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Theoretischen_Grammatik

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die Gegenüberstellung mit den Formen kam und kamen, andererseits durch die mit der Form kommst" (Admoni, 1986, 16).

Obwohl die meisten grammatischen Formen ihre Vieldeutigkeit aufweisen, ist die Unterscheidung ihrer Grundund Sonderbedeutung von Belang. "Unter Grundbedeutung versteht man die Bedeutung des Grammems, wie sie uns bei der Gegenüberstellung des betreffenden Grammems mit den anderern Grammemen derselben grammatischen Kategorie im Paradigma

entgegentritt (z.B.

ich lese / ich las / ich werde lesen).

Daher wird die

Grundbedeutung

einer Wortform auch ihre p a r a

d i g m a t i s c h e

Bedeutung genannt" (Moskalskaja, 1983, 77). Die Grundbedeutung (die paradigmatische Bedeutung) der Wortform bleibt sowohl in der Sprache als auch in der Rede erhalten. Die paradigmatische Bedeutung der Wortform kommt in der Stellung der starken Gegenüberstellung in einem neutralen Satzzusammenhang zum Ausdruck, in dem das Ersetzen dieser Wortform durch ihr Gegenglied eine inhaltliche Veränderung herbeigeführt hätte, die durch die Unterscheidungsmerkmale dieser Form zu erklären ist (Schendels, 1970, 15). Z.B.: er schreibt /schrieb/ wird schreiben; der schreibende Student - der geschriebene Brief). Die Mehrdeutigkeit der Grammeme veranlasst L. Weisgerber, die Bestimmung ihrer semantischen Charakteristiken (in erster Linie der Grundbedeutung) aufzugeben und von formbezogenen Termini wie erste Stammform (=Präsens), zweite Stammform (=Präteritum), Umschreibung mit werden (=Futurum) Gebrauch zu machen (Weisgerber, 1962, 30).

Neben der paradigmatischen

kann die Wortform auch

eine

syntagmatische Bedeutung besitzen. "Die S o n d e r b e d e u t u n g e n

des

Grammems sind aber seine s y n t a g m a t i s c h e n Bedeutungen, d.h. die Bedeutungen, die die Wortform in einem modifizierenden Satzzusammenhang bekommt, sei es durch Verbindung mit präzisierenden Wörtern (Hast du dich bald ausgeweint? In einer Stunde geht mein Zug), sei es durch die Intonatoin (Sie werden pünktlich sein!), sei es durch den Inhalt der Äußerung (Die Erde dreht sich um die Sonne) u.ä. (Moskalskaja, 1983, 75). Diese Fähigkeit der Wortform, verschiedene Bedeutungen in verschiedenen Bedingungen zu haben, wird von E.J. Schendels "potenzielle Vieldeutigkeit" genannt (Schendels, 1970, 26).

Der Grad der Mehrdeutigkeit einer Wortform hängt von der Zahl der Oppositionsglieder innerhalb einer grammatischen Kategorie ab. Wollen wir uns dem sechsgliedrigen System der deutschen Sprachformen zuwenden und als Beispiel die paradigmatischen und syntagmatischen Bedeutungen des Präsens und des Futurs betrachten.

Das Präsens charakterisiert die verbale Handlung in ihrem Verlauf, ohne eine zeitliche Begrenzung anzugeben, d.h. durativ. Die Polyfunktionalität dieser Zeitform als grammatischer Kategorie ist auf die Kompliziertheit der Gegenwart als einer Stufe der allgemeinen Kategorie der Zeit zurückzuführen. Als paradigmatische Bedeutung des Präsens gilt im Allgemeinen die Bezeichnung

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der verbalen Handlung (oder des Zustandes), die/der mit der Zeit des Redemoments zusammenfällt: "Als die Grundbedeutung des Präsens darf wohl das Sem "Gültigkeit im Redemoment" angesehen werden" (Moskalskaja, 1983, 77); "Das Präsens bezeichnet vor allem den Zeitpunkt, sozusagen den Augenblick, der mit dem Redemoment zusammenfällt" (Admoni, 1986, 192). "Die Gegenwart wird manchmal noch durch besondere Wörter betont" (Duden - Grammatik, 1962, 108), die den Gegenwartsbezug hervorheben: gerade, eben, jetzt, in diesem Augenblick u.a.:

…jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen und Rindfleisch und sind satt und zufrieden (Remarque, 7).

Dadurch wird der günstige Kontext zum Ausdruck des "aktuellen Präsens" geschaffen. Dabei gestehen die Verfasser der Duden - Grammatik zu, das

Präsens drücke

"oft, aber nicht immer ein in der u n m i t t e l b a r e n

G e g e n w a r t

ablaufendes Geschehen aus" (Duden - Grammatik, 1962, 107).

Ein verhältnismäßig umfassender Geltungsbereich dieser Zeitform ist auf ihre allgemeine wenig spezifizierte Bedeutung zurückzuführen. Auf Grund der Analyse des Zusammenspiels einschlägiger Bedeutungskomponenten stellt O.I. Moskalskaja sechs Verwendungsweisen des Präsens zusammen, denen das führende Sem "Gültigkeit im Redemoment" innewohnt und die als dessen Abwandlungen betrachtet werden: "1) punktuell - Es donnert; 2) inklusiv - Vater schläft; 3) usuell (iterativ) - Sie kommen immer um diese Zeit; 4) qualifizierend - Er ist klug; 5) generell - Die Erde dreht sich um die Sonne; 6) potenziell - Solche Wunden heilen sehr schnell" (Moskalskaja, 1983, 76).

An dieser Zeitform "ist bemerkenswert, dass sie keineswegs nur die Gegenwart bezeichnet, also den Zeitpunkt, der mit dem Redemoment zusammenfällt, sondern ebenso auch Geschehnisse, die sich erst in der Zukunft vollziehen oder die schon vergangen sind, und schließlich auch solche, die überhaupt keiner bestimmten Zeitstufe zugehören, weil sie ständig oder unter bestimmten Bedingungen wiederkehren und somit zeitlos, allgemein gültig sind"

(Schmidt, 1966, 216).

 

 

 

 

 

Außer den obenerwähnten sechs Verwendungsweisen des Präsens sondert

O.I.

Moskalskaja vier

weitere

Verwendungen

aus.

Sie "beruhen auf

der

T r a n s p o s i t i o n

der

Präsensform

auf

andere Ebenen ":

"7) erzählend - Im Jahre 1831 kommt Heine nach Paris; 8) konstatierend - Ich höre, du willst verreisen; 9) futurell - In einer Stunde geht mein Zug; 10) imperativisch - Sie bleiben!" (Moskalskaja, 1983, 78). W.G. Admoni umreißt die Gebrauchssphäre des Präsens folgenderweise: "…der Gegenwartsaugenblick hängt organisch mit den vorhergehenden und nachfolgenden Augenblicken zusammen, bildet mit ihnen eine ununterbrochene Gegenwartslinie. Die meisten Handlungen sind nicht punktuell, vollziehen sich nicht in einem Augenblick, sondern in einer größeren oder kleineren Zeitspanne, und wenn der Gegenwartsaugenblick in diese Zeitspanne fällt, so wird sie als Ganzes zur Gegenwart, die natürlich durch das Präsens bezeichnet wird" (Admoni, 1986,

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192). Das ist die 2. (inklusive) Verwendungsweise des Präsens nach dem Schema von O.I. Moskalskaja, die die Bedeutungskomponente (Sem) "Erstreckung auf Vergangenheit und Zukunft" in ihrer Bedeutung beinhaltet (Vater schläft). Von den Verfassern der "Grundzüge einer deutschen Grammatik" wird der ähnliche Gedanke von dieser Gebrauchsweise des Präsens in Sätzen ausgedrückt, "deren Geschehen sich über eine längere Zeitspanne erstreckt, wobei nur ein Zeitpunkt mit dem Redemoment zusammenfällt, darüber hinaus aber ein Abschnitt der Vergangenheit und/oder der Zukunft einbezogen wird" (Grundzüge, 1981, 513).

Die Nacht ist unerträglich. Wir können nicht schlafen, wir stieren vor uns hin und duseln (Remarque, 81).

Die verbale Handlung stellt in diesem Fall ein Kontinuum dar, aber der Verbalvorgang " kann sich auch mit Unterbrechungen vollziehen, und eine von diesen Unterbrechungen kann gerade mit dem Gegenwartsaugenblick, also mit dem Redemoment, zusammenfallen" (Admoni, 1986, 192; s. auch Schmidt, 1966, 216). Dank der allgemeinen Kontinuität der Zeit spielt sich die Handlung in der Gegenwart ab. Das gilt in erster Linie für die Sätze in der Ich-Form sowohl in der Einzahl als auch in der Mehrzahl.

Ich bin das Abrollen nicht mehr gewöhnt und reiße mir die Hand auf (Remarque, 47).

Mitten in der Nacht erwachen wir (Remarque, 79).

"…der Gegenwartsaugenblick schmilzt hier so sehr mit seiner zeitlichen Umgebung zusammen, dass für die gesamte Gegenwartslinie doch" das Aufreißen und das Erwachen als die eigentliche Handlung und die Veränderung des Zustandes erscheinen (Admoni, 1986, 192).

Auch bei der Bezeichnung von usuellen (iterativen) Handlungen mit Gegenwartsbezug (die 3. Verwendungsweise nach der Klassifikation von O.I. Moskalskaja) wird das Präsens gebraucht: "Auch die iterativen (sich wiederholenden) Handlungen, wenn der Gegenwartsaugenblick in ihren Bereich fällt, d.h. von ihnen irgendwie umgrenzt wird, gehören als solche zur Gegenwart" (Admoni, 1986, 192).

Oft ist es mir, als sei es die erschütterte, vibrierende Luft, die mit lautlosem Schwingen auf uns übersprigt; oder als sei es die Front selbst, von der eine Elektrizität ausstrahlt, die unbekannte Nervenspitzen mobilisiert.

Jedesmal ist es dasselbe: wir fahren ab und sind mürrische oder gutgelaunte Soldaten; dann kommen die ersten Geschützstände, und jedes Wort unserer Gespräche hat einen veränderten Klang (Remarque, 44).

Der iterative Charakter der Aussage wird durch die entsprechenden Zeitadverbien verstärkt, die den günstigen Kontext schaffen (oft, jedesmal u.a.m.).

Das Präsens wird von W.G. Admoni "als die Ausgangsund Normalstufe des Temporalsystems", als "das unmittelbar Gegebene im System der Zeitformen" betrachtet: "Deswegen ist es durchaus natürlich, wenn die Handlungen und

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Sachverhalte, die in gleicher Weise zur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gehören, eben von dem Präsens als der temporalen Normalstufe bezeichnet werden" (Admoni, 1986,193). Unter bestimmten Umständen kann also die Präsensform auf eine andere Zeitebene transponiert (verschoben) werden, denn "das Präsens ist also nicht auf den Redemoment beschränkt, sondern es umfasst auch alle Zeitabschnitte, die durch den Augenblick des Redeaktes hindurchlaufen" (Schmidt, 1966, 216), und verfügt über die Fähigkeit, Bevorstehendes und Vergangenes zu bezeichnen. Die Präsensform bezeichnet Zukünftiges "in Sätzen mit Zukunftsbedeutung, wobei Geschehen oder Sein zum Redemoment erwartet werden ("futurisches Präsens"), z.B. in der Vorausschau, als Ausdruck des Planens und Anweisens, unter Umständen mit modaler Komponente" (Grundzüge, 1981, 513), d.h. die Verwendungsweisen 9 und 10 nach der Klassifikation von O.I. Moskalskaja können mitunter gemeinsam auftreten. Ähnlich auch bei J. Erben: "Auch künftiges Geschehen wird mittels der 1. Stammform (des Präsens - W.M.) in Bewusstseinsnähe gerückt, in den Erlebnisbereich des Sprechers und Hörers vorausschauend einbezogen. … Sie ist insbesondere ein Ausdrucksmittel des Planens, ja Anordnens … sowie der Voraussage" (Erben, 1963, 34-35).

Das Sema "Zukunft" ("Nachzeitigkeit zum Redemoment") wird unter dem Einfluss des Kontextes, von entsprechenden temporalen Adverbialbestimmungen begleitet, aktualisiert. Das "futurische Präsens" drückt auch Zukünftiges in Form einer Vermutung, einer Frage, einer schwächeren oder stärkeren Aufforderung aus, meist in Verbindung mit Wörtern entsprechender Bedeutung:

Müller sagt nachdenklich: "…Wir werden doch wieder auf die Schulbank müssen." Ich halte es für ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen" (Remarque, 66). (Vgl. auch die 10. (imperativische) Verwendungsweise des Präsens bei O.I. Moskalskaja (Moskalskaja, 1983, 78, 86).

Wenn es gilt, Verbalvorgänge oder Zustände zu beschreiben, bei denen kein Eindruck der gegenwärtigen Geschehnisse, sondern die Empfindung zeitlichen Abstandes besteht, kann der Sprechende/Schreibende auch zum Präsens greifen. Dabei unterscheiden die Grammatikforscher das Präsens zur Bezeichnung des eben erst vergangenen und längst vergangenen Geschehens: "Die Präsensform dient zur Schilderung eines eben abgelaufenen Geschehens, sie bezeichnet etwas unmittelbar Vergangenes" (Schmidt, 1966, 217). Ähnlich auch in der Duden - Grammatik: das Präsens wird gebraucht, "wenn der Sprecher ein Geschehen, das vor seinen Augen gerade abgelaufen ist, schildern will" (Duden - Grammatik, 1962, 108) (die konstatierende Verwendungsweise nach O.I. Moskalskaja).

"Aber auch wenn das Geschehen l ä n g s t v e r g a n g e n ist, können für seine Schilderung die 1. Stammform und ihr Passiv gebraucht werden. Der Sprecher vergegenwärtigt sich dann das Vergangene so lebhaft, dass er

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unwillkürlich die sprachliche Form der Gegenwart wählt (historisches Präsens)" (Duden - Grammatik, 1962, 108). Vgl. auch: "Die Präsensform kann auch verwendet werden, um länger Zurückliegendes zu bezeichnen. Das Tempus hat dann die Aufgabe der lebhaften Vergegenwärtigung und wird im Wechsel mit dem Imperfekt gebraucht" (Schmidt, 1966, 217). (Siehe z.B. die Ballade "Der Handschuh" von F. Schiller).

"Im modernen Deutsch werden Episoden, Kapitel, sogar ganze Erzählungen und Romane im Präsens historicum geschrieben. Als Beispiel seien "Im Westen nichts Neues" von E.M. Remarque oder "Kleiner Mann - was nun?" von Hans Fallada erwähnt. Auch in der Ballade ist das Präsens historicum die vorherrschende Tempusform" (Gulyga, 1970, 97).

Dieses auf die Zeitebene des Vergangenheitstempus transponierte (übertragene, versetzte) Präsens (das Präsens historicum, das historische Präsens) wird anders das berichtende Präsens, das Präsens der belebten Erzählung, die "Tempusmetapher der gespannten Erzählung" (H. Weinrich) genannt. Die Verfasser der "Grundzüge der deutschen Grammatik" fassen unter einer Rubrik alle Schattierungen der Vergangenheitsbedeutung in Sätzen zusammen, "wobei Geschehen oder Sein als vor dem Redemoment verlaufend/statthabend angenommen werden ("historisches Präsens"), z.B. in lebendiger "vergegenwärtigender" Schilderung vergangenen Geschehens, in der Dokumentation" (Grundzüge, 1981, 513).

Aber die anderen Grammatikforscher gliedern aus dieser Gebrauchsvariante jene Gebrauchsweise des historischen Präsens, die einen registrierenden Charakter trägt, als selbständige Bedeutungsschattierung aus (die 7., erzählende Verwendungsweise des Präsens nach der Klassifikation von O.I. Moskalskaja):

"In Chroniken, Geschichtstabellen usw. können die 1. Stammform und ihr Passiv aber auch rein r e g i s t r i e r e n d e n Charakter haben:

49 v. Chr.: Cäsar ü b e r s c h r e i t e t den Rubikon.

49 v. Chr.: Cäsar w i r d e r m o r d e t" (Duden - Grammatik, 1962, 108). "In Chroniken und historischen Übersichten kann die Präsensform rein registrierende Funktion haben, vgl. 1.9.1939: Hitler überfällt Polen" (Schmidt, 1966, 217).

Das Präsens kann auch zur Bezeichnung der zeitlich unbegrenzten und immer gültigen Sachverhalte dienen: "Die Präsensform bezeichnet Sachverhalte, die hinsichtlich der Zeit unbegrenzt sind und Allgemeingültigkeit haben. Man bezeichnet diese Form auch als generelles Präsens. Es steht besonders oft in wissenschaftlichen Lehrsätzen, Regeln, Sprichwörtern und allgemeinen Feststellungen" (Schmidt, 1966, 217). "In der 1. Stammform und ihrem Passiv wird …[zeitlos] Allgemeingültiges, beständig oder unter bestimmten Verhältnissen Wiederkehrendes ausgesagt. Deshalb bedienen sich Sprichwörter und allgemeine Aussagen meist dieser Zeitform" (Duden - Grammatik, 1962, 108), vgl.: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern

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muss (Goethe, Faust); Kühe machen Mühe; die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube (Goethe, Faust). Der panchronische, "eben der (im zeitlichen Sinne) allumfassende Charakter solcher Handlungen und Sachverhalte macht es, dass sie auch für den Gegenwartsaugenblick aktuell und gültig sind" (Admoni, 1986, 193). Hier setzt sich W.G. Admoni mit den Verfassern der "Grundzüge einer deutschen Grammatik" auseinander, die dem Präsens in dieser Gebrauchsweise den Bezug zum Redemoment absprechen. Ihrer Meinung nach tritt das Präsens "in Sätzen mit allgemeiner Geltung ohne unmittelbaren Bezug zum Redemoment ("generelles Präsens"), z.B. in allgemeingültigen Äußerungen, in wissenschaftlichen Darstellungen, aber auch zum Ausdruck des Usuellen, sich Wiederholenden" auf (Grundzüge, 1981, 512). Statt der usuellen (iterativen) Verwendungsweise könnte man eher die qualifizierende Verwendungsweise des Präsens zum generellen Präsens rechnen, weil diese Bedeutungsschattierungen über drei gleiche Seme verfügen: "Gültigkeit im Redemoment", "Erstreckung auf Vergangenheit und Zukunft", "Beständigkeit der verbalen Charakteristik" und die qualifizierende Einschätzung (vom Typ "Er ist klug") überdies unter Umständen auch einen panchronischen Charakter tragen könnte.

Je nachdem, ob der Redemoment in die semantische Struktur des Präsens mit eingeschlossen wird oder nicht, ob er überhaupt berücksichtigt wird, unterscheidet E.J. Schendels dessen drei Arten: das inklusive, exklusive und neutrale Präsens. Das inklusive Präsens schließt den Redemoment mit ein, das exklusive Präsens schließt ihn aus. Das neutrale Präsens sieht vom zeitlichen Bezug ab und tritt in drei Formen auf - qualifizierend, verallgemeinernd und imperativisch (Schendels, 1970, 48-60).

Die Mannigfaltigkeit der Grundund Nebenbedeutungen (der Bedeutungsschattierungen) des Präsens veranlasst L. Weisgeber dazu, nur vereinzelte Funktionen dieser Zeitform, ohne logische Verbindung untereinander zu sehen. Die durchgeführten Beobachtungen über das Wesen und die Funktionen des Präsens lassen ihn schlussfolgern: "Je weiter wir es durchdenken, um so unsicherer wird es, ob unser Präsens immer oder auch nur vorwiegend zeitlich Gegenwärtiges meint" (Weisgerber, 1962, 325).

Andere Grammatikforscher hingegen gehen von der Notwendigkeit aus, die Grundbedeutung des Präsens zu erschließen und die gegenseitigen Beziehungen zwischen seinen Verwendungsweisen aufzudecken. So z.B. meint W. Schmidt bei der Behandlung des deutschen Tempussystems, dass die Weisgerbersche Betrachtungsweise dieser Problematik sich durch atomisierendes Herangehen auszeichnet: "Nicht akzeptieren kann man … Weisgerbers atomisierende Betrachtung der Funktionen der einzelnen Tempusformen. Wie bei der Behandlung des Präsens gleich gezeigt werden soll, sind die Leistungen der ersten Stammform keineswegs so vereinzelt und unzusammenhängend, dass man daran zweifeln müsste, ob es überhaupt ein Präsens als einheitliche grammatische Form gibt. Der Fehler liegt eher bei Weisgerber, der nicht erkennt, wie sich die verschiedenen Funktionen dieser

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Form um eine zentrale Leistung gruppieren" (Schmidt, 1966, 215). Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch W.G. Admoni: "Im Gegensatz zu der Auffassung Weisgerbers, der in dem Gebrauch des Präsens nur vereinzelte und unzusammenhängende Funktionen sieht … stellt das Präsens auch vom synchronischen Standpunkt aus ein kompliziertes, aber geschlossenes System der Gebrauchsweisen und Bedeutungsschattierungen dar, das zu seinem Mittelpunkt den "Gegewartsaugenblick", den zeitlichen Zusammenfall mit dem Redemoment hat" (Admoni, 1986, 194).

Aus den Beispielen der Verwendungsweisen des Präsens ist ersichtlich, dass eine grammatische Form mehrere Transpositionen zulassen kann. Das Wesen der Transposition besteht darin, dass die Form ihre "Einbettung" (ihre typische sprachliche Umgebung) verlässt und in einen fremden Kontext versetzt wird, der auf sie einen so großen Einfluss ausübt, dass die Form ihre ursprüngliche Bedeutung (genauer gesagt, Verwendungsweise) einbüßt und "besondere stilistische Verwendungsweisen der betreffenden Grammeme" (O.I. Moskalskaja) entwickelt. O.I. Moskalskaja meint: "Jedesmal, wenn eine Transposition vorliegt, entsteht eine Synonymie zwischen solchen Formen, die im Paradigma des Verbes als Gegenglieder einer Opposition fungieren: Präsens / Präteritum, Perfekt; Präsens / Futur; Präsens Indikativ / Imperativ u.ä. Man spricht in diesem Fall davon, dass die Opposition n e u t r a l i s i e r t (aufgehoben) wird. Beim erzählenden, konstatierenden und futurellen Präsens wird die zeitliche Opposition: Präsens / Präteritum, Präsens/ Perfekt, Präsens / Futur aufgehoben, beim imperativischen Präsens wird die Opposition: Imperativ / Nichtimperativ (in unserem Fall Präsens Indikativ) aufgehoben" (Moskalskaja, 1983, 78 -79).

Die Transposition ist gleichzeitig ein Mittel der Neutralisation und ein Mittel der Synonymisation" (Schendels, 1970, 29).

Unter Synonymen versteht man in der Morphologie verschiedene Wortformen, die ähnliche grammatische Bedeutung aufweisen, die sich aus dem Sprachsystem ergibt oder die erst auf der Sprechebene unter der Einwirkung des Wortzusammenhangs entsteht. Im ersteren Fall hat man es mit systemhaften Synonymen, z.B. Perfekt - Präterit, im letzteren Fall mit kontexualen Synonymen, z.B: Präsens und Futur zu tun.

In Anlehnung an die Sprachtheorie von K. Bühler schlägt E.J. Schendels vor, die ersteren zu den systembedingten und die letzteren zu den feldbedingten Synonymen zu rechnen (Schendels, 1970, 30); in anderer Terminologie sind es paradigmatische und paradigmatisch-syntagmatische Synonyme.

"Als p a r a d i g m a t i s c h e Synonyme können Grammeme gelten, deren paradigmatische Bedeutung ähnlich ist. Die Annäherung zwischen ihnen und die jeweilige teilweise Austauschbarkeit der Grammeme beruht auf der Ähnlichkeit der darin enthaltenen Seme und setzt keine Transposition des Grammems voraus" (Moskalskaja, 1983, 79). "Die paradigmatischen Bedeutungen von zwei Formen fallen nie völlig zusammen, aber es gibt Formen,

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deren Semenbestand sehr ähnlich ist: Perfekt und Präteritum, Konjunktiv und Konditionalis. Solche Formen kann man bedingt für systemhafte Synonyme halten" (Schendels, 1970, 30).

Die p a r a d i g m a t i s c h - s y n t a g m a t i s c h e n Synonyme entstehen dagegen infolge von Transposition des Grammems in den Verwendungsbereich seines Gegengliedes. Die Opposition, auf der die Gegenüberstellung beider Gegenglieder beruht, wird dabei neutralisiert. Das transponierte Grammem entwickelt dabei eine Sonderbedeutung (syntagmatische Bedeutung), die mit der paradigmatischen Bedeutung seines Gegengliedes zusammenfällt. So werden zum Beispiel beim historischen und beim futurellen Präsens die Oppositionen: Gegenwart / Vergangenheit, Gegenwart / Zukunft neutralisiert" (Moskalskaja, 1983, 79-80). Hier muss man den Unterschied zwischen der primären und sekundären Funktion der grammatischen Form im Auge haben, was seinen Ausdruck im asymmetrischen Dualismus des sprachlichen Zeichens findet. Die Transposition der grammatischen Funktion besteht darin, dass "das Bezeichnende danach strebt, andere Funktionen als seine eigene zu besitzen. Das Bezeichnete strebt seinerseits danach, um sich durch andere Mittel ausdrücken zu können als sein eigenes Zeichen" (Karcevski, 1965, 90).

Mit anderen Worten, es werden jene syntagmatischen Möglichkeiten aktualisiert, die in paradigmatischer Hinsicht potenziell vorhanden sind und bis zum bestimmten Moment verborgen bleiben. E.J. Schendels meint dazu: "Bei der Aktualisierung der syntagmatischen Bedeutungen kann ein nebensächliches Sem zum Hauptsem werden… Es kommt zu einem "Semenspiel" oder zu einer "Semenumverteilung" (Schendels, 1970, 28).

Im paradigmatischen Aspekt sind die morphologischen Synonyme selten. O.I. Moskalskaja schreibt darüber u.a. bei der Erforschung der Präsensfunktionen: "Paradigmatische Synonyme hat das Präsens nicht: Alle synonymischen Beziehungen des Präsens zu den anderen Temtusformen sowie seine synonymischen Beziehungen zum Imperativ sind das Ergebnis stilistischer Transposition" (Moskalskaja, 1983, 85).

Das Futur I und II können zum Beispiel in zwei Bedeutungen auftreten, und zwar: 1) in der temporalen; 2) in der modalen. Beim absoluten Gebrauch wird die paradigmatische Bedeutung des Futurs I - der Ausdruck der zukünftigen Handlung - im neutralen Kontext realisiert. H. Brinkmann meint, dass die Hauptbedeutung des Futurs I die Erwartung sei. Von dieser Bedeutung spalten sich zwei scheinbar entgegengesetzte Varianten: die modale Bedeutung und die der Aufforderung ab, aber diesen Bedeutungen liegt auch die Erwartung zu Grunde (Brinkmann, 1962, 325).

Die modale Bedeutung des Futurs I steht auch mit der Kategorie der Person in Verbindung. Verschiedene Grammeme der Kategorie der Person beim Futur werden von L. Weisgerber verschiedenen modalen Feldern zugeschrieben: "In der 1. Person kommt über den Zeitbezug hinaus noch etwas von dem

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willensmäßigen Darangehen zum Vorschein: Ich werde mich darum kümmern. Wir werden kommen. - In der 2. Person ist der Zeitbezug nur bei dem Voraussagen stärker ausgeprägt: Du wirst noch einmal im Gefängnis enden; häufiger ist die Verwendung als "Heischefutur", im Grunde also eine sehr nachdrückliche Art des Befehlens: Du wirst jetzt nach Hause gehen! Als dritte Verwendungsart kommt hinzu: Du wirst jetzt (wohl) Hunger haben. Diese letztere Art, der Ausdruck der Wahrscheinlichkeit, bestimmt vorwiegend den Gebrauch der 3. Person: Er wird jetzt (wohl) im Zuge sitzen, durchweg ganz ohne Zukunftsbedeutung" (Weisgerber, 1962, 325). In seiner modalen Bedeutung drückt das Futur I die Modalität des Satzes aus, dabei verschiebt sich auch die zeitliche Perspektive der Aussage: das Sema der Zukunft wird gelöscht, und das Sema der Annahme und das Sema der Gegenwart werden aktualisiert, z.B. in den Sätzen: In seinem Zimmer brennt noch Licht. Er wird noch arbeiten.

Durch den Gebrauch des Präsens im ersten Satz, durch den zeitlichen Plan der Gegenwart werden die Bedingungen für die Aktualisierung der Annahme in der Gegenwart im zweiten Satz geschaffen.

In seiner syntagmatischen Bedeutung kann das Futur I auch einen kategorischen Befehl ausdrücken, was auch beim Präsens der Fall ist: "Die Analogie zwischen dem 1. Futur und dem Präsens kann noch weiter verfolgt werden, da auch das 1. Futur in den Bereich des Imperativs transponiert werden kann und wie das imperativische Präsens zum Ausdruck eines nachdrücklichen, herrischen Befehls dient" (Moskalskaja, 1983, 87). Z.B. Sie gehen hinauf und legen sich nieder… Aber jetzt legen Sie sich nieder, schlafen Sie sich aus" (Zweig, 279); "Sie werden sofort aufstehen!" flüsterte ich ihm leise, aber

befehlend zu ( Zweig, 304).

 

 

 

"Die

imperativische

Bedeutung

des

1. Futurs ist eine

s y n t a g m a t i s c h e Bedeutung. Sie wird durch die Intonation der Aufforderung geprägt und ist der 2. Person Sg. / Pl. und der Höflichkeitsform

eigen" (Moskalskaja, 1983, 88).

 

 

 

 

 

Die Vieldeutigkeit dieser Art führt zur morphologischen Synonymie,

die

von

E.J. Schendels so definiert

wird:

"D i e

S y n o n y m e i n

d e r

M o r p h o l o g i e s i n d G e g e n g l i e d e r

v o n O p p o s i t i o n e n

m i t

n e u t r a l i s i e r t e n

d i s t i n k t i v e n M e r k m a l e n. Sie

verfügen über den gleichen (oder ähnlichen) denotativen und den unterschiedlichen konnotativen Gehalt" (Schendels, 1970, 40).

Die morphologische Synonymie entsteht durch die Überschneidung des Semenbestandes verschiedener Wortformen in deren verschiedenen Bedeutungen. E.J. Schendels unterscheidet dabei drei Arten der synonymischen Beziehungen:

1. Die paradigmatische Bedeutung einer grammatischen Form fällt mit der paradigmatischen Bedeutung einer anderen grammatischen Form zusammen. Solche Synonyme gehören ins System der Grammatik. Diese Formen sind kontextfreie Formen, weil sie auf den Kontext nicht angewiesen sind. Die

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Synonymie dieser Art ist aus dem Minimalkontext (neutralen Kontext) ersichtlich. Als Beispiel für systemhafte Synonyme können das Perfekt und das Präteritum dienen, die das gemeinsame Hauptsem "Ablauf vor dem Redemoment" besitzen.

"Ich wusste gar nicht, dass Sie in Moskau weilen."

"Ja, ich bin gestern eingetroffen, ich meine …heute" (Videofilm). Statt der Form "wusste" könnte die Form "habe gewusst" stehen.

"Jede dieser Formen hat aber ihre sekundären Bedeutungen, wo die Synonymie aufgehoben wird. Das Perfekt kann die Vorzeitigkeit in der Zukunft bezeichnen … und das Präterit hat in der erlebten Rede die Bedeutung der Gegenwart oder Zukunft" (Gulyga, 1970, 39).

2.Die paradigmatische Bedeutung einer grammatischen Form fällt mit der syntagmatischen Bedeutung einer anderen grammatischen Form zusammen. Als Beispiel können die Hauptbedeutung des Futurs II und die Nebenbedeutung des Perfekts, verschiedene Mittel zum Ausdruck der Aufforderung (einerseits der Imperativ, andererseits das Präsens und das Futur 1) dienen. Wie aus dem letzten Beispiel ersichtlich ist, kann eine synonymische Reihe mehr als zwei Wortformen enthalten. In der synonymischen Reihe kann eine Form dominieren. Das ist die Form, die entsprechende paradigmatische Bedeutung zum Ausdruck bringt. Jedes Glied der synonymischen Reihe wirkt in seiner eigenen Gebrauchssphäre.

3.Die syntagmatische Bedeutung einer grammatischen Form fällt mit der syntagmatischen Bedeutung einer anderen grammatischen Form zusammen, z.B. die sekundären Bedeutungen des Präsens und des Futurs I beim Ausdruck der Aufforderung zu einer Handlung.

Präsens

"So, jetzt habe ich angeläutet, der Portier wird gleich kommen, Sie gehen hinauf und legen sich nieder" (Zweig, 279).

Futur I

Gewaltsam packte ich seine Hand und presste die Banknoten hinein. "Sie werden das Geld nehmen und sofort hinaufgehen!" (Zweig, 279)

Die 2. und 3. Gruppe morphologischer Synonyme gehören zu den kontextbedingten Synonymen (nach der Definition von E.J. Schendels (Schendels, 1970, 30).

In den Erscheinungen der grammatischen Synonymie und Vieldeutigkeit kommt die Asymmetrie (das Missverhältnis) des sprachlichen Zeichens zum Ausdruck. Ein und dieselbe grammatische Form kann mehrere Bedeutungen ausdrücken, ein und dieselbe Bedeutung kann durch mehrere Formen ausgedrückt werden, d.h. die Ausdrucksebene und die Inhaltsebene gehen auseinander.

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