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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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gehen. Die Sonne lag wie ein Balken auf seinem Nacken. Er dachte daran, daß er sein Appartement im »Prince de Galles« aufgeben mußte. Er hatte es vergessen. Er war so müde, daß er einen Augenblick überlegte, ob er es nicht später tun sollte. Dann zwang er sich und fuhr mit einem Taxi zum »Prince de Galles«. Er vergaß fast, als er seine Rechnung bezahlt hatte, seinen Ko er holen zu lassen.

Er wartete in der kühlen Halle.Rechts,in der Bar,saßen ein paar Leute und tranken Martinis. Er schlief fast ein, bis der Gepäckträger kam. Er gab ihm ein Trinkgeld und nahm ein Taxi. »Zum Gare de l’Est«, sagte er. Er sagte es so laut, daß der Portier und der Träger es deutlich hören konnten.

An der Ecke der Rue de la Boëtie ließ er halten. »Ich habe mich um eine Stunde geirrt«, sagte er zu dem Taxichau eur. »Bin zu früh. Halten Sie hier vor dem Bistro.« Er zahlte, nahm seinen Ko er, ging zu dem Bistro und sah das Taxi verschwinden. Er ging zurück, nahm ein

anderes und fuhr zum »International«.

Niemand war unten außer einem Jungen,der schlief.Es war zwölf Uhr.Die Patronne war beim Mittagessen.Ravic trug den Ko er zu seinem Zimmer. Er zog sich aus und drehte die Brause an. Er wusch sich lange und gründlich. Dann rieb er sich mit Alkohol ab. Es machte ihn frischer. Er verstaute den Ko er und versorgte die Sachen,die darin waren. Er zog frische Wäsche und einen anderen Anzug an und ging hinunter zu Morosow.

»Ich wollte gerade zu dir«, sagte Morosow. »Heute ist mein freier Tag.Wir können im ›Prince de Galles‹ …« Er verstummte und sah Ravic genauer an.

»Nicht mehr nötig«, sagte Ravic.

Morosow sah ihn an. »Erledigt«, sagte Ravic. »Heute morgen. Frag mich nicht. Ich will schlafen.«

»Brauchst du noch was?« »Nichts. Alles Erledigt. Glück.« »Wo ist der Wagen?«

»Rue Poncelet. Alles in Ordnung.« »Nichts weiter zu tun?«

»Nichts. Habe plötzlich verdammte Kopfschmerzen. Will schlafen. Ich komme später ’runter.«

»Gut. Ist nichts mehr zu erledigen?«

»Nein«, sagte Ravic. »Nichts mehr, Boris. Es war einfach.«

»Du hast nichts vergessen?«

»Ich glaube nicht. Nein. Ich kann das jetzt nicht noch einmal durchkauen. Muß erst schlafen. Später. Bleibst du hier?«

»Natürlich«, sagte Morosow. »Gut. Ich komme dann herunter.«

Ravic ging zurück in sein Zimmer. Er hatte auf einmal schwere Kopfschmerzen. Er stand eine Weile am Fenster. Unter ihm schimmerten die Lilien des Emigranten Wiesenho . Gegenüber die graue Wand mit den leeren Fenstern. Es war alles zu Ende. Es war richtig und gut

und mußte so sein, aber es war zu Ende, und da war kein Weiter mehr. Es war nichts mehr da. Nichts mehr von ihm. Morgen war sein Name ohne Sinn. Steil vor seinem Fenster fiel der Tag ab.

Er zog sich aus und wusch sich noch einmal. Er ließ seine Hände lange im Alkohol und ließ sie in der Luft trocknen. Die Haut spannte sich um die Gelenke der Finger. Sein Kopf war schwer, und sein Gehirn schien wie lose darin umherzurollen. Er holte eine Injektionsspritze und kochte sie in einem kleinen elektrischen Kocher auf der Fensterbank. Das Wasser bubbelte eine Zeitlang. Es erinnerte ihn an den Bach.Nur an den Bach.Er schlug die Köpfe von zwei Ampullen ab und zog den wasserhellen Inhalt in die Spritze. Er machte sich die Injektion und legte sich aufs Bett. Nach einer Weile holte er seinen alten Schlafrock und deckte sich damit zu. Es war ihm, als wäre er zwölf Jahre alt und müde und allein in der sonderbaren Einsamkeit des Wachsens und der Jugend.

Er wachte auf in der Dämmerung. Ein blasses Rosa hing über den Hausdächern. Von unten kamen die Stimmen von Wiesenho und Frau Goldberg. Er konnte nicht verstehen, was sie redeten. Er wollte es auch nicht. Er war in der Stimmung eines Menschen, der nachmittags geschlafen hat und es nicht gewohnt ist – herausgefallen aus allen Beziehungen und reif für einen raschen, sinnlosen Selbstmord. Ich wollte, ich könnte jetzt operieren,

dachte er.Einen schweren,fast aussichtslosen Fall.Ihm fiel ein, daß er den Tag über nichts gegessen hatte. Er spürte plötzlich rasenden Hunger. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Er zog sich an und ging hinunter.

Morosow saß in Hemdsärmeln in seinem Zimmer am Tisch und löste eine Schachaufgabe. Der Raum war fast kahl. An der einen Wand hing ein Uniformrock. In einer Ecke eine Ikone mit einem Licht davor. In einer andern stand ein Tisch mit einem Samowar, in der dritten ein moderner Eisschrank.Es war der Luxus Morosows.In ihm hielt er Wodka, Lebensmittel und Bier kalt. Ein türkischer Teppich lag vor dem Bett.

Morosow stand ohne ein Wort auf und holte zwei Gläser und eine Wodkaflasche. Er schenkte die Gläser voll. »Subowka«, sagte er.

Ravic setzte sich an den Tisch. »Ich will nichts trinken, Boris. Ich bin nur verdammt hungrig.«

»Gut. Laß uns essen gehen. Einstweilen …« Morosow kramte schwarzes, russisches Brot, Gurken, Butter und eine kleine Büchse Kaviar aus dem Eisschrank, »… nimm das! Der Kaviar ist ein Geschenk des Küchenchefs der Scheherazade. Vertrauenswürdig.«

»Boris«, sagte Ravic. »Laß uns kein Theater spielen. Ich habe den Mann vor der ›Osiris‹ getro en, ihn im Bois erschlagen und in St. Germain begraben.«

»Hat dich jemand gesehen?« »Nein. Auch vor der ›Osiris‹ nicht.«

»Nirgendwo?«

»Im Bois kam jemand über die Wiese.Als alles erledigt war. Ich hatte ihn im Wagen. Man konnte nichts sehen als den Wagen und mich, der kotzte. Ich konnte beso en sein, und mir konnte schlecht geworden sein. Nichts Außergewöhnliches.«

»Was hast du mit seinen Sachen gemacht?« »Vergraben. Identitätsmarken herausgeschnitten und

mit seinen Papieren verbrannt. Ich habe nur noch sein Geld und eine Quittung für sein Gepäck am Gare du Nord. Er hatte sein Zimmer schon aufgegeben und wollte abreisen heute morgen.«

»Verdammt, das war Glück! Irgendwelche Blutspuren?«

»Nein. Da war kaum Blut. Ich habe mein Zimmer im ›Prince de Galles‹ aufgegeben. Meine Sachen sind wieder hier. Es ist wahrscheinlich, daß die Leute, mit denen er hier zu tun hatte, annehmen, er sei abgereist. Wenn man das Gepäck abholen würde, würde keine Spur mehr von ihm hier sein.«

»Man wird in Berlin merken, daß er nicht ankommt, und hier zurückfragen.«

»Wenn das Gepäck nicht da ist, wird man nicht wissen, wohin er gefahren ist.«

»Man wird es wissen. Er hat seine Schlafwagenkarte nicht benutzt. Hast du sie verbrannt?«

»Ja.«

»Dann verbrenne die Quittung auch.«

»Man könnte sie an das Gepäckdepartement schicken und das Gepäck nach Berlin oder sonstwo gegen Nachnahme gehen lassen.«

»Das bleibt dasselbe. Es ist besser, sie zu verbrennen. Wenn du zu gerissen bist, wird man mehr vermuten als jetzt. So ist er einfach verschwunden. Das kommt vor in Paris. Man wird nachforschen und mit Glück herausfinden, wo er zuletzt gesehen worden ist. In der ›Osiris‹. Warst du drin?«

»Ja. Für eine Minute. Ich sah ihn. Er sah mich nicht. Ich habe dann draußen auf ihn gewartet.Da hat uns niemand gesehen.«

»Man kann nachfragen,wer um dieselbe Zeit in der ›Osiris‹ war. Rolande wird sich erinnern, daß du da warst.«

»Ich bin oft da. Das macht noch nichts.«

»Es ist besser, man fragt dich nichts. Emigrant, ohne Papiere. Weiß Rolande, wo du wohnst?«

»Nein.Aber sie kenntVebers Adresse.Er ist der o zielle Arzt. Rolande gibt ihren Posten in einigen Tagen auf.«

»Man wird wissen, wo sie ist.« Morosow schenkte sich ein Glas ein.»Ravic,ich glaube,es ist besser,du verschwindest für einige Wochen.«

Ravic sah ihn an. »Das ist leicht gesagt, Boris.Wohin?« »Irgendwohin, wo Leute sind. Geh nach Cannes oder Deauville.Da ist jetzt viel los,und du kannst untertauchen. Oder nach Antibes. Du kennst es, und keiner fragt dich

da nach Pässen. Ich kann von Veber und Rolande dann immer hören, ob die Polizei bei ihnen angefragt hat, um dich als Zeuge zu vernehmen.«

Ravic schüttelte den Kopf. »Am besten, man bleibt,’ wo man ist, und lebt so, als wäre nichts geschehen.«

»Nein. Diesmal nicht.«

Ravic sah Morosow an. »Ich laufe nicht weg. Ich bleibe hier. Das gehört mit dazu. Verstehst du das nicht?«

Morosow erwiderte nichts darauf.»Verbrenne zunächst einmal die Gepäckquittung«, sagte er.

Ravic nahm den Zettel aus der Tasche, zündete ihn an und ließ ihn über dem Aschenbecher verbrennen. Morosow nahm den Kupferteller und schüttete die dünneAsche aus dem Fenster. »So, das ist erledigt. Du hast sonst nichts mehr von ihm bei dir?«

»Geld.«

»Laß es sehen.«

Er examinierte es. Es waren keine Zeichen darauf.»Das ist leicht unterzubringen. Was willst du damit machen?«

»Ich kann es dem Refugiéfonds schicken. Anonym.« »Wechsle es morgen, und schick es in zwei Wochen.« »Gut.«

Ravic steckte das Geld ein. Während er es zusammenfaltete, fiel ihm plötzlich ein, daß er gegessen hatte. Er ließ den Blick flüchtig auf seine Hände gleiten.Sonderbar,was er da morgens alles gedacht hatte. Er nahm ein anderes Stück des frischen, dunklen Brotes.

»Wo wollen wir essen?« fragte Morosow. »Irgendwo.«

Morosow sah ihn an.Ravic lächelte.Es war das erstemal, daß er lächelte. »Boris«, sagte er. »Sieh mich nicht an wie eine Krankenschwester jemand,bei dem sie einen Nervenzusammenbruch befürchtet.Ich habe einVieh ausgelöscht, das es tausendundtausendmal schlimmer verdient hat.Ich habe Dutzende von Menschen in meinem Leben getötet, die mich nichts angingen, und ich bin dekoriert worden dafür,und ich habe sie auch nicht in fairem Kampf getötet, sondern sie beschlichen, belauert, von hinten, wenn sie nichts ahnten, und es war Krieg und war ehrenvoll. Das einzige, was mir ein paar Minuten in der Kehle saß, war, daß ich es dem Kerl nicht vorher ins Gesicht sagen konnte, und das war ein idiotischer Wunsch.Er ist erledigt,und er wird keine Menschen mehr quälen, und ich habe darüber geschlafen, und es ist so weit weg jetzt, als läse ich es in der Zeitung.«

»Gut.« Morosow knöpfte seinen Rock zu. »Dann laß uns gehen. Ich brauche was zu trinken.«

Ravic blickte auf. »Du?«

»Ja,ich!« sagte Morosow.»Ich.« Er zögerte eine Sekunde. »Ist heute das erstemal, daß ich mich alt fühle.«

31 Die Abschiedsfeier für Rolande begann pünktlich um sechs Uhr. Sie dauerte nur eine Stunde. Um sieben begann das Geschäft wieder.

Der Tisch war in einem Nebenraum gedeckt.Alle Huren waren angezogen. Die meisten trugen schwarze Seidenkleider. Ravic, der sie immer nur nackt oder mit ein paar dünnen Fetzen gesehen hatte,hatte Mühe,eineAnzahl von Ihnen wiederzuerkennen. Nur ein halbes Dutzend von ihnen war als Notfallsgruppe im großen Saal zurückgelassen worden. Sie würden sich um sieben Uhr umziehen und nachserviert bekommen. Keine von ihnen würde in Berufstracht herüberkommen.Es war nicht eineVorschrift Madames – die Mädchen selbst hatten es so gewollt. Ravic hatte es nicht anders erwartet. Er kannte die Etikette unter Huren; sie war strenger als die der großen Gesellschaft.

Die Mädchen hatten zusammengelegt und Rolande sechs Korbsessel für ihr Restaurant geschenkt. Madame hatte eine Registrierkasse gestiftet, Ravic zwei Marmortische zu den Korbsesseln. Er war der einzige Außenseiter bei der Feier. Und der einzige Mann.

Das Essen begann fünf Minuten nach sechs. Madame präsidierte. Rechts von ihr saß Rolande, links Ravic. Es folgten die neue Gouvernante, die Hilfsgouvernante und dann die Reihen der Mädchen.

Die Hors d’œuvres waren hervorragend. Straßburger Gänseleber, Paté Maison, dazu alter Sherry. Ravic bekam

eine Flasche Wodka. Er haßte Sherry. Es folgte Vichyoise feinster Qualität. Dann Turbot mit Meursault 1933. Der Turbot hatte die Klasse des Maxims. Der Wein war leicht und jung genug dazu.Dünne,grüne Spargel folgten.Dann am Spieß gebratene Hühner,knusprig und zart,ein erlesener Salat mit einem Hauch von Knoblauch, dazu Château St.Emilion.Am oberen Ende der Tafel wurde eine Flasche Romané Conti 1921 getrunken. »Die Mädchen verstehen das nicht«, erklärte Madame. Ravic verstand es. Er bekam eine zweite Flasche.Dafür verzichtete er auf den Champagner und die Mousse Chocolat. Er aß mit Madame einen fließenden Brie zu dem Wein, mit frischem, weißem Brot ohne Butter.

Die Unterhaltung bei Tisch war die eines Mädchenpensionats. Die Korbsessel waren mit Schleifen geschmückt. Die Registrierkasse glänzte. Die Marmortische schimmerten. Wehmut schwebte durch den Raum. Madame war in Schwarz. Sie trug Diamanten. Nicht zuviel. Eine Brosche und einen Ring. Ausgesuchte, blauweiße Steine. Keine Krone, obwohl sie Gräfin geworden war. Sie hatte Geschmack.Madame liebte Brillanten.Sie erklärte,Rubine und Smaragden seien Risiken.Diamanten seien sicher.Sie plauderte mit Rolande und Ravic. Sie war sehr belesen. Ihre Unterhaltung war amüsant, leicht und geistvoll. Sie zitierte Montaigne,Chateaubriand undVoltaire.Über dem klugen, ironischen Gesieht schimmerte das weiße, etwas blau gefärbte Haar.

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