichen Juden. Hanno kreuzte die Hallerstraûe, glitt den Grindelhof entlang, wo schon bekannte Studentengesichter wie helle Blumenblä tter in der Menge auf den Bü rgersteigen auftauchten, bog auf den Parkplatz vor dem Soziologischen Institut ein, den er bis zum anderen Ende ü berquerte, und hielt dann vor einer Schranke, die den Institutsparkplatz vor studentischer Ü berschwemmung schü tzte. Hier war er schon im Blickfeld der Bauarbeiter, und er muûte aussteigen, um die Schranke zu ö ffnen. Steifbeinig steckte Hanno den Schlü ssel in das Schlü sselloch der Schranke, klappte sie auf, ging zum Wagen zurü ck und fuhr durch. Das Baugerü st war leer. Erleichtert parkte er den Wagen und ging auf den Haupteingang zu. Da erscholl aus der offenen Tü r eines blauen Wohncontainers, der auf dem Parkplatz aufgebockt war, vielstimmiges heiseres Geläc hter. Die Arbeiter hatten gerade Früh stü ckspause. Mit beschleunigtem Schritt und heiûen Ohren verschwand Hanno durch den Eingang des Instituts. In seinem Bü ro zog er zuerst den Vorhang vor das Fenster in der Wand mit dem Baugerü st. Dann ü berprü fte er noch mal, ob er beim Aufrä umen nach seiner Orgie nichts ü bersehen hatte, und schlieûlich bat er Frau Eggert herein. Verhielt sie sich anders als sonst? Hatte Babsi sich vielleicht noch mal bei ihr gemeldet, um

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ihre Prü fung abzusagen? Die Vorstellung, daû Frau Eggert ihn verachten kö nnte, war ihm schrecklich. Aber sie war genauso sachlich und neutral wie immer.

»Hier ist die Liste mit den Mitgliedern der Kommission.«

»Wir tagen im kleinen Konferenzzimmer.« Hanno versuchte so beilä ufig wie mö glich zu klingen.

»Nicht hier, bei Ihnen im Bü ro?« fragte Frau Eggert erstaunt und ging zum Fenster, um die Vorhä nge zurü ckzuziehen. »Hier ist es doch so viel gemü tlicher. Auûerdem findet im kleinen Konferenzzimmer ein Tutorium statt.«

In der Tat, Hanno hielt alle kollegialen Besprechungen einschlieûlich der Kolloquien und der Kommissionssitzungen in seinem Bü ro ab. Der Name »kleines Konferenzzimmer« war ein Euphemismus. Der Raum wirkte eher ungemü tlich und diente vor allem Tutorien, Doktorandenbesprechungen und improvisierten Gruppensitzungen. Hannos Hirn raste. Der Gedanke, daû die Früh stü ckspause der Bauarbeiter zu Ende ging, erfü llte ihn mit einer sinnlosen Panik. Wenn die da drauûen auf dem Gerü st herumkletterten, konnte er die Sitzung nicht leiten.

»Ja, ich weiû, aber wir wollen

nicht riskieren, durch den Bau-

lä rm gestö rt zu werden.«

 

Frau Eggert konnte ihn da ganz beruhigen.

»Keine Angst, Herr Professor,

die machen keinen Lä rm. Die

mauern doch bloû die Klinkerfassade auf, da brauchen sie keine Maschinen.«

Hanno hä tte Frau Eggert fü r ihre Common-sense-Logik erwü r- gen kö nnen. Ratlos starrte er sie an, wä hrend sie, zufrieden, seine sinnlosen Bedenken ausgerä umt zu haben, den Tisch vor dem Sofa fü r den Kaffee freirä umte.

Und dann trudelten auch die Kommissionsmitglieder ein. Professor Beyer von den Amerikanisten, den Hanno noch nicht kannte, ein bä uerlich-massiger Typ, dessen wulstige Züg e wie auf den hollä ndischen Portraits frö hlicher Zecher in gutgelaunter Trinkbereitschaft glä nzten; Hannos Kollege Gün ter; Veronika als

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Vertreterin der Assistenten; der Germanist Grabert mit dem ewig grinsenden Mondgesicht, den man trotz Hannos Bedenken einfach nehmen muûte, weil er die Interessen der Exilliteratur vertrat; eine angenehm wirkende Vertreterin der Studenten, die ihm schon durch kluge Beiträ ge im Seminar aufgefallen war, und, o weh!, als Dozentenvertreter ausgerechnet der allseits gefü rchtete Gerke, vor dem Veronika ihn gewarnt hatte. Den hatten sie doch gar nicht vorgeschlagen! Da war irgendein Unfall passiert! Hanno blickte noch mal auf seine Liste, als sich alle um den Tisch gruppiert hatten, und richtig, Ð da hatte Frau Eggert den Namen »Me- yer-Mittendorf«, den sie vorgeschlagen hatten, durchgestrichen und als Erklä rung an den Rand geschrieben: »M.-M. ist in USA, FBR (das war das Kü rzel fü r den Fachbereichsrat) hat Gerke als Ersatz ernannt.« Tatsäc hlich gab es nur noch wenige Dozenten, weil alle zu Professoren ernannt worden waren, aber nach der bizarren Regelung des Hamburger Hochschulgesetzes muûten alle Gruppen in jedem Gremium vertreten sein. Also war Gerke neben M.-M. als einer der wenigen ü briggeblieben und war deshalb langsam zum hauptberuflichen Mitglied vieler Gremien geworden, wo er seinem destruktiven Hobby nachgehen konnte.

Nachdem Hanno die Sitzung erö ffnet und alle Anwesenden begrü ût hatte, sprach er gleich einen der heiklen Punkte an. Die Stelle, die sie besetzen sollten, war eine Professur fü r Kultursoziologie. Sie war also seiner Abteilung zugeordnet. Aber in einem unendlich zä hen Guerillakrieg hatten die Altlinken unter den Germanisten erreicht, daû dabei die deutsche Exilliteratur besondere Berü cksichtigung finden sollte. Eine der wenigen Professuren fü r Exilliteratur zu erobern war nun fü r die spä tsozialistischen Literaturwissenschaftler deshalb so wichtig, weil sie damit ihre eigene Arbeit in die Tradition des »besseren Deutschland, des Deutschland des Exils« stellen konnten. Um die Definitionshoheit ü ber das »bessere Deutschland« zu erhalten, muûten bü rgerliche Wissenschaftler unbedingt verhindert werden. Und deshalb versuchte Hanno, die hier vergrabenen Minen im Vorfeld zu entschä rfen, in-

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dem er eine staatsmä nnische Exegese der Formulierung »Literatursoziologie, mö glichst unter Berü cksichtigung der deutschen Exilliteratur« gab, bei der Begriffe wie »Zusammenarbeit, Ergä n-

zung, Koordination,

interdisziplinä re Kooperation und Anre-

gung« eine zentrale

Rolle spielten. Aber wä hrend alle Anwesen-

den den wohlgeformten Sä tzen lauschten, die ohne Unterlaû ü ber Hannos Lippen rollten, achtete er selbst auf die Gerä usche der Bauarbeiter drauûen auf dem Gerü st. Schlieûlich kamen sie zur Arbeitsverteilung der Kommission. Dabei wurden jedem Mitglied gleich viel Bewerber zugeteilt, deren Schriften es in einem lä ngeren Gutachten bewerten muûte. Bei dieser Verteilung wurden schon immer die ersten Weichen fü r die spä tere Auswahl gestellt. Interessierte Kommissionsmitglieder suchten sich zur Bearbeitung gern ihre Freunde oder ihre Feinde aus, um die einen herauszustreichen und die anderen abschieûen zu kö nnen. Oder sie nahmen solche, die nicht viel geschrieben hatten, um Arbeit zu sparen. Und die Bewerber hatten hier schon Pech, die an einen meist noch sachunkundigen Studentenvertreter oder irgendeinen fachfremden Inkompetenten gerieten. Jeder wuûte: In Berufungskommissionen war das entscheidende Mitglied der Zufall. Das galt ganz besonders dann, wenn Streit ausbrach Ð und in den meisten Kommissionen brach Streit aus Ð, weil der Zufall dann die Funktion des Schiedsrichters ü bernahm. Um so mehr muûte spä ter die Rhetorik der Endgutachten das Chaos ü bertün chen.

Es gab 36 Bewerber zu verteilen, da bekam jedes der sieben Kommissionsmitglieder fün f Kandidaten zur Bearbeitung, wenn Hanno einen mehr ü bernahm. Veronika ordnete die Namenslisten, Lebenslä ufe, Zeugnisse und die Schriften der Bewerber, und alle Kommissionsmitglieder bedienten sich wie bei einem kalten Buffet.

»O Gott!«

Hannos Ausruf lieû sie innehalten. Selbst Gerke hö rte einen Moment auf zu zwinkern.

»Mir ist gerade etwas Entsetzliches eingefallen.«

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Alle schauten ihn mit groûen Augen an.

»Ich habe unsere Katze im Kofferraum meines Wagens vergessen. Sie ist da seit zwei Tagen eingesperrt. Sie entschuldigen mich fü r einen Moment?« Und damit stü rzte er hinaus, fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten, lief ü ber den Parkplatz zu seinem Wagen, schloû den Kofferraum auf und griff nach dem Tragekorb. Ein schriller Schmerz explodierte an seiner Hand. Er schrie auf und zog sie zurü ck wie vor einem Strahl heiûen Dampfes. Die Katze hatte ihre Zä hne oben und unten in die Seite seiner Handfläc he geschlagen, und ihr Kö rper hatte sich in einen kontrahierten Muskel mit Krallen verwandelt, mit denen sie sein Handgelenk bearbeitete. Vor Atemnot und Hunger fast wahnsinnig geworden, hatte sie sich aus dem Tragekorb befreit und zwei Tage auf die Gelegenheit gewartet, es dem näc hstbesten Feind heimzuzahlen. »Verfluchte Bestie, laû los!« Vor Schmerz fast besinnungslos, schleuderte Hanno die Katze mit aller Gewalt gegen die Seite des Mercedes. Es gab ein dumpf polterndes Gerä usch. Die Katze lieû los, jagte mit hohen Sä tzen ü ber den Platz und verschwand unter dem Passat des Kollegen Gün ter. Hanno griff mit der Linken in seine rechte Hosentasche, zerrte ein Taschentuch heraus und wickelte es um seine blutende Rechte. Dann griff er den Tragekorb und lief zu dem Passat. Ihm war schleierhaft, wie er das Biest wieder einfangen sollte. Aber er konnte sie doch nicht einfach weglaufen lassen! Gabrielle wü rde ein Riesentheater auffüh ren. Und jetzt fiel ihm auch ein, daû er Sarahs Frage, ob er sie in der Tierpension abgegeben hatte, geistesabwesend bejaht hatte. Auch das noch! Wie stün de er da, wenn er erzä hlte, daû er sie zwei Tage im Kofferraum vergessen hatte? Und wie erklä rte er seine lä dierte Hand? Langsam lieû er sich neben dem Passat auf die Knie nieder und blickte unter den Wagen. Als die Katze ihn sah, riû sie die Lefzen zurü ck, ö ffnete den Rachen und fauchte. Wenn er den Tragekorb geö ffnet hinter sie auf die andere Seite des Wagens stellte und sie mit einem Stock langsam rü ckwä rts trieb, konnte er sie vielleicht fangen. Er umrundete den Passat. Da schoû sie auf der anderen Seite unter

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dem Auto hervor, lief in groûen Sprüng en ü ber den Platz und verschwand hinter dem Mensagebä ude. Als Hanno sich umdrehte,

um den Tragekorb in den Kofferraum zurü ckzubringen,

blieb er

wie angewurzelt stehen. Auf dem Baugerü st hatten die

Maurer

ihre Arbeit unterbrochen und ihm interessiert zugeschaut.

 

In der Schlü terstraûe stand gegenü ber der Mensa ein groûes Haus im funktionellen Stil der zwanziger Jahre, dessen Erdgeschoû aus zwei langen Schaufensterfronten bestand. In der Mitte zwischen den beiden Schaufenstern war ein dreigeteilter Eingang. Durch die linke Tü r betrat man das Studentenreisebü ro, das schon von weitem mit verheiûungsvollen Plakaten von sonnigen Stranden mit grün en Palmen kün dete. Die rechte Tü r füh rte in das tü rkische Restaurant »Ada«, das den Besucher durch eine handgeschriebene Speisekarte mit tausend-und-einem Gericht in Erstaunen versetzte, die alle aus Kö fte und Bö rö k zu bestehen schienen. Der mittlere Eingang dagegen füh rte ü ber die Treppe zum ersten Stock in das Hauptquartier von Heribert Kurtz, genannt »Sahib«. An den Wä nden hingen Plakate mit Aufschriften wie »International Summer Conference of Seville, July 1-10«, »La civilisation occidentale et la communication globale. Centre universitaire de Montpellier«, »Language Barriers and International Relations. Summer School, Florence, Italy, June 13-27«. Dazwischen hingen Ankün digungen von Veranstaltungen der Gesellschaft fü r deutsch-tü rkische Freundschaft, des British Council, des Maison Francaise, der deutsch-afrikanischen Gesellschaft, des Carl- Schurz-Hauses und des Vereins fü r arabische Kultur. Die Zwischenrä ume waren bedeckt von Kursankün digungen fü r Deutsch fü r Auslä nder. In der Mitte des Bü ros stand ein moderner Schreibtisch, und auf der Glasplatte schwebten Telefone und ein Inter- kom-Gerä t, wä hrend auf den Seitentischen an der Wand eine Galerie von Bü roelektronik mit Computer, Faxgerä t, Kopierer und Laserdrucker aufgereiht war. So also residierte der Chef des Arbeitsbereichs »Deutsch fü r Auslä nder«.

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Brigitte Schell schaute sich nicht ohne neidischen Miûmut in dieser Pracht um. Sie selbst war mit ihrem Studiengang fü r Sprechtheater und Schauspiel in einer Behelfsbaracke untergebracht worden, in der die Rä ume so klein waren, daû man darin weder unterrichten noch konferieren, geschweige denn proben konnte.

»Wie kommen Sie an diese wunderbaren Rä ume?«

Heribert Kurtz, der Leiter der Abteilung »Deutsch fü r Auslä n- der« und Herr ü ber fün f weitere Groûbü ros, saû auf der anderen Seite des glä sernen Schreibtisches auf einem Bü rostuhl auf Rollen. Durch die Glasplatte konnte Brigitte die Krü cken sehen, deren obere Armgriffe ü ber den Tisch hinausragten. Heribert hatte sich beim Wasserski den Fuû gebrochen. Statt einer Antwort griff er nach einer Krü cke, stieû sich energisch mit ihr vom Tisch ab, so daû er mit seinem Bü rostuhl quer ü ber den Kunststoffboden des Bü ros geradewegs auf die Kaffeemaschine am Wandtisch zurollte, und setzte die ausgestreckte Krü cke so genau auf den Schalter, als hä tte er ihn gestempelt.

»Ha!« rief er so, wie ein Junge auf dem Fuûballplatz »Tor!« schreit. Dann rollte er genauso direkt wieder zurü ck und lachte Brigitte triumphal an, als hä tte er mal wieder gezeigt, was Geschicklichkeit und Willenskraft bei einem Selfmademan auch dann ausmachen kö nnen, wenn ein Sportunfall ihn zum Krü ppel macht. Am Tisch angekommen, schwenkte er seine Krü cke vage vor seinem Gesicht.

»Das alles gehö rt nicht der Universitä t, sondern dem -Verein fü r Internationale Verstä ndigung¬.«

»Verein fü r Internationale Verstä ndigung?«

»Verein fü r Internationale Verstä ndigung. So hieû er schon vor zwanzig Jahren, als er gegrün det wurde, und so heiût er noch

heute«,

bestä tigte Heribert.

Die Kaffeemaschine begann ruck-

weise

zu schlü rfen. Brigitte

hatte Kopfschmerzen. Ein Kaffee

wü rde ihr guttun. Vielleicht konnte sie sich ja mit dem Kurtz einigen. Er schien ein ganz netter Typ zu sein, wenn auch etwas selbstzufrieden. Ein Macho eben, aber gar nicht schlecht aussehend. Ge-

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waltiges Haupt mit groûfläc higem Gesicht, Rollenfach Vater oder Boû, das was die Englä nder »heavy« nannten: schwere Hä nde, schwerer Kopf, schwerer Kö rper Ð wenn auch unglaublich schmutzig Ð, Fingernä gel wie ein Bauer, groû wie Spaten und schwarz umrandet wie Todesanzeigen. Schlabbriger Pullover, beutelige Hose. Die Kaffeemaschine begann jetzt ihre hysterische Phase. Hoffentlich hatte er ihre Beschwerden nicht allzu krumm genommen.

Es waren ja keine Beschwerden, nur wenn jetzt auch noch die Abteilung »Deutsch fü r Auslä nder« eine freie Theatergruppe grün dete, wü rde sie gar keine Probenrä ume mehr finden. Er hatte sich ihre Argumente ruhig angehö rt und genickt. Ein undurchsichtiger Typ. Eingehü llt in eine Wolke von Gerü chren. Ein Weiberheld offenbar mit einem selbstzufriedenen Grinsen und einer Freundin in jedem Seminar. Einer, der seine schmutzigen Finger in jeder Pastete stecken hatte, dazu ein Gremienfuchs und politischer Drahtzieher, wie sie gehö rt hatte. Die Kaffeemaschine beendete jetzt ihren Todeskampf und spie fauchend die Seele aus. Heribert vollfüh rte seine Rolleinlage mit der gleichen Präz ision wie vorher: schnurgerade mit eingelegter Krü ckenlanze gegen den Schalter, dann goû er zwei Tassen ein, griff beide Henkel mit einer Hand und bediente mit der anderen die Krü cke zum Abstoûen.

»Ah, das ist gut. Danke«, sagte Brigitte, als der erste heiûe Schluck Kaffee seine klä rende Wirkung ankün digte.

»Kommen Sie doch einfach zu mir, und Sie sind alle Sorgen los.«

Die Aufforderung kam so unvermittelt, daû Brigitte im ersten Schreck dachte, er fordere sie auf, ihn zu umarmen. Sie lachte nervö s auf.

»Das klingt wie -Kommet her zu mir alle, die ihr müh selig und beladen seid¬. Wie stellen Sie sich das vor?«

»Sie haben eine eigene Abteilung, das Seminar fü r Sprechtheaterregie und Schauspiel, stimmt's?«

Sie nickte.

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