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2.2.5 Kritik an der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts

2.2.5.1 Zivilisationskritik

Hermann Hesse, alias Harry Haller, kritisiert im „Steppenwolf“ die moderne Gesellschaft und ihre technisch orientierte Welt. Er glaubt, daß die Gesellschaft geistig verkümmert ist. Der von der humanistischen deutschen Bildungstradition geprägte Haller sieht „die technischen und kulturellen Entwicklungen seiner eigenen Zeit, ... lediglich als Verfallserscheinungen.“  Haller lehnt technische Errungenschaften ab, die „seine“ Kunst und Kultur verderben. Dies wird besonders an der Stelle deutlich, als Mozart im Magischen Theater das Radio anschaltet und Haller hierüber ganz entsetzt ist. Musik ist für ihn die „goldene göttliche Spur“, die ihm „die Tür zum Jenseits“ öffnet. Seiner Meinung nach wird Musik durch ihre technische Vervielfältigung geschändet. Er meint, daß Musik den Menschen zu sich selber führt und sogar auf den Weg des Göttlichen. Er verachtet deshalb die Menschen, die Musik nur zum Vergnügen hören, da diese sie angeblich nicht richtig zu schätzen wissen. Die „Untergangsmusik“ des Jazz sei „mit Bach und wirklicher Musik verglichen, eine Schweinerei.“ 

In der Szene „Auf zum fröhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile“ wird besonders deutlich, wie sehr Hesse die Technisierung der Welt ablehnt. Denn wie schon erwähnt, geht es hier um den Kampf zwischen Maschine und Mensch. Die bedeutenden Vertreter für „Kultur“ , „Geist“, „Seele“, „das Reich des Echten“  sind für Haller Mozart und Goethe. Hierin sieht man in Haller einen weiteren Widerspruch, nämlich daß er der neuen „Scheinkultur“, die Kultur des bürgerlichen Bildungsideals entgegensetzt, obwohl er das Bürgertum doch so sehr verachtet.

Im Gespräch zwischen Harry und Mozart im Magischen Theater zur Weltanschauung spürt man wieder seine heftige Kritik an Technik und moderner Kultur.

„Wenn Sie dem Radio zuhören, so hören und sehen Sie den Urkampf zwischen Idee und Erscheinung, zwischen Ewigkeit und Zeit, zwischen Göttlichem und Menschlichem. Gerade so, ... wie das Radio die herrlichste Musik der Welt zehn Minuten lang wahllos in die unmöglichsten Räume wirft, ... gerade so schmeißt das Leben, die sogenannte Wirklichkeit, mit dem herrlichsten Bilderspiel der Welt um sich. ... Das ganze Leben ist so, ... und wir müssen es so sein lassen, und wenn wir keine Esel sind, lachen wir dazu. Leuten von ihrer Art steht es durchaus nicht zu, am Radio oder am Leben Kritik zu üben. Lernen Sie lieber erst zuhören!“

Man spürt die intolerante Einstellung Hallers, der oft vom Leben enttäuscht worden ist. Hier fordert ihn Mozart auch nochmals dazu auf, mehr Toleranz und Humor zu zeigen, anstatt alles schlecht zu machen.

2.2.5.2 Warnung vor dem Krieg

Hesse kritisiert in seinem Roman nicht nur die moderne Kultur, sondern auch die politische Einstellung der Gesellschaft. Der Kriegsgegner Hesse wurde schon während des Ersten Weltkrieges als Vaterlandsverräter beschimpft, obwohl er nur „gelegentlich zu Ruhe, Geduld, Menschlichkeit und Selbstkritik gemahnt“ hatte. Hesse (Haller) macht es traurig, daß seine Landsleute von den Zeitungen „verhetzt, unzufrieden und böse gemacht“ werden. Der „Steppenwolf“ ist also auch eine Warnung vor dem Krieg. Hesse glaubt, der Krieg habe seinen Ursprung im Denken der Bürger. Der Bürger wolle zwar keinen Krieg, liebe den Frieden, aber im Kriegsfall fühle sich der Bürger seinem Vaterland verpflichtet und teile stürmisch die Begeisterung am Kampf.

Hesse, der von den Kritikern aufgrund seiner ständigen Warnungen vor dem Krieg belächelt wurde, schrieb einmal in einem Brief an Erhard Bruder:

„Auch Sie, wie alle meine Kritiker, finden es eine rein subjektive Schrulle oder Empfindlichkeit, daß Harry immer noch an den alten Kriegsgeschichten zu kauen hat. Ja, für mich ist der Krieg mit seinen vier Jahren Mord und Unrecht, mit seinen Millionen Leichen und seinen zerstörten herrlichen Städten keine alte Geschichte, die jeder Vernünftige doch Gott sei Dank längst vergessen hat, sondern er ist, weil ich die Bereitschaft zu seiner Wiederholung in tausend Zeichen  überall atme, sehe, fühle, rieche, für mich wahrlich eine mehr als ernste Angelegenheit. [...]“.

2.2 „ Der Zauberberg“

Wegen einer Lungenaffektion hielt Katia Mann sich 1912 sechs Monate lang im Waldsanatorium von Professor Jessen bei Davos auf. Während ihrer Abwesenheit blieb Thomas Mann bei den Kindern in der Villa in München bzw. im Landhaus bei Tölz, aber in der zweiten Maihälfte reiste er für drei Wochen nach Davos, um seiner Frau Gesellschaft zu leisten. Weil er sich nach zehn Tagen bei feuchtkaltem Wetter auf dem Balkon einen Katarrh zugezogen hatte, schloss er sich Katia bei der nächsten medizinischen Untersuchung an, und Professor Jessen empfahl ihm, ebenfalls ein halbes Jahr im Sanatorium zu bleiben, um einen kleinen Lungenschaden auszukurieren. Thomas Mann reiste jedoch nach drei Wochen planmäßig wieder zurück nach München.

Ich habe es vorgezogen, den "Zauberberg" zu schreiben, worin ich die Eindrücke verwertete, die ich in kurzen drei Wochen dort oben empfing, und die hinreichten, mir von den Gefahren dieses Milieus für junge Leute – die Tuberkulose ist eine Jugendkrankheit – einen Begriff zu geben. Diese Krankenwelt dort oben ist von einer Geschlossenheit und einer einspinnenden Kraft, die Sie ein wenig gespürt haben werden, indem Sie meinen Roman lasen. Es ist eine Art Lebens-Ersatz, der den jungen Menschen in relativ kurzer Zeit dem wirklichen, aktiven Leben vollkommen entfremdet. (Thomas Mann im Mai 1939 an der Princeton University. Seite 10)

Die Eindrücke aus der Welt der Kranken in dem Lungensanatorium ließen Thomas Mann nicht mehr los, und er begann, sie literarisch zu verarbeiten.

Mit ihm ["Der Tod in Venedig"] war ich nahezu fertig zu dem Zeitpunkt meines Besuches in Davos, und die Erzählung nun, die ich plante – und die sofort den Titel "Der Zauberberg" erhielt –, sollte nichts weiter sein als ein humoristisches Gegenstück zum "Tod in Venedig", ein Gegenstück auch dem Umfang nach, also eine nur etwas ausgedehnte short story. Sie war gedacht als Satyrspiel zu der tragischen Novelle, die ich eben beendete. Ihre Atmosphäre sollte die Mischung von Tod und Amüsement sein, die ich an dem sonderbaren Ort hier oben erprobt hatte. Die Faszination des Todes, der Triumph rauschhafter Unordnung über ein der höchsten Ordnung geweihtes Leben, die im "Tod in Venedig" geschildert ist, sollte auf eine humoristische Ebene übertragen werden. (a.a.O., Seite 11)

Im Gegensatz zur ursprünglichen Absicht wurde aus "Der Zauberberg" in jahrelanger Arbeit statt einer Novelle ein zweibändiger Roman. Nicht ein älterer Künstler wie Gustav von Aschenbach in der Novelle "Der Tod in Venedig" steht im Mittelpunkt des Romans "Der Zauberberg", sondern ein eher mittelmäßiger junger Ingenieur, und der verliebt sich nicht in einen schönen polnischen Knaben wie Tadzio, sondern in die "kirgisenäugige", schätzungsweise achtundzwanzig Jahre alte Russin Clawdia Chauchat. Statt einer Cholera-Epidemie in Venedig symbolisieren die Tuberkulosekranken in einem Schweizer Lungensanatorium auf dem "Zauberberg" Morbidität und Verfall. Die Romanfigur Hofrat Dr. Behrens ähnelt Professor Jessen, wie Thomas Mann ihn während seines Aufenthalts im Waldsanatorium kennen gelernt hatte. Das Äußere des 1898 errichteten und seit 1915 "Valbella" genannten internationalen Sanatoriums und das Innere des kleineren Waldsanatoriums bei Davos dienten als Vorbilder für die Beschreibungen des "Berghofs" auf dem "Zauberberg". Die morbide Atmosphäre und die ihrer Verantwortung enthobenen Kranken auf dem auf dem "Zauberberg" stehen im krassen Gegensatz zu der von Arbeit und Ordnung bestimmten Welt im "Flachland". Hans Castorp, der "Held", erinnert nach Thomas Manns eigener Aussage an Parsifal, den anfangs törichten, simplen Gralssucher.

Hans Castorp als Gralssucher – Sie werden das nicht gedacht haben, als Sie seine Geschichte lasen, und wenn ich selbst es gedacht habe, so war es mehr und weniger als Denken. (a.a.O., Seite 20)

In der entrückten Atmosphäre auf dem "Zauberberg" sucht Hans Castorp nach dem "genialen Weg" zum Leben

Castorp möchte sich in der entrückten Welt auf dem "Zauberberg" von Hofrat Dr. Behrens bevormunden lassen und gerät zugleich unter den Einfluss widersprüchlicher Auffassungen und Prinzipien.

Sie [die Erzählung] arbeitet wohl mit den Mitteln des realistischen Romanes, aber sie ist kein solcher, sie geht beständig über das Realistische hinaus, indem sie es symbolisch steigert und transparent macht für das Geistige und Ideelle. Schon in der Behandlung ihrer Figuren tut sie das, die für das Gefühl des Lesers alle mehr sind als sie scheinen: sie sind lauter Exponenten, Repräsentanten und Sendboten geistiger Bezirke, Prinzipien und Welten. (a.a.O., Seite 16)

Mynheer Peeperkorn, der übrigens Ähnlichkeiten mit Gerhart Hauptmann aufweist (was dem naturalistischen Dichter gar nicht recht war), verhält sich lebenslustig und ausschweifend. Als ihm auf dem "Zauberberg" bewusst wird, dass er nicht länger nach seinen Vorstellungen weiterleben kann, vergiftet er sich mit einer ausgefallenen Konstruktion. Lodovico Settembrini lehnt Peeperkorn als einen "dummen alten Mann" ab. Der todkranke italienische Humanist, übrigens ein Freimaurer, tritt für Vernunft, Toleranz und Freiheit ein. Vergeblich warnt er Castorp zu Beginn seines Aufenthalts und nach sieben Wochen noch einmal vor den Gefahren des morbiden Milieus auf dem "Zauberberg" und drängt ihn zur Abreise. Settembrinis Antagonist ist der vom Judentum zum Katholizismus konverierte Jesuit Leo Naphta, an dem Züge des Philosophen und Literaturtheoretikers Georg Lukács (1885 - 1971) zu erkennen sind. Der asketische Fanatiker predigt hasserfüllt eine Art "heiligen Krieg" gegen Kapitalismus, Liberalismus, Demokratie, und er propagiert eine chiliastische Weltvision, in der kommunistische Ideale mit der Utopie eines Gottesstaates verschmolzen sind. Mit seinen Vorstellungen von der gewaltsamen Herstellung einer angeblich besseren Welt erweist er sich als ein Vordenker des Faschismus. Weil Settembrini und Naphta sich nicht zuletzt in ihren pädagogischen Bemühungen um Castorp gegenseitig im Weg stehen, ist es nur konsequent, dass sie sich duellieren. Dabei entziehen sich beide – jeder auf seine Weise – dem Zwang, aufeinander zu schießen zu müssen. Während Clawdia Chauchat, Mynheer Peeperkorn, Lodovico Settembrini und Leo Naphta je ein Prinzip bzw. eine Lebensauffassung repräsentieren, muss Hans Castorp ihre Gegensätzlichkeit aushalten, um zu reifen. Doch am Ende – so befürchtet es der Erzähler – fällt er als Kanonenfutter im Ersten Weltkrieg. Thomas Mann achtet darauf, dass der Erzähler sich nie weit von dem entfernt, was Hans Castorp erlebt und denkt. "Der Zauberberg" ist ein komplexer, intellektueller, artifizieller und detailverliebter Roman mit einer Fülle von Symbolen. Weil sich die Leitmotive dieser "Komposition" (Thomas Mann) wie in der Musik erst erschließen, wenn das Ganze bekannt ist, empfiehlt Thomas Mann die mehrmalige Lektüre des Werks.

Der auf zwei Bände angwachsene Roman weiterte sich zum Zeitroman aus, zur Kritik an spätbürgerlichen Lebens- und Denkformen der Vorkriegszeit, deren Repräsentanten auf dem »Zauberberg« versammelt sind; zugleich aber treibt Thomas Mann seine leitmotivische Erzähltechnik, sein ironisches Spiel mit Bildungszitaten und Weltanschauungen in diesem Buch so weit voran, daß die Forschung das Werk als Bildungsroman, als »intellektuellen« oder »metaphyischen« Roman zu verstehen suchte. Der früh verwaiste Hamburger Patriziersohn Hans Castorp besucht nach bestandenem Ingenieur-Examen vor dem geplanten Eintritt in eine Schiffsbauwerft seinen lungenkranken Vetter Joachim Ziemßen in einem Sanatorium in Davos. Zunächst befremdet über die »hier oben« herrschende Lebensart, ordnet er sich zögernd in den Kurbetrieb ein, der, selbst auf Profit ausgerichtet, die Patienten aus ihren gewohnten bürgerlichen Verhaltensweisen reißt, sie in einen Zustand der Zeitlosigkeit und Pflichtvergessenheit versetzt: »Man ändert hier seine Begriffe«, prophezeit Joachim Ziemßen seinem Besucher. Anspielungen auf den Hades der Antike, auf den Hexenberg in Goethe "Faust" oder den Venusberg in Wagners "Tannhäuser" begleiten die Beschreibung des »Zauberbergs«, eine mystische, traumverlorene Welt, in jeder Hinsicht das Gegenbild zum »Flachland« und der dort herschenden Ordnung und Disziplin.

Drei Wochen will Hans Castorp zunächst zu Besuch in Davos bleiben, eine leichte Erkältung führt schließlich zu einer Verlängerung seines Aufenthalts, mit dessen Verlauf ein zunehmendes Desinteresse an der Welt des »Flachlandes« einhergeht. Der Italiener Lodovico Settembrini, Aufklärungsoptimist und »Zivilisationsliterat«, Republikaner und Humanist, der im Abschnitt "Satana" seinen ersten Auftritt hat (»Bosheit, mein Herr, ist der Geist der Kritik, und Kritik bedeutet den Ursprung des Fortschritts und der Aufklärung«) drängt ihn zur Abreise. Hans Castorp aber unterliegt der Faszination der Russin Clawdia Chauchat; sie vor allem hält ihn in dem Sanatorium zurück, bis es endlich im fünften von insgesamt sieben Kapiteln - der Abschnitt ist mit dem Titel "Walpurgisnacht überschrieben und spielt am Faschingsabend - zur Liebesbegegnung mit ihr kommt, vom Autor nur indirekt angedeutet.

Sieben Monate sind bis dahin verstrichen, und der sich anschließende Teil des Romans erzählt von der restlichen Zeit der insgesamt sieben Jahre, die Hans Castorp auf dem »Zauberberg« verbringt. Clawdia Chauchat reist ab, Settembrini zieht in das Dorf hinab. Auch Hans Castorps Vetter verläßt entgegen den ärztlichen Ratschlägen das Sanatorium und kehrt zum Sterben zurück. Zwei Personen treten nun vor allem auf: der Jesuit und Kommunist Leo Naphta (für den der Philosoph und Literaturtheoretiker Georg Lukács (1885-1971) Modell gestanden haben soll), der sich mit Settembrini erbitterte Diskussionen liefert, sowie Mynheer Pieter Peeperkorn, ein holländischer Kaffeepflanzer voller Vitalität, der Züge Gerhart Hauptmanns trägt und an dessen Seite Clawdia Chauchat wieder im Sanatorium erscheint. Aufgrund seiner »Ohnmacht, das Weib zur Begierde zu wecken«, wird Peeperkorn sich schließlich in den Tod flüchten. Zuvor allerdings gibt er Hans Castorp Gelegenheit, seine erotischen Begierden gleichsam sozialverträglich zu überwinden, dem männlichen Konkurrenzkampf zu entgehen und sich für Clawdia zum »guten Menschen«, für Mynheer Peeperkorn zum »Bruder« zu stilisieren. Nach Peeperkorns Tod und Clawdias endgültiger Abreise herrscht, wie ein Abschnitt überschrieben ist, der "große Stumpfsinn", gelindert nur durch die »Fülle des Wohllauts«, die ein Grammophon hervorbringt, auf dem Hans Castorp "Aida und "Carmen", vor allem aber Schuberts "Am Brunnen vor dem Tore hört. Ansonsten jedoch entwickelt sich eine »große Gereiztheit«, die zum Pistolenduell zwischen Naphta und Settembrini führt, bei dem beide sich dem Zwang, aufeinander schießen zu müssen, auf ihre Weise entledigen: Settembrini schießt in die Luft, Naphta tötet sich selbst. Das morbide Treiben - Hans Castorp sitzt schließlich am »schlechten Russentisch« und hat sich ein Bärtchen stehen lassen, »als Zeugnis einer gewissen philosophischen Gleichgültigkeit gegen sein Äußeres« - findet durch den »Donnerschlag« des Krieges ein unvermitteltes Ende; der Roman verliert seinen Helden als anonymen Soldaten im Angriff »aus den Augen«, mit Schuberts "Am Brunnen vor dem Tore" auf den Lippen: »Lebewohl Hans Castorp ... Deine Geschichte ist aus. Zu Ende haben wir sie erzählt; sie war weder kurzweilig noch Heilige es war eine hermetische Geschichte. Wir haben sie erzählt um ihretwillen, nicht deinethalben, denn du warst simpel.«

Die Zeit, die im traditionellen Bildungsroman die Perspektive der Fortentwicklung zu garantieren schien, birgt in Thomas Manns Roman keine Utopie mehr, wie auch die antithetischen Betrachtungen Naphtas und Settembrinis (»sie sind beide Schwätzer«) keine inhaltliche Synthese erfahren. Eine Kommentierung aus der Sicht Hans Castorps bietet der mit "Schnee" überschriebene Absatz des sechsten Kapitels, ein verkleinertes Modell des gesamten Romans und von Thomas Mann rückblickend gerne an den Schluß des gesamten Werkes positioniert, in dem Castorp sich auf Skiern in das Hochgebirge wagt, nicht ohne fortwährende Reminiszenzen an die beiden Kontrahenten (»Ach ja, du pädagogischer Satana... Übrigens habe ich dich gern. Du bist zwar ein Windbeutel und Drehorgelmann, aber du meinst es gut, meinst es besser und bist mir lieber als der scharfe kleine Jesuit und Terrotist..., obgleich er fast immer recht hat, wenn ihr euch zankt ...«), und dort im Schneesturm sich verirrt, im Kreis läuft. Die Szene mündet in einen Traum mit der kursiv gesetzten Quintessenz: »Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tod keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.« Diese Absage an die mit dem Tod verbundene Sinnlichkeit und die damit implizierte Aufwertung von Ethos und Bewußtsein wird jedoch nicht nur durch die Bemerkung relativiert, daß Hans Castorp schon bald nach seiner Heimkehr seinen Traum »nicht mehr so recht« verstand; bereits im Traum selbst erscheint der Tod - er ist »Freiheit, Durchgängerei, Unform und Lust« - als fortwährende Versuchung zum ekstatischen, auch von Erotik geprägten Leben, nur durch den gewissenhaften Vorsatz zu bändigen: »Ich will dem Tod die Treue halten in meinem Herzen, doch mich hell erinnern, daß Treue zum Tode und Gewesenen nur Bosheit und finstere Wollust und Menschenfeindschaft ist, bestimmt sie unser Denken und Regieren.« Nichts anderes als Thomas Manns eigene Lebensproblematik, die Suche nach dem Ausgleich von Leben und Geist, scheint letztlich im "Zauberberg" wieder auf. »Der Roman erzählt, je länger er dauert, desto weniger von Castorp und desto mehr von Thomas Mann«, so das Fazit von Martin Walser, der an diesem Beispiel eine vehemente Kritik am ironischen Erzählverfahren des Autors, seinem distanzierten Spiel mit Symbolen und Motiven übt, eine Kritik, die das Werk des Autors von Anfang an begleitet hat. Es wird allgemein als Kennzeichen der Klassizität Thomas Mann gewertet, daß eine literarische Nachwirkung seines Werkes kaum vorhanden ist, somit die Anmerkungen des Schriftstellers Walser eher eine Ausnahme darstellen, während für die Fachwissenschaft der Rang seines Werks und des "Zauberbergs" als »klassischer Roman« (H. Koopmann) im besonderen unbestritten ist.

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