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Remarque, Erich Maria - Drei Kameraden

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08.06.2015
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Der Bäcker antwortete nicht.

Ferdinand ging heran, um die Staffelei etwas herumzurücken. Dann trat er zurück und nickte mir zu, mit in das kleine Zimmer neben dem Atelier zu kommen. »Das hätte ich nie gedacht«, sagte er verwundert, »die Rabattmaschine hat's erwischt! Er heult...«

»Einmal erwischt es jeden«, erwiderte ich. »Für den da ist es nur zu spät...«

»Zu spät«, sagte Ferdinand, »immer zu spät. Das ist nun mal so im Leben, Robby.«

Er ging langsam hin und her. »Wir wollen ihn ruhig eine Zeitlang da drüben für sich lassen. Könnten inzwischen eine Partie Schach spielen.«

»Du hast ein goldenes Gemüt«, sagte ich.

Er blieb stehen. »Wieso? Nützt dem nicht und schadet ihm nicht. Wenn man immer an so was denken wollte, dürfte kein Mensch auf der Welt jemals mehr lachen, Robby...«

»Da hast du wieder recht«, sagte ich, »also machen wir rasch eine Partie.«

Wir stellten die Figuren auf und begannen. Ferdinand gewann ziemlich mühelos. Er setzte mich mit Turm und Läufer matt, ohne die Dame zu gebrauchen. »Allerhand«, sagte ich, »du siehst aus, als ob du drei Tage nicht geschlafen hättest. Dabei spielst du wie ein Seeräuber.«

»Ich spiele immer gut, wenn ich melancholisch bin«, erwiderte Ferdinand.

»Weshalb bist du denn melancholisch?«

»Ach, nur so. Weil es dunkel wird. Ein ordentlicher Mensch ist immer melancholisch, wenn es Abend wird.

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Nicht aus irgendeinem Grunde. Einfach nur so ganz allgemein...«

»Aber nur, wenn er allein ist«, sagte ich.

»Natürlich. Die Stunde der Schatten. Die Stunde der Einsamkeit. Die Stunde, wo der Kognak am besten schmeckt.«

Er holte eine Flasche und zwei Gläser. »Müssen wir nicht zu dem Bäcker 'rein?« fragte ich.

»Gleich.« Er schenkte ein. »Prost, Robby! Weil wir alle mal krepieren müssen!«

»Prost, Ferdinand! Weil wir einstweilen noch da sind!«

»Na«, sagte er, »manchmal hätte nicht viel gefehlt. Wollen auch darauf noch einen nehmen!«

»Gut.«

Wir gingen zurück ins Atelier. Es war dunkler geworden. Der Bäcker stand immer noch mit eingezogenen Schultern vor dem Bilde. Er sah jämmerlich verloren aus in dem großen, kahlen Raum, und es kam mir vor, als wäre er kleiner geworden.

»Soll ich Ihnen das Bild einpacken?« fragte Ferdinand. Er schreckte auf. »Nein...«

»Dann werde ich es Ihnen morgen schicken.«

»Kann es nicht noch hierbleiben?« fragte der Bäcker zögernd.

»Warum denn?« erwiderte Ferdinand erstaunt und kam näher. »Gefällt es Ihnen nicht?«

»Doch – aber ich möchte es gern noch hierlassen...« »Das verstehe ich nicht...«

Der Bäcker sah mich hilfesuchend an. Ich begriff – er hatte

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Angst, das Bild zu Hause bei dem schwarzen Luder aufzuhängen. Vielleicht war es auch Scheu vor der Toten, sie dahinzubringen. »Aber Ferdinand«, sagte ich, »das Bild kann doch ruhig noch hier hängenbleiben, wenn es bezahlt ist...«

»Das natürlich...«

Der Bäcker zog erleichtert sein Scheckbuch aus der Tasche. Die beiden gingen zum Tisch. »Vierhundert Mark Rest?« fragte der Bäcker.

»Vierhundertzwanzig«, sagte Ferdinand, »einschließlich Rabatt. Wollen Sie eine Quittung?«

»Ja«, erwiderte der Bäcker, »wegen der Ordnung.«

Schweigend schrieben beide den Scheck und die Quittung aus. Ich blieb am Fenster stehen und sah mich um. Im halben Licht der Dämmerung schimmerten rings an den Wänden die Gesichter der nicht abgeholten und nicht bezahlten Porträts in ihren goldenen Rahmen. Sie sahen aus wie eine gespenstische Versammlung aus dem Jenseits, und es schien, als wären alle die starren Augen auf das Bild am Fenster gerichtet, das jetzt zu ihnen kommen sollte und über das der Abend noch einen letzten Glanz von Leben breitete. Es war eine sonderbare Stimmung – die beiden gebückten, schreibenden Gestalten am Tisch, die Schatten und die vielen stillen Bilder.

Der Bäcker kam zum Fenster zurück. Seine rotgeäderten Augen wirkten wie gläserne Kugeln, sein Mund war halb offen, die Unterlippe hing herab, und man sah die fleckigen Zähne – es war lächerlich und traurig, wie er so dastand. In der Etage über dem Atelier fing jemand an, Klavier zu spielen, irgendeine Fingerübung, immer dieselbe Tonfolge. Es klang dünn und quälend. Ferdinand Grau war am Tisch stehengeblieben. Er zündete sich eine Zigarre an. Das Licht

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des Streichholzes beleuchtete sein Gesicht. Der halbdunkle Raum erschien ungeheuer groß und sehr blau durch den kleinen rötlichen Schein.

»Kann man an dem Bild noch etwas ändern?« fragte der Bäcker.

»Was denn?«

Ferdinand kam heran. Der Bäcker zeigte auf den Schmuck. »Kann man das da wieder wegmachen?«

Es war die mächtige goldene Brosche, die er damals, bei der Bestellung, extra verlangt hatte. »Gewiß«, sagte Ferdinand, »sie stört sogar das Gesicht. Das Bild gewinnt, wenn sie wegkommt.«

»Das meine ich auch.« Er druckste eine Weile herum. »Was kostet es denn?«

Ferdinand und ich warfen uns einen Blick zu. »Es kostet gar nichts«, sagte Ferdinand gutmütig, »im Gegenteil, eigentlich bekämen Sie noch etwas heraus. Es ist ja dann weniger drauf.«

Der Bäcker hob überrascht den Kopf. Es sah einen Augenblick so aus, als wollte er darauf eingehen. Aber dann sagte er mit einem Entschluß: »Ach nein, das lassen Sie nur

Sie haben es doch malen müssen...« »Das ist auch wieder wahr...«

Wir gingen. Auf der Treppe, als ich den gebeugten Rücken vor mir sah, war ich etwas gerührt über den Bäcker und die Tatsache, daß ihm bei dem Schwindel mit der Brosche das Gewissen geschlagen hatte. Es paßte mir nicht recht, ihm in dieser Stimmung mit dem Cadillac zu Leibe gehen zu müssen. Doch dann dachte ich daran, daß ein Teil seiner gewiß ehrlichen Trauer um die tote Frau sicher nur daher

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kam, weil die schwarze Person zu Hause ein solches Luder war, und ich wurde wieder ganz frisch.

»Wir können ja bei mir zu Hause die Sache besprechen«, sagte der Bäcker draußen.

Ich nickte. Es paßte mir sehr gut so. Der Bäcker glaubte zwar, er wäre in seinen vier Wänden stärker – ich aber rechnete mit der Schwarzen als Unterstützung.

Sie erwartete uns bereits an der Tür. »Gratuliere herzlichst«, sagte ich, bevor der Bäcker den Mund auftun konnte.

»Wozu?« fragte sie rasch, mit flinken Augen. »Zu Ihrem Cadillac –«, erwiderte ich unverfroren.

»Schatzi!« Mit einem Satz hing sie dem Bäcker am Hals.

»Aber das ist ja noch gar nicht...« Er versuchte sich loszumachen und Erklärungen abzugeben. Sie aber hielt ihn fest und drehte sich zappelnd mit ihm im Kreise, damit er nicht zu Worte kam. Abwechselnd sah ich über seiner Schulter ihre schlaue, blinzelnde Fratze und über ihrer Schulter seinen vorwurfsvollen, vergeblich protestierenden Mehlwurmkopf.

Endlich gelang es ihm, sich frei zu machen. »Wir sind ja noch gar nicht soweit«, prustete er.

»Doch«, sagte ich mit großer Herzlichkeit, »wir sind so weit! Ich nehme es auf meine Kappe, die letzten fünfhundert Mark herunterzuhandeln. Sie zahlen keinen Pfennig mehr als siebentausend Mark für den Cadillac! Einverstanden?«

»Natürlich!« sagte die Schwarze rasch. »Das ist doch wirklich billig, Schatzi...«

»Halt!« Der Bäcker hob die Hand.

»Aber was hast du denn jetzt wieder?« fuhr sie auf ihn los,

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»erst heißt es, du kriegst den Wagen, und jetzt stehst du wieder da und willst nicht!«

»Er will ja«, warf ich ein, »wir haben ja schon alles besprochen...«

»Na, was... Schatzi... wozu denn...« Sie lehnte sich dicht an ihn. Er versuchte, sich wieder loszumachen, aber sie preßte ihre vollen Brüste gegen seinen Arm. Er machte ein ärgerliches Gesicht, aber sein Widerstand wurde schwächer.

»Der Ford...«, sagte er.

»Wird selbstverständlich in Zahlung genommen...« »Viertausend Mark...«

»Hat er mal gekostet, wie?« fragte ich freundlich.

»Mit viertausend Mark muß er in Zahlung genommen werden«, erklärte der Bäcker fest. Er hatte jetzt den Punkt gefunden zum Gegenangriff nach der Überrumpelung. »Der Wagen ist ja so gut wie neu...«

»Neu«, sagte ich, »nach der Riesenreparatur...« »Heute vormittag haben Sie es selbst zugegeben...«

»Heute vormittag war das auch was anderes. Neu und neu ist ein Unterschied, je nachdem, ob man kauft oder verkauft. Für viertausend Mark müßte Ihr Ford schon Stoßstangen aus Gold haben.«

»Viertausend Mark, oder es wird nichts«, sagte der Bäcker halsstarrig. Er war jetzt wieder ganz der alte und schien alle Sentimentalitäten von vorher wiedergutmachen zu wollen.

»Dann auf Wiedersehen!« erwiderte ich und wandte mich an die Schwarze. »Tut mir leid, gnädige Frau – aber Verlustgeschäfte kann ich nicht machen. An dem Cadillac verdienen wir ohnehin nichts – da können wir nicht noch einen alten Ford zu einem Riesenpreis in Zahlung nehmen.

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Leben Sie wohl...«

Sie hielt mich zurück. Ihre Augen funkelten, und sie fiel jetzt über den Bäcker her, daß ihm Hören und Sehen verging. »Du hast ja selbst hundertmal gesagt, daß der Ford nichts mehr wert ist«, zischte sie zum Schluß mit Tränen in den Augen.

»Zweitausend Mark«, sagte ich, »zweitausend Mark, obschon auch das noch Selbstmord ist.«

Der Bäcker schwieg.

»Na los, sag doch was! Warum stehst du denn da herum und tust den Mund nicht auf?« fauchte die Schwarze.

»Meine Herrschaften«, sagte ich, »ich werde jetzt mal den Cadillac holen. Vielleicht besprechen Sie die Sache inzwischen noch untereinander.«

Ich hatte das Gefühl, daß ich gar nichts Besseres tun konnte, als zu verschwinden. Die Schwarze würde meine Sache schon weiterführen.

Eine Stunde später war ich mit dem Cadillac wieder da. Ich sah sofort, daß der Streit auf die einfachste Weise entschieden worden war. Der Bäcker machte einen zerknitterten Eindruck und hatte eine Bertfeder am Anzug hängen – die Schwarze dagegen funkelte, wippte mit den Brüsten und lächelte satt und verräterisch. Sie hatte sich umgezogen und trug ein dünnes, seidenes, eng anliegendes Kleid. In einem unbeobachteten Moment kniff sie mir ein Auge und nickte, alles sei in Ordnung. Wir machten eine Probefahrt. Die Schwarze kuschelte sich behaglich in den breiten Sitz und schwatzte fortwährend. Ich hätte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen, aber ich brauchte sie noch. Der Bäcker hockte ziemlich melancholisch neben mir.

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Er trauerte im voraus um sein Geld – und das ist ja mit die echteste Trauer, die es gibt.

Wir kamen vor dem Hause des Bäckers an und gingen wieder in die Wohnung. Der Bäcker verließ das Zimmer, um das Geld zu holen. Er wirkte jetzt wie ein alter Mann, und ich sah, daß sein Haar gefärbt war. Die Schwarze strich über ihr Kleid.

»Das haben wir fein gemacht, was?« »Ja«, sagte ich widerwillig.

»Hundert Mark müssen dabei für mich abfallen...« »Ach so –«, sagte ich.

»Der alte, geizige Bock«, flüsterte sie vertraulich und kam näher, »hat Geld wie Heu! Aber bis er mal was 'rausrückt! Nicht mal ein Testament will er machen. Fällt nachher dann natürlich alles an die Kinder, und unsereins steht da! Ist doch kein Vergnügen, mit dem Kracher...«

Sie kam noch näher und wippte mit den Brüsten. »Also dann komme ich morgen wegen der hundert Mark mal 'rüber. Wann sind Sie denn da? Oder wollen Sie hier vorbeikommen?« Sie kicherte. »Morgen nachmittag bin ich allein hier...«

»Ich schicke es Ihnen dann her...«, sagte ich.

Sie kicherte weiter. »Bringen Sie es doch selbst. Oder haben Sie Angst?« Sie hielt mich wahrscheinlich für schüchtern und wollte mir handgreiflich zeigen, was los war. »Angst nicht«, sagte ich, »aber keine Zeit. Gerade morgen muß ich zum Arzt. Eine alte Syphilis, wissen Sie! So was verbittert einem das Leben...«

Sie trat so rasch einen Schritt zurück, daß sie fast über einen Plüschsessel fiel. In diesem Augenblick kam der

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Bäcker wieder herein. Mißtrauisch schielte er die Schwarze an. Dann zählte er mir das Geld in bar auf den Tisch. Er zählte langsam und zögernd. Sein Schatten schwankte dabei auf der Rosentapete des Zimmers hin und her und zählte mit. Während ich die Quittung ausschrieb, fiel mir ein, daß es heute schon einmal so gewesen war – nur war Ferdinand Grau an meiner Stelle gewesen. Obschon gar nichts dabei war, erschien es mir sonderbar.

Ich war froh, als ich draußen war. Die Luft war weich und sommerlich. Der Cadillac blinkte am Straßenrand. »Na, Alter, danke schön«, sagte ich und klopfte ihm auf die Kühlerhaube. »Komm bald wieder zu neuen Taten!«

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15 Der Morgen stand hell und funkelnd über den Wiesen. Pat und ich saßen am Rande einer Waldlichtung und frühstückten. Ich hatte mir zwei Wochen Urlaub genommen und war mit Pat unterwegs. Wir wollten ans Meer.

Vor uns auf der Straße stand ein kleiner, alter Citroen. Wir hatten ihn in Zahlung genommen gegen den Ford des Bäckermeisters, und Köster hatte ihn mir mitgegeben für die Zeit des Urlaubs. Er sah aus wie ein geduldiger Packesel, so beladen war er mit Koffern.

»Hoffentlich bricht er unterwegs nicht zusammen«, sagte ich.

»Er bricht nicht zusammen«, erwiderte Pat. »Woher weißt du das?«

»Das weiß man. Weil es unser Urlaub ist, Robby.«

»Mag sein«, sagte ich. »Aber ich kenne außerdem seine Hinterachse. Die sieht traurig aus. Besonders bei der Belastung.«

»Er ist ein Bruder von Karl. Er wird durchhalten.« »Ein mächtig rachitischer Bruder.«

»Laß das Lästern, Robby. Er ist augenblicklich der schönste Wagen, den ich kenne.«

Wir lagen eine Zeitlang nebeneinander in der Wiese. Der Wind kam warm und weich vom Walde her. Es roch nach Harz und Kräutern.

»Sag mal, Robby«, fragte Pat nach einer Weile, »was sind das eigentlich für Blumen, drüben am Bach?«

»Anemonen«, erwiderte ich, ohne hinzusehen.

»Aber Liebling! Das sind keine Anemonen, Anemonen

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